Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Vierter Brief.

Stuttgard den 20. May 1780

Auf den verschiedenen Einfällen, die ich in die benachbarte Staaten des schwäbischen Kreises gethan, machte ich bey weitem nicht die reiche Beute, die ich mir versprochen hatte. Ich sah ein Dutzend Reichsstädte, worinn, der republikanischen Verfassung ungeachtet, kein Fünkchen Gefühl von Freyheit und Vaterlandsliebe auszuspüren ist; die im Gedränge ihrer mächtigeren Nachbarn alle Empfindung von dem Werth der Unabhängigkeit verloren haben; deren Bürger sich ausser ihren Ringmauern schämen ihr Vaterland zu nennen, zu Haus aber die Staatsverfassung des alten Roms in der elendesten Farce vorstellen, und im Ton dieser ehemaligen Weltherrscher auf ihre öffentlichen Gebäude, oder auch wohl gar in ihren Rathsverordnungen schreiben: Senatus Populusque Hallensis, Bopfingensis, Nördlingensis & c.Senatus ... – Senat und Volk von ..., So beginnen die Widmungen auf den römischen Triumphbögen So oft ich das Populus erblickte, fiel mir ein, was einer unserer Landsleute sagte, als von einer Nation die Rede war, die zu Paris die Schuhe puzt: Ca n'est ps une Nation; c'est une f . . . e race.Ca n'est ps ... – Das ist keine Nation; es ist eine verdammte Rasse.

Noch im fünfzehnten Jahrhundert spielten die schwäbischen Reichsstädte eine andre Rolle. Sie hatten unter sich, wie auch mit vielen rheinischen und fränkischen Städten einen Bund, der oft die benachbarten Fürsten zittern machte, und den Kaiser selbst in Verlegenheit setzte , aber eben deßwegen von Karl V. Getrennt ward. Seit dem Ursprung des hanseatischen Sistems war alles Geld aus dem Lande umher in die Städte geflossen. Sie waren der ausschließliche Sitz der Industrie, und diese machte sie zu grossen Unternehmungen aufgelegt. Ihr Geld machte die benachbarten Fürsten und Herren, von denen damals ein guter Theil von Strassenraub lebte, auf eine gewisse Art von ihnen abhängig. Hätte ihnen der kaufmännische Geist, der sie beherrschte, erlaubt, mehr Werth auf Besitzungen grosser Ländereyen zu sezen, so könnten sie jetzt noch etwas von ihrem ehemaligen Glanz behaupten. Mit ihrer damaligen Macht hätten sie viel erobern und mit ihrem Reichtthum viel erkaufen können.

Nun ist alle Hofnung verschwunden, daß sie sich jemals wieder bedeutend machen könnten. Seitdem die Fürsten den Werth der Industrie kennen, und ihr in ihren Ländern freyen Schwung gestatten, hat sie sich nach und nach aus den schwarzen Mauern der Städte, worinn ihr das Zunftsistem, die kleinlechte Politik und die Eifersucht ihrer Mitbürger ohnehin viele Fesseln anlegten, unter den Schutz derselben geflüchtet. Es ist so weit mit ihnen gekommen, daß viele derselben noch ihr kleines Gebiete werden verkaufen müssen, um ihre Schulden bezahlen zu können. In diesem Fall befindet sich unter andern die Stadt Ulm, die mächtigste nach Augspurg im Schwabenlande – Ich hab dir also von den Reichsstädten, die mir zu Gesicht gekommen, nichts merkwürdiges zu sagen, als daß Heilbronn eine sehr reitzende Lage, und HalleHalle – Schwäbisch Hall Salz sie dereien hat, die jährlich ohngefähr 300.000 Gulden reinen Gewinn abwerfen.

Nebst diesen Städten durchlief ich in sehr kurzer Zeit auch ein Dutzend Fürstenthümer, Grafschaften, PrälaturenPrälatur – Amt eines Prälaten u. dgl. m.Fußnote im Original: In der Gegend von Schwaben, die der Herr Verfasser bis hieher gesehen, wüßt' ich eben die Fürstenthümer und Prälaturen nicht dutzendweise aufzutreiben. Doch man muß ihm den Franzosen zu gut halten, ob er es schon weniger als viele andre seiner Landleute ist, welche Bemerkung für viele andre Stellen, wo man die * * ersparen will, gelten soll. D. U., mit deren Namen ich dich nicht schikaniren will. Fast alles Land besteht aus waldigten Bergen und Hügeln und fruchtbaren Thälern, die sehr gut angebaut sind. Diese starke Bevölkerung bey so wenig günstigen Umständen, bey den Erpressungen kleiner Herrn, die ihre Mätressen, ihre Jagdhunde, französischen Köche und wohl auch ein englisches Pferd haben müssen, bey dem Gezerre mit dem Nachbarn, welches durch die verwirrte Verfassung des Reiches ins Unendliche gegezogen wird, bey den geringen Vortheilen, die ein kleiner Staat seinen Einwohnern gewähren kann, bey dem immer anhaltenden Geldverlust, indem der kleine Herr seinen Luxus gröstentheils mit fremden Waaren befriedigen muß. In Betracht alles dessen ward mir diese Bevölkerung eine Art von Wunder.

Alles, was Religion, Sitten, Anhänglichkeit an das Väterliche, Temperament und Nahrungsmittel dazu beytragen mögen, kann den obigen Gegengründen nicht das Gleichgewicht halten. Folgende Betrachtungen schienen mir endlich das Rätsel aufzulösen.

Das Eigenthumsrecht, welches die meisten Bauern in diesen Gegenden zu geniessen haben, würde diese Staaten, die fast bloß vom Ackerbau bestehen, von ihrem Untergang in der Länge nicht retten können; denn die erstaunliche Fruchtbarkeit der hiesigen Weiber müßte mit der Zeit so viele Theilungen der der Güter veranlassen, daß den Erben endlich kaum Raum genug übrig bliebe, daß eine mäßige Auswanderung eine grosse Wohlthat für diese Staaten ist. Unter allen deutschen Völkern wandern die Schwaben am häufigsten aus ihrem Vaterlande, und doch bleibt es immer Eines der bevölkertsten Länder. Die Auswanderer sind größtentheils der Auswurf dieser kleinen Horden; liederliches Gesindel, das sein übriges Eigenthum an einen bessern Wirth um das Reisegeld ins Schlaraffenland überläßt, worinn sie hoffen, ihrer Liederlichkeit besser nachhängen zu können. Der andere Theil derselben besteht aus jungen Bauernsöhnen, die als Handwerker ihr Brod in der Fremde suchen, und wenn sie es gefunden haben, ihre Theilchen am väterlichen Erbe um ein geringes dem ältern Bruder verkaufen, oder durch ihren Tod ihn in den Besitz des Ganzen setzen. Dadurch behalten die Güter immer eine gewisse Verhältnißmäßige Grösse, die zur Erhaltung eines kleinen Bauernstaates unumgänglich nothwendig ist, dem es ist eben so nachtheilig ist, wenn die Besitzungen zu groß sind, welches aber in dem Theil von Schwaben, den ich bisher gesehen, der Fall nicht ist.

Mit diesen kleinen Völkerschaften verhält es sich ganz anderst, als mit grossen Staaten. Die Eingeschränktheit des innern Luxus gestattet hier nicht die unzähligen Arten von Beschäftigungen und Erwerbungsmittel, die in einem grossen Staat die Menschen ins Unendliche vervielfachen lassen. Die Kanäle, wodurch das Geld hier umläuft, sind zu einfach, und die Natur und die Umstände müssen sehr günstig seyn, wenn in einigen dieser Ländchen Manufakturen gedeihen sollen. Die innere Konsumtion ist zu gering; der Absatz in die meisten benachbarten grössern Staaten durch Auflagen auf fremde Waaren erschwert, und die Industrie findet in diesen durch den Schutz mächtigerer Fürsten, durch die stärkere Konsumtion und in der Mannigfaltigkeit der ersten Materien, welche ihr diese grössere Länder liefern, ungleich mehr Vortheile. – Das eigentliche Leben dieser kleinen Staaten ist also bloß der Ackerbau, dessen Zustand ich in Schwaben bewundern muß. Ich behaupte hiemit keineswegs, daß dies Land, so volkreich es auch ist, in seinem bestmöglichen Zustand sey. Es fehlt in Betracht seines natürlichen Reichthums noch viel daran. Ich erkläre dir nur, wie es bey so geringer Aufmunterung das seyn kann, was es ist.

Das meiste zu diesem AnbauAnbau – das Wort wird gesamten Bericht in der Bedeutung »Ackerbau« verwendet und zu dieser Bevölkerung des Landes trägt die Handhabung der Gerechtigkeit und eines gewissen Grades von Polizey bey, die auch in den kleinsten Ländchen und Städtchen, die ich sah, meine Erwartung weit übertraf. Ich bleibe dabey, so sehr man auch bey diesem philosophischen Jahrhundert dagegen schreyt, daß die berüchtigten Przeßformalitäten im Ganzen mehr Gutes als Böses thun. Es ist wahr, der deutsche Prozeß hat beym ersten Anblik eine förchterliche, gothische Gestalt. Er ist mit so vielen Formeln überladen, daß man kaum eine Grundidee davon erkennen kann. Diese machen ihn äusserst schwerfällig, träge, kostbar zu unterhalten u. s. w. Sie öfnen der Schikane den Weg, und fütern eine Menge Advokaten und Prokuratoren, denen es daran gelegen seyn muß, das ganze Land im Streit zu sehn. Allein, dagegen binden sie den Richter wie die Partheyen an eine gewisse kalte Ordnung, die der täuschenden Redekunst, den willkürlichen eingriffen, den gewaltthätigen Leidenschaften und den augenblicklichen Launen wenig Zugang gestattet. Durch diesen Zwang werden Richter und Partheyen in eine gewisse Gleichheit gesetzt, fühlen sich abhängig, und können deßwegen ihr eigenes Selbst nicht so leicht geltend machen, als bey unserer einfacheren und dem Anschein nach philosophischeren Gerichtsform. Realisire man uns nur die Ideale von guten Richtern, die uns die hochweise Herren vordeklamiren. Gebe man uns die SokratenSokrates – griech. Philosoph, † v. C. 399 zu Dutzenden her, die Kopf und Herz, guten Willen und Thätigkeit, Uebung und Wärme, Enthaltsamkeit und eine immer gleiche Anstrengung besitzen, und wir wollen ihnen von Herzen gerne die Richterstüle einräumen und alle lästige Formalitäten wegschaffen. Aber solange diese Halbgötter auf unserer Erde selten bleiben, so lange die Philosophie mehr eine Sache des Kopfes als des Herzens ist, und so lange die Eigenliebe der Tyranney selbst eine philosophische Schminke geben und das Gewissen durch Trugschlüsse betäuben kann,sollten wir uns keine andre Richter wünschen, als deren Eigenmächtigkeit so viel als möglich eingeschränkt ist, und die nicht für jeden einzeln Fall Gesetzgeber, sondern nur nach einer gewissen Form Ausleger der Gesetze sind.

Uebrigens kann die deutsche Gerichtsform viel von ihrer schrecklichen Rüstung verlieren, ohne eben diesen Zweck zu verfehlen; aber ich kann unmöglich meine Stimme dazu geben, wie der gordische Knoten aufgelöset werden sollen. Verschiedene deutsche Fürsten haben sich als Philosophen zeigen wollen, und Hand an diese Formalitäten gelegt. Wenn es doch leichter wäre, den goldnen Mittelweg zu treffen!

In diesen kleinen Staaten hört man wenig von Unterdrückung einzelner Personen. Man hat sogar häufige Beyspiele, daß diese kleinen Herren von ihrem eignen Rath in Privatstreitigkeiten nach aller Rechtsform verfällt werden. Die Despotie dieser Souveränchen spielt mehr auf das Ganze, und die Last wird also durch die Vertheilung leichter. Eine gewisse Redlichkeit, deren Gefühl bey einzeln offenbaren Gewaltthätigkeiten erwacht, ist immer noch Sitte unter ihnen. Nur im Punkte der Jagdgerechtigkeit pflegen sie öfters auszuschweifen und der Menschlichkeit zu nahe zu treten. Uebrigens begnügen sie sich, wenn sie und ihre Pferde und Hunde wohl gefütert werden. Der deutsche, jovialische Humor, der sie beherrscht, sichert die Unterthanen der meisten dieser Herren gegen die stürmische, ausgelassene und gränzenlose Gewaltthätigkeiten, die unter einem andern Himmel, z. B. in Spanien, Italien Frankreich u. a. bey einer ähnlichen Staatsverfassung nothwendig erfolgen müßten. Auch sucht der jetzige Kayser sein Recht mehr geltend zu machen, als seine Vorfahrer. Die Fürsten, welche nicht mächtig genug sind, der Exekution zu trotzen, dürfen ihre Unterthanen nicht auf das äusserste treiben. Vor wenig Jahren wurde den Unterthanen eines schwäbischen Fürsten , der sie aus ihren Besitzungen vertreiben und dieselbe seinen Hirschen und Schweinen einräumen wollte, von Wien aus Hülfe verschaft.

Das Kriminalgericht könnte in diesen Gegenden vor allem einige Veränderungen leiden. Man foltert noch, und köpft und hängt und rädert und spießt wohl auch noch pünktlich nach der KarolinaKarolina – Constitutio Criminalis Carolina, auch peinliche Halsgerichtsordnung (Strafprozeßordnung) Karls V. genannt. 1530 vom Reichstag in Augsburg beschlossen. Es ist auch noch nicht gar lange her, daß man Hexen verbrannte. Aber dazu kömmt es eben itzt nicht mehr. Lebe wohl.


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