Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Vierzigster Brief.

Prag –

Diese Stadt ist ungeheuer groß, über eine Stunde lang, und ohngefähr 3/4 Stund breit, aber nach dem Verhältniß ihrer Grösse sehr wenig bevölkert. Es giebt Gegenden hier, wo man glaubt, in einem Dorf zu seyn. Gegen die Brücke zu, welche die Haupttheile der Stadt verbindet, ist das Gedränge ziemlich stark; allein je weiter man sich von dieser Gegend entfernt, desto öder wird es. Die Zahl der Einwohner wird auf 70.000 angegeben, und der Häuser sind gegen 5.000 – Die Brücke über die Moldau ist 740 Schritte lang, sehr massiv von Steinen gebaut, und zu beyden Seiten mit steinernen Bildsäulen, meistens in Lebensgrösse, geziert, wovon aber kaum 3 des Anschauens würdig sind – Man erblickt sehr wenig gute Gebäude, und es sieht fast überall ziemlich schwarz aus. Das königliche Schloß ist ein sehr weitläufiges und unregelmäßiges Gebäude, beherrscht aber auf seinem Berg eine vortrefliche Aussicht über die ganze Stadt und Gegend umher. Unweit desselben steht die Wohnung des Erzbischofs, ein artiges modernes Gebäude, und die uralte Kathedralkirche mit einigen sehenswürdigen architektonischen Mahlereyen von einem berühmten Deutschen oder böhmischen Mahler, dessen Namen ich vergessen habe.

So schlecht im ganzen die Gebäude der Stadt sind, so schön ist die Lage derselben. Die sogenannte kleine oder westliche Seite der Stadt biethet, besonders auf der Brücke, den angenehmsten Anblik dar, den ich noch in einer grossen Stadt gesehen habe. Die Masse der Häuser erhebt sich amphitheatralisch bis zu einer ansehnlichen Höhe empor. Zur Rechten bedekt sie den Abgang des Berges bis zum königlichen Schloß hinauf, welches majestätisch darüber emporragt. Zur Linken ist dieser Bergabhang bis in die Mitte herunter mit schönen Gärten und Lusthäusern geschmückt, die sich unbeschreiblich gut ausnehmen, und stufenweise das mannichfaltigste und prächtigste Amphitheater bilden. In diesen Gärten beherrscht man eine herrliche Aussicht über den entgegengesetzten Theil der Stadt. Mitten in der breiten, aber seichten Moldau liegen 2 Inselchen, groß und klein Venedig genannt, die zum öffentlichen Vergnügen zugerichtet sind. Die Prager sind durchaus dazu aufgelegt, alle diese Reize und die Fülle des Landes zu geniessen. Man genießt hier die sinnlichen Vergnügungen mit mehr Geschmak als zu Wien, und weiß sie besser mit geistiger Wohllust zu würzen. Ich bin hier in einige vortrefliche Zirkel gerathen, die mich ohne Zweifel 14 Tage länger zurükhalten werden, als ich bleiben wollte – Die MäurereyMäurerey – das Freimaurertum, damals ein der Aufklärung verpflichteter humanistischer Geheimbund mit den fünf Grundidealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. Das F. wurde mehrfach von den Päpsten verdammt, das Verbot der Mitgliedschaft für Katholiken gilt noch heute. ist hier in der Blüthe, und einige, worunter Graf K ** sich vorzüglich ausnimmt, hängen ihr bis zum Enthusiasmus an. Sie thun ausserordentlich viel fürs gemeine Beste, besonders durch Erziehungsanstalten. Der Kaiser soll der Mäurerey nicht abgeneigt seyn.nicht abgeneigt sein – tatsächlich war das Freimaurertum in der Zeit von 1780 bis 1795 in Österreich nicht verboten Es ist auch einmal Zeit, die Vorurtheile abzulegen, die man so unbilliger weise gegen eine Gesellschaft gefaßt hatte, die nirgends etwas zum Nachtheil des Publikums, wohl aber viel zum Vortheil desselben gethan hat.

Die Böhmen, welche sich den Künsten und Wissenschaften widmen, bringen es gemeiniglich sehr weit. Es fehlt ihnen nicht an Genie, und sie haben ungemein viel Fleiß. Ihre Liebe zur Musik ist merkwürdig. Man kann hier einige Orchester zusammenbringen, welche mit den besten zu Paris wetteifern können, und sie im Punkt der harmonischen Genauigkeit und Richtigkeit noch übertreffen. Als Waldhornisten und Harfenschläger durchziehn die Böhmen ganz Deutschland, und bringen immer etwas Gelde zurück. Selten findet man einen Musikanten von der Art, der nicht erträglich wäre. Man schreibt diesen Hang zur Musik gemeiniglich den vielen Prälaturen und Klöstern zu, welche sich ihre Orchester zum Kirchendienst halten. Allein in Oestreich und Bayern sind die Klöster nicht weniger zahlreich und vermögend, und doch hat der Kirchendienst diese Wirkung nicht auf das Publikum. Ich glaube, das natürliche Genie und die Gewohnheit tragen das meiste dazu bey. Die meisten der hiesigen Studenten sind Musikanten, und sie fangen jetzt schon an, auf öffentlichen Plätzen in der Nacht sogenannte KassationenKassation – hier in der Bedeutung: Mehrsätziges Tonwerk für mehrere Instrumente oder Musiken zu machen.

Zur Lebhaftigkeit der gesellschaftlichen Unterhaltungen trägt die zahlreiche Garnison der Stadt nicht wenig bey. Es liegen hier gegen 9.000 Mann Soldaten, worunter 6 Grenadierbataillons sind, die das schönste Infanteriekorps ausmachen, das ich in meinem Leben gesehn. Die Officiers sind vortrefliche Gesellschafter, und ganz frey von den Vorurtheilen, womit noch die Köpfe der Glieder andrer Stände zum Theil benebelt sind.

Die Juden machen einen ansehnlichen Theil der hiesigen Einwohner aus. Ihre Anzahl beläuft sich auf neun bis zehn tausend Seelen. Sie haben hier ihre Handwerker und Künstler aus ihrem Mittel und in ihrem eignen Quartier, welches man die Judenstadt nennt. Es ist ein seltsamer Anblik, wenn man durch ihre Strassen geht, und ihre Schuster und Schneider mitten auf der Gasse arbeiten sieht. Eine eckelhafte Unreinlichkeit und eine gewisse Plumpheit ihrer Werkzeuge zeichnet sie von den Kristen aus. Es ist immer sehr merkwürdig, daß dieses zerstreute Volk so viel von der Einfalt und dem Sonderbaren seiner Sitten behält, so sehr es auch mit andern Nationen vermischt ist. Ueberall, wo ich sie noch sah, nur Holland ausgenommen, waren sie in der Verfeinerung noch unendlich weit hinter ihren Mitbürgern zurück. In Holland mag der Unterschied ihrer Sitten und Lebensart daher rühren, daß die meisten aus Portugal abstammen, wo sie sich verläugnen und den Kristen, so viel als möglich, ähnlich machen müssen – Hier müssen sie sich durch ein gelbes Läppchen Tuch,Läppchen Tuch – der Davidstern zur Kennzeichnung und Diskriminierung der Juden ist keineswegs eine Erfindung der Nazis. Diesbezügliche Vorschriften der katholischen Kirche (besonders Anordnungen der Päpste Innozenz III., Benedikt XIII. und Paul IV.) reichen bis in die Zeit der Kreuzzüge zurück. In Deutschland war das zunächst der Judenhut, später der sog. Gelbe Fleck, in Österreich wurde dieser 1551 von Ferdinand I. eingeführt. welches sie auf dem Arm tragen, von den Kristen unterscheiden. Ihre Industrie ist bewundernswürdig. Fast in jedem Wirthshaus ist ein Jude, der ganz unentgeldlich die Dienste eines Hausknechtes verrichtet. Der meinige holt mir Schnupftoback, Kniebänder, Strümpfe und alle die kleinen Dinge, die ich nöthig habe; er puzt mir Schuhe und Stiefel, flikt mir Strümpfe, klopft und bürstet mir die Kleider aus, und kurz, er ist mir eine Art von Lehnlaquay, den ich nicht bezahlen darf.darf – brauch, muß Er hält seine Mühe für hinlänglich belohnt, wenn ich ihm einige alte Kleidungsstücke verkaufe, die er dann weiter in der Welt zu befördern sucht. Auf diese Art bedienen sie die meisten Fremden, und begnügen sich mit dem Bisgen, was sie am Handel und Wandel mit denselben verdienen können, ohne die Mühe für eine Menge Dienste in Anschlag zu bringen. Fällt ihnen nebenher noch ein Trinkgeld zu, so nehmen sie es mit Dank an, aber ich habe nicht bemerkt, daß sie den Fremden mit Betteln lästig fallen.

Welche politische Ungereimtheit! Man gestattet hier den Juden, den Erzfeinden des Kristenthums, öffentlichen Gottesdienst und vollkommene Gewissensfreyheit, und den Protestanten, die in den Hauptgrundsätzen der Religion mit uns einig sind, versagt man sie. Man schüzt ein fremdes, schmutziges, überhaupt genommen – betrügerisches Volk bey seinen Privilegien, bricht dagegen auf die schändlichste Art den Vertrag mit den Hußiten, und die lezten Regenten haben diesen Bruch, wenigstens stillschweigend, genehmigt! – Es ist ein unerklärliches Ding um den Menschenverstand, lieber Bruder. Die Philosophie sagt sonst, je mehr sich die Leute ähnlich sind, desto eher werden sie Freunde. Im Punkt der Religion sah ich überall das Gegentheil. Je ähnlicher sie einander sind, desto mehr hassen sie sich. Ein Bürger aus dem hiesigen grossen Haufen wird sich zehnmal eher mit einem Juden vertragen als mit einem Lutheraner, von welchem er in der Religion so wenig unterschieden ist. In Holland sind die Reformirten den Katholiken viel günstiger als den Lutheranern, und den erstern werden die GeneralstaatenGeneralstaaten – in den Niederlanden die Allgemeine Ständeversammlung, das Parlamen überall eher den freyen Gottesdienst gestatten, als den leztern. Die WiedertäuferWiedertäufer – reformatorische Bewegung des 16. Jahrhunderts. Die W. lehnten die Zwangstaufe unmündiger Säuglinge (wie z. B. im heutigen Deutschland vom Staat erlaubt) als unbiblisch ab. Erst Erwachsene mit vollem Verstand dürfen getauft werden. und Kalvinisten hassen sich weit mehr, als sie zusammen die Katholiken; und so wirst du überall finden, daß, je näher sich die Religionssekten verwandt sind, desto heftiger sie sich verfolgen.

Die Stadt hat weder eine beträchtliche Handlung, noch einige Manufakturen von Bedeutung. Es war schon einigemal die Rede davon, die Moldau schiffbar zu machen; allein der Hof war bisher nicht geneigt, einen grossen Aufwand für das Publikum zu machen, und ohne schwere Kosten kann das Projekt nicht ausgeführt werden. Bey uns wäre es schon längst geschehen, und wir haben Unternehmungen von der Art ausgeführt, gegen welche diese nur ein Kinderspiel wäre. Offenbar würde Prag viel durch diese Unternehmung gewinnen; allein um die Handlung sehr blühend zu machen, wäre es lange nicht hinlänglich. Der Stolz des Adels, welcher den größten Theil des Nationalvermögens in Händen hat und sich des bürgerlichen Gewerbes schämt, die noch vor 10 bis 15 Jahren üblich gewesene mönchische Erziehung der Jugend in der Stadt, wodurch sie mehr zum frommen Nichtsthun als zur Industrie gebildet ward, und dann die ehemalige Intoleranz der Regierung haben der Handlung und dem Industriegeist Steine in den Weg gelegt, die Joseph mit aller Anstrengung in dieser Generation noch nicht ganz wegwälzen kann.

Es ist hier ein Stift von englischen Nonnen, das man aber: zu den HibernernHiberner – Hibernia ist der lateinische Name von Irland nennt. Im ganzen katholischen Deutschland findet man englische und schottische Mönche und Nonnen zerstreut. Sie mögen zum Theil zur Zeit der Religionsverfolgungen in Großbrittanien in Deutschland aufgenommen worden seyn; allein die meisten haben nur den Namen noch, und vielleicht viele schon seit Karls des Grossen Zeiten her, wo Großbrittanien die ächten Mustermönche lieferte, und Deutschland damit versah. Ein englisches und schottisches Kloster hieß also hernach in Deutschland eben so viel, als eine schottische Freymäurerloge. Sie waren nur von Engländern nach dem wahren Geist der Möncherey eingerichtet worden.

Hier wimmelt es wie zu Wien von jungen Gelehrten, die ihre Zimmer mit Büsten, Medaillons, Silhouetten und Kupferstichen berühmter Männer auszieren, die fliegenden Journale um den Pult herum liegen haben, die Zähne stochern, weder denken noch schreiben und ihren Titel bloß daher haben, daß sie zu keiner der bekannten bürgerlichen Menschenklassen gehören. Einer, der kein Soldat, kein Civilbedienter, kein Professor, kein Geistlicher, kein Kaufmann, kein Fabrikant, kein Handwerker, kein Hausdiener, kein Taglöhner, und – was mag es sonst für Menschenklassen geben? – kein Scharfrichter ist, der heißt hier zu Lande ein Gelehrter, er mag studieren oder nicht. Im gemeinen Verstand ist der Titel bloß negativ – Ich kenne einige positive Gelehrten hier von Verdienst, aber ihre Anzahl ist im Verhältniß zu den Negativen ganz und gar unbedeutend.

Das hiesige Frauenzimmer ist schön, artig und gesellig. Man pflegt hier der Liebe mit weniger Zurückhaltung, als zu Wien, weil hier keine Polizeyknechte und keine – Nachtlaternen sind. Man ist des Nachts von den Strassenräuberinnen nicht sicher, die in allen Winkeln auf ihren Feind lauern, den sie aber sehr freundschaftlich behandeln – Liebe ist Krieg, sagt Ovid,Ovid – Publius Ovidius Naso, römischer Dichter, schrieb »Ars amatoria« (Die Liebeskunst), † 18 und diese Mädchen sind die stehenden Miethtruppen des kleinen Gottes,kleiner Gott – Amor, der römische Liebesgott die seine Ehre ritterlich vertheidigen. Aber es sollen hier sehr viele Invaliden und Bleßirten unter dieser Armee sein. Die Todten werden nicht gezählt.

Da nun die strenge Bücherzensur aufgehoben ist, so strömt von allen Seiten her Witz und Verstand ins Lande. Die hiesigen Gelehrten lassen sich seit dieser Zeit noch einmal so hoch frisiren, tragen ihre Degen um eine Spanne höher, und gehn nun auf den äussersten Spitzen der Zehen einher. Nun können sie ihre Therese Philosophe,Therese Philosophe usw. – siehe Neun und zwanzigster und Vier und dreißigster Brief ihren Dom Boukre, ihre Pucelle, ihren Grekourt, Wieland u. a. m. um die Hälfte wohlfeiler haben. Nun lohnt sichs doch der Mühe, etwas zu schreiben, sagte mir einer von ihnen, der in seinem Leben noch keinen Versuch mit dem Schreiben gemacht, und dem er auch gewiß sehr übel gelingen würde, wenn er einen machen sollte. Die Herrchen gehn immer schwanger, ohne je entbunden zu werden – Nun rückt das goldne Zeitalter heran, rief ein anderer. Die Morgenröthe des schönen Tages unserer Litteratur vergoldet unsern Horizont. Die Dünste der Dummheit und des Aberglaubens fliehn vor der herannahenden Sonne. Schon erwärmen ihre wohlthätigen Stralen unsere Herzen (und Köpfe, dacht ich). Unser Geist schwingt kühn die Flügel zum hohen Adlerflug. Wir werden alle Nationen weit unter uns zurücklassen« u. s. w. Glück auf die Reise, dacht ich. Es fiel mir der junge Ikarus ein, der auch seine Flügel zum hohen Adlerflug schwung, aber ins Meer purzelte. Die Flügel der hiesigen Gelehrten sind größtentheils auch bloß von Leim und Wachs zusammengepappt. Sie müssen sich erst ein ganz anderes Vehikulum anschaffen, wenn sie andre Nationen einholen wollen – Die Zensur war hierdurch einige Privathändel gegen das Ende noch strenger geworden, als zu Wien. Man nahm hier Bücher weg, die nirgends in der weiten Welt für schädlich wären gehalten worden. – –

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Zum Beschluß dieses Briefes, der nun 10 Tage lang auf sein Ende warten mußte, will ich dir eine kurze Nachricht von einem Ausfall gegen das sogenannte Riesengebirge sagen, den ich während dieser Zeit gethan habe. Wir fuhren Post bis Königingrätz. Da nahmen wir Pferde und ritten einige Tage lang um Jaromirs, Neustadt, Nachod, Braunau u. s. w. bis an die slesische Gränze herum, um die Lager und Märsche des Feldzuges vor 2 Jahren zu beschauen, und einige Prälaturen, worin meine Gefährten Freunde hatten, zu brandschatzen. Wir hatten einen Kapitän bey uns, der zu beyden Expeditionen unser Anführer war und sich waker hielt. Die Lager und Märsche interessirten mich nicht sehr, weil so wenig dadurch entschieden worden; aber desto besser gefielen mir die Einfälle in die Klöster. Es war mir nicht um die vollen Schüsseln und vollen Krüge zu thun, womit uns der Feind begrüßte. Die Hauptsache für mich war, die Art und Weise der böhmischen Mönche auf dem Lande kennen zu lernen. Das sind die ausgemachte Epikuräer,Epikuräer – Epikureer: Anhänger der Philosophie Epikur, heute meist in mißverstandener Bedeutung Bezeichnung für einen Genußmenschen Bruder, besonders die regliertenregliert – nach der Ordensregel lebend Korherren, die wir in einigen Gegenden besuchten. Zur Fülle aller irdischen Wohllust fehlt ihnen in den Mauern ihres Heiligthums nichts, als ein Nonnenkloster von den Mädchen, die bey Nacht zu Prag sub jove pluvio, in triviis et quad iviissub jove pluvio ... – bei Wind und Wetter, auf Straßen und Plätzen ihre Andacht verrichten. Ich wüßte wahrlich kein bessers Mittel diese armen Geschöpfe zu versorgen, und die Strassen der Stadt sicher zu machen, als wenn man sie in die Klöster des Landes vertheilte. Diese Mädchen und Mönche sind wie für einander geschaffen, und sie verfehlen alle ihren Beruf, wenn sie getrennt bleiben. Die Landdamen würden wohl etwas dagegen einzuwenden haben, und vielleicht die Landjunker und Beamten selbst, die ihre Familien nicht gerne aussterben lassen, und doch die schwere Arbeit nicht selbst verrichten können. Allein, die Bauern und Handwerker in den Gegenden der Klöster, die ihre Weiber als ihr Eigenthum betrachten, würden desto besser mit dieser Einrichtung zufrieden seyn. Die Mönche und Halbmönche ziehn auf den Dörfern, die ihnen zugehören, und deren Einwohner ihre Leibeigenen sind, als Pfarrer, Jäger u. s. w. umher, und ich glaube sie üben noch das Recht des PrälibatsPrälibat – das Recht der ersten Nacht aus, kraft dessen, wie bekannt, in alten Zeiten dem Herrn alle Jungferschaften seiner Leibeignen Unterthanen zugehörten, und kein Knecht heyrathen dorfte, wenn er nicht die Brautnacht an seine Obrigkeit abtrat. Auf allen Dörfern ihres Bezirkes fanden wir einen von ihnen oder auch zwey, die sich gar keine Mühe gaben zu verbergen, daß sie zu den lustigen Brüdern gehören. Wenn man sich sehr erbauen will, so muß man sich mit ihren eignen Beamten bekannt machen, die gewiß die artigsten Anekdoten zur skandalösen Kronik beytragen könnten. In einigen Klöstern fanden wir auch Sängerinnen.

Das Leben der reglirten Chorherren und auch der Benediktiner, deren Abt oder Prälat den Freuden der Welt noch nicht entsagt hat, oder hat entsagen müssen, und also kein Sauertopf ist, ist Ein Schmauß, der nur von Spatziergängen, Expeditionen hinter den Bettgardinen, und einem gewissen Rülpsen in der Kirche unterbrochen wird. Das Singen in der Kirche brauchen sie als eine Art von Kur, um den Schleim von der Brust zu bringen. Ich sah sie an einem Fasttag so viel Eyer, Käse und Butter essen, daß ich einem meine Sorgfalt für seinen Magen äusserte, und ihn vor einer Verschleimung warnte. Sorgen Sie nicht, sagte er, das bringen wir alles wieder durch den Kor von der Brust.

Meine Gesellschaft wollte mir einen sehr sonderbaren Naturauftritt zeigen, und wir nahmen in dieser Absicht den Weg nach Trautenau. Nicht gar eine Stunde von diesem Städtchen both sich unsern Augen der seltsamste Anblick dar, den man sich denken kann. Nahe bey einem Dorf, dessen Namen ich vergessen, erblickten wir einen ungeheuern Haufen Thürme, die an manchen Orten in regelmäßigen Reihen, meistens aber auf eine sonderbare Art zerstreut da stunden. Wir giengen fast eine Viertelstund lang wie in einem Labyrinth zwischen denselben umher, und ich konnte nicht genug staunen. Die meisten sind 60 bis 70 Fuß hoch, und viele auch gegen 100 bis 150. Von der Seite betrachtet bilden ihre Spitze eine Wogen=Linie, wie der Rücken eines Berges, der sich bald senkt und bald erhebt. Sie sind alle aus einem Stück harten Felsensteines, und würden Herrn Buffon viel zu denken machen. Die Natur hat sie größtentheils in mehr oder weniger regelmäßige Vierecke gehauen. Man hält sie gemeiniglich für das Gerippe eines Berges, zwischen welchem das Wasser die Erde weggespült hat. Die Idee scheint viel Beyfall zu verdienen; allein wenn sie wahr ist, und andere Berge auch ein solches Gerippe haben, dann sieht es um Buffons Felsensystem mißlich aus; denn bekanntlich denkt er sich die Masse der eigentlichen Urfelsen, woraus diese Thürme bestehn, als einen zusammenhängenden unförmlichen Körper, in dessen Vertiefungen, oder Runzeln, Sand, Kalch, Erde u. s. w. angeschwemmt liegen, und mehr oder weniger verhärtet sind.

Von da setzten wir unsern Weg nach Freyheit fort, und begannen das eigentliche Riesengebirge zu besteigen, wovon in ganz Böhmen viel Lärmen gemacht wird, welches aber im Vergleich mit den savoyischen und helvetischen Alpen und mit dem tyrolischen, salzburgischen und steiermarkischen Gebirge immer nur ein Zwerggebirge heissen könnte. Wir erstiegen die sogenannte Schneekoppe oder das Schneehaupt, welches der höchste Gipfel dieses Gebirges ist. Seine Höhe wird von einigen auf mehr als 20.000 Fuß angegeben, ich getraue mir aber zu wetten, daß sie keine 8.000 beträgt.Schneekoppe – die Höhe des Berges beträgt 1602 m, also etwa 5000 Fuß Der Gotthardt in der Schweitz ist bey weitem noch keiner der höchsten Berge in der grossen Alpenreihe: Seine Erhöhung über das mittelländische Meer beträgt nicht viel über 13.000 Fuß, und doch hat er ewiges Eis und ewigen Schnee, da wir hingegen hier keine Spur von Eis oder Schnee sahen, und der hohe Sommer doch noch ziemlich entfernt ist. Wir brauchten nicht viel über 3 Stunden, um seine höchste Spitze vom Fuß auf zu ersteigen. Die Aussicht über den grossen Berghaufen zu unsern Füssen, und in Slesien und Böhmen war unbegränzt und entzückend. Sein kahler Felsengipfel bildet eine ansehnliche Ebene, worauf eine Kapelle steht, die von frommen Leuthen einigemal im Jahr besucht wird. Die Leuthe, die von diesem Berge etwas entfernt wohnen, halten es für eine Art von Wunder, wenn jemand den Gipfel desselben besteigt, und doch war ich in Deutschland selbst auf Gipfeln, die von ihrem Fuß an gerechnet, wenigstens um ein Drittheil, und nach dem Verhältniß ihrer Erhöhung über die Meerfläche fast noch einmal so hoch waren, als diese sogenannte Schneekoppe.

So sehr ich mich auch betrogen fand, da ich anstatt der erwarteten Riesen nur Berge von mittlerer Höhe sah, so bin ich doch mit dieser Reise ungemein zufrieden. Wir sahen die romantischesten Landschaften, die man sich denken kann, besonders waren einige Thäler unweit der Schneekoppe im mahlerischen Betracht sehr merkwürdig. Die meisten Berge sind über und über mit mannichfaltigem Gehölze bedekt, und nur hie und da ragt ein kahler Gipfel darüber empor. Die stark bewässerten Thäler sind gut angebaut, und die Einwohner scheinen in bessern Umständen zu seyn als die im flachen Lande von Böhmen.


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