Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorrede

Der in Nürnberg angefangene Nachdruck dieser Briefe, hat gegenwärtige Auflage veranlaset.

Die gerechtesten Klagen, über Eingriffe in das Eigenthum eines Verlegers, drangen bis izo noch nicht in die Ohren einiger Fürsten Deutschlands. Nur unter dem Titel: Commerz und Industrie zu begünstigen, werden Nachdrücke geduldet, mit Privilegien begnadigt!! –

So nun werden die Verleger der Originaldrücke genöthigt, zu Sicherung ihres, in den meisten Fällen theuer erkauften Eigenthums, alle nur möglichen Mittel vorzukehren. Dabey aber erleidet er immer Schaden, und das unschuldige Publikum mit ihm. Eine umgearbeitete, neue und wohlfeilere Ausgabe eines Buches, ist Abwürdigung der vorhergegangenen Edition. Also Unrecht gegen diejenigen, welche schon einmahl gekauft haben, aber durch erlittenes, von eingeschlaffener Justiz geduldet und befördertes Unrecht. –

Es bleibt also dem Verleger dieser Briefe weiter nichts übrig: als, diese Schuld und die Klage des leydenden Publikums von sich abzulehnen; und das Publikum zu bitten, um seines eigenen Vortheils willen, Hand von allen Nachdrücken abzuziehen. Der etwas geringere Preiß eines Nachdruks hat sein Wesen in der schlechtern Beschaffenheit des Papieres und des Drucks, und sehr oft ist der Fall wie izo: Daß eine Neue, verbeßerte und wohlfeilere Ausgabe des Originals, alles vorhergegangene unnütz machet. –

An den Leser.

Lieber Landsmann!

Seitdem ich ausser den Gränzen unsers weiten Reiches bin, ist alles, was auf unser Vaterland Bezug hat, doppelt interessant für mich. In der Fremde vergißt man mehr, daß man ein Rheinländer, ein Sachse, ein Bayer u. s. w. ist, und fühlt dann erst recht, daß man ein Deutscher ist. Eine andere Ursache, warum mir unsere Mutterrede überhaupt immer desto heiliger wird, je weiter ich mich von ihr entferne, ist, daß ich nirgends so viel gutes sehe, oder zu sehn glaube.

Bloß diese warme Theilnehmung an allem, was auf unser Vaterland einigen Bezug hat, verleitet mich, an einem meiner hiesigen Freunde ein kleines Schelmenstük zu begehen. Es ist ohngefähr das nämliche, welches Leßing durch die Uebersetzung des Jahrhunderts von Ludwig dem Vierzehnten an Voltärean Voltäre begangen – 1751 erschien in Berlin Voltaires Buch »Siecle de Louis XIV« begangen hat.

Der Verfasser dieser Briefe ist der Bruder meines Freundes. Dieser gab mir die Briefe einzeln, so wie er sie von der Post empfieng, aber bloß zum Lesen. Er wollte sie druken, aber erst von seinem Bruder, der wirklich in England ist, nach dessen Zurükkunft überlesen und nöthigenfalls ausbessern lassen. Ich benutzte diese Gelegenheit, um dir, lieber Landsmann oder noch liebere Landsmännin, diese Briefe noch früher in die Hände zu spielen, als sie das französische Publikum zu sehen bekömmt, welches allem Anschein nach wenigstens noch ein halbes Jahr darauf warten muß.

Wenn du bedenkst, daß ich die einzelne Originalbriefe nur sehr kurze Zeit in Händen hatte, über Hals und Kopf übersetzen mußte, und ohne Zweifel mit dem Original noch wichtige Verbesserungen werden vorgenommen werden, so wirst du mir die Nachläßigkeit des Stils hie und da leicht zu gut halten, und das, was du mit dem Original mit der Zeit nicht übereinstimmend findest, nicht geradezu für Auslassungen oder Unterschiebungen erklären. Ich glaube getan zu haben, was ich in der Zeit und in den Umständen tun konnte.

Es kann seyn, daß meine Uebersetzung Vorteile über das Original erhält; denn vielleicht findet der Franzose seine Bemerkungen hie und da zu frey, und beschneidet seine Briefe; oder die Zensur nimmt vielleicht diese Operation mit denselben vor. Vielleicht werden sie um ein beträchtliches abgekürzt, weil man viele Sachen für das ganze französische Publikum nicht interessant findet, die es doch für das Deutsche sind. Vielleicht – doch das läßt sich erst bestimmen, wenn das Original erscheint.

Eine Menge Komplimente an die Nanette und andere Leute; Nachrichten, die sich bloß auf den Bruder des Verfassers und seinen Zirkel beziehn, Adressen u. dgl. m. hab' ich weggelassen, weil sie dich nicht intereßiren können. Ich wollte dir nichts, als das reine Zeugnis eines Ausländers über den Zustand unsers Vaterlandes in die Hände liefern.

Ohne Zweifel bist du sehr neugierig zu wissen, wer eigentlich der Verfasser sey. Nennen darf ich dir ihn nicht; denn du weißt, daß einige unserer Fürsten ein wenig kitzlicht sind, und lange Arme haben. Du erinnerst dich vielleicht eines französischen Marquis, der mit seinem Ränzchen auf dem Rücken ganz Deutschland durchzog, und von dem einige Briefe im deutschen Museum standen. Es ist nichts natürlicher, als daß du auf den Einfall kömmst, du habest nun mit einigen Veränderungen die ganze Sammlung der Briefe dieses Marquis in Händen, die das deutsche Museum nicht fortsetzen durfte, weil sie irgendwo Bauchgrimmen erregte. Allein, du betrügst dich, denn es ist nicht nur erweislich, daß besagte Briefe im Museum unterschoben, und nichts weniger als das Werk eines französischen Marquis waren; sondern es findet sich zwischen dem Ton, den Absichten und den Datums dieses Marquis und meines Originals ein sehr merklicher Unterschied, der dir von selbst auffallen wird, wenn du dir die Mühe nimmst, beyde mit einander zu vergleichen.

Der Verfasser dieser Briefe ist einer von denen, die man vor einigen Jahren hier TurgotistenTurgotisten – Anne Robert Jaques Turgot, franz. Staatsmann und Ökonom, † 1781 nennte. Diese waren Leutchen, die sich mit Staatsreformen abgaben, und einen schreklichen Lärmen von Simplificierung der Finanzsisteme, Bevölkerung, Ackerbau, Industrie, politischen Tabellen und Berechnungen, und kurz von allen Dingen erhoben, die in vielen deutschen Ländern schon seit langer Zeit im Gang sind; aber hier erst unter Turgot Theorie wurden. Diese Herrchen bildeten eine Sekte, welche die Schwärmerey so weit trieb, als irgend eine Religionsparthey. Sie fielen die ganze französische Regierungsverwaltung mit einer unbeschreiblichen Wut an, und da dieselbe, wie bekannt, so verworren als der gordische Knoten oder irgend ein andrer Knaul ist, so hieben sie, wie eben so viele Alexanders, mit den Säbeln zu, um hernach aus den Stücken ein so ordentliches Statsgewebe zu machen, als des Königs von Preussen seines ist. St. GermainSt. Germain – s. Acht und fünfzigster Brief., welcher zu gleicher Zeit auch aus der französischen Armee eine preussische machen wollte, stand mit diesen Turgotisten im Bund, und feuerte durch seine Hitze den herrschenden Reformationsgeist noch an.

Ein ächter Turgonist muß auch ein Encyclopädist seyn. Sie umfaßten nicht nur das ganze weite Feld der Staatsverwaltung, sondern zogen auch alles, was nur auf die bürgerliche Industrie Bezug hat, in ihre Sphäre. Es fehlte wenig, daß sie nicht dem Schuster den Leist zu einem tüchtigen Schuh, und dem Schneider das Muster zu einem Kleid, comme il fautcomme il faut – wie es sich gehört, zugeschnitten hätten.

Wenn dir also, lieber Landsmann, oder liebe Landsmännin, Stellen aufstossen, wo du glaubst, das französische Herrchen stecke seine Nase in Dinge, die es hätte unberührt lassen sollen, oder es hüpfe auf den Zehen über die Oberfläche mancher Dinge weg, wo es vesten Fuß hätte setzen sollen, oder es deklamire à la Francoiseà la francoise – auf französische Art, wo es nach deutscher Art Tatsachen hätte anführen sollen; so thust du nicht wohl daran, wenn du dich darüber ärgerst. Lachen mußt du, und es recht lebhaft fühlen, daß dein Vaterland zu groß und zu erhaben ist, als daß es von einem encyclopädischen Turgotisten, oder einem Kleinmeister mit einem warmen Kopf beleidigt werden könnte.

Ich bin gar nicht in Abrede, daß der Stellen, wo du in diesen Fall kommen wirst, nicht ziemlich viel seyen; allein, ich müßte mich sehr betrügen, wenn du mir am Ende des Buches nicht selbst gestehest, daß der guten, interessanten, und mit dem Stempel der Wahrheit geprägten Stellen nicht noch mehr seyen. Der Franzose plazt mit seinen Bemerkungen gerade heraus, und hat, meines geringen Erachtens, so wenig Partheylichkeit, daß er oft das Sprüchwort bestätigt: Kinder und N – & . . . Du wirst ihm auch einen naiven Beobachtungsgeist, eine ziemliche Dosis allgemeine Weltkenntniß, Gutherzigkeit, und wo nicht gründliche, doch mannichfaltige und nützliche Kenntnisse nicht ganz absprechen können. Es ist auch keiner von der grossen Zahl seiner Landsleuthe, die sich in der sogenannten grossen Welt zu Paris, auf dem sechsten Stokwerk, ihren eignen Maaßstab zur Bestimmung aller Dinge hienieden geschnizelt haben, und von welchen MontagneMontagne – Michel Eyquem de Montaigne, begründete ab 1580 mit »Les Essais« die literarische Gattung des Essays in den nämlichen Kapitel seiner Essais, woraus das Motto des Titelblatts genommen ist, sagt: Nous avons la veue racourcie à la longueur de nostre nez.Nous avons la ... – Wir haben den Blick auf die Länge unserer Nase verkürzt.

Unser Author scheint wirklich sein Augenmaß durch mannichfaltiges Beobachten, noch ehe er deutschen Grund und Boden betrat, verbessert zu haben, und gleich in den 2 ersten Briefen sieht man, daß er lange nicht so sehr Franzos ist, als man von ihm und seines gleichen erwarten sollte. Er darf immer auf den Titel eines Weltbürgers einigen Anspruch machen. –

So eben schikt mir sein Bruder einen Brief von ihm aus London, woraus ich in Eil folgende Stelle übersetze:

»Gegen dein Vorhaben, meine Briefe über Deutschland drucken zu lassen, hab' ich eben nichts einzuwenden, nur mußt du mich dieselbe ausbessern lassen; denn ich hab' hie und da Unrichtigkeiten entdeckt, und was noch mehr ist die Wahrheit sieht an manchen Orten zu nakt da, und ich muß ihr wenigstens um die pudendapudenda – Geschlechtsteile ein Blatt von gehöriger Breite, oder sonst etwas vorhängen. Du wirst auch leicht begreiffen, daß es etwas anders ist, für das Publikum, als an seinen Bruder zu schreiben, und ich hätte wegen verschiedenen Nachläßigkeiten mehr die Wuth der deutschen Journalisten, die das ausgelassenste und unbändigste Volk von der Welt sind, als die Kritik unserer Landleute zu befürchten, die doch noch moresmores – gute Sitte haben. Ohne Zweifel werden sie die Briefe bald übersetzen; denn es sind immerfort bey ihnen einige hundert Hände beschäftigt, andre Nationen zu plündern, so daß man glauben sollte, Deutschland lebe bloß vom Raub. Sie sind so unverschämt, daß sie sogar aus ihrer Sprache in die unsrige übersetzen und ich kann ihnen gewiß nicht entgehn. So wenig man auch von ihrem Geschrey bey uns hören mag, so geh' ich doch gerne einem groben und besoffenen Mann in der größten Ferne aus dem Weg, wenn ich auch noch so sicher seyn sollte, daß er mir nicht den Hut vom Kopf schlagen, oder mich gar im Angesicht ehrbarer Leute bespeyen kann. Der ekelhafte Anblik allein ist für mich Beweggrund genug, auf meine Retirade bey Zeiten bedacht zu seyn.«

Wie das Männchen nicht um sich haut! Wenn jemand aus Rüksicht auf einen andern einen Fehler an sich verbessert, so ist es gewiß eher Hochachtung und Ehrfurcht, als Verachtung und Abscheu, und wenn die deutschen Journalisten die Wirkung auf Schriftsteller haben, daß diese behutsamer werden, so sind sie immer sehr nützliche Leute, und wenn auch noch so viele mit groben und schmutzigen Händen unter ihnen seyn sollten.

Uebrigens glaub' ich, daß der Verfasser seine Reise durch Deutschland nicht bloß zu seinem Vergnügen und zur Erweiterung seiner eigenen Kenntnisse, sondern auf Anrathen irgend eines Hofmannes unternommen hat. Turgot fiel schon auf den Einfall, zum Behuf seiner Projekte und Reformen Leute auf Reisen zu schicken, und noch jezt ist es für junge Herren bey dem hiesigen Ministerium eine grosse Empfelung, wenn sie über das Justitz= Finanz= Industrie= und Militarwesen andrer Länder etwas zu sagen wissen.

In [ich] bin &

K. R.

Paris, fouburg St. Michel. Rue d' Enfers,vis à vis du Noviciat des Feuillans, did lesAnges, Decemb. 18. 1782.


 << zurück weiter >>