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Sechstes Kapitel.
Sturm.

Am nächsten Tage besserte sich das Wetter; wir konnten wieder alle Segel setzen und steuerten süd-südwestlich. Dienstag, den 22. August hatten wir die Downs verlassen und am 25. August ergaben die vorgenommenen Messungen, daß wir eine Strecke von über 800 Meilen zurückgelegt hatten. In Anbetracht des Tiefganges des Schiffes und der schweren Seen, die wir zu überwinden hatten, war das eine sehr gute Fahrt.

Der günstige Wind blieb uns den ganzen Tag über treu, hörte aber gegen Abend auf. Dann sprang er vor uns wieder auf, ging nach Norden herum und schwand allmählich gänzlich. Wir befanden uns jetzt in der Nähe der Bai von Biskaya, und die schwere Dünung, wegen welcher jener Teil des Meeres berüchtigt ist, verschonte auch uns nicht. Die Nacht hindurch schlingerte das Schiff ganz fürchterlich. Der Kapitän war in der übelsten Laune und fortwährend auf Deck. Seine Wut über die Windstille ließ ihn keine Ruhe finden, und deshalb gönnte er auch der Mannschaft keinen Schlaf. Er geberdete sich wie ein Verrückter; bald ließ er die Leute an die Backbord-, bald an die Steuerbordbrassen gehen. Bei jedem Hauch mußten die Raaen gedreht werden; er strengte ganz zwecklos beide Wachen bis zur Erschöpfung an.

Endlich am nächsten Morgen erhob sich hinter uns eine leichte Brise, das Focksegel wurde gestellt, und das Schiff kam wieder etwas in Bewegung. Dadurch wurden wenigstens Arme und Beine der Leute etwas geschont, denen gestattet war, leichtere Arbeit vorzunehmen.

So ging es bis Mittwoch den 31. August, an welchem Tage wir uns, soweit ich mich erinnere, unter 45° und ungefähr 10' befanden.

Die Leute hatten sich während dieser Zeit ziemlich ruhig verhalten. Der Hochbootsmann sagte mir, daß sich bei den Mahlzeiten jedesmal die Unzufriedenheit stark äußere, diese drang aber nicht nach hinten, und neue Klagen gingen bei dem Kapitän nicht ein. Der Grund davon lag wohl darin, daß sich die Mannschaft im Glauben befand, der Kapitän wollte Madeira oder eine der Kanarischen Inseln anlaufen. Daß sie dies wirklich erwarteten, wurde mir zur Gewißheit, als mich der am Rade stehende Mann eines Tages während meiner Wache fragte, ob ich ihm sagen wolle, wo das Schiff jetzt sei.

Ich teilte ihm hieraufhin das Ergebnis der letzten Berechnung mit, worauf er meinte:

»Da wären wir also östlich von Madeira, Sir, ist's nicht so?«

»Gewiß, das ist so.«

Er richtete nunmehr seine Augen auf den Kompaß und schien über den Kurs des Schiffes nachzudenken, sagte aber nichts weiter zu mir. Als er später abgelöst wurde und nach vorn gegangen war, bemerkte ich indessen, daß er lebhaft mit den übrigen sprach und daß ein Mann niederkniete, um irgend etwas mit einem Stück Kreide auf das Deck zu malen. Auch sah ich, wie der Koch mit großer Erregtheit in die Leute hineinredete, mit den Händen fuchtelte, einen Mann dicht an sich heranzog und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Sobald sie wahrnahmen, daß ich sie beobachtete, gingen sie auseinander.

Wenn ich mit Coxon und Duckling auf freundschaftlichem Fuße gestanden hätte, so würde ich ihnen ohne Zeitverlust meine Beobachtung und die Befürchtungen, die in mir aufstiegen, mitgeteilt haben. Ich sah aber genau voraus, in welcher Weise meine wohlgemeinte Warnung aufgenommen werden würde, und so behielt ich die Sache für mich. Ich war fest überzeugt, daß der Kapitän in seinem Haß gegen mich behauptet hätte, daß mein Verhalten der Mannschaft gegenüber die alleinige Schuld trage, wenn diese sich zu einer Meuterei heranreißen lassen sollte. Er wie Duckling würden mich zum Rädelsführer der ganzen Verschwörung gestempelt haben. Übrigens konnte ja mein Verdacht ganz unbegründet sein; ich machte vielleicht eine Meldung, die nicht nur meine Stellung gefährdete, sondern auch bei Kapitän und Maat ein Verhalten hervorrief, welches die Leute erst in eine Meuterei hineintrieb, wenn sie bis jetzt noch an keine gedacht hatten. Diese Befürchtung bestimmte mich mehr, als jedes andere Bedenken, zu schweigen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Mochten der Kapitän und der erste Maat selbst ihre Augen offenhalten.

Als ich das Deck um 4 Uhr nachmittags verließ, hatte das Schiff alle Leinwand angelegt, die nur ziehen wollte. Der Himmel war klar, aber blaß wie im Winter und von Süden rollte eine schwere Dünung heran. Das Wetter sah im allgemeinen günstig aus, und obgleich es aus Nordost wehte, war die Temperatur so mild, daß ich meine Jacke hätte entbehren können.

Ich blickte auf den Barometer, ehe ich meine Koje betrat und fand, daß er etwas gefallen war. Dies konnte ebensogut Regen bedeuten, wie eine Veränderung im Winde. Es läßt sich in Wahrheit nicht sagen, was das Steigen oder Fallen des Barometers bedeutet, er zeigt eben nur eine Veränderung in der Dichtigkeit der Atmosphäre. Jedenfalls schenke ich dem Auge eines alten Seemannes oder Landmannes mehr Vertrauen und was Wetterprophezeiungen betrifft, so gebe ich auf sie gerade so viel, wie auf Träume; jeder Mensch erinnert sich vielleicht an einen oder zwei, welche zufällig wahr wurden, vergißt aber die ungeheure Zahl derer, die Träume geblieben sind.

Während der nächsten Stunden blieb das Wetter noch schön, das Glas fiel aber noch ein Stück, und der Wind ließ nach. Kapitän Coxon und ich hatten einander jetzt immer sehr wenig zu sagen. Ich war nur gerade höflich, und er schien mich kaum zu beachten; als ich aber in der Kajüte eine Stärkung nahm, ehe ich mich auf drei Stunden niederlegen wollte, fragte er mich, wie ich über das Wetter dächte.

»Es ist schwer zu sagen, was diese Dünung bedeutet,« antwortete ich, »entweder kommt Sturm, oder ist irgendwo einer gewesen.«

»Ich hege keinen Zweifel, daß ein Sturm im Anzuge ist und zwar ein tüchtiger, behalten Sie also Ihre Kleider an, wenn Sie sich legen. Wenn Sie jetzt Ihre Nase über die Schiffsseite stecken wollten, würden Sie den herankommenden Sturm riechen.«

Absonderlich, wie er sich ausdrückte, sprach er doch ganz ernsthaft, und ich war überzeugt, daß seine Erfahrung als alter Seemann die Wetteranzeichen richtig beurteilte.

Als der Wind schwächer und schwächer wurde, rollte das Schiff noch schwerer. Es war kein angenehmer Aufenthalt in der Kajüte, wo alles ächzte, stöhnte, klirrte und knarrte. Wenn man aus dem von der Lampe hell erleuchteten Raum durch das Oberlicht blickte, erschien es draußen pechdunkel. Wie Kanonenschüsse drang das Schlagen der Segel gegen die Masten herunter und deutlich hörte man das Gurgeln und Plätschern des Wassers, wenn es beim Überholen des Schiffes durch die Speigaten stürzte.

Durch alles Geräusch hindurch vernahmen wir plötzlich den Befehl Ducklings, das Fockleesegel einzuziehen. Coxon stand sogleich auf und ging auf Deck. Als er fort war, überlegte ich, ob ich mich schlafen legen sollte, kam aber bald zu dem Entschluß, daß ich bei der herrschenden Ungemütlichkeit besser tun würde, mir eine Pfeife anzustecken und auch auf Deck zu gehen. So stellte ich mich also oben in eine Ecke des Kajüteneingangs, wo ich am Pfosten einen Halt hatte. Wäre dies meine erste Reise gewesen, so hätte ich nicht mehr Schwierigkeiten haben können, mich auf den Füßen zu erhalten. Das Gehen wurde durch das übermäßige Schlingern des Schiffes beinahe zur Unmöglichkeit. Um meine Ecke zu erreichen, hatte ich mich beinahe an allem festhalten müssen, was mir in den Weg kam, und ich mußte die Beine mit aller Gewalt anstemmen, um nicht wie ein Klotz aus meinem Winkel heraus an die andere Seite des Decks geschleudert zu werden.

Die Mannschaft war beschäftigt, das Fockleesegel und seine Spiere einzuziehen. Kein Lüftchen war mehr zu spüren, außer dem Zuge, den das Schlappen der Segel auf dem Deck erzeugte. Sogar wo ich stand, konnte ich das Klirren der Ruderkette und das Knarren und Stoßen des Ruders hören, wenn die Dünung dagegenschlug. An dem trüben Himmel flackerten nur wenige Sterne hier und dort. Die See war schwarz und ölig und schimmerte stellenweise von phosphoreszierendem Licht, welches unter der Oberfläche leuchtete; wir fühlten die Macht der lang hinrollenden Dünung, Ausdehnung und Umfang derselben konnten wir aber bei der Dunkelheit nicht erkennen.

Fast unausgesetzt hörte man Ducklings rauhe Stimme die Leute bei der Arbeit antreiben. Ihre Gesänge machten in der Finsternis einen ganz eigenen Eindruck. Von ihren Gestalten war nichts zu erkennen, kaum daß man die Umrisse der Segel zu unterscheiden vermochte. Nach einer Weile befahl Duckling das Einnehmen der Vor- und Groß-Oberbramsegel; als dies geschehen war, wurden die Vorbram- und Kreuzbramsegel beschlagen. Nachdem somit nach und nach fast alle leichteren Segel festgemacht waren, ging es an das Bergen der großen Leinwandstücke. Zunächst wurde die ganze Wache angestellt, das Gaffelsegel aufzugeien. Da ich wußte, daß diese eine Wache nicht hinreichte, um die noch übrigbleibenden Marssegel wegzunehmen, mithin meiner Meinung nach auch bald die Mannschaften meiner Wache aufgerufen werden mußten, so steckte ich meine Pfeife in die Tasche und arbeitete mich auf das Hüttendeck. Hier befand sich auch Duckling. Er hielt sich an einer der Kreuzwanten fest und dirigierte von da aus unter ewigem Schimpfen und rohem Fluchen die Arbeiten. Um nicht gar zu sehr in seiner Nähe zu sein, begab ich mich nach dem Kompaß und fand, daß das Schiff keine Fahrt machte. Seine Spitze war nach Westen gerichtet, aber jede der langen Wogen, die es hob, brachte es in einer pendelartigen Bewegung vier bis fünf Striche seitwärts. Der Kapitän, der in meiner Nähe stand, nahm keine Notiz von mir, und so ging ich auch dort wieder weg und nahm meinen Standpunkt an der Überdachung der Kajütentreppe.

Die tiefe Stille in der Natur, die unheimlich geräuschlose, das Schiff so furchtbar schwankend machende Wellenbewegung und die fast undurchdringliche Dunkelheit wirkten in gewissem Maße beängstigend und geradezu schauerlich war es, wenn plötzlich zwischendurch einmal die hinter dem Hauptmast hängende Schiffsglocke einen vereinzelten Ton von sich gab.

Es war wie eine Erleichterung, wenn man den Blick zeitweilig von dem schwarzen Wasser abwandte und auf dem schwachen Lichtschein haften ließ, der durch das Oberlicht auf das Deck drang. Dies hatte ich kaum getan, als ich bemerkte, wie Duckling auf mich zukam; er stach mir mit seiner Nase beinahe ins Gesicht, um zu erkennen, wer ich wäre und sagte dann: »Warum treiben Sie sich denn hier oben herum, anstatt zu schlafen, solange Sie Zeit haben.«

»Ich dachte, meine Wache würde bald auf Deck gerufen werden, und da zog ich es vor, mich nicht erst niederzulegen.«

»Wir werden die noch stehenden großen Segel erst um acht Glasen aufholen,« bemerkte er kurz und ging weiter.

Dies war eine Rücksicht, die er auf die Leute nahm, denn es bedeutete, daß die Freiwache nicht vor der Ablösungszeit gerufen werden sollte. Es war dies, wie ich einsah, sehr vernünftig, denn das Schiff befand sich augenblicklich in solcher Ordnung, daß, mochte plötzlich kommen was da wollte, es nicht überrascht werden konnte. Somit hatte auch ich keine Veranlassung mehr, mir noch länger den Schlaf zu entziehen, ich ging in meine Koje und legte mich nieder.

Seeleute lernen es, schnell einzuschlafen und rasch munter zu sein; sie lernen sogar in einem kurzen Schließen der Augenlider Erfrischung zu finden. Ein Landbewohner kann sich das nur schwer aneignen. Ich wurde geweckt, als es 8 Glasen schlug, sprang sogleich auf und ging auf Deck.

Es war noch dunkler, als zur Zeit, da ich in meine Koje ging; kein Stern war jetzt sichtbar; die Nacht lag wie Tinte auf der Tiefe und die Windstille hatte etwas geradezu Beklemmendes. Die Dünung war noch dieselbe wie vorher.

Sowie der Kapitän mich sah, befahl er mir, das Vor-Marssegel festmachen zu lassen. Bei der totalen Finsternis dauerte es eine ganze Weile, bis ich nach vorn kam; Schritt für Schritt tastend und nach einem Halt für die Hände suchend, tappte ich breitbeinig vorwärts. Weniger würde ich auch nicht gesehen haben, wenn ich stockblind gewesen wäre, nur zuletzt leitete mich der schwache Schimmer, den die Vorderkastell-Lampe auf das Deck warf.

Obwohl ich die gesamte Mannschaft heranzog, nahm die Arbeit, weil eben keiner sehen konnte, viel mehr Zeit in Anspruch, als wenn sie bei heftigem Sturm, am Tage, hätte gemacht werden müssen. Mitternacht war längst vorüber, als sie beendet war und ich die Freiwache entlassen konnte.

Nun lagen wir beinahe vor Top und Takel, hätte der Kapitän aber befohlen, auch noch den Rest der stehenden Segel aufzugeien, so würde dies nur dem ungewöhnlichen Charakter der Nacht entsprochen haben.

Duckling war unten, wie ich durch das Oberlicht sah; er lag ausgestreckt auf einer Bank der Kajüte, bereit, beim ersten Ruf aufzuspringen. Ich wunderte mich, wie er es anfing, sich so sicher auf der Bank zu halten. Ich für meine Person wäre bei jedem Roller unfehlbar heruntergefallen.

Die Windrose im Kompaßhäuschen schwankte hin und her. In diesem Augenblick zeigte sie die Richtung des Schiffes Nordwest. Ich dachte bei mir: »Mehr Leinwand, als das Schiff jetzt trägt, dürfte es wahrhaftig nicht haben.« Es war am Ende doch nicht ohne Gefahr, wenn ein plötzlicher, scharfer Windstoß es traf. Während ich mir alle Möglichkeiten ausmalte, die eintreten könnten, rief mich der Kapitän, der auf der Steuerbordseite des Rades stand, zu sich.

»Sind die Decks klar?« fragte er mich.

»Alles klar, Sir.«

»Falls und Schoten der nicht gerefften Segel?«

»Völlig in Ordnung.«

»Wie ist augenblicklich die Richtung?«

»Nordwest, halb Nord.«

»Beobachten Sie scharf nach Süden und melden Sie mir gleich, sowie sie sehen, daß der Himmel sich dort aufklärt.«

Bei dem Schein des Kompaßlichtes sah ich, wie er den Finger in den Mund steckte und dann in die Höhe hielt; aber kein anderes Lüftchen war zu spüren als der kurze Zug, den das Überholen des Schiffes nach der einen oder andern Seite verursachte.

Kaum zehn Minuten waren vergangen, seitdem er zu mir gesprochen hatte, da sah ich gerade hinten am Horizont etwas, was ich für das Licht eines Schiffes hielt. Ich war im Begriff, dies zu melden, als noch ein Licht gerade darüber aufblitzte, dann noch ein kleines schwaches Licht westwärts davon und dann noch eins.

Infolge der sonderbaren Atmosphäre erschienen diese Lichter rot. Ich wurde so vollständig durch ihr Aussehen getäuscht, daß ich dem Kapitän zurief:

»Sehen Sie diese Lichter dort hinten, Sir? Das scheint ja eine ganze Flotte von Dampfschiffen zu sein!«

Kaum hatte ich in dem Eifer, meine Aufmerksamkeit zu beweisen, diese Worte hinausgeschrien, als ich fühlte, wie mir vor Schreck und Scham das Blut ins Gesicht stieg. Ich verwünschte meine Hast, die mich eine so fürchterliche Dummheit hatte begehen lassen. Meine vermeinten Schiffslichter waren ja die Sterne, auf die der Kapitän gewartet hatte. Es traf mich wie ein kalter Wasserstrahl, als Coxon unmittelbar auf meine Meldung hin mit einer wahren Stentorstimme rief:

»An die Steuerbordbrassen!« und die Leute, welche mit einer gewissen Spannung der bevorstehenden, vielleicht gefahrdrohenden Veränderung des Wetters entgegengesehen hatten, eilig an mir vorbei das Deck entlang trotteten.

Ein herrliches Bild entfaltete sich jetzt rasch im Süden. Wie durch Zauber klärte sich dort der ganze Himmel auf; Stern auf Stern trat glitzernd hervor. Dieser Anblick währte aber nicht lange, denn bald wurden die Sterne verdunkelt durch Wolkenstreifen, die wie dicker qualmender Rauch über sie hinflogen und sich uns mit rasender Schnelligkeit näherten. Immer dickere schwärzere Massen jagten heran, und wenn die Dünung uns in das Wellental gezogen hatte, hörten wir auf der Wasserfläche über uns das unheimliche Pfeifen des herannahenden Sturmes. Es erzeugte dies ein ganz eigentümliches Gefühl, denn vorläufig war die See um uns herum noch glatt wie Öl und in der Luft nicht eine Spur von Zug. Mit fast fieberhafter Spannung sah ich jeder neuen Minute entgegen, jedoch fühlte ich weniger Entsetzen als Neugier.

Ein Sturm wie der, welchen ich beschreibe, reist schnell. Zuerst, noch ehe er uns traf, bedeckte sich der ganze Himmel über uns mit wirbelnden Wolken, sodann sahen wir aus der Ferne Linie auf Linie schaumgekrönter Wellen, ähnlich wie die Brandung in einer Bucht, sich auf uns zuwälzen, und als diese die glatte Fläche vor uns berührten, da auf einmal packte uns das Wetter. Laut gellend brach der Sturm auf uns ein und warf uns den Gischt ins Gesicht, den er aus dem Wasser peitschte. In einem Augenblick waren unsere Decks überflutet, das Spierenwerk krachte und alle Wanten, alle Stage ächzten und stöhnten unter der Gewalt, welche sie gefaßt hatte, an ihnen rüttelte und zerrte und sie loszureißen suchte von ihrem Halt.

Das Schiff taumelte und schwankte, und eine mächtige Woge, die unter seinen Backen dahinrollte, warf es längsschiffs mit seinem Hinterteil dem Sturm entgegen.

Dies letztere war ein Glück für den ›Grosvenor‹ denn wären seine Masten quer von der ganzen Wucht des Wetters getroffen worden, so bezweifle ich, ob er sich wieder aufgerichtet hätte.

Nachdem das Unwetter in dieser Weise über uns gekommen war, klärte sich der Horizont allmählich wieder auf; die Wasserlinie grenzte sich am Himmel deutlich ab, die ganze Fläche aber war ein Schaum. Große Massen dieses Schaumes, welcher knisterte und prasselte wie Holz im Feuer, wurden emporgerissen und schlugen auf das Deck und an die Seiten des Schiffes mit dem Knall von Büchsenschüssen. Die Kraft, mit welcher das Wasser geschleudert wurde, war so groß, daß, als etwa eine Handvoll davon meine Augen traf, ich einige Minuten die heftigsten Schmerzen empfand, ungefähr so, wie wenn sie verbrüht wären.

Da der Wind gerade aus Süden kam, wurden wir von ihm direkt nach Norden getrieben und verloren alle fünf Minuten so viel von unserem Kurs, als wir am Tage Stunden gebraucht hatten, auf demselben vorwärts zu kommen.

Die langen mächtigen, aber ruhigen glatten Wogen, welche uns während der Windstille so sehr geplagt hatten, waren nunmehr durch den Sturm allmählich zerteilt worden. An ihre Stelle traten jetzt kurze stoßende, sich gegenseitig überrollende und aneinander brechende Wellen. In diesen fing das Schiff sehr stark zu arbeiten an.

Da wir vor dem Sturme herliefen, konnten wir seine furchtbare Gewalt nicht in ihrem ganzen Umfange schätzen. Wir empfanden sie aber immerhin noch schrecklich genug, denn voll in unsern noch stehenden drei Marssegeln sitzend, war der Druck des Sturmes auf die großen Leinwandstücke ein so mächtiger, daß wir für unsere Masten fürchten mußten. Es war unbedingt geboten, wenigstens zwei der Segel wegzunehmen, und schon schallte auch Ducklings Stimme durch das Sprachrohr:

»Vormars- und Kreuzmarssegel anschlagen!«

Jedes Segel für sich erforderte die Kraft der gesamten Mannschaft, und auch ich half bei der Arbeit. Bei einem Wetter von der Art, wie wir es hatten, im Takelwerk hantieren zu müssen, ist eine Aufgabe, wie sie sich ein Festlandbewohner auch nicht annähernd vorzustellen vermag. Zwei Gewalten sind es, mit denen man zu kämpfen hat: Sturm und Segel. Nach Atem ringend bei dem furchtbaren Druck, der auf Mund und Nase liegt, weiß der Mann oft nicht, wie er sich festhalten soll, um nicht über Bord zu gehen, und gleichzeitig mit Anspannung aller seiner Kräfte eine Arbeit zu verrichten, wie sie sich für Maschinen von so und so viel Pferdekraft eignen würde. Gleich bei Beginn der Arbeit zeigte es sich, daß es nicht möglich war, das Segel während der Fahrt festzumachen. Der Sturm hielt es so straff gespannt, daß alle Mann bequem zur Musik darauf hätten tanzen können, ohne mit ihrem vereinigten Gewicht auch nur eine Falte hineinzudrücken. Wir mußten Mr. Duckling zurufen, das Segel in den Wind zu brassen, um es bewältigen zu können. Die Leinwand flatterte hierbei so heftig, daß ich jeden Augenblick fürchtete, die auf den Nockpaarden stehenden Leute ins Meer stürzen zu sehen.

Trotz aller Not und Gefahr, welche die Arbeit mit sich brachte, wurde mein Auge doch auch gefesselt von dem wildmalerischen Anblick, den die See bot. Sie kochte jetzt förmlich und warf ihre hohen Wogen tobend gegen den Wetterbug; unaufhörlich wurde der Gischt in Form eines dichten Schleiers von Spritzwasser über das Deck getragen. Von allen Segeln stand nur noch das dicht gereffte große Marssegel, im übrigen traf der Blick nur auf das nackte Spierenwerk, die im Sturm zitternden Wanten und Stage und die lose hängenden Brassen, welche in weitem Bogen über die Leeseite peitschten. Man vermochte dies alles zu erkennen, da die undurchdringliche Dunkelheit, welche geherrscht hatte, ehe der Sturm kam, jetzt gemildert war einerseits durch die Sterne, deren Licht ab und zu die über uns hinwegjagenden Wolken durchbrach, andererseits durch die wunderbare Beleuchtung, welche der weiße Schaum der sich türmenden Wogen erzeugte.

Nach beendeter Arbeit befand sich das Schiff beigedreht in so guter Verfassung, als es die Umstände gestatteten. Die Leute waren aber durch die schwere Arbeit derart erschöpft, daß der Kapitän dem Steward befahl, jedem Mann einen Grog zu geben. Es geschah dies von seiner Seite wohl mehr aus Klugheit als aus Mitgefühl, denn vergessen hatte er sicherlich nicht, welche Stimmung der Lebensmittel wegen gegen ihn herrschte; die Sicherheit des Schiffes stand hier aber auf dem Spiel, und dieser Umstand ließ ihn etwas Übriges tun.


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