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Dreizehntes Kapitel.
Der dritte im Bunde.

Da ich kein anderes Loggbuch besitze als mein Gedächtnis, so übergehe ich sechs Tage, in welchen nichts vorfiel, was wichtig genug gewesen wäre, in der Erinnerung zu bewahren. Es war Sonntag. An diesem Tage waren wir gegen Mittag, soweit ich mich dessen entsinne, unter siebenunddreißig Grad nördlicher Breite und fünfzig Grad westlicher Länge. Bermuda liegt unter zweiunddreißig Grad Breite und fünfundsechzig Grad Länge. Wir waren also der Küste, an welcher ich die Boote landen lassen wollte, schon ziemlich nahe. Ich war sehr froh, mich so nördlich vom dreißigsten Grad halten zu können, denn wäre das Schiff in die nordöstlichen Passatwinde gekommen, so wäre ich nicht imstande gewesen, unsere Fahrt meinem Plan so anzupassen, wie ich dies jetzt bei den veränderlichen Winden und mäßigen Stürmen tun konnte.

Die Mannschaft hatte sich fortgesetzt ruhig betragen. Der Zimmermann war allerdings in seinem Auftreten und Wesen in dem Maße unverschämter geworden, als das Gefühl seiner Wichtigkeit und seines Einflusses auf die Leute in ihm wuchs; auch waren Momente gekommen, wo Johnson und Fisch, die ganz besonderen Freunde von Stevens, sich unangenehm dreist gezeigt hatten; aber im ganzen muß ich sagen, daß ich kein so anständiges Benehmen von einer Mannschaft erwartet hätte, welche, im Grunde genommen, doch die Herrschaft über das Schiff besaß.

Trotz alledem ließ ich mich aber durch diese scheinbare Gefügigkeit und ruhige Außenseite nicht täuschen, ich kannte ja den Teufel, der sich unter diesem vertrauenerweckenden Wesen versteckt hielt und war deshalb immer auf meiner Hut.

Während meiner Wache kam der alte Mr. Robertson, begleitet von seiner Tochter, zum erstenmal auf Deck.

Was ich gefürchtet hatte, war geschehen. Mr. Robertsons Gedächtnis war erloschen. Er konnte sich an nichts mehr erinnern, keinen klaren Gedanken mehr fassen; wie sehr ich mich auch bemühte, ihn anzuregen, sein Geist blieb umnachtet. Seine Tochter sprach zu mir über diesen traurigen Zustand, aber ruhig und ergeben, ohne Kummer oder Betrübnis.

»Ich erachte es als eine Wohltat für ihn,« sagte sie, »daß er sich der Schrecknisse des Schiffbruchs nicht mehr erinnert oder unsere jetzige furchtbare Lage begreift; was würde er sonst, besonders in dem Gedanken an mich, leiden müssen.«

Und sie hatte recht. Wenn wir auch hofften und alles taten, um aus unserer gefährlichen Lage glücklich herauszukommen, so gab es für uns doch immerhin noch keine Gewißheit, daß der Sieg schließlich auf unserer Seite sein würde; war dies aber nicht der Fall, dann waren wir unrettbar verloren. Trotz dieses Bewußtseins zeigte Miß Robertson nicht die mindeste Unruhe, sie war die zärtlichste Tochter und unermüdlich in ihrer Sorge für den Vater. Zuzeiten mochte freilich der Gedanke, daß sie an ihm keinen Schutz, keine Stütze mehr hatte, schwer auf ihr lasten. Dieses Gefühl bewirkte aber auch, daß sie sich mehr und mehr an mich schloß. Viele Zeichen ließen mich erkennen, daß ihr Vertrauen zu mir ein immer festeres wurde, daß sie in mir allein ihre Hilfe sah und ihren Trost fand. Wie glücklich diese Erkenntnis mich machte, vermag ich nicht auszusprechen. Noch heute empfinde ich das köstliche Gefühl, welches mich durchströmte, wenn sie bei meiner Absicht, ihr Mut zuzusprechen, flüsterte: »Ach Gott, ich habe ja keine Furcht, so lange Sie bei mir sind; es ist mir, als ob unsere Freundschaft schon Jahre und Jahre bestände, als ob wir uns immer gekannt hätten.« Noch heute denke ich: Gott segne sie für diese Worte, denn sie gaben mir die nötige Kraft, den Mut und die Besonnenheit zu all meinem Tun und Handeln.

Sie war vollständig eingeweiht in die Pläne, die der Hochbootsmann und ich verabredet hatten, und brannte vor Eifer, uns zu helfen. Vorderhand aber konnte ich ihr keine Rolle dabei zuteilen.

Ich stand neben ihr, während ihr Vater auf einem Stuhle saß, den ich für ihn aus der Kajüte geholt hatte. Die warmen Sonnenstrahlen schienen ihm wohl zu tun. Leise sagte ich zu ihr:

»Wenn es heute nacht dunkel genug ist, muß der Hochbootsmann ertrinken.«

»Ja, ich weiß es, ich habe schon daran gedacht,« erwiderte sie, »halten Sie es nicht für zu früh?«

»Nein, ich habe keine Ruhe, ehe ich ihn nicht im Kielraum sicher untergebracht weiß.«

»Sie werden doch dafür sorgen, daß der arme Mensch genug zu essen und zu trinken mitnimmt?«

»Sehr viel mehr, als er braucht, ist schon an Ort und Stelle; seit den letzten drei Tagen hat er, wie er mir sagte, Vorräte in seinem Versteck aufgespeichert, die schlimmstenfalls vierzehn Tage reichen, und an Wasser fehlt es ihm auch nicht, da sich Wasserfässer dort befinden.«

»Aber wie wird er schlafen können in solchem Raum?«

»O, darum habe ich keine Sorge, er wird sich schon ein Plätzchen einzurichten wissen, Seeleute sind um solche Dinge nie verlegen, sie benützen alles und jedes. Die einzige Sache, die mir noch Kopfzerbrechen macht, ist die, wie wir ihn ertrinken lassen. Die Kiste mit den Nägeln wird schon laut genug plätschern und rasch untersinken, aber wie soll ich sie über Bord werfen, ohne daß der Mann am Rade einen Betrug wittert? Dieser muß notwendigerweise den Hochbootsmann auf Deck bemerkt, ihn kurz vor der Katastrophe nach der Stelle haben hinschreiten sehen, an welcher die Kiste ins Wasser fällt. Wie das zu machen sein wird, darüber bin ich mir noch nicht klar.«

»Darf ich Ihnen sagen, wie ich mir das denke?«

»Freilich.«

Sie blickte eine kleine Weile sinnend auf das Wasser, dann flüsterte sie:

»Zuerst müssen Sie mir ein paar Fragen beantworten. Wen werden Sie ablösen, wenn Sie Ihre Wache antreten, den Zimmermann oder den Hochbootsmann?«

»Den Zimmermann. Natürlich müssen wir vor allen Dingen sicher sein, daß der zu Bett gegangen ist, ehe wir an unser Vorhaben schreiten.«

»Und wird der Mann am Rade derselbe sein, welcher während der Wache des Zimmermanns steuerte?«

»Nein, er wird von einem Mann aus meiner Wache abgelöst.«

»Gut, dann denke ich mir die Sache so: Bald, nachdem der Mann von Ihrer Wache seinen Platz am Steuer eingenommen hat, treten Sie, mit dem Hochbootsmann im Gespräch, in seine Nähe, so daß, wenn er Sie beide im Dunkeln auch nicht deutlich sieht, er doch Ihre Stimmen erkennen kann. Wird es dann vorn bei den Leuten still, so begeben Sie beide sich in die Nähe des Kajütenausgangs. Dort verschwindet der Hochbootsmann plötzlich, und ein anderer Mann nimmt seine Stelle an Ihrer Seite ein. Mit diesem schlendern Sie dem Boote zu, in dem die Kiste liegt. Sie geben sich den Anschein, an demselben etwas in Ordnung zu bringen, nehmen dabei die Kiste heraus und setzen sie auf das Geländer. Dann duckt sich Ihr Begleiter schnell und verschwindet in der Dunkelheit. Sie stoßen die Kiste ins Wasser und schreien: Mann über Bord.«

»Der Plan ist ganz vortrefflich!« rief ich, verwundert über die Schnelligkeit, mit welcher er erdacht und der Sache angepaßt war; »er hat nur einen Fehler, wer soll den Hochbootsmann spielen, sobald dieser in sein Versteck geschlüpft ist? Dem Steward kann ich doch solche Rolle nicht anvertrauen!«

»Aber mir; Sie könnten sich wirklich auf mich verlassen.«

»Ihnen?« sagte ich unter herzlichem Lachen, als ich ihr in ihre herrlichen, fragend auf mich gerichteten Augen sah; »wie wollten Sie denn den Hochbootsmann vorstellen?«

»Ganz einfach,« entgegnete sie errötend, mich aber fest anblickend; »er braucht mir nur einen Anzug zu leihen.«

»Sehr gut, ja das kann gehen. Also auch eine kleine Maskerade bei dem ernsten Spiel; auf was doch so ein junges Mädchen alles verfallen kann! Von mir müssen Sie aber einen Südwester nehmen, um ihr Haar zu verbergen. Eigentlich ist dies ja überflüssig, denn wenn die Nacht nicht ganz dunkel ist, muß die Sache überhaupt verschoben werden, aber besser zu viel Vorsicht, als zu wenig.«

»So ist also alles abgemacht,« rief sie mit strahlenden Augen; »sehen Sie, da bin ich doch nicht so ganz unnütz und kann helfen; wie mich das freut! Bitte besprechen Sie meine Idee bald mit dem Hochbootsmann und wenn auch er sie billigt, lassen Sie mich die Stunde wissen und das Zeichen, auf welches ich erscheinen und seine Stelle neben Ihnen einnehmen soll.«

»Sie sind das bravste, mutigste Mädchen auf Gottes Erdboden; wirklich, Sie könnten ein Schiff befehligen!« rief ich ganz begeistert.

»Da muß ich wohl stolz sein, wenn mir ein solches Seemannskompliment gemacht wird,« erwiderte sie lachend; als sie aber einen Blick auf ihren Vater warf, veränderte sich der Ausdruck ihres Gesichts sofort wieder, und sie seufzte:

»Möge Gott uns beistehen und uns wohlbehalten heimführen! Wäre nur alles erst glücklich überstanden, und wir dürften der Heimat zueilen! Gott gebe, daß dieser Tag kommt, daß er bald kommt.«


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