Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Dreyzehnter Brief.

Salzburg. –

Der Weg von München hieher ist sehr traurig. Er geht durch eine ungeheure Ebne, die nur hie und da von kleinen Anhöhen unterbrochen wird. Das viele Schwarzholz, die elenden, dünn zerstreuten Bauernhütten, der Mangel an Städten, die Unsicherheit vor Räubern, alles macht einen so viel als möglich aus Bayern hinaus eilen. Auf dem langen Wege von 17 deutschen Meilen sieht man keinen nennenswürdigen Ort, als das schwarze Wasserburg in seinem tiefen Loch zwischen öden Sandhügeln, wodurch sich der Inn krümmt und zwischen denen er eine Erdzunge bildet, worauf der Ort sehr seltsam sitzt.

An der salzburgischen Gränze wird es besser. Die Aussichten sind mannichfaltiger, die Wohnungen der Bauern reinlicher und lebhafter von Aussehn, und das Land ist viel besser gebaut – Ohngefehr eine Stunde vor dieser Stadt stellte sich einer der schönsten Prospekte dar, die ich je gesehen. Er bildet ein ungeheures Amphitheater. Im Hintergrunde erheben nackte Felsen ihre trotzigen Häupter zum Himmel empor. Einige derselben, die etwas zur Seite stehn, haben die Gestalt von Pyramiden. Diese abentheuerliche Bergmasse verliert sich stufenweis in waldigte Berge, und dann zu beyden Seiten her in schöne, zum Theil wohl angebaute Hügel. Mitten auf dem Grund dieser Bühne liegt die Stadt, über welche das Schloß auf einem hohen Felsen emporragt. Der Salzafluß giebt der ohnehin so mannichfaltigen Landschaft noch mehr Leben. Hie und da breitet er sich ziemlich aus, und seine Ufer sind an manchen Orten mit schönen Parthieen Gehölze beschattet.

Mit der einförmigen und öden Gegend um München sticht die Lage dieser Stadt ungemein ab. Sie ist äusserst sonderbar, und ein bewundernswürdiges Spiel der Natur und Kunst. Der Strom theilt sie in zwey ungleiche Theile. Auf der Westseite desselben, worauf der grössere Theil der Stadt liegt, erhebt sich aus einer weiten Ebene ein hoher, runder, steiler und harter Fels, der das Schloß wie eine Krone trägt. Vom Fuß dieses Felsen zieht sich längst dem Strom herab, in einer geringen Entfernung von demselben, um diesen Theil der Stadt her ein langer Berg von vestem Sandstein, der sowohl von innen als aussen senkrecht wie eine Mauer abgehauen und mehrere hundert Fuß hoch ist. Auf diesem natürlichen Wall, der weit über die hohen Häuser der Stadt emporragt, steht ein starkes Gehölze, und es liegen verschiedene Landgüter darauf. Man hat an einem Ort, wo er gegen 60 Schritte breit ist, ein schönes Thor durchgehauen. Auf der andern Seite des Flusses steht der abentheuerlichste Fels, den man sehen mag. Er kehrt gegen eine schöne Ebene abwärts des Stromes eine von der Natur abgehauene nakte Wand, die eine halbe Stunde lang, und in der Mitte wohl 500 Fuß hoch ist. Aufwärts des Stromes verliert sich sein behölzter Abhang sanft in eine andere schöne Ebene. Ich kann dir seine sonderbare Lage nicht besser geben, als wenn du die Stadt zum Mittelpunkt eines zwey Stundenlangen DiametersDiameter – Durchmesser eines Kreises, den der Fluß bildet, annimmst, einen halben Zirkel von schönen Bergen gegen Osten herumziehst, und diesen Felsen dann als einen Radius in die Mitte setzest, so daß er zwischen der Stadt und dem Bogen der Berge wie eine Querscheidewand steht, und die Fläche des Halbzirkels in 2 gleiche Theile schneidet. Da, wo er dem grössern Theil der Stadt gegen über an den Fluß stößt, liegt der kleinere Theil derselben, und von seiner gegen Norden zu senkrecht abgehauenen, langen Wand ziehn sich die Vestungswerke in einem Viertelzirkel bis an den Fluß herab. Eine einzige, sehr enge Strasse geht zwischen dem Fluß und seinem Abhang gegen Süden hin.

Die Natur hat in einer wunderlichen Laune dem Strom seinen Weg durch die abgerissenen Felsen angewiesen. Zwischen dem sonderbaren Wall des grössern Theils der Stadt und den nächsten Bergen gegen Westen ist eine ganz gleiche, 2 Stunden weite und tiefe Ebene, die sich weit über der Stadt hinauf längst dem Fluß hinzieht. Wenn man die Gegend beschaut, so sollte man meynen, er müßte seinen Weg durch diese Ebene nehmen, um sich in seinem wilden Lauf mehr ausbreiten zu können. Aber anstatt dessen drängt er sich ungestümm durch die Felsen durch, welche die Stadt umgeben, und sich seinem Lauf entgegenzusetzen scheinen. Nur aus der erstaunlichen Wut und Gewalt, womit er hastig sein Bette gräbt, läßt sich dieser eigensinnige Lauf erklären – Das Land umher sieht überhaupt sehr romantisch aus, und ich sehe wohl, ich werde mich länger hier aufhalten, als ich anfangs dachte.

Die Stadt ist auch innerlich sehr schön. Die Häuser sind hoch, und durchaus von Stein gebaut. Die Mauern gehn nach italiänischer Art über die flachen Dächer hinauf, so daß man auf denselben durch ganze lange Strassen gehen kann. Die Dohmkirche ist die schönste, die ich auf der ganzen Reise von Paris hieher gesehen, und nach dem verkleinerten und simplifizirten Riß der Peterskirche zu Rom von grossen Quaderstücken gebaut. Das Portal ist von Marmor, und das Ganze mit Kupfer gedekt. Vor dem Portal ist ein grosser vierekter Platz, mit Schwibbögen und Gallerieen eingefangen, und an denselben stossen die fürstliche Residenz und die Abtey St. Peter. Mitten auf diesem Platz steht eine schöne Statue der Maria in Bley in übermenschlicher Grösse. Zu beyden Seiten der Kirche sind grosse, mit schönen Gebäuden umgebne Plätze. Mitten auf dem zur Linken steht eine der prächtigsten Fontänen von Marmor, die ich je gesehen, mit einigen kostbaren Figuren in Riesengrösse. Auf jenem zur Rechten ist seitwärts ein Brunnen angebracht, der sich mit dem ersten gar nicht vergleichen läßt, und dessen Neptun eine sehr erbärmliche Figur macht – Die Stadt hat noch mehrere vortrefliche Gebäude und Statuen, die einen erinnern, daß man nicht weit von den italiänischen Gränzen entfernt ist.

So weit ich die Einwohner bisher kenne, scheinen sie sehr gesellig, offen und munter und für die Fremden ungemein eingenommen zu seyn. Indessen bis ich dich genauer mit ihnen bekannt machen kann, muß ich dir von einigen Ausfällen Nachricht geben, die ich von München aus in verschiedene Gegenden Bayerns getan habe.

Die bischöfliche Residenz Freysing ist eben kein schlecht gebautes, aber im Grunde doch ein sehr armseliges Städtchen, das bloß von Pfaffen, wohlfeilen Nymphen, einigen elenden Studenten und armen Handwerkern besteht. Das fürstliche Schloß hat eine angenehme Lage auf einem abgerissenen Berg, worauf es eine herrliche Aussicht über einen grossen Theil von Bayern und auf das tyrolische und salzburgische Gebirge beherrscht. Die Besitzungen des Bischofs liegen durch Bayern und Oestreich zerstreut, und so gering sie auch alle sind, so hat er doch einen grossen Kreuzgang damit ganz bemalen lassen. Seine Einkünfte belaufen sich auf ohngefähr 130.000 Gulden, und er hat seinen Obristhofmeister, seinen Oberjägermeister, seine Räthe, seine Leibwache, seine Musik und seine Küchen= und Kellermeister, welche letztre ohne Zweifel das meiste zu thun haben.

Von Freysingen reiste ich weiter nach Regensburg, einer finstern, melancholischen und sehr grossen Reichstadt, die, wie du weist, der Sitz des ReichstagesReichstag – ursprünglich die Versammlung der Reichsstände, seit 1495 eine feste Institution der Reichsverfassung. Er war das maßgebliche Gegengewicht der Stände gegenüber der kaiserlichen Zentralgewalt. Seit 1663 tagte der Immerwährende Reichstag als ständiger Gesandtenkongress in Regensburg. ist und ohngefähr 22.000 Menschen enthält. Ich weiß dir wahrhaftig nichts Gutes und Schönes von ihr zu sagen, als daß die Brücke über die Donau sehr massiv ist, und der Teufel sie gebaut hat, und daß ich im Gasthaus zum weißen Lamm vortreflich einquartirt war. Der Wirth ist der artigste und billigste, den ich noch in Deutschland gefunden – Man sollte glauben, die vielen Gesandten müßten die Stadt sehr lebhaft machen. Aber du glaubst nicht, wie da alles todt ist. Wäre der Fürst von Thurn und Taxis, kaiserlicher Prinzipalkommissarius und Reichsobristpostmeister nicht da, so wüßte man gar nicht daß der Reichstag in der Stadt sässe. Aber dieser Herr, dessen Einkünfte sich auf ohngefähr 400.000 Gulden belaufen, giebt Opern, Komödien, Hetzen, Bälle und Feuerwerke. Er ist ein herzguter Mann, der durch sein edles Betragen und seine Großmut seinem Stand, seinem Souverän und seinem Vaterland Ehre macht. Er macht im eigentlichsten Verstand die HonneursHonneurs machen – die Gäste beim Empfang willkommen heißen des Reichstages; denn die übrigen Gesandten der Reichsstände müssen wegen ihres geringen Gehalts sehr eingezogen leben. Viele fahren in Mietkutschen, und die Handelsleute unter der Bürgerschaft beklagen sich sehr, daß sie ihnen das Brot nehmen. Da alles, was an die Gesandten kömmt, zollfrey ist, so machen viele oder doch ihre Bedienten, Kommissionärs und Kaufleute, [ihren Profit darunter; ?] und es mag wirklich wahr seyn, was mir ein angesehener Bürger sagte, daß Regenspurg mehr Schaden als Vortheil von dem Reichstag habe. Auch die Gesandten der grössern Häuser, deren einige [ein ?] ansehnliches Vermögen haben, leben sehr stille. Die fremden Minister reglierenreglieren – es sich so zur Regel machen sich nach diesen, und so kann man viele Wochen in dieser Stadt seyn, ohne von der Versammlung des Reichstages etwas zu spüren. Unter den fremden nimmt sich unser Gesandter durch seine Kenntnisse sehr aus. Nicht nur Er, sondern besonders auch unser Legationssekretär, Herr Herissant, eines Pariser=Buchhändlers Sohn, sind sowohl mit der Verfassung Deutschlands, als auch mit der Litteratur desselben sehr genau bekannt.

Die Geschäfte des Reichstages gehn sehr langsam. Die Partheyen, die sich bey wichtigern Vorfällen bilden und die Eifersucht der grössern Häuser auf ihren gegenseitigen Einfluß, sind hauptsächlich daran Schuld: Denn die Form des Reichstages selbst ist ziemlich einfach. Er besteht aus drey Kollegien, dem kurfürstlichen, fürstlichen und städtischen. Die beyden erstern werden die höhern genannt, ob sie schon vor dem letztern in den gemeinschaftlichen Reichstagssachen nichts wesentliches voraushaben. Alle drey Kollegien versammeln sich in einem Saal, um den kaiserlichen Vortrag zu vernehmen. Hierauf vertheilen sie sich in die 3 Kammern, in deren jeder die Stimmen nach einer vestgesetzten Ordnung gesammelt werden. Die Mehrheit entscheidet sowohl in den 3 besondern Kollegien, als auch in den Resultaten derselben. Sind alle 3 Kammern einig, so wird ein Reichsschluß abgefaßt, und dieser als ein Reichsgutachten dem Kaiser oder dessen Prinzipalkommissar vorgelegt. Wenn ein Kollegium den 2 andern widerspricht, so wird sein Schluß dem Gutachten der 2 andern in der Relation an den Kayser beygeführt. Die Reichsschlüsse werden sogleich vollzogen, und beym Ende eines Reichstages in den Reichsabschied gebracht.

Das KurfürstenkollegiumKurfürstenkollegium – der Reichstag bestand aus drei Fraktionen: 1) Kurfürstenrat unter dem Kur-Erzkanzler (dem Erzbischof von Mainz) mit 8 Personen, 2) Reichsfürstenrat, die Vertretung der weltlichen und geistlichen Fürstentümer mit 100 Sitzen, 3) Städterat, 51 Sitze der Reichsstädte unter der Direktion Regensburgs hat in Betracht der geringen Anzahl von Stimmen, woraus es besteht und die jedem der zwey andern viel zahlreichern Kollegien das Gleichgewicht halten, besonders aber dadurch ein großes Uebergewicht, daß die fünf weltlichen Glieder desselben auch in dem Fürstenkollegium gegen zwanzig Stimmen haben. Seit dem Tod des letztern Kurfürsten von Bayern besteht es nur aus 8 Stimmen, worunter der Kurfürst und Erzbischof von Mainz als der erste aller Reichsstände das Direktorium führt. Es ist nicht entschieden, wer im Fall der Gleichheit der Stimmen den Ausschlag geben solle, und da dieser Fall bey einer so kleinen Anzahl doch oft zu erwarten ist, so hoft man die neunte Kurwürde in dem Haus Würtemberg oder Hessenkassel wieder aufleben zu sehen. Nur die Eifersucht einiger Kurhäuser, daß Oestreich nicht einen Kandidaten in Vorschlag bringen möchte, der sein unzertrennlicher Anhänger sein müßte, steht diesem Entwurf im Weg.

Das Fürstenkollegium zählt in allem 100 Stimmen, worunter 33 geistliche, 61 weltliche und 6 Kollektivstimmen sind. Diese bestehn aus den 2 Bänken der Reichsprälaten und Aebtißinnen, nämlich der schwäbischen und rheinischen, und aus den 4 Kollegien der Reichsgrafen, nämlich dem wetterauischen, schwäbischen, westphälischen und fränkischen. Jedes Grafenkollegium und jede Prälatenbank gilt für eine Fürstenstimme. An der schwäbischen Prälatenstimme haben 20, und an der rheinischen 19 Glieder Antheil. Das wetterauische Grafenkollegium zählt wirklich 10, das schwäbische 20, das fränkische 16 und das westphälische 34 Glieder. Es haben sich viele Grafen und Herren, die in dieser Zahl nicht mitbegriffen sind, von ihren Kollegien abgesondert, weil sie in den Fürstenstand erhoben worden, aber noch keinen Sitz auf dem Reichstag erhalten haben. Andre sind ausgeschlossen worden, und noch andre Grafenstimmen ruhen, weil die Herrschaften, denen sie ankleben, an grössere Häuser gefallen sind, die es nicht des Werths achten, eine Grafenstimme zu führen, welche im Grunde auch äusserst unerheblich ist. – Das Fürstenkollegium hat das Eigne, daß Ein Haus mehrere Stimmen haben kann; so hat der jetzige Kurfürst von Pfalzbayern 7, und sein Nachfolger, der Herzog von Zweibrücken, wird 8 Stimmen haben; der König von Preussen hat fünf und nach Absterben des regierenden Fürsten von Anspach und Bayreuth 7, und der Kurfürst von Braunschweig hat auch 5 Stimmen; weil der Reichs=Fürstenstand nicht auf der Person, sondern auf dem Lande beruht, und Eine Person mehrere Länder besitzen kann, deren jedem der Fürstenstand besonders anklebt. Im Vorsitz des Fürstenkollegiums wechseln Oestreich und Salzburg täglich miteinander ab. Der Erzbischof von Besancon und der König von Sardinien, als Herzog von SavoyenSavoyen – die Landschaft zwischen Genf und Turin beschicken den Reichstag schon seit langer Zeit nicht mehr, und das Fürstenkollegium besteht also wirklich nur aus 98 Stimmen; das Kollegium der Reichsstädte besteht aus 51 Stimmen, und ist in 2 Bänke, nämlich die rheinische und schwäbische, getheilt; jene hat 14 und diese 37 Sitze. Die Stadt, worinn der Reichstag gehalten wird, führt das Direktorium.

Der kaiserliche Hof hat auf alle 3 Kollegien einen sehr grossen Einfluß. In der Kammer der Kurfürsten hat er die 3 Geistlichen fast immer auf seiner Seite, weil sie in neuern Zeiten gemeiniglich seine Kreaturen sind. Er spart weder Geld, noch Drohungen, noch Versprechungen, um die Domherren zu Maynz, Trier und Köln bey der Wahl eines neuen Erzbischofs anstatt des Heiligen Geistes, den sie feyerlich anrufen, zu inspiriren. Ehedem wußte sich unser Hof durch die nämlichen Mittel einen grossen Einfluß auf das deutsche Reich zu verschaffen; aber nun sind ihm durch die Wachsamkeit und Thätigkeit des Wiener=Hofes diese Kanäle auf immer verstopft. Im Fürstenkollegium hat er den nämlichen Vortheil. Fast alle geistliche Fürsten sind seine wahren Söhne. Das DohmkapitelDohmkapitel – das leitende Gremium an einer katholischen Bischofkirche. Es tritt als selbständige juristische Person auf zu Lüttich ist das einzige, das sich in neuern Zeiten bey einer Fürstenwahl gegen den kaiserlichen Einfluß wirksam gesträubt hat. Nebstdem hat dieser Hof seit langer Zeit die Maxime, seine Vasallen in seinen Erblanden, wenn sie irgend nur ein kleines unmittelbares Reichsgut besitzen, zu Fürsten zu machen, und ihnen Sitz und Stimme auf dem Reichstag zu verschaffen. So kamen die von Lobkowitz, Dietrichstein, Schwarzenberg, LichtensteinLichtenstein – s. Acht und zwanzigster Brief, Auersperg und die von Thurn und Taxis, aller Protestationen der alten Fürsten ungeachtet, in den Reichsfürstenrat, bloß um den Einfluß des Hauses Oestreich zu verstärken. Die Herzoge von Aremberg werden zwar unter die alten Fürsten gezählt; aber der größte Theil ihrer Güter liegt auch in den östreichischen Erblanden, und sie hängen fast gänzlich vom Hof zu Wien ab. Mehrere andre der alten Häuser müssen sich wegen der Lage ihrer Länder immer zu Oestreich halten, und so kann man in jedem Fall beynahe die Hälfte aller Fürsten voraus zählen, die immer bereit sind, dem kaiserlichen Vortrag ihr Ja zuzuwerfen – Im Kollegium der Städte herrscht der Kaiser fast uneingeschränkt. Sie sind fast alle im Gedränge ihrer benachbarten mächtigern Mitstände, wo sie des besondern Schutzes des Wiener=Hofes bedörfen, um nicht gänzlich unterdrückt zu werden.

So übermächtig nun auch in diesen Umständen der Einfluß des kaiserlichen Hofes seyn sollte, so wußten die Reichsstände doch noch einen Damm anzubringen, der den Strom desselben sehr oft bricht. MablyMably – Gabriel Bonnot de Mably, franz. Schriftsteller und Historiker † 1785. hat in seinen Bemerkungen über die Geschichte Frankreichs richtig bemerkt, daß, wenn man die Stände des deutschen Reichs als unabhängige Mächte betrachtet, die sich zu ihrer Vertheidigung mit einander verbunden haben, man keine weisern Maaßregeln erdenken könne, als die sie immer ergriffen haben, um ihre Freyheit gegen die innere Vorgewaltigungen sicherzustellen. Die Definition der Verfassung des Reiches: »Sie ist eine durch Gottes Allmacht erhaltene Verwirrung«Fußnote im Original: Est confusio divinitus conservata gilt in so weit, als man, irriger weise, das Reich als einen einzigen selbstständigen Staat ansieht; aber betrachtet man es in dem rechten Gesichtspunkt als eine Sammlung vieler freyer Staaten, die sich in ein gewisses System zusammengethan haben, so erblickt man anstatt der Verwirrung sehr viel Ordnung und anstatt dem blinden Verhängniß viel Klugheit und Vorsicht – Der Damm, wovon ich dir sagte, und den die Reichsstände gegen die große Parthey des kaiserlichen Hofes angelegt haben, ist das Gesetz, «daß die Mehrheit der Stimmen in den Reichskollegien nicht entscheiden solle, wenn es die Religion oder solche Sachen betrift, worin die Stände nicht als Ein Körper betrachtet werden können, oder wo die Katholiken einer, und die Protestanten einer andern Meinung sind« – In diesen Fällen gehn die Kollegien in Theile, und wenn auch ein Theil noch so gering an Zahl ist, so wird sein Schluß doch jenem des zahlreichern Theils gleich gehalten. Bloß die Religion hat zwar diesem Gesetz den Ursprung gegeben, aber in neuern Zeiten wußte auch die Politik guten Gebrauch davon zu machen; und auch den Katholiken, die dem kaiserlichen Hof anhängen mußten, kam es zu gut, daß sich die geringere Zahl der Protestanten dem Kaiser nachdrücklich widersetzen konnte. Seitdem die Macht des Königs von Preussen so erstaunlich gestiegen ist, steht er an der Spitze der protestantischen Parthey, obschon Sachsen eigentlich das Direktorium derselben führt, und er protestirt oft sehr nachdrücklich gegen Dinge, die mit der Religion eben nicht in der engsten Verbindung stehen.

Von München wanderte ich auch nach Inspruck, und noch etwas weiter ins Tyrol, ich will dir aber meine Nachrichten davon bis dahin aufsparen, wo ich sie im Zusammenhang mit den östreichischen Landen besser werde anbringen können, und dieser Brief hat ohnehin schon, wie ich sehe, die gehörige Länge: Also leb wohl.


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