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Elftes Kapitel.
Der Plan des Hochbootsmann.

Die Ruhe, mit welcher Miß Robertson meine schreckliche Mitteilung aufgenommen hatte, ließ mich ihre hohe Seelenstärke erkennen. Diese und die gänzlich unbesorgte, natürliche Art und Weise, mit welcher sie zu dem Zimmermann gesprochen, nachdem sie eben erst den Anschlag dieses Mannes auf ihr Leben von mir vernommen hatte, gaben mir die Gewißheit, daß sie vollständig fähig war, in der gefahrvollen Zeit gemeinsam mit mir zu handeln. Ihre Fassung, ihre Ruhe, ihre Kaltblütigkeit, flößten auch mir neue Zuversicht, Hoffnung und Mut ein. Sie erschien mir wie der richtige Typus einer Heldin. Mit einem Schlage konnte ihre Zusage einer Belohnung möglicherweise die ganze Sachlage ändern, den Plan des Zimmermanns über den Haufen werfen. Ja, es war ein seltenes Mädchen, für welches meine Bewunderung sich mit jedem Moment steigerte.

Nachdem ich den Zimmermann in seine Kajüte hatte gehen hören, beschloß ich, mich auf Deck zu begeben, um dem Hochbootsmann Mitteilung von dem Gespräch zwischen Miß Robertson und Stevens zu machen und seine Meinung betreffs Zusicherung der Belohnung zu hören. Bevor ich aber hinaufging, klopfte ich leise an Miß Robertsons Tür. Sie öffnete sogleich.

»Möchten Sie nicht mit mir auf Deck gehen?« fragte ich.

»Gewiß, gern, wenn Ihnen meine Gesellschaft dort erwünscht ist.«

»Ich denke, die Luft wird Ihnen gut tun, nachdem Sie dieselbe so lange entbehrt haben. Ihr Herr Vater wird wohl nichts dagegen haben.«

»Er schläft jetzt gerade,« erwiderte sie leise.

»Um so besser, dann vermißt er Sie nicht; bitte kommen Sie also; von den Leuten haben Sie nichts zu fürchten, die sind vorderhand ganz willig und folgsam.«

»O, ich würde gar nichts dagegen haben, wenn sie mit mir sprächen; ich würde schon wissen, mit ihnen zu reden, wenn sie sich nicht roh benehmen, aber,« fügte sie auf einmal vergnügt lachend hinzu, »ich werde wohl recht verbrennen, ich habe keinen Hut!«

»Dem Mangel soll gleich abgeholfen werden,« entgegnete ich heiter, »ich besitze einen Strohhut, wenn Sie dem die Ehre antun wollen? Ich bin gleich wieder da.«

Damit sprang ich fort und holte ihn.

Sie setzte ihn auf, er paßte und stand ihr ganz prächtig.

»Wie wunderbar,« sagte sie, »kommt es einem vor, so plötzlich von allem entblößt zu sein, aber wie der Kapitän der ›Cecilia‹ rief: ›Das Schiff sinkt‹, da dachte man natürlich nur daran, wenn irgend möglich, das nackte Leben zu retten.«

Sie warf noch einen zärtlichen Blick auf ihren Vater, schloß dann die Tür und folgte mir.

Das Wetter war sehr heiter, und das herrliche Blau des Himmels verlor nichts durch die prächtigen, perlfarbenen Wolken, welche feierlich vorüberzogen. Die Brise war frischer geworden, die See lag aber beinah glatt, nur kleine, glänzende Wellen trieben ihr Spiel, das Schiff glitt unter vollgerundeten Segeln majestätisch dahin. Auf unserer Leeseite, aber weit entfernt, erblickten wir die obersten Segel eines großen Schiffes und hinter diesem die schwachen Spuren von dem Rauch eines Dampfers.

Der größte Teil der Mannschaft war auf dem Vorderdeck versammelt; im warmen Sonnenschein lagen die Leute dort herum und rauchten; kein einziger tat irgendwelche Arbeit. Das schien mir unter den obwaltenden Umständen ganz natürlich, was mich aber wunderte war, daß sie so bescheiden auf dem Vorderdeck blieben, während sie doch vollkommene Freiheit gehabt hätten, zu uns nach dem Hinterdeck zu kommen, in die große Kajüte zu dringen und die Kojen zu bewohnen; sie waren ja doch schließlich die Herren des Schiffes. »Wenn sie so viel Gesittung zeigen,« dachte ich, »sollte es da nicht möglich sein, sie dem scheußlichen Vorhaben ihres Führers abwendig zu machen? Wenn ich unter sie träte, Hand in Hand mit Miß Robertson dem Mädchen und um Schonung für sie bäte, des eigenen Geschicks gar nicht gedenkend, sollten sich da nicht mindestens einige finden, deren Herzen sich durch die Holdseligkeit und Schönheit umstimmen ließen? Nichts schien mir im ersten Augenblick wahrscheinlicher, aber bald sagte ich mir wieder, was ich mir schon hundertmal gesagt hatte: sie waren Verbrecher, die nur den einen Gedanken hatten, ihrer Strafe zu entgehen. Sie beobachteten jetzt die nötige Rücksicht, weil sie mich zur Führung des Schiffes brauchten. Sobald dies nicht mehr der Fall war, mußte ich unschädlich gemacht werden, weil ich ihnen sonst gefährlich werden konnte. Was war zu tun? Immer von neuem wälzte ich die Frage in meinem Haupte, aber eine Antwort fand ich nicht.

Miß Robertson setzte sich auf eines der Oberlichter; der Hochbootsmann blickte respektvoll zu ihr herüber, auch die Leute vorn gafften sie an, einige lachten, aber von den Bemerkungen, in denen sie sich ergingen, konnten wir bei der Entfernung, in der wir uns befanden, natürlich nichts verstehen.

Fisch stand am Rade. Ich ging an den Kompaß, sah nach dem Kurs und sagte dann zu ihm:

»Wenn der Wind so anhält, können wir die Sache bald hinter uns haben.«

»Na, drei Wochen soll's doch noch ungefähr dauern,« antwortete er, »das ist langweilig genug.«

»Ja, allerdings, noch lange genug,« stimmte ich ihm jovial bei.

Er spie den Saft des Kautabaks, den er im Munde hatte, über Bord und wischte sich die Lippen an seinem Ärmel ab; zum Sprechen schien er aber nicht weiter aufgelegt zu sein; ich verließ ihn also und begab mich zum Hochbootsmann. Diesen forderte ich auf, mit mir zu Miß Robertson zu gehen.

»Ich habe der Dame erzählt, was Sie mir beim Frühstück mitteilten,« sagte ich in leisem Ton; »sie ist mutig und sieht allen Gefahren mit kaltem Blut entgegen; ich habe sie gebeten auf Deck zu kommen, damit wir zusammen beraten können.«

Als wir bei ihr anlangten, begrüßte er sie mit den Worten: »Mr. Royle hat mir erzählt, daß Sie alles wissen; wenn Ihr Mut so groß ist wie Ihre Schönheit, so schätze ich, werden nicht viele Männer ein stärkeres Herz in der Brust tragen als Sie.« Er machte ihr dabei eine so verbindliche, gewandte Verbeugung, wie ich es einem Manne seines Schlages nicht zugetraut hätte.

Ihr reizendes Lächeln und freundliches Zunicken lohnte ihn für seine Worte.

»Hochbootsmann,« begann ich nunmehr, »jede Stunde ist für uns kostbar, denn jeden Augenblick kann Stevens verlangen, daß der Kurs des Schiffes nach einer näheren Küste als der von New-Orleans gerichtet wird; aber selbst wenn er am Golf von Mexiko festhält, so haben wir keine Zeit zu verlieren, einen Plan für unsere Rettung zu ersinnen und auszuarbeiten. Ich möchte Ihnen von einem Gespräch Mitteilung machen, welches vorhin zwischen Stevens und Miß Robertson stattfand. Ihr Vater ist ein reicher Mann; das Schiff, auf welchem er Schiffbruch litt, gehörte ihm – – –«

»Robertson u. Co. von Liverpool, Schiffsreeder?« fiel er mir ins Wort, sie fragend ansehend.

»Ja,« antwortete sie.

»Ah, ich segelte vor drei Jahren in einem Schiff jener Firma als Hochbootsmann; wissen Sie, Miß, auf der ›Albany‹, ja, das war ein schönes Schiff, gut gebaut und von einem tüchtigen Kapitän befehligt.«

»Wirklich!« rief sie, ihn freudig ansehend, aus; »o ja, ich entsinne mich der ›Albany‹ ganz gut, Kapitän Tribett kommandierte sie.«

»Ganz recht, Tribett war sein Name; der erste Maat hieß Green, der zweite Gull und der dritte – na, wie ist mir denn? Richtig, das war ja Kapitän Tribetts Sohn. Was das für ein wunderbares Zusammentreffen ist!«

Er war ebenso erfreut wie sie über die Begegnung, und beide lachten sich vergnügt an.

»Mr. Royle,« sagte sie nunmehr, ihre schönen Augen auf mich richtend, »gewiß gibt es an Bord noch mehr wackere Männer; sie können doch nicht alle solche Bösewichter sein wie der schreckliche Zimmermann.«

»Wenn man das nur wüßte; was meinen Sie dazu, Hochbootsmann?«

»Ich meine,« erwiderte er, »wir brauchen das gar nicht erst in Erwägung zu ziehen. Sehen Sie, Miß,« wandte er sich an diese, »weshalb gemeutert wurde, wissen Sie ja, aber ich glaube wirklich nicht, daß die Leute den Kapitän und Mr. Duckling umbringen wollten. Der Zimmermann schlug eben zu, der Kapitän fiel nieder und bekam von andern auch noch einige Stöße versetzt, denn daß er tot war, wußten sie nicht; dann wurde von einem ganzen Haufen auch Mr. Duckling angefallen. Alle haben an dem Verbrechen also gleichen Anteil. Der einzige Mann, der sich fernhielt, obgleich er vorgab, mit ihnen übereinzustimmen, war ich; und was ist die Folge? Stevens mißtraut mir, und ich bin fest überzeugt, daß er mich nicht mitnehmen wird, wenn es so weit ist, ganz ebensowenig wie Sie.«

Nachdem er so gesprochen, schlenderte er langsam nach hinten, sah auf den Kompaß, dann auf die Segel, näherte sich uns wieder, blieb aber in einiger Entfernung von uns in nachlässiger Haltung stehen, damit unser langes Beisammensein keinen Argwohn erregte.

»Hören Sie,« sagte ich, meine Augen auf das Deck richtend, so daß niemand bemerken konnte, daß ich sprach, »Miß Robertson hat Stevens mitgeteilt, daß ihr Vater bei der Ankunft im Hafen jedem Mann an Bord hundert Pfund Belohnung zugedacht hätte. Wenn das der Mannschaft verkündet würde, müßte es doch eine gute Wirkung haben. Was sagen Sie dazu?«

»Das, daß sie es nicht glauben würden.«

»Mein Gott, mein Vater würde ja auch gern jedem Mann ein schriftliches Versprechen geben, wenn es verlangt würde,« rief Miß Robertson.

»Nichts da,« entgegnete der Hochbootsmann ohne jedes Besinnen, »sie würden es für eine List halten, sie alle miteinander bequem ins Gefängnis zu bringen. Wenn ich einer von ihnen wäre, würde ich das auch denken; Sie können sich darauf verlassen, daß ich recht habe.«

»Dann wird er den Leuten Wechsel auf seine Bankiers geben, das könnten sie doch für keine List halten,« erwiderte sie eifrig.

»Matrosen wissen nichts von Wechseln und dergleichen. Wenn Ihr Vater einen Beutel Souvereigns hier an Bord hätte und jedem Mann hundert Pfund auszahlte, dann würden sie ihm glauben; das heißt, sie würden das Geld nehmen und das Schiff trotzdem anbohren. Die Leute lieben ihr Leben, und der Zimmermann macht ihnen fortwährend so bange, daß sie es nicht erwarten können, fortzukommen und alles zu vernichten, was sie verraten könnte.«

Er ging wieder weg und stellte sich zu Fisch, mit dem er plauderte.

»Ich fürchte, der Hochbootsmann hat recht,« seufzte ich; »er hat mit den Leuten gelebt und täuscht sich sicherlich nicht über sie.«

»Aber Papa würde sie doch bezahlen und ihnen jede Sicherheit geben, die sie forderten. Das Geld könnte ihnen ja geschickt werden, sie brauchten es nicht selbst in Empfang zu nehmen.«

»Den Leuten würde das alles kein Vertrauen einflößen, wie der Hochbootsmann meint und in diesem Punkt hat er zweifellos ein besseres Urteil als wir.«

»Lassen Sie es uns wenigstens versuchen.«

»Nein, das würde ich für unklug halten. Überlassen wir es dem Zimmermann, ob er mit den Leuten sprechen will. Tut er das, und die Belohnung lockt sie, dann werden sie schon Mittel und Wege finden, Sie sicher ans Land zu bringen. Aber bauen Sie keine Hoffnung darauf; die Menschen verdienen Ihr Vertrauen nicht, es sind einmal Schurken, die Sie schließlich doch verraten werden. Ich muß sagen, ich habe jetzt mehr Zuversicht, nachdem uns der Hochbootsmann gestanden hat, daß er treu zu uns stehen und ein Mittel zu unserer Rettung finden wird. Sehen Sie nur, wie er nach uns herüberblickt; er wird bald wieder bei uns sein. Auch mir dämmert ein Plan im Kopf, er ist aber noch zu unfertig, als daß ich schon darüber reden möchte. Nur Mut, vielleicht kann noch alles gut werden.« Eben warf der Hochbootsmann eine Taurolle über ein Splißeisen, blickte über die Schiffsseite, zog seine Pfeife heraus, kam dann dicht an uns heran und bat mich um Feuer. Während ich in meinen Taschen nach der Streichholzbüchse suchte, begann er wieder:

»Es sieht nicht so verdächtig aus, wenn wir hier oben ganz offen miteinander plaudern; in der Kajüte kann man so wie so niemals wissen, wessen Ohren in der Nähe sind. Ich habe mir seit dem Frühstück einen Plan überlegt, den will ich Ihnen jetzt in aller Kürze mitteilen. Also: Wenn wir in den Golf von Mexiko kommen, lassen Sie mich wissen, wie lange es noch dauern wird, bis wir auf 50 Meilen an New-Orleans heran sein werden. Ich habe unsere Ladung mit verstauen helfen und weiß, daß es nur eine Stelle gibt, wo Platz zum Anbohren gefunden werden könnte; diese Stelle befindet sich vor der Vorderluke. Ich will das bei Gelegenheit ganz beiläufig gegen Stevens fallen lassen, und er wird es sich gewiß merken. Die Nacht, ehe wir beidrehen, – Sie müssen mir sagen, wann das ist –, werde ich über Bord fallen und ertrinken. Das muß während Ihrer Wache geschehen. Wir holen eine Kiste mit Nägeln aus dem Zwischendeck und lassen sie über Bord fallen, verstehen Sie? Das wird genau so plätschern, wie wenn ein Mensch ins Wasser fällt. Gleich darauf machen Sie fürchterlichen Lärm und schreien: ›Mann über Bord‹. Mag danach geschehen was da will, ich bleibe in meinem Versteck, irgendwo im Vorderpink, und wenn der Kerl dorthin kommt, das Schiff anzubohren, erwürge ich ihn. Ruft dann Stevens und fragt, ob es getan ist, so wird er meine Stimme von da unten herauf nicht erkennen, wenn ich antworte, er solle nur die Boote inzwischen niederlassen und auf mich warten. Fünfzig Pfund gegen einen Schilling will ich aber wetten, daß Stevens auf den Mann gar nicht wartet, sondern ohne ihn mit den Booten abstößt und beilegt, bis das Schiff auf den Grund geht. Inzwischen geben Sie mir ein Zeichen, und ich komme herauf. Weht dann auch nur ein kleines Lüftchen, so wenden wir die großen Raaen und segeln die Boote in den Grund; wenn aber kein Wind ist, und sie versuchen uns zu entern, dann mögen sie sich vorsehen, denn bei Gott, wir wollen ihnen zu Ader lassen, daß sie sich verbluten sollen.«

Hierauf winkte er uns, wir sollten das Deck verlassen und ging ruhig rauchend weg.

Ein paar Augenblicke sahen Miß Robertson und ich einander an.

»Wird das gehen?« fragte sie mich leise.

»Ja!« erwiderte ich ebenso.

»Glauben Sie, daß diese List uns retten könnte?«

Nach kurzem Besinnen sagte ich: »Das hoffe ich.«

Darauf stiegen wir die Treppe hinunter, und als wir in der großen Kajüte angekommen waren, ergriff sie meine Hand, drückte sie herzlich und schritt dann schnell nach ihrer Koje.


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