Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Fünfzehnter Brief.

s. a. die Berichtigung am Ende dieses Reiseberichtes

Salzburg –

Ich lobe mir die Bergländer. Ich bin zwar keiner von denen, deren Gefühl bloß durch das Abentheuerliche reizbar ist; die starke Erschütterungen lieben, weil sie gegen sanftere Regungen gemeiniglich stumpf sind, und die ihr Vergnügen auf unwirtbaren Felsenrücken und scheußlichen Eis= und Schneefeldern suchen, weil sie durch unmäßigen Genuß an den Freuden, welche mildere Gegenden darbieten, einen Eckel bekommen haben. Mir ist die einförmigste Ebene mannichfaltig genug, um mein Herz in dem Grad von Wärme und meine Sinnen in der Spannung zu erhalten, die zu einem ununterbrochenen Genuß der Natur nöthig sind. Ich umarme den Baum, der mir auf meiner Wanderung durch ein kahles und ebenes Gefilde auf einen Augenblick Schatten giebt; das Moos auf einer Heide hat Reiz für mich, und der Bach, der durch einen unabsehbaren Wiesengrund schleicht, ist mir auch ohne das Geräusche eines Wasserfalles lieb. Aber ich bin auch billig genug, um dem Gebirge Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und ihm in Rücksicht auf Schönheit den Vorzug vor der Ebene einzuräumen. Der Puls der Natur schlägt hier stärker, alles verräth mehr Leben und Treibkraft; alles verkündigt die immer wirksame Allmacht lauter und stärker. Der Bach, welcher ohne zu wissen, welchen Weg er nehmen soll, langsam die Ebene durchirrt, eilt im Gebirge brausend und ungestümm seinem Zweck zu. Der Zug der Wolken, die Empörungen der Luft, das Hallen des Donners, alles ist hier lebhafter und stärker. Die Thäler sind in der schönen Jahreszeit von einem viel geistigern Geruch der Blumen und Kräuter durchdüftet als die Ebenen, deren Boden zur Zubereitung der feinern Pflanzensäfte nicht so bequem ist, und worauf sich die Ausduftung derselben in der weiten Luft verliert. Die Natur ist hier mannichfaltiger und unendlich malerischer. Sie schattirt sich auf eine Art, wovon sich der Bewohner einer Ebene keinen Begriff machen kann, und in der Schattirung werden alle, auch die kleinsten Züge derselben auffallender und reizender. Hier bietet die Natur die Eigenschaften aller Jahrszeiten und der verschiedensten Erdkreise auf einmal dar. Während daß man im Sommer in der Tiefe des Thales die Hitze von Afrika empfindet, genießt man auf der mittlern Höhe der Berge die gemäßigte Luft des Frühlings, und auf den Gipfeln derselben starrt man im Frost Sibiriens. Und wie mannigfaltig sind nicht die Gestalten, Verkettungen und Aufhäufungen all der Berge und Hügel!

Der Mensch ist wie sein Erdreich, wenn die Erziehung und die gesellschaftlichen Verbindungen keine Veränderung mit ihm vornehmen. Der Bauer im Innern dieses Landes trägt ganz das Gepräge der Natur um ihn her. Sein Gang ist schnell wie der seines Waldstroms; er ist in seinen Leidenschaften stürmisch, wie die Luft, die er athmet, stark wie die Eiche, die ihn beschattet, und bieder, treu und vest wie der Fels, der seine Hütte trägt. Die Lebhaftigkeit und Mannichfaltigkeit der Auftritte, welche ihm die Natur darstellt, machen seinen Kopf reicher an Begriffen, und sein Herz wärmer, als es seyn würde, wenn er auf einer einförmigen Ebene wohnte und, wie hier, bloß der Natur überlassen wäre. Die Entfernung von grossen Oertern und die zerstreute Lage der Hütten, wodurch ihm viele Gelegenheit zu schädlichen Ausschweifungen genommen wird, erhalten seine Sitten reiner und machen ihn zum Nachdenken aufgelegter und auf seine Wirthschaft aufmerksamer. In seinem Bau, seiner Gesichtsbildung, seinen Gebehrden und seinem Gespräche zeichnet er sich vor dem bayrischen Bauer sehr zu seinem Vortheil aus. Ich bedaure unendlich, daß ich wegen Mangel an Kenntniß der hiesigen Provinzialsprache die Bergleute nicht so geniessen kann, wie ich es wünsche. Die unbeschreibliche Offenherzigkeit, welche sie äussern, und die Züge des Wohlwollens, des guten Humors und des launigten Witzes, die man auf ihrem Gesichte liest, machen sie beym ersten Anblick dem Menschenfreund vorzüglich lieb. Viele von ihnen tragen noch lange Bärte, und die in den abgelegenen Gegenden duzen jedermann, auch ihren Fürsten. Die Kröpfe sind zwar nicht selten unter ihnen, aber doch lange nicht so häufig, als einige Reisebeschreiber zu melden belieben. Ueberhaupt genommen, sind sie ein sehr schöner Schlag Leute.

Die Lücken, welche durch die bekannte Auswanderung der Protestanten vor 50 JahrenAuswanderung der Protestanten – der Salzburger Fürstbischof vertrieb 1731/32 etwa 30.000 Protestanten aus dem Land, (Emigrationspatent von 1731). vgl. Goethe »Hermann und Dorothea«. Die Vertreibung der Protestanten widersprach den Festlegungen des Westfälischen Friedens und erregte europaweit Empörung. in der Bevölkerung und dem Anbau dieses Landes gemacht worden, sind noch lange nicht wieder ausgefüllt. Sie war das Meisterstück einer schlimmen Regierung, wo die Schwäche eines Fürsten und die eigennützige Bosheit eines Ministers im grösten Glanz erschien. Ich habe die Akten dieses merkwürdigen Vorfalles zu meiner grossen Erbauung ganz durchgelesen. Man irrt sich, wenn man die Veranlassung dieses seltenen Auftrittes überhaupt den Religionsgrundsätzen zuschreibt, die sich zur Zeit der Reformation in dieses Gebirge eingeschlichen haben. Aus den Akten ergiebt sich, daß gar wenige einen deutlichen Begriff von dem augsburgischen oder helvetischen Glaubensbekenntnis... Glaubensbekenntnis – Augsburger Konfession 1530, grundlegendes Glaubensbekenntnis der lutherischen Reichsstände; helvetische Konfession 1536 hatten. Diese Grundsätze mögen wohl etwas beygetragen haben, aber die meisten dieser neuen Protestanten sind es durch eigenes Nachdenken und durch Unterredungen unter ihnen geworden, wozu sie selbst den Stoff aus den katholischen Predigten und Religionsbüchern nahmen. Hätte man ihnen eine unbedingte Religionsfreyheit im Lande gestattet, so hätten sie gewiß eine ganz neue Sekte gebildet, die mit der kalvinischen und lutherischen wenig Aehnlichkeit würde gehabt haben. Die meisten derselben, die gerichtlich verhört worden, antworteten auf die beyden Fragen, »ob sie sich zur lutherischen oder kalvinischen Kirche bekennen wollten?« geradezu [»] Nein; zu keiner von beyden. Wir glauben nur nicht, was unsere Mitbürger glauben, sondern halten uns bloß an die Schrift.« Es war eine durch verschiedene Umstände veranlaßte Empörung des Menschenverstandes, woran die Reformatoren des 16ten Jahrhunderts wenig Theil hatten. Bauern und Handwerker machten Prediger in ihren Häusern, oder unter einem Baum an einem entlegenen Ort. Kurz, man muß diesen Leuten die Ehre lassen, daß sie fast ganz allein ihre eigne Lehrer waren. Erst als sie sich wegen der Bedrückungen ihres Landesherrn um fremden Schutz umsehen mußten, und mit dem König von Preussen in Unterhandlungen standen, erklärten sie sich zu einer im deutschen Reiche durch den Westphälischen Frieden privilegirten Sekte, weil sie sich auf keine andere Art gegen ihre gänzliche Unterdrückung sicherstellen konnten.

Der damalige ErzbischofDer damalige Erzbischof – Leopold Anton von Firmian, † 1744, sein gottgläubiger christlicher Kanzler hieß Christani di Rallo war ein guter Mann, der seine Unterthanen wirklich liebte und alles mögliche that, um sie nach seiner Meinung auf den rechten Weg zur Seligkeit zurückzuführen. Er schickte Kapuziner als Mißionärs ins Gebirge, deren Kapuzen und Bärte aber gegen die Explosionen des erwachten Menschenverstandes nicht aushalten konnten. Er bethete selbst unabläßig für die Bekehrung seiner verirrten Schafe, und sparte weder Geld noch gute Worte, um sie dem Himmel wieder zu gewinnen. Der Verlust so vieler Seelen war ihm unendlich schmerzlicher als der Abgang so vieler Arme zum Bau seines Landes und die dadurch verursachte Schmälerung seiner Einkünfte. Sein Kanzler aber betrachtete die Sache in einem ganz andern Lichte. Dieser hatte berechnet, was er für seine Person bey der Auswanderung so vieler tausend Einwohner und bey dem Verkauf so vieler Güter gewinnen könnte. Er benutzte die Schwäche seines Herrn, um sich bey dieser schönen Gelegenheit den Beutel zu spicken. Er stellte ihm vor, wie gefährlich es für das Seelenheil seiner noch rechtgläubigen Unterthanen sey, die Ketzer unter ihnen wohnen zu lassen. Wenn die altgläubigen Nachbarn eines Anhängers der neuen Lehre ihn durch Schimpfen und Drohen auf das äusserste gereitzt hatten, und er endlich in der Wuth sagte: »Wartet nur, bis die 60.000 Mann des Königs von Preussen anrücken; da schlagen wir euch allen die Köpfe ein. Das ist ein anderer Monarch als der Erzbischof, und er ist schon auf dem Marsch zu uns, u. dgl. m.« So wußte der patriotische Kanzler Hochverrath und Landesverräterey in diesen Reden zu finden, die nichts als der Ausbruch einer augenblicklichen, unbedachten und gereitzten Laune waren. Mit einem Wort, er war die eigentliche Triebfeder des Abzuges von ohngefähr 25.000 Menschen, wobey er gegen 50.000 Gulden gewonnen und sein Herr gegen 100.000 Gulden an jährlichen Einkünften verloren hat. Der König von Preussen schickte 2 Kommissärs hieher, die das Eigenthum derjenigen, die sich in seine Lande begaben, besorgen mußten, und den größten Theil des Geldes, welches aus dem Verkauf der Häuser, Güter und des Geräthes der Abgezogenen gelöst worden, aus dem Lande trugen.

Durch das ganze Gebirge gibt es noch viele Anhänger dieser neuen Lehre. Ich lernte einen von ihnen kennen, der in jedem Betracht zu merkwürdig ist, als daß ich dich nicht mit ihm bekannt machen sollte. – Vor einigen Tagen besuchte ich, mit einem Herrn von hier den Landvogt, oder wie er hier heißt, den Pfleger von Werfen, einen sehr artigen und helldenkenden Mann, wie es denn auch in den entlegensten Theilen dieses Gebirges viele weit über meine Erwartung aufgeklärte Leute giebt. Diese Wanderung hatte viel Vergnügen für mich. Vom Paß Lueg an, wo das große Thal beginnt, geht der Weg 4 Stunden lang, bis nach Werfen durch einen engen Schlund zwischen nakten Felsen, die oft auf grosse Strecken hin wie himmelhohe Mauern zu beyden Seiten dastehn. Die am Fuß dieser Bergketten hie und da zerstreuten Parthien Holz, der mannichfaltige Lauf der Salza, die sonderbaren Einschnitte, Gestalten und Farben der Felsen, ihr Schutt, die Spuren des ehemaligen Laufes des Flusses viele Klafter hoch über seinem jetzigen Bette, die seltsame Lage der wenigen Gebäude, und die auffallende Schattierung des Ganzen geben dieser sonst öden Landschaft Reitz genug, um den Wanderer zu unterhalten. Das Schloß Werfen steht bey dem Flecken dieses Namens, wo sich das Thal merklich zu erweitern beginnt, auf einem abgerissenen kegelförmigten Felsen, der sich mitten aus dem engen Schlund erhebt. Auf einer Seite hat kaum am Fusse desselben die Straße und auf der andern kaum die Salza Raum genug. Auf dem Schloß beherrscht man eine herrliche Aussicht vorwärts in das sich erweiternde Tal zwischen behölzten, und zum Theil schön angebauten Bergen und Hügeln, und rückwärts in den tiefen Schlund, wodurch man gekommen, dessen Felsenspitzen immer in der Sonne glänzen, während daß sich in die Tiefe desselben ein ewiges Dunkel gelagert hat. Auf dem Schloß werden viele Gefangene bewacht, die zum Theil in Ketten arbeiten müssen. Unter denselben fiel mir die Gestalt und das Gesicht eines Mannes auf, von dem man mir schon viel gesagt hatte. Er ist das Bild eines schönen Mannes. Ein Alter von etlichen und sechzig Jahren hat das blühendste Roth von seinen Wangen noch nicht weggewischt. Sein starker langer Bart und sein schwarzes schönes Haar sind nur hie und da mit etwas Grau untermischt. Er trägt sich so leicht und steht so gerade wie ein Jüngling in seiner vollen Kraft. Seine Stirne und die ganze Bildung seines Gesichtes ist regelmäßig schön, und sein grosses, blaues und sprechendes Auge muß auch den geringsten Menschenkenner auf ihn aufmerksam machen. Aus seinem Antlitz leuchtet eine unbeschreibliche Seelenruhe und ein gewisser Stolz, der von einem starken Charakter unzertrennlich ist. Ich wollte seine Geschichte von ihm selbst hören und erzähle sie dir aus seinem Munde wieder so gut ich kann.

«Ich bin nun, sagte er, «ohngefähr 24 Jahre hier als ein Gefangener. Ich erinnere mich noch der Auswanderung so vieler tausend meiner Mitbürger, und habe, so jung ich auch noch war, viel Theil daran genommen. Wie ich heran wuchs, machte die Erinnerung dieses Auftrittes immer mehr Eindruck auf mich. Die Freude, womit so viele meiner Nachbarn ihr Vaterland verliessen, um dem Gewissenszwang zu entgehen und in ihrem Glauben frey und ungekränkt zu seyn, hatte etwas Grosses und Reitzendes in meinen Augen. Dieß verschafte den Vorstellungen einiger meiner Freunde und Bekannten, die im Punkt der Religion mit den Kapuzinern nicht Eins waren, leichten Eingang in mein Gemüth. Ich las die Schrift, verglich ihre Lehren mit den päbstlichen, und machte mir meine eigne Religion, deren Grundsätze ich eben nicht sehr geheim hielt, weil ich Recht zu haben glaubte. Damals hatten die Kapuziner, die im ganzen Lande als Mißionärs herumzogen, überall ihre Spionen, und es konnte nicht fehlen, daß ihnen nicht einige Aeusserungen, die mir in der Hitze verschiedener Religionsdisputen entfuhren, sollten zu Ohren gekommen seyn. Von dem Augenblick an verfolgten sie mich, wo ich nur immer war. Sie kamen sogar in mein Haus und foderten ein Glaubensbekenntniß von mir. Ich wollte überzeugt seyn und legte ihnen meine Gründe vor; sie waren aber bald am Ende, und ihre Gespräche liefen immer dahin aus: Es käme mir nicht zu, über Glaubenssachen Untersuchungen anzustellen; der Glaube müsse blind seyn, und ich müßte ein Glaubensbekenntniß ablegen. Ich sagte ihnen, es wäre mir platterdings unmöglich, etwas gegen meine Ueberzeugung zu glauben; aber alles half nichts.

Als ich sah, daß sie mich nicht überzeugen konnten, und ihnen an meiner innern Ueberzeugung auch nichts gelegen war, sagte ich ihnen, sie sollten mich nur in Ruhe lassen; ich stünde ihnen mit Ehre und Leben dafür, daß ich meine Gedanken über die Religion für mich geheim halten und niemand zu meinem Glauben bekehren würde. Umsonst. Täglich brachen sie ungestümm in mein Haus ein, und drangen auf das Bekenntniß eines Glaubens, dem mein Gewissen widersprach. Lieber Herr, ich that alles, was möglich war, um Ruhe zu haben, aber es war unmöglich. Eines Tages kam' ich müde vom Feld nach Haus, und als ich mich bey meinem Brod erquicken wollte, stürmten wieder die Kapuziner herein. Ich hatte mir seit einiger Zeit vorgenommen, ihnen kein Wort mehr, als: Guten Tag oder guten Abend zu sagen. Als sie ihr altes Geschrey wieder begannen, hörte ich lange ruhig und stille zu, und ließ mir mein Brod desto besser schmecken, je mehr sie mich verfluchten. Wie es aber kein Ende nehmen wollte, kroch ich in den Winkel hinter den Ofen, und dachte, schreyt so lange ihr wollt. Aber auch da war ich nicht sicher. Ich warf mich endlich ungeduldig aufs Bette, und wie der eine auch hier zu mir schritt, und mir in die Ohren schrie, kehrte ich ihm den Hintern zu; aber flugs war der andere wieder auf der andern Seite und schrie noch ärger als sein Geselle. Endlich ward' ich toll, sagte ihnen, ich wäre Herr in meinem Haus, und wie sie es immer gröber machten, sprang ich auf, nahm das erste Beste, was mir in die Hände kam (ich glaube es war ein Besen), und jagte sie zur Thüre hinaus. Nun ward ich nicht nur als ein verstockter Ketzer, sondern auch als ein Verfluchter behandelt, der an die geheiligten Priester des Herrn gewaltthätige Hände gelegt. Man nahm mich gefangen, und brachte mich in Ketten hieher. Anfangs litt ich entsetzlich. Hundertmal sagt' ich, man sollte mich nur überzeugen, und ich wollte es dann mit Mund und Blut bekennen; aber alles war vergeblich. Man wollte mich zwingen, in die Kirche zu gehn, zu beichten, meine Gedanken über die Religion zu eröffnen, u. s. w. Ich sagte, ich könnte von meiner Religion weiter nichts offenbaren, als daß ich nicht glaubte, was sie glauben. Ueberzeugen wollte oder könnte man mich nicht, und also würd' ich geduldig zur Kirche gehn, wenn man michs hieße, aber ohne deswegen meinen Glauben zu ändern, und zu beichten hätte ich nichts. Das unausstehlichste war mir das unabläßige Dringen der Kapuziner auf ein Glaubensbekenntniß. Alles Bitten, mich zu verschonen, und alle Vorstellung, daß das Bekenntniß des Mundes ohne Bekenntniß des Herzens nach ihrer eignen Lehre nichts hälfe, war umsonst. Endlich nahm ich mir vor, mich als einen Stummen zu gebehrden, und kein Wort mehr zu reden; welches ich auch 18 ganze Jahre hindurch dem Buchstaben nach hielt. Vor einigen Jahren fieng man an mich gelinder zu behandeln, und seit dieser Zeit habe ich meine Sprache wieder.«

Der Herr Pfleger bestätigte es, daß dieser sonderbare Mann 18 ganze Jahre hindurch keine Silbe gesprochen. Und doch sah man während dieser langen Zeit kein Wölkchen des Unmuths oder der bösen Laune auf seinem Gesicht. Sich immer gleich that er gelassen und munter alles, was man ihm, ausser der Sphäre der Religion, geboth. Nur einen leichten Zug von Verachtung der Menschen um ihn her will man an ihm bemerkt haben. Wenn man bedenkt, daß sein ziemlich heller Kopf, sein offenes Wesen und sein guter Humor ihm ein natürlicher und sehr starker Trieb zur Geselligkeit und zur Mittheilung seiner selbst seyn müssen, so muß man über seine freywillige Stummheit staunen. Durch sein Wohlverhalten in seiner Gefangenschaft brachte er es dahin, daß ihm der jetzige Fürst, ein sehr toleranter Herr, die Ketten abnehmen ließ, und auf Ansuchen des Herrn Pflegers eine ansehnliche Zulage zu seinem täglichen Unterhalt bewilligte. Er hat sich so viel Zutrauen erworben, daß man ihn zu einer Art von Aufseher über seine Mitgefangenen gemacht hat. Ungeschlossen und ganz frey ward er mit denselben schon mehrmalen zur Arbeit an Orte hingeschickt, wo es ihm sehr leicht war zu entwischen; aber sein Karakter ist mehr Bürge für seine Person, als die stärkste Kette. Er hat sich – ohne es selbst zu wissen – bey seinen Mitgefangenen so viel Ansehen verschaft, daß er sie mit einem Wort besser in der Zucht halten kann, als der Kerkermeister mit dem Stocke. Die Natur hat ihm eine Ueberlegenheit über den grossen Haufen der Menschen zugesichert, ob sie ihn schon in einer Bauernhütte gebahr. Jetzt beschäftigt er sich in seinen Nebenstunden freywillig damit, daß er einen jungen Mordbrenner von ungefehr 16 Jahren, der einigemal aus Muthwillen seines Vaters Haus angezündet und seit einigen Jahren an Ketten liegt, lesen und schreiben lehrt, ohne ihm etwas von seinen Religionsbegriffen mitzutheilen. Diese hält er jezt so geheim, daß ich mit aller vertraulichen Zudringlichkeit, mit allem Bitten und Versprechen nichts aus ihm heraus bringen konnte. Er antwortete mir nichts, als: «Ich glaube nicht, was die Kapuziner glauben, und wünsche mir zu einem vergnügten Leben nichts mehr als eine Bibel.« Vor einigen Jahren ließ man einigemal seine Frau zu ihm, die er aber ohne die geringste Aeußerung einer Neigung, ihrer geniessen zu wollen, mit einigen guten und warmen Ermahnungen zu ihrem Besten wieder entließ. Eine Bibel, wornach seine Seele so heftig dürstet, wird man ihm schwerlich gestatten, weil man seiner Schwärmerey nicht noch mehr Nahrung geben will. Alle Salzburger Herren und Damen, in deren Gesellschaft ich diesen Mann zu sehen die Ehre hatte, äusserten eine gewisse Hochachtung gegen ihn; aber sie waren auch alle einig, daß es eben nicht sehr politischpolitisch – klug, diplomatisch gehandelt sey, wegen so einer Kleinigkeit, als man von dem Mann gefordert, ein Märterer zu werden.

Das hiesige Landvolk ist ausserordentlich lebhaft und frölich. Die Mädchen in diesen verborgenen Winkeln unsers vesten Landes, alle frisch wie die Rosen und munter wie die Rehe, verstehn sich auf die Künste der Koqueterie so gut als unsere Pariserinnen, nur sind die Reitze, womit sie auf Eroberungen ausgehen, natürlicher als bey diesen. Ihr gewölbter Busen, dessen Umrisse sie sehr sorgfältig oben und auf den Seiten des Brustlatzes zu entfalten suchen, ist kein Betrug eines lügnerischen Halstuches, oder einer hohlen Schnürbrust. Sie wissen das Schöne ihrer Kleidung ganz zu ihrem Vortheil zu benutzen. Wenn sie einen Liebhaber glücklich machen wollen, so macht ihnen weder die Schande einer unehlichen Geburth, noch die Besorgniß ein Kind ernähren zu müssen einige Bedenklichkeit. Die Sitten setzen sie über das erste, und die Leichtigkeit des Unterhaltes eines Kindes über das andere hinaus. Die Strafe, die sie für einen Fehltritt von der Art erlegen müssen, ist kaum nennenswerth. Die Kindermorde sind daher hier zu Lande äusserst selten. Ohne allen Zwang, ohne alle Zurückhaltung überläßt man sich hier dem Triebe der Natur. Die Mädchen nehmen Sonntags in der offenen Kirche den lauten Gruß und Handschlag von ihrem Geliebten an. Beym nächtlichen Besuch hat aber der Liebhaber einen harten Stand. Die Witterung mag noch so unfreundlich seyn, so wird ihm die Thüre oder das Fenster doch nicht eher geöffnet, bis eine gewisse Losung gegeben ist, die gemeiniglich in langen Reimen besteht, worinn er sein Leiden und Sehnen in einer mysteriösen Sprache zu erkennen geben muß, und die das Mädchen Reim= oder Strophenweis beantwortet. Diese Sitte ist uralt, und in den entlegnern Theilen dieses Gebirges unverbrüchlich. Die Bekanntschaft und der Genuß beyder Liebenden mag noch so lange gewährt haben, so dörfen sie sich doch nicht darüber hinaussetzen. Sehr selten läßt ein Bauernjunge sein Mädchen sitzen, wenn er es auch erst nach 2 bis 3 Kindbetten heyrathen kann.

Die Bewohner dieser Berge sind mit ihrem Zustand so vergnügt, daß sie ihr Land für eine Art von Paradies halten. Die Einwohner des sogenannten Dintner=Thales, einer scheußlichen Kluft zwischen nackten Felsen, die vom Dintenbach durchströmt wird, haben das Sprüchwort: Wenn einer aus dem Himmel fiele, so müsse er ins Dintner=Thal fallen, welches soviel sagt, als, dieses Thal sey der zweyte Himmel. Ich konnte lange nicht ausfindig machen, warum die guten Leute einen so hohen Begriff von einem Schlund haben, der oft viele Wochen lang so verschneyet ist, daß kein Mensch weder heraus noch hineinkommen kann, und der mit einigen benachbarten, viel reitzendern Gegenden so stark absticht. Ich nahm es Anfangs für Ironie; aber ich erfuhr endlich, daß es voller Ernst sey; und daß die uneingeschränkte Freyheit, welche die Bewohner dieses seltsamen Paradieses zu geniessen haben, ihnen die grosse Hochachtung für dasselbe eingeflößt hat. Sie bestehn bloß aus einigen Hirten, Bergwerkleuten und Eisenschmelzern, die fast ganz von Abgaben frey sind und auf welche die Obrigkeit in Betracht des geringen Ertrags und der Entlegenheit dieser Gegend wenig Acht hat – Die Abgaben der hiesigen Landleute sind überhaupt sehr mäßig, und die Befreyung von den Erpressungen, worunter die übrigen Völkerschaften Deutschlands seufzen, mag das meiste zu dem guten Humor beytragen, welcher in diesem ganzen Gebirge herrscht. Die Fürsten liessen es bisher bey dem Anschlag der Güter bewenden, der seine Jahrhunderte alt ist, und also mit dem jetzigen Werth der Dinge in einem geringen Verhältniß steht. Der jetzige Fürst hat durch seinen Entwurf, neue Urbarien machen zu lassen und die Schatzungen zu erhöhen, ein kleines Murren im Lande erregt. Wirklich ist er nach dem Verhältniß der Grösse und des Reichtums seines Landes im Punkt der Einkünfte weit hinter den übrigen Fürsten Deutschlands zurück, und in Betracht dessen wäre ihm dieser Entwurf wohl zu verzeihen. Aber die schlimmen Folgen seiner großen Liebe zur Jagd, wovon er vermuthlich nichts weiß, und die ohne Zweifel bloß das Werk seiner Bedienten sind, haben einen stärkern Zug von Despoterey, als die Erhöhung der Schatzungen, die dann doch unter der Garantie der Landstände auf eine lange Zeit festgesetzt bleiben, und nicht, wie jene Wirkungen einer persönlichen Leidenschaft, willkürlichen, augenblicklichen und gewaltthätigen Erweiterungen ausgesetzt sind. In verschiedenen Gegenden ist den Bauern verboten worden, ihre Schaafe auf gewisse Waiden zu treiben, die an grosse Holzungen anstossen, damit dem gehegten Wild das Futter nicht entzogen werde. Ich habe dir gesagt, daß sich der hiesige Bauer meistens von seiner eignen Schur sein Tuch und Wollenzeug selbst macht. Verbote von dieser Art müssen also auf viele Wirthschaften einen sehr schädlichen Einfluß haben. Der hiesige Bauer ist gegen alle Neuerungen sehr empfindlich. Es gab schon Auftritte, wo diese Bergbewohner laut sagten, sie wollten sich auf den Fuß der Schweitzer setzen. Läßt es aber ein Fürst beym Alten bewenden, so sind sie ihm unbeschreiblich zugethan – O! wüßten doch die Fürsten die Liebe ihrer Unterthanen, ihrer Nebenmenschen zu schätzen.

Viele der hiesigen Bauern tragen noch lange Bärte und den Hals und die Brust zu jeder Jahreszeit offen. Diese ist dann von der Sonne und der Luft gebräunt und meistens stark behaart. In einiger Entfernung sehn sie schrecklich aus; aber in der Nähe macht sie ihr freundlicher Blick und das unverhehlbare Gepräge der Redlichkeit willkommen. Sie sind muthig und stark, und würden bey einem Angriff in Vertheidigung ihres Landes förchterlich seyn; aber ausser ihrem Lande sind sie, nach dem GeständnißGeständniß – wird im gesamten Text in der Bedeutung »Auskunft« gebraucht der erfahrensten hiesigen Officiers keine guten Soldaten. Sie bekommen wie alle Bergbewohner gerne das Heimweh, und das Eigenthümliche ihrer von Jugend auf gewohnten Lebensart, welches sie in der Fremde entbehren müssen, macht sie oft in einem Feldzug unbrauchbar. Zum Glück hat ihr Landesherr mit der Erhaltung des Gleichgewichts unter den europäischen Mächten wenig zu schaffen – Uebrigens sind sie viel gefälliger und nicht so gewinnsüchtig wie die Landleute in den meisten Gegenden der Schweitz, die, so sehr sie allen Abgaben feind sind, die Fremden bey jeder Gelegenheit gerne in schwere Kontribution setzen. Ich habe häufige Proben, daß hiesige Bauern auf grosse Strecken mit mir gegangen sind, um mir den Weg zu zeigen, und mir noch mehrere kleine Dienste gethan haben, ohne eine Belohnung annehmen zu wollen. Leb wohl.


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