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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Ausgefunden.

Da wir jetzt nur noch zwei zum Auspumpen waren, so gelang es uns nicht mehr, das Schiff vom Wasser zu leeren.

Wir arbeiteten aus allen Kräften mit nur kurzen Pausen zum Verschnaufen, schließlich aber wurden meine Arme schlaff; sie sanken mir am Leibe herab, und ich erklärte Forward, daß meine Kräfte vorläufig zu Ende seien. Er sondierte, fand, daß nur noch zwei Zoll zu pumpen wären und meinte, die würden keinen Schaden tun.

Somit verließen wir das Deck und gingen in die große Kajüte.

»Mr. Royle,« sagte er hier, sich auf den Rand des Tisches setzend: »Wir müssen nun ernstlich daran denken, unsere Vorbereitungen zum Verlassen des Schiffes zu treffen, der Zeitpunkt ist gekommen. Lange kann das so nicht mehr gehen, oder wir liegen plötzlich alle vor Ermattung auf der Nase. Das darf aber nicht sein, wir müssen unsere Kräfte sparen. Sie haben nicht mehr viel übrig, Cornish ist ebenfalls beinah fertig, und der Steward ist schon so gut wie ersäuft. Ich rechne, zwölf Fuß Wasser werden nötig sein, das Schiff zum Sinken zu bringen, vielleicht verträgt es auch noch mehr, in Anbetracht, daß der größte Teil der Ladung aus Holzwaren besteht, aber wir wollen mal sagen zwölf Fuß, und da würden wir, wenn wir das Pumpen vorläufig einstellen, etwa noch acht bis neun Stunden Zeit vor uns haben. Diese Zeit müssen wir, meiner Meinung nach, ausnutzen, um das Boot und uns bereitzumachen und dem ›Grosvenor‹ Lebewohl sagen zu können, sowie die See ruhig ist. Ich denke,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »unser Leben wird im Boot ebenso sicher sein, wie hier an Bord, und noch eine Kleinigkeit sicherer, denn meinem Dafürhalten nach dürften die Planken des Schiffes einer neuen schweren See nicht mehr lange Widerstand leisten. Wie ein Spiel Karten kann es plötzlich einmal auseinanderfallen, wenn es jäh in ein Wellental abstürzt. Sie werden entschuldigen, Sir, wenn ich das alles sage, es sind aber die Gedanken, die mir in den Kopf kamen, während wir pumpten.«

»Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein, Forward, und bin nur in Sorge, ob das Boot auch fünf Personen gut tragen wird.«

»Ganz sicher, ich werde sogar einen kleinen Mast auftakeln, und es müßte schlimm kommen, wenn es nicht vier Meilen in der Stunde machte. Wie weit schätzen Sie ungefähr die Bermudainseln?«

»Nun, zwischen zweihundertfünfzig und dreihundert Meilen, wenn ich unsere Lage richtig beurteile.«

»So würden wir ihnen in drei Tagen also ziemlich nahe sein, wenn uns der Wind günstig ist. Ich werde gleich das Boot genau nachsehen und alles für seine Ausrüstung bereit machen. Vielleicht teilen Sie inzwischen Miß Robertson unsern Entschluß mit. Bei allem Unglück können wir noch zufrieden sein, daß wir wissen, woran wir sind, Zeit haben, alles vorzubereiten, und nach dem Aussehen des Himmels wohl bald auf eine ruhige See hoffen dürfen.«

Er begab sich nun wieder auf Deck, und ich sah nach dem Barometer, der wieder gestiegen war. Dies, in Verbindung mit dem blauen Himmel, dem herrlichen Sonnenschein und dem geringeren Seegang, erheiterte mich etwas, trotzdem sah ich aber dem Verlassen des Schiffes mit Unbehagen entgegen. Mir fielen alle Erzählungen ein von den Leiden, Qualen und Gefahren, die Schiffbrüchige in Booten erduldet hatten, und mich peinigte der Gedanke, daß Miß Robertson, das arme, liebe Mädchen auch das noch auszukosten haben würde. Indessen, gerade um ihretwillen erkannte ich es für meine Pflicht, dem Unabwendbaren mutig ins Auge zu sehen.

Als ich auf Deck kam, traf mein erster Blick den russischen Dreimaster, der sich jetzt nur noch als ein weißer, glänzender Fleck am südlichen Horizont abhob. Ich wandte meine Augen schnell ab, um nicht wieder in schlimme Gedanken zu verfallen und sah den Steward, der sich von seiner Ohnmacht erholt hatte, am Oberlicht sitzen und mit blödsinnigem Lachen seine Finger zählen. Von ihm aus glitt mein Blick nach dem Rade, an welchem ich zu meinem Erstaunen Miß Robertson bemerkte, Cornish aber lag lang ausgestreckt auf dem Deck, eine Flagge als Kissen unter seinem Kopfe.

Ich fragte Miß Robertson, was mit Cornish los wäre.

»Er taumelte plötzlich,« antwortete sie, »und war ganz bleich. Ich sagte ihm, er solle sich hinlegen, und holte ihm eine Flagge unter den Kopf. Dann nahm ich das Rad und rief nach Ihnen, Sie hörten aber nicht, und da ich nicht fort konnte, mußte ich warten, bis Sie von selbst kämen. Sie werden gut tun, etwas Brandy für ihn zu holen.«

Ich folgte dieser Anweisung sofort. Als ich zurückkam, kniete ich an der Seite des armen Menschen nieder, um ihn zu stärken, erschrak aber heftig, als ich sah, daß er die Augen verdrehte, seine Hände geballt waren und er die Zähne fest zusammengebissen hatte. Ein starkes Zittern überflog seinen Körper und obgleich ich ihn nochmals bei seinem Namen rief, erhielt ich keine Antwort. Dies ängstigte mich so, daß ich Forward rief.

Als er Cornish sah, entfuhr ihm ein lauter Schreckensruf.

»Gott weiß, was dem armen Kerl fehlt,« rief ich; »heben Sie ihm den Kopf in die Höhe, damit ich ihm etwas Brandy einflößen kann.«

Forward hob ihn an den Schultern, der Kopf fiel aber zurück, wie der eines Toten. Ich zog mein Messer aus der Tasche, brach ihm mit der Klinge die Zähne auf und goß ihm ein wenig Branntwein in den Mund; er sprudelte diesen jedoch sogleich wieder heraus, was ich für ein schlimmes Zeichen hielt.

»Sein Herz ist gebrochen, das ist es,« sagte Forward mit zitternder Stimme. »Jim, was ist dir, mein Maat? Du wirst dich doch nicht durch den Anblick dieses niederträchtigen, russischen Mörders haben töten lassen? Komm, komm, wach wieder auf, Gott weiß, wir haben alle einen schweren Kampf gekämpft, aber noch sind wir nicht geschlagen, mein Junge. Bloß noch ein Weilchen müssen wir ausharren, dann wird alles wieder gut werden. Laß dir nicht von einem schlimmen Wind den Atem rauben. Jeder Seemann macht seine bösen Erfahrungen. Versuch doch den Brandy zu schlucken, komm, ermanne dich, Jim! Mein Gott, Mr. Royle, er stirbt.«

Cornish warf in diesem Moment seine Arme in die Höhe und streckte seinen Körper. Die Bewegung war so plötzlich und so heftig, daß ich, von derselben getroffen, zurücktaumelte und den Brandy vergoß. Die Pupillen in seinen Augen fielen nach unten und verloren ihren Glanz, ein heiseres Flüstern drang noch von seinen Lippen, dann lag er still und tot, mit dem Kopf auf den Knieen des Hochbootsmanns.

Ich sah nach Miß Robertson. Beide Hände in den Spaken des Rades, stand sie da, die Lippen fest zusammengepreßt, den Blick auf den Toten gerichtet. Nicht eine Muskel zuckte in dem Gesicht des heroischen Mädchens, nicht die leiseste Bewegung verriet ihre Aufregung.

Forward tat einen tiefen Atemzug und ließ den Kopf des Toten leise auf die Flagge nieder.

»Aus Rücksicht für Miß Robertson wollen wir ihn nach vorn tragen,« flüsterte ich.

Er willigte schweigend ein; wir nahmen die Leiche und trugen sie nach der Vorderluke.

»Es wird nicht nötig sein, ihn zu begraben,« sagte ich.

»Nicht nötig und nicht Zeit, Sir. Ich vertraue Gott, daß er dem armen Matrosen gnädig sein wird, wenn Er ihn auferweckt. Er wurde von den andern verleitet, sein Herz war nicht schlecht.«

Ich holte eine Wolldecke aus dem Vorderkastell und deckte die Leiche damit zu; dann gingen wir langsam und schweigend nach dem Hinterdeck zurück.

Der Tod dieses Mannes ging mir sehr nahe. Er hatte fast übermenschlich gearbeitet, jeder Gefahr mutig die Stirn geboten und auf seine Weise das Böse gesühnt, an dem er teilgenommen; seine treue Genossenschaft bei allen unsern Leiden hatte ihn uns teuer gemacht. Ihn gerade jetzt zu verlieren, war bitter schwer.

Ehe wir uns zu Miß Robertson begaben, blieben wir einen Augenblick bei dem Steward stehen. Er bot ein trauriges Bild vollendeten Blödsinns; wenn wir nicht durch den Tod von Cornish ganz benommen gewesen wären, hätte uns sein Anblick tief ergreifen müssen. In unserer gegenwärtigen Gemütsverfassung hatten wir aber, wie ich gestehen muß, kein rechtes Mitgefühl für seinen Zustand, im Gegenteil, er erschien uns ganz glücklich, denn lächelnd saß er auf der Dielung des Decks und vergnügte sich daran, mit dem Zeigefinger Kreise und andere Figuren zu ziehen. Als wir zu ihm traten, blickte er uns scheu an, und auf meine Frage: »Wie geht dir's, alter Bursche,« sah er wie sinnend einen Augenblick starr ins Blaue, stand dann auf, erfaßte meinen Arm, zog mich ein paar Schritte von dem Hochbootsmann fort und flüsterte mir ganz heimlich ins Ohr: »Eben ist ein Schiff vorbeigekommen, Sir, haben Sie es gesehen?«

»Natürlich, was ist damit?«

Er blickte sich wieder um, als wenn er sich vergewissern wollte, daß er auch nicht gehört würde und fuhr dann ganz leise zischelnd fort: »Ich will Ihnen etwas anvertrauen, Sir, Sie dürfen es aber nicht verraten. Sehen Sie, ich konnte es auf dem ›Grosvenor‹ nicht mehr aushalten, der alte Kasten war voll Wasser, jeden Augenblick konnte er sinken. Die ewige Angst, zu ertrinken, brachte mich beinah um. Ich bin deshalb entflohen und an Bord dieses Schiffes gegangen. Aber still! Wissen Sie, ich kann nämlich mit den Leuten nicht sprechen, es sind Ausländer. Russen, Sir, beim lebendigen Hahn! Bei dem schwör' ich nämlich immer, denn er kräht jeden Morgen in meinem Garten.«

Nach diesen Worten trat er einen Schritt zurück, machte mir ein vertrauliches Zeichen und legte den Finger auf den Mund.

»Aha,« sagte ich, »ich verstehe; setz' dich nur wieder hin und zeichne weiter, dann werden die Leute denken, du wärest in Studien vertieft und werden dich nicht weiter stören.«

»Richtig, mein Lord. Euer Lordschaft gehorsamer Diener,« erwiderte der arme Mensch, machte mir eine tiefe Verbeugung und nahm mit wichtiger und würdevoller Miene seinen früheren Platz wieder ein.

»Was hat er gesagt?« fragte Forward.

»Ach, der arme Kerl ist vollständig verrückt, er spricht lauter ungereimtes Zeug, er denkt, er ist an Bord des Russen.«

»Mag er in dem Gedanken glücklich sein, er wird wenigstens dann nicht wieder versuchen, hinter ihm dreinzuschwimmen.«

Wir gingen nunmehr zu Miß Robertson, und da der Wind inzwischen so schwach geworden war und die See sich so beruhigt hatte, daß ein fortwährendes Halten des Rades unnötig war, so befestigte ich dasselbe und führte das junge Mädchen zum Oberlicht. Ich bat sie, hier Platz zu nehmen, und forderte Forward auf, uns einen Imbiß und etwas Wein zu holen.

»Das wird wohl unsere letzte Mahlzeit an Bord des ›Grosvenor‹ sein,« sagte ich und setzte ihr dann auseinander, daß, nachdem wir Cornish verloren und der Steward um seinen Verstand gekommen sei, unsere Kräfte nicht mehr ausreichten, das Wrack zu halten. Wir hätten nunmehr keine andere Wahl, als unsere Rettung im Boot zu versuchen.

»Also, jetzt ist es soweit,« sagte sie langsam und mit einem starren Blick nach dem Boot.

»Sie werden sich doch nicht fürchten?«

»Mein festes Vertrauen auf Gottes Schutz und Hilfe wird mich stärken, aber,« rief sie, mit einem tiefen Atemzug und ihre Hände zusammenschlagend, »es wird schaurig einsam sein auf dem großen Meer, in solch einem kleinen Boot. Wie verlassen wird man sich fühlen!«

»Warum verlassener in dem Boot, als auf diesem sinkenden Schiff? Gottes Auge sieht uns doch überall, seine starke Hand wird uns halten, wo es auch sei. Sehen Sie den schönen, reinen, blauen Himmel, er soll uns ein Pfand seiner Gnade sein. Betrachten Sie die See jetzt und denken Sie daran, wie sie noch diesen Morgen tobte. In einigen Stunden wird sie ganz ruhig sein. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß wir tausendmal sicherer in dem Boot sein werden, als in diesem lecken Wrack. Jetzt, während ich spreche, dringt das Wasser in den Kielraum; jede Minute steigt es höher und zieht das Schiff tiefer und tiefer, bis es unter der Oberfläche verschwindet. Im Boot haben wir vielleicht viele Tage hintereinander dieses schöne Wetter, und es wird dann nicht schwierig sein, die Bermudainseln zu erreichen. Verfehlen können wir sie nicht, wenn wir westlich fahren, selbst wenn mir die Mittel fehlen sollten, unsere Lage genau zu bestimmen. Andererseits wird auch für uns die Aussicht, von einem vorbeifahrenden Schiff aufgenommen zu werden, viel größer sein, als sie es bisher war. Kein Schiff, und wäre es von einem Barbaren befehligt, würde sich weigern, die Insassen eines Bootes aufzunehmen, während wir hier auf dem Schiff noch soeben die traurige Erfahrung gemacht haben, daß es Seeleute gibt, welche die Notsignale ihrer Nebenmenschen sehen, aber kaltherzig vorbeifahren.«

»Ich zweifle nicht, daß Sie recht haben,« erwiderte sie mit trübem Lächeln. »Glauben Sie mir, ich denke an mein eigenes Leben nicht mehr, als an das meiner Gefährten. Der Tod erscheint mir nicht so schrecklich, als daß ich ihm nicht mit Ruhe entgegensehen könnte. Wirklich, Mr. Royle, ich möchte lieber gleich sterben, als noch einige kurze Jahre unter Umständen leben, die schlimmer sind als der Tod. Wenn ich mir den Steward ansehe, so denke ich, der Tod wäre für ihn eine Wohltat gewesen.«

»Das ist auch meine Ansicht,« erwiderte ich lebhaft; »auch steht es schon lange bei mir fest, daß, wenn ich Sie nicht zu retten vermag, ich mit Ihnen sterben werde.«

»Ja, ich weiß das,« antwortete sie mit leiser, stockender Stimme und niedergeschlagenen Augen. »Sie, der Sie mein Leben schon einmal dem Tode entrissen, mich bis hierher geschützt, gehegt und gepflegt haben, Sie werden auch ferner, wenn es gilt, Ihr Leben für das meinige einsetzen. Meine Dankbarkeit hierfür kennt Gott allein. Mir fehlen die Worte, sie Ihnen auszudrücken.«

Förmlich berauscht von dieser Sprache und kaum wissend, was ich tat, beugte ich mich zu ihr nieder und flüsterte wie atemlos: »Geliebte, würden Sie mir das Leben schenken, welches ich gerettet habe?«

»Gern,« erwiderte sie mit fester Stimme und reichte mir die Hand.

»Schenken Sie es mir nur aus edelmütiger Dankbarkeit, oder aus einem andern Gefühl, welches Sie nicht daran denken läßt, daß ich arm bin und meine Stellung im Leben eine sehr bescheidene ist?«

»Ich schenke es Ihnen, weil ich Sie liebe und weil ich weiß, daß Sie mich wieder lieben,« antwortete sie in all ihrer Unschuld und Lieblichkeit.

Einen Augenblick, aber auch nur einen einzigen, war ich vor Glück wie betäubt, dann aber schloß ich sie in meine Arme, bedeckte ihren Mund mit Küssen und rief: »Mädchen, Kind, Liebling! Kann es denn sein? Ist es wirklich wahr? Sag's schnell noch einmal, daß du mich liebst, ich kann es ja gar nicht fassen und begreifen.«

Da nahm sie meine Hand, führte sie an ihre Lippen und sagte, zärtlich zu mir aufsehend: »Ach du lieber, dummer Mensch, hast du das noch nicht bemerkt?«

Ich wollte sie wieder küssen, hörte aber Forward kommen und war deshalb vernünftig. Er schritt langsam auf uns zu und setzte schweigend das Teebrett, auf welchem er nach echt seemännischer Verschwendung, Essen für wenigstens ein Dutzend Personen angehäuft hatte, vor uns nieder. Dann sah er uns vergnügt schmunzelnd eine kleine Weile an und sprach: »Sir, um Vergebung, aber ich denke, Sie haben sich ausgefunden!«

»Allerdings, das habe ich, alter, treuer Freund; geben Sie mir ihre Hand, Sie können mir gratulieren,« entgegnete ich.

Er nahm meine Rechte zwischen seine beiden Hände, wie in einen Schraubstock, blickte mir einen Augenblick wortlos ins Gesicht und hob dann an: »Ich bin nur ein schlichter Mann, was ich sage, kommt aber aus dem Herzen, und ich sage: Gott segne Sie beide. Nie hat ein Seemann ein größeres Glück gehabt, nie habe ich eine größere Freude empfunden als in diesem Augenblick. Solche Dinge kommen durch Gottes Fügung zustande; in den Zeiten der Not und der Trübsal sprüht die Liebe am lautesten und durchbricht alle Schranken. Ihre Liebe, Sir, habe ich schon lange brennen und kämpfen, sich verbergen und dann wieder aufs neue vorbrechen sehen, wie eine Flamme an Bord eines sinkenden Fahrzeugs in einer stürmischen Nacht. Und auch bei Ihnen, Miß, habe ich allerlei Zeichen gesehen, so daß ich schon lange dachte, es müßte kommen, daß Sie sich miteinander ausfänden. Aber der Seemann hat eben zwei Naturen: Furchtlos und ohne zu zittern, kann er im Sturm das ganze Gestenge über sich zusammenbrechen sehen, soll er aber einem hübschen Mädchen seine Liebe bekennen, dann wird er zur feigsten Memme. Ja, ja, der liebe Herrgott hat oft seine liebe Not mit zwei Menschenkindern, die er füreinander bestimmt hat, und muß sie mitunter kräftig anstoßen, damit sie nur ihr Glück greifen, und so hat er denn hier mit dem sinkenden Schiff nachhelfen müssen. Das hat er aber gewiß nur getan, um sich dann in seiner Allmacht um so größer zu erweisen – und so sage ich mit freudigem Herzen noch einmal, Ihre Hand, Sir, und auch die Ihre, Miß: Der gütige Herrgott, der sicherlich jetzt auf uns niedersieht, segne Sie beide. Möge er Ihnen gnädig sein. An mir liegt ja nicht viel, aber gerne möchte ich doch auch mein Teil noch dazu beitragen, Sie glücklich herauszuführen aus allen Gefahren, und es erleben, daß wir zusammen noch Gott danken können für unsere Errettung.«

Nach diesen Worten schüttelte er uns die Hände, als wenn er sie uns aus den Gelenken reißen wollte; dann ging er plötzlich fort, holte die Notsignale nieder, verschwand in der Kajüte, kehrte mit der großen Flagge zurück, hißte sie an der Gaffelspitze auf und sagte: »So, die paßt besser zur Feier dieser Stunde; möge sie Ihr Glück weithin verkünden, bis ich sie wieder herabhole; sie soll nicht mit dem ›Grosvenor‹ sinken, mag er alles Elend, was wir auf ihm erduldet, mit sich hinabnehmen; die Flagge aber soll Ihnen im künftigen Heim eine fortdauernde Erinnerung an diese Stunde bleiben. Und nun, Sir, darf ich wohl alle Mann zum Essen pfeifen?«


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