Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Vier und dreysigster Brief.

Wien –

Ich wäre über Hungarn nicht so weitläufig gewesen, wenn ich nicht wüßte, daß es bey Euch unter die Zahl der unbekannten Länder gehörte. Meine Ausfälle in die übrigen Provinzen der kaiserlichen Erblande werden um so viel kürzer seyn.

Das eigentliche Oestreich hat durchaus das Ansehn eines glücklichen Landes. Hier sieht man keine Spur von der darbenden Armuth, die in Hungarn mit der Verschwendung der Grossen einen so eckelhaften Abstich macht. Wenn man die Hauptstadt abrechnet, so nähern sich alle übrigen Einwohner dem seligen Mittelstand, der die Folge einer sanften und klugen Regierung ist. Der Bauer ist Eigenthümer, und die Rechte des Adels, welcher die niedere Gerichtsbarkeit über die Dörfer hat, sind genau bestimmt. Gegen Süden und Südosten gränzt eine lange Reihe Dörfer an die Hauptstadt, worinn ein Wohlstand herrscht, von dem man sich im Innern Frankreichs keinen Begriff machen kann. An den Ufern der Donau sah ich verschiedene Dörfer und Flecken, worinn die meisten Bauern in grossen, schönen Häusern von Stein wohnen, die in einer grossen Stadt nicht übel lassen würden. Ein Beweis vom Wohlstand des Landmanns ist, daß er fast täglich Fleisch, und die Woche auch ein oder zweymal seinen guten Braten speißt. Es giebt viele Dörfer und Flecken, deren Einwohner sich von der Lehnsherrlichkeit losgekauft haben, sich nun selbst regieren, und zum Theil auch zu den Landesständen gehören. Von der Art ist des schöne Markt Stokerau, welcher einer meiner Lieblingsorte und der schönste Bauernort, den ich je gesehn.

Die Klöster, deren Prälaten zu den Landesständen gehören, sind nach den unmittelbaren Reichsprälaturen und Abteyen die reichsten in Deutschland. Man schätzt die Einkünfte des Benediktinerklosters MölkMölk – Melk an der Donau auf 160.000 Kaisergulden, oder über 400.000 Livres, wovon es aber, wie man auch versicherte, beynahe die Hälfte an die Landeskasse zahlen muß. Ich sprach mit einem Mönch dieses Klosters, der mir den Verfall der Religion seit Kaiser Karls des Sechsten Zeiten dadurch erweisen wollte, daß er sagte, damals hätten sie nur 5 bis 6.000 Gulden dem Hof zahlen müssen, und nun begnüge er sich mit 10mal so viel. Unter der Regierung des jetzigen Kaisers bleibt den guten Mönchen vollends keine Hofnung mehr übrig, daß ihr Religionsthermometer steigen werde. Im Gegentheil steht es zu beförchten, daß es weit unter das 0 fallen kann. Klosterneuburg, St. Pölten, Gottwaich und einige andere geben der obbemeldten Prälatur an Religionswärme wenig nach.

Unteröstreich verkaufte jährlich für mehr als 2 Millionen Gulden Wein nach Mähren, Böhmen, Oberöstreich, Bayern, ins Salzburgische und einen Theil von Steiermark und Kärnthen. Der Wein ist sauer, hat sehr viel Stein, ist sehr haltbar, und läßt sich ohne Schaden in die ganze Welt verführen. Wenn er seine 10 bis 20 Jahre gelegen hat, so ist er eben nicht zu verachten. Unterdessen würde der Weinbau dieses Landes doch mit einem Schlag vernichtet seyn, wenn man die Ausfuhr des hungarschen Weines nicht gewaltthätiger Weise einschränkte.

Diese Einschränkung, wovon ich dir schon in einem meiner vorigen Briefe gesagt habe, hängt mit einem Plan zusammen, wozu wahrscheinlicher weise die Pfaffen des ersten Grund gelegt haben, und welchen ihnen die Edelleute ausführen halfen. Es ist ein altes Gesetz, daß der Bauer mit seinen Gütern keine Neuerungen vornehmen darf. Es darf kein Weinberg ausgerottet, und zu Ackerfeld oder Wiesen angebaut werden, und so umgekehrt. Ohne Zweifel hat der Zehenden zu diesem seltsamen Gesetz Anlaß gegeben. Es war den Eigenthümern des Zehenden daran gelegen, ihn in einem gewissen, bestimmten Werth zu erhalten. Da nun besagtes Gesetz aus dieser Absicht einmahl vestgesetzt war, so konnte es natürlich nicht anderst, als durch ein neues, eben so gewaltsames Gesetz, die Ausfuhr des hungarischen Weines zu hemmen, geltend gemacht werden. Die erste Abgeschmacktheit zog nothwendig die zweyte nach sich. Ein Theil der Güter, welche durch diese Zwangsmittel einen gewissen künstlichen Werth bekommen haben, würde nun freylich – wenigstens auf eine Zeit – viel verlieren, wenn man diese Gesetze aufheben würde; allein ein andrer Theil würde viel dadurch gewinnen. Z. B. ein grosser Theil der Safranfelder, deren Bebauung äusserst mühsam und unergiebig ist, würde zu andern Arten von Erzeugnissen angelegt werden, und viel an seinem Werth gewinnen. In Krems, wo der meiste und beste Safran gewonnen wird, ist jedermann über den Zwang mißvergnügt, womit die Besitzer gewisser Felder zum Bau dieses Produktes angehalten werden. Dem Landmann sind durch diesen Zwang auch die Hände gebunden, daß er keine neue Gattungen von Produkten, die zur Aufnahme gewisser Manufakturen dienen könnten, z. B. Flachs, Hanf, Grapp,Grapp – Krapp, Färberkrapp; eine Pflanze, aus der roter Farbstoff gewonnen wird (Färberkrapp) Tobak, RübsaamenRübsaamen – Rübensamen, wurde als Arznei verwendet u. dgl. m. bauen, und von der Veränderung des Werthes der Dinge, welche von den Zeitumständen und den verschiedenen bald steigenden, bald fallenden Gewerbarten des Kunstfleisses abhängen, nicht den gehörigen Vortheil ziehen kann. In Rücksicht auf den Feldbau ist überhaupt aller Zwang schädlich. Die Regenten haben zur Aufnahme desselben nichts zu thun, als nur die Steine des Anstosses, die Hindernisse, wegzuräumen. Das übrige thut die Natur von selbst.

Das Land ist stark bevölkert. Herr Schlötzer,Schlötzer – August Ludwig von Schlözer, deutscher Historiker, Staatsrechtler, Schriftsteller, Publizist, Philologe, Pädagoge und Statistiker der Aufklärung. † 1809 Herausgeber eines politischen Briefwechsels, liefert in einem Heft seines Journals eine Zählung oder Schätzung der Volksmenge in den östreichischen Staaten, worinn die Bevölkerung dieses Landes auf ohngefähr 2.100.000 Menschen angegeben wird. Ich halte diese Angabe für übertrieben, wie man denn hier zu Lande überhaupt in allem, was auf den Staat Bezug hat, zum Entsetzen übertreibt. Es ist ein Glück, wenn man jemand findet, der einem die baare Wahrheit giebt. Die Unwissenheit in Rücksicht auf die Kenntniß des Staates, worinn sogar auch der größte Theil der Leuthe schwebt, die bey der Landesregierung angestellt sind, und der lächerliche Stolz, womit diejenigen, die vielleicht etwas bestimmtes wissen, alles zu vergrössern suchen, hat mich in meinen Erkundigungen äusserst mistrauisch gemacht. Ein Ausländer, der sich einige Jahre lang in diesem Lande aufgehalten, und den Zustand desselben so fleißig als möglich studiert hat, will zuverläßig wissen, daß die Volksmenge von Ober= und Unteröstreich nicht mehr als 1.800.000 Seelen betrage, und ich finde es sehr wahrscheinlich. Wenn man auch die Einwohner der Hauptstadt von dieser Summe abzieht, so ist die Bevölkerung doch nach der Grösse des Landes ausserordentlich stark.

Die Einkünfte des Landes sollen sich beynahe auf 14 Millionen belaufen, zu welcher Summe die Stadt Wien allein über 5 Millionen beyträgt. Ein Mensch in der Hauptstadt trägt also fast so viel ein, als 3 auf dem Lande.

Gegen Süden ist das ganze Oestreich mit einem Berghaufen angefüllt, der sich von den Ufern der Donau bis an die Gränzen von Steiermark stufenweis erhebt, und größtentheils mit Waldung bedeckt ist. Er verliert sich in die ungeheure Bergmasse, die den südlichen Theil von Deutschland ausmacht, sich durch ganz Steiermark, Krain, Kärnthen und Tyrol bis an die helvetischen Alpen erstreckt, und wahrscheinlicher Weise nach Savoyen und der Schweitz die höchsten Gipfel der Erde enthält.

Die Einwohner dieses weitläufigen Gebirges sind durchaus einander ziemlich ähnlich. Sie sind ein starker, grosser, und – die Kröpfe abgerechnet – ein schöner Schlag Leuthe. Die Tyroler, welchen ich von München aus einen flüchtigen Besuch abstattete, zeichnen sich von den übrigen durch ihren Fleiß aus. Man findet Gegenden in Tyrol, die bloß von Bildhauern bewohnt werden. Sie treiben mit ziemlich schönen Gipsfiguren einen weitläufigen Handel bis nach Holland, und arbeiten ausser Landes viel in Marmor, andern Steinen und Holz für die Kirchen. In den Verzierungen der Kirchen, und Sälen durch Stukadurarbeit haben sie es sehr weit gebracht. Ein anderer Theil dieses fleißigen Volkes durchzieht Deutschland mit Bändern, Italianischen Galanteriewaaren und Früchten, und bringt eine beträchtliche Summe Geld nach Haus. Ein dritter Theil verlegt sich aufs Kräutersuchen, und quaksalbert in der Fremde. Tyrol hat für Deutschland die meisten Marktschreyer geliefert. Sie waren größtentheils ursprüngliche Gemsjäger, die mit den Häuten dieser Thiere zu handeln anfiengen, nach und nach Kräuter und Salben aus ihrem Vaterlande mit sich in die Fremde nahmen, und endlich durch die goldne Praxis aufgemuntert tiefer in die hohe Kunst eindrangen, und Wunderpillen, Wunderessenzen, Wundertinkturen und noch unzählige andre Wunder erfanden.

Tyrol ist seiner Felsen, Eis= und Schneegipfel ungeachtet, vortreflich angebaut und stark bevölkert. Es zählt gegen 600.000 Menschen, und trägt der Regierung gegen 3 Millionen Gulden ein. Das Silber= und Kupferbergwerk zu Schwatz ist eins der einträglichsten Werke in den kaiserlichen Erblanden, und an dem Salzwerk zu HalleHalle – Hallein, s. Vierzehnter Brief werden jährlich gegen 300.000 Gulden gewonnen.

Inspruck ist eine artige Stadt von ohngefähr 14.000 Menschen. Nach derselben ist Botzen die beträchtlichste in Tyrol. Diese Stadt hatte ehedem sehr berühmte und einträgliche Messen. Seit einigen Jahren sind sie – wie man allgemein glaubt – durch die Mauthen zu Grunde gerichtet worden. Ganz Tyrol jammert darüber und verwünscht das Mauthwesen.

Die Kärnthner übertreffen die übrigen Bewohner dieser Bergmasse an Grösse und Stärke. Sie sind wie ihre Pferde, die unter die stärksten in Europa gehören, und durch keine Arbeit zu ermüden sind. Sie sind stark mit WindenWinden – Bezeichnung sowohl für die Westslawen als auch für Slowenen, was hier gemeint sein dürfte vermischt, und bauen, wie die Tyroler, viel Mais, woraus sie zum Theil ihr Brod machen. Ihr Land liefert den besten Stahl, den man kennt. Aus demselben machen die Engländer ihre feinsten Arbeiten. Die Volksmenge dieses Landes beträgt gegen 400.000 Seelen – Die Anzahl der Einwohner von Krain, Görz, und dem östreichischen HistrienHistrien – Istrien, heute kroatisch und slowenisch soll 500.000 Menschen betragen. Diese Länder werde ich schwerlich zu Gesicht bekommen.

Steiermark zählt über 700.000 Einwohner. Die Hauptstadt GrätzGrätz – Graz ist sehr schön, und der daselbst wohnende zahlreiche Adel lebt prächtig. Es sind einige Häuser dort von 30 bis 40 tausend Gulden Einkünften. Im Punkt des Wohllebens übertrift das dortige gemeine Volk noch das hiesige. Man hält gewöhnlich des Tages vier ordentliche Mahlzeiten; Morgens, Mittags, Abends und zu Nacht. Hahnen, Enten, Kapaunen,Kapaun – kastrierter Masthahn u. dgl. m. sind das Essen des gemeinen Bürgers, und kommen auch ausser den Sonn= und Feyertagen öfters auf seinen Tisch. Ich erschrak, wie ich die Wänste den ganzen Tag wie angenagelt an dem Tisch sitzen, und mir mit ihren ungeheuern Zurüstungen von Braten, Torten, Pasteten, Schinken, Würsten u. s. w. so ernstlich zu Leibe gehen sah, um mich mit aller Gewalt auf ein paar Wochen krank zu machen. Ihre Köpfe machen wirklich einen Theil ihrer Wänste aus, und sind wie diese mit nichts als Schinken, Würsten u. dgl. immer angefüllt. Man redet von nichts, als was in die Küche und Keller gehört, einige DigreßionDigreßion – Digression: Abschweifung aufs Theater ausgenommen, und in wenig andern Dingen als der studierten Zubereitung ihrer Speisen, unterscheiden sich die gemeinen Leute von den Orangoutangs. Ich habe nicht nöthig, dir zu sagen, daß du den Adel und die Officiers von diesen zweybeinigten Thieren ohne Federn ausnehmen mußt. Diese halten zwar auch nach Landesgebrauch öfters gute Tafel; allein sie suchen dabey auch ihren Geist, wiewohl bloß mit dem, was man sonst bey Seelenmahlzeiten als Desert aufzusetzen pflegt, zu nähren. Von Salzburg und einigen andern Orten kommen die Pucelles d'Orleans, die Dom Boukres, die Akademies des Dames, die Portiers des Chartreux, die Thereses PhilosophesThereses Philosophes – »Die philosophische Therese«, Erotikum. Alle anderen siehe Neun und zwanzigster Brief. u. dgl. m. dutzendweise auf die Jahrmärkte hieher. Trotz der Strenge des Bücherverboths könnte man hier ohne sonderliche Mühe des Umfragens Voltäres und Bolingbrokes Werke, den Gevatter Mathies,Gevatter Mathies – »Gevatter Matthies oder die Ausschweifungen des menschlichen Geistes«, Erotikum und ähnliche Schriften vierzig und fünfzigmal zusammenbringen. Von Grätz aus wird auch mit dieser Kontrebande ein starker Schleichhandel nach Wien, Preßburg und durch ganz Hungarn getrieben. Nebst dieser Art Schriften machen die Komödien den wichtigsten Theil der Lektüre des dasigen feinern Publikums aus. Die Schöngeisterey hat auch schon unter den jungen Herren von Grätz, wie unter den hiesigen, Wurzeln geschlagen, und sie haben schon ziemlich viel sogenannte Gelehrten. Ich glaube aber, diese Nation wird immer durch diese Kapaunen, denen ich meinen Beyfall nicht versagen kann, und die als Leckerbissen häufig nach Wien und noch weiter verschickt werden, berühmter bleiben, als durch ihre literarische Produkten. Von der Fülle des Landes kannst du dir einen Begriff machen, wenn ich dir sage, daß man einen fetten Kapaunen hier um 18 bis 20, und ein Paar schöne junge Hahnen für 10 bis 12 Kreutzer kauft. Für 10 bis 12 Kreutzer bekömmt man eine Maaß sehr guten innländischen Weines, und das Pfund Roggenbrod kömmt nicht viel über einen Kreutzer zu stehn. Die Stadt Grätz sammt den Vorstädten enthält beynahe 30.000. Menschen.

Das Land Land ist bis auf die Gipfel der niederern Berge zum bewundern angebaut. Obschon die Viehzucht die Hauptbeschäftigung der Einwohner ist, so trägt doch das Land beynahe so viel Getraide, als es zum Unterhalt seiner zahlreichen Bewohner braucht. Was noch allenfalls daran fehlt, bekömmt es um einen erstaunlich geringen Preis aus dem benachbarten Hungarn. Der Flachs und Hanf, welcher seit einiger Zeit, so wie in Kärnthen, häufig gebaut wird, ist von vorzüglicher Güte, und trägt dem Lande grosse Summen ein. Der Bergbau beschäftigt einen grossen Theil der Einwohner, und ist wegen den geringen Kosten, die er verursacht, ungemein einträglich. Die Natur des Landes erleichtert ihn auf alle Art. die Rücken der Berge sind bis auf die tiefern Abhänge mit Holzung bedeckt, womit die Gruben und Schmelzöfen überflüßig und ohne besondern Aufwand versehen werden. Oft hat man nichts zu thun, als nur das Holz auf der Höhe zu fällen, und es an seinen Bestimmungsort hinabzuwerfen, so daß alle Fuhren erspart werden. Hie und da wird es auch durch die Flüsse auf eine unkostspielige Art herbeygeschwemmt. Die unzähligen Bäche, welche die Thäler durchschneiden, biethen Gelegenheit dar, die Hammerwerke nahe an den Gruben anzulegen, und so trägt alles dazu bey die Kosten des Baues zu verringern. Die vorzügliche Ausbeute ist vortrefliches Eisen, woraus der beste Stahl bereitet wird.

Die Anzahl und Grösse der KröpfeKropf – Schilddrüsenschwellung, Struma. Meist durch Jodmangel in der Ernährung verursacht. In den Alpenländern gibt es das sog. Kropfband als eigenständiges Modeteil. ist in Steiermark beträchtlicher, als in Kärnthen, Krain und Tyrol. Man schreibt sie theils dem Schnee= und Eiswasser, theils den Erd= und Steintheilchen zu, womit die Brunnen des Landes geschwängert sind. Andre setzen sie dem Gebrauch der Einwohner, ihre Speisen ungemein fett zu machen und auf das heisse Fett kaltes Wasser zu trinken, auf die Rechnung. Ich meines Theils möchte noch eine vierte Ursache beyfügen, und sie alle zusammen gleich stark auf die Erzeugung dieses Gebrechens wirken lassen. Diese Ursache wären die heftigen Verkältungen, welchen alle Thälerbewohner stark ausgesezt sind. Zwischen den Bergen fängt sich die Sonnenhitze ein, und wird durch das Zurückprellen der Stralen von allen Seiten in die Tiefe der Thäler auf einen ausserordentlich hohen Grad getrieben. Ich erinnere mich, daß ich auf meinen Wanderungen durch enge Thäler oft eine Luft einathmete, die so glühend war, als sie aus einem Schmelzofen käme. Wenn nun die geringste Bewegung in der Luft entsteht, so wird der Zug des Windes in den Thälern durch die Pressung viel stärker als auf höhern Gegenden oder Ebenen, wo er sich mehr ausbreiten kann, und folglich auch kälter. Man pflegt bey einer grossen Hitze die Brust und den Hals gemeiniglich offen zu tragen, und durch die Erkältungen, welche dann ein gäher Windzug verursacht, werden die zarten Theile des Halses am ersten angegriffen. Die Säfte stocken gäh, und die Verhärtungen in den Gefässen müssen dann einen hartnäckigen Geschwulst veranlasen. Man hat auch in Wallis, Savoyen und andern Ländern bemerkt, daß die Bewohner der tiefern Gründe in den Thälern diesem Uebel mehr unterworfen sind, als jene der höhern Gegenden, welches ohne Zweifel zum Theil den gewaltsamen Luftveränderungen in der Tiefe zuzuschreiben ist, da hingegen auf den Bergen und den höhern Abhängen derselben die Luft immer kühl bleibt. Nebst den Kröpfen ist in diesem Land noch eine gewisse Art TölpelTölpel – Mißbildungen infolge von Inzucht in den Dörfern merkwürdig, die fast ganz ohne Sprache, und fast zu keinem andern als viehischen Arbeiten zu gebrauchen sind. Ihre Anzahl ist groß, und die Nachläßigkeit, womit man sie in ihrer Jugend behandelt, mag das meiste zu ihrer Vermehrung beygetragen haben.

Alle Bewohner dieser Bergländer sind freye Leute, und haben schon längst das harte Joch der Lehnsherrlichkeit des Adels abgeschüttelt, worunter noch ein so grosser Theil von Europa seufzt. Ueberall erblikt man auch mit Vergnügen die guten Wirkungen dieser Freyheit. So ungünstig die Natur auch diesen Ländern im Vergleich mit dem benachbarten Hungarn ist, so sind sie doch ungleich besser angebaut und stärker bewohnt als dasselbe. Wenn man zwischen den nakten Felsen diese Berge oft den Bauern seinen Unterhalt der Natur mit unbeschreiblicher Mühe abtrotzen sieht, indessen der ergiebigste Boden in Hungarn ungebaut liegt, dann fühlt man den Werth des Eigenthumsrecht und der Freyheit in seinem ganzen Gewicht. Alle diese Länder, Oestreich mitgerechnet machen in der Grösse noch lange nicht die Hälfte des hungarschen Reiches aus, und doch tragen sie dem Hof ungleich mehr ein, als dieses ganze weite Reich. Dabey herrscht durch dieselbe ein Wohlstand, von dem man sich in Hungarn keinen Begriff machen kann. Wenn doch die Regierung deutlich einsähe, wie unzertrennlich ihr Vortheil mit jenem ihrer Unterthanen verbunden ist!

Der auffallendeste Zug im Karakter der Bewohner aller dieser Länder ist eine unbeschreibliche Bigotterie im Abstich mit einem eben so unbeschreiblichen Hang zur sinnlichen Wohllust. Hier hat man nur die Augen aufzuthun, um sich zu überzeugen, daß die Religion, welche die Mönche lehren, für die Sitten äusserst verderblich und also unkristlich ist – Die ZizisbeenZizisbeo – Cicisbeo, s. Neun und zwanzigster Brief begleiten die Weiber aus den Betten in die Kirchen, und führen sie am Arm an die Beichtstüle hin. Eine besondre religiös=profane Feyerlichkeit ist eine Wallfahrt nach Mariazell in Begleitung ihrer Bulen. Es ist für sie das, was anderstwo ein Bad oder ein Gesundbrunnen für die Damen ist. Einer meiner Bekannten hatte die Ehre, eine schöne Dame von Grätz nebst ihrem Freund dahin zu begleiten. Es war zu erwarten, daß am folgenden Morgen wegen dem Fest der H. Jungfrau ein grosses Gedränge um die Beichtstüle seyn werde. Abends ward also die Frage aufgeworfen, ob die gnädige Frau nicht besser thäte, denselben Abend ihre Sünden durch das heilige VomitiveVomitive – Vomitiv, Brechmittel von sich zu geben: »Ich will warten bis Morgen frühe, sagte sie; denn ich müßte ja sonst zweymal beichten, um mit reinem Herzen zur Kommunion gehen zu können.« man rieth ihr, sie sollte die Sünden der nächsten Nacht voraus auf den Konto bringen. »Ey das gilt nicht:« erwiderte sie – Die Weiber von Stande in diesen Gegenden finden es so wenig anstößig, als die zu Wien, öffentlich in Gesellschaften von ihren Liebhabern zu sprechen. Ein Zizisbeo gehört hie zur Mode, wie Eau de fieurs de VeniseEau de fieurs de Venise – ein Parfüm – Die Grätzerinnen sind schöner als die Wienerinnen, und lassen so wenig als diese ihre Liebhaber lange schmachten. Ueber diesen Punkt haben sie ganz andre Grundsätze als unsre Landsmänninnen, die Spitzbübinnen genug sind, einen Seufzenden unter die Nase zu singen:

Laisses languir vos amans;
Et vous autes l'avantage
D' étre adorêes plus long temps.Laisses ... – Lasst Eure Liebhaber schmachten / und ihr werdet / länger verehrt

Mit der Anbethung ist es dem hiesigen Frauenzimmer überhaupt nicht gedient. Sie sind für die Liebe á la Grenadiere,á la Grenadiere – wie die Soldaten, stürmisch achten weder Thränen noch Seufzer, weder Verse noch Bonmots,Bonmots – Bonmot: geistvolle Äußerung noch irgend etwas von der feinen Belagerungskunst, sondern lieben das Sturmlaufen und Brescheschiessen. Die vielen kaiserlichen Officiers, wovon alle grosse Städte wimmeln, haben Gelegenheit genug ihre Bravour zu zeigen; sollen sich aber doch mit dem zahlreichen Korps der Prälaten nicht messen können, die nebst der Lebhaftigkeit und dem Nachdruck ihres Angriffs noch den Vortheil über jene haben, daß ihre Kasse gut genug bestellt ist, den Kommandanten der Vestung auch allenfalls bestechen zu können. Ich glaube, dieß ist eine der Hauptursachen, daß die Officiers und Prälaten in den kaiserlichen Erblanden durchaus einander so gram sind.

Die Bigotterie des Publikums in diesen Gegenden, welche dadurch, daß sie mit der Galanterie zusammenfließt, bey den Leuten von Stand noch einigen Reitz erhält, fällt bey dem Pöbel in die gröbste und abscheulichste Bouffonerie. Die Winden, welche in diesen Ländern unter den Deutschen vermischt wohnen, zeichnen sich durch ein abergläubisches Wesen aus, das dem Menschenverstand wenig Ehre macht, und unglaublich seyn würde, wenn man nicht die unwidersprechlichste Thatsachen vor Augen hätte. Noch vor 6 oder 7 Jahren zogen sie in Gesellschaft einiger Schwärme aus Hungarn zu hunderten nach Köln am Rhein, ohngefähr 120 deutsche Meilen weit, um dort einem Kruzifix den Bart abzuschneiden. Alle 7 Jahre mußte diese Operation wiederholt werden, weil in diesem Zeitraum der Bart zu seiner gehörigen Länge wieder gewachsen war. Die Reichern in einer Gemeinde schickten Aermere als Deputirten ab, und der Magistrat von Köln empfieng sie feyerlich wie eine Gesandtschaft von einer fremden Macht. Sie wurden von demselben bewirthet, und einige Rathsglieder mußten ihnen die vornehmsten Merkwürdigkeiten der Stadt zeigen. Man weiß nicht, soll man mehr über den Rath von Köln, oder über diese arme Bauern lachen. Den erstern könnte man dadurch in etwas entschuldigen, daß diese guten Leute periodisch ein schönes Geld nach Köln brachten, und er also aus Politik die Komödie mitspielte. Aber gewiß ist es doch die elendeste und niederträchtigste Art, Geld zu gewinnen. Diese Winden hatten allein das Recht den Heiland zu rasiren, und der Bart wuchs bloß für sie. Sie glaubten vest, wenn sie dem Kruzifix diesen Dienst nicht erwiesen, so würde die nächsten 7 Jahre durch die Erde für sie verschlossen seyn, und sie nichts zu erndten haben. Sie mußten deswegen die Haare mit sich nach Haus bringen, die als das Zeugniß ihres vollendeten Auftrags und der zu erwartenden guten Erndten unter die verschiedenen Gemeinden vertheilt, und als grosse Heiligthümer aufbewahrt wurden. Umsonst verboth ihnen der kaiserliche Hof diese Wanderung, wodurch dem Feldbau auf einige Zeit so viele Hände entzogen wurden. Sie machten sich heimlich davon. Das beste Mittel, das er ergreifen konnte, war also, daß er der Stadt Köln verbot, die Leute in die Stadt zu lassen, welches vor ohngefähr 6 Jahren wirklich geschah. Die zahlreiche Gesandtschaft mußte ohne Bart (den ohne Zweifel die Kapuziner immer aus den ihrigen zusammen stoppelten, denn sie hatten das bärtige Kruzifix) nach Hause zurückbetteln, und wird sich nun nicht mehr der Gefahr aussetzen, den Weg um sonst machen zu müssen. Unterdessen wuchs seit der Zeit das Getraide wie zuvor; ob aber der Bart noch wächst, weiß ich nicht – Ich könnte dir noch mehrere auffallende Züge des Aberglaubens der Einwohner von Inneröstreich mittheilen, wenn sie nicht der erste alle überträfe, und er dir zum hinlänglichen Maaßstab des Menschenverstandes in diesen Ländern diente. Besonders merkwürdig ist noch der Handel, den die Mönche mit heiligem Oel, Salben u. dgl. treiben. Seit einiger Zeit hat er durch die Verbothe des Hofes abgenommen, aber gänzlich kann er ihn in dieser Generation noch nicht unterdrücken. Er wird nun im Stillen, und vielleicht noch so stark als ehemals getrieben.


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