Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neun und zwanzigster Brief.

Wien –

Der hiesige Hof hat verschiedene kostbare Sammlungen, die er alle das Publikum soviel als möglich geniessen läßt. Das kaiserliche Münzkabinet hat in Europa wenig seinesgleichen. Die Zahl der antiken Münzen beläuft sich auf 22.000 Stück. Jene der neuern Münzen ist ungleich grösser und kostbarer. Die vollständige Sammlung aller Münzen und Medaillen von Karl dem Grossen bis auf unsere Zeiten macht einen besondern, und in Rücksicht auf die Geschichte des Mittelalters, unschätzbaren Theil dieses Kabinets aus. Es war zwar einiger Vorrath von Karl VI. da; aber die Sammlung hat doch ihre Existenz eigentlich dem Kaiser Franz zu danken, der unsägliche Summen darauf verwandte und sie zu seiner Lieblingsunterhaltung machte. Von den mechanischen, physischen und Naturalien=Sammlungen sage ich dir nichts, als daß sie wie alles, was der Hof hat, von jedermann ohne die geringste Beschwerde besichtigt werden können. Die Bibliothek ist ohne Vergleich die wichtigste und gemeinnützigste. Sie ist eine der zahlreichsten in der Welt, und besteht aus mehr als 300.000 Bänden, worunter ohngefähr 12.000 kostbare Handschriften sind. Das Gebäude, worinn sie aufbewahrt wird, ist eins der schönsten in der Stadt, Sie ist alle Tage, die Sonntage ausgenommen, von Morgen bis um 12 Uhr für jedermann offen. Die Liebhaber finden einen geräumigen Saal mit einem langen Tisch und gemächlichen Stülen, nebst Dinte und Papier, um die Bemerkungen aufschreiben zu können, die sie unter dem Lesen allenfalls machen. Ein Sekretär der Bibliothek weißt sie in den Katalogen zurecht, und einige Livreybedienten des Hofes bedienen sie mit dem, was sie fodern, auf den Wink. Im Winter ist der Saal geheitzt, und man hat ein besonderes Gestelle neben der Thüre angebracht, worauf jeder das Buch, welches er ganz durchlesen will, an einen bestimmten Ort jedesmal hinstellen, und des andern Tages finden kann. Wenn ein Liebhaber auch das ganze Jahr hindurch ununterbrochen die Bibliothek besucht, so wird doch keinem Bedienten einfallen, ein Trinkgeld von ihm zu erwarten. Kurz, dieß Institut spricht mehr als jedes andre von der edeln und gemeinnützigen Denkensart des Hofes. Ist man einmal mit einem der Bibliothekare bekannt, von denen immer einer in einem Nebenzimmer zugegen ist, so hält es auch nicht so schwer, die verbothenen Bücher zu bekommen, als einige Leuthe wollen glauben machen. Herr Pilati erzählt, man habe ihm gesagt, ohne einen Erlaubnißschein des Erzbischofs bekäme man kein gutes Buch. Man hat ihn irrig belehrt. Ich lese seit einiger Zeit die Geschichte des tridentinischen KonziliumsTridentisches Konzilium – Tridentinum, Konzil (allgemeine Kirchenversammlung) in Triest 1545 – 1563, es bildet den Auftakt zur Gegenreformation. Neben neuen Glaubenssätzen wurden die Gründung von Priesterseminaren, die Aufstellung von Hochaltären, der Wegfall des Lettners und die Bestuhlung des Kirchenraumes beschlossen. Es stellte die Rechtfertigungs- und die Transsubstantiationslehre auf, schuf die Siebenzahl der Sakramente, den Index der verbotenen Bücher und erklärte die Vulgata zur alleingültigen Bibelübersetzung. von Bruder Paolo und habe Machiavells Werke schon durchgelesen, ohne den Herrn Erzbischof um Erlaubnis gefragt zu haben.

Nebst dieser Hofbibliothek giebt es noch verschiedene andere öffentliche Büchersäle. Der Buchhändler von TrattnernBuchhändler von Trattnern – Johann Thomas von Trattner, österreichischer Buchdrucker, Buchhändler und Verleger. Er druckte ohne Erlaubnis Werke von Goethe, Schiller, Wieland u. a. nach und zensierte sie im Sinne eines stinkorthodoxen Katholizismus. † 1798 kam auch auf den Einfall, ein gelehrtes Kafeehaus in seinem grossen Pallast zu errichten. Er versprach den Subskrid[b]enten, alle Zeitungen, alle periodische Schriften und alle fliegenden Brochüren der gangbarsten lebenden Sprachen zu liefern. Vielleicht hätte dieser Plan den ersten Grund zu einer Akademie oder gelehrten Gesellschaft gelegt; allein die Subskribenten sahen bald, daß es mehr auf eine feine Beutelschneiderey als auf ein nützliches Institut hinauslief. Dieser Herr von Trattnern ist überhaupt ein sonderbarer Mann. Er zwingt die Professoren, ihm ihre Manuskripte in Verlag zu geben, und zahlt ihnen keinen Kreutzer dafür. Als Hofbuchhändler behauptet er das Recht dazu zu haben, und die Gunst der Kaiserin, die er sich auf eine unbegreifliche Art erwerben konnte, machte ihn zu einem kleinen Tyrannen aller hiesigen Buchhändler und Gelehrten. Bey dem grossen Ton, den er affektirt, schämt er sich nicht zu den niederträchtigsten Kniffen seine Zuflucht zu nehmen. Er druckt mit kaiserlichem Privilegium hier Bücher nach, die mit kaiserlichem Privilegium in andern Provinzen Deutschlands gedrukt werden. Man sagte mir, er habe sogar die Kaiserin bereden können, der Verlag eines noch so gängigen Buches wäre für den Buchhändler kein Gewinn, und man müsse ihm einen Theil der Druckkosten vergüten, welches die gute Monarchin auch bey einigen Werken, deren Druck sie befördern wollte, gethan haben soll. So sehr er der Kaiserin auf einer Seite schmeichelt, so ungehorsam ist er ihr auf der andern. Durch ihn kommen die meisten verbothenen Bücher in die Stadt. Wenn du es ihm theuer genug bezahlest, so kannst du die Academie des Dames,Academie des Dames – eine Buchreihe erotischer Literatur mit erotisch-pornographischen Zeichnungen den Dom B*****,Dom B***** – Histoire de Dom B***, Portier des Chartreux, eine erotisch-pornographische Novelle, unter gleichem Namen kursierten auch einschlägige Illustrationen. die Pucelle d'Orléans,Pucelle d'Orleans – La Pucelle d'Orleans, Poeme Heroi-Comique, en dix-huit chants, eine Parodie auf das Thema der Jungfrau von Orleans von Voltaire, ein scharfer Angriff auf Wunder- und Vorsehungsglauben und den Jungfrauenkult der Kirche, entstanden um 1730 den Portier des Chartreux und die ganze skandalöse Bibliothek bey ihm haben.

Die Lektüre des hiesigen Publikums überhaupt genommen, ist äusserst fade. Es ist lange nicht wie bey uns, wo man Montesquieus Esprit des Loix,Montesquieu – Charles de Secondat, Baron de Montesquieu, franz. Philosoph. In seinem Buch »Vom Geist der Gesetze« (1748) nennt er die drei möglichen Regierungsformen (Republik, Monarchie, Despotie) und fordert die Dreiteilung und Unabhängigkeit der Gewalten wie in England (Regierung, Parlament, Justiz). † 1755 Voltäres Universalgeschichte, Rousseaus Kontract, socialRousseau – s. Fünf und zwanzigster Brief. und ähnliche Werke in Händen von Leuten findet, die gar keinen Anspruch auf Gelehrsamkeit machen. Hier sind viele Gelehrte, die diese und ähnliche Bücher nicht kennen und die es einigen vom hohen Adel und einigen Offiziers überlassen, sich mit denselben abzugeben. BouffonerienBouffonerie – Spaßhaftigkeit, Schelmerei machen hier ganz allein ihr Glück, und auch der bessere Theil des lesenden Publikums schränkt sich auf Schauspiel, Romanzen, Feenmärchen u. dgl. m. ein. Ich kenne ein ganzes Dutzend junger Gelehrten, wie man diese Kreaturen hier heißt, die ausser der Schule nichts als einige deutsche und französische Dichter gelesen haben. In dem Lesesaal der kaiserlichen Bibliothek macht' ich einigemal einen Tour um den Tisch herum, um den Geschmack der vielen Leser kennen zu lernen. Zwey bis drey von ohngefähr 24 lasen alte Schriftsteller; einer las Sullys Memoires,Sully – Herzog von Sully, franz. Staatsmann, † 1641 und alle übrigen hatten weder mit der Geschichte, noch mit Alten, noch mit sonst etwas zu thun, das einer wirklichen Wissenschaft ähnlich wäre. Dramaturgien, Gesänge, Romanen, und solche Dinge bedeckten den ganzen Tisch. Einige wenige hatten kostbare Werke, aber, wie man deutlich sehen konnte, bloß um mit Besichtigung der Alterthümer von HerculanumHerculanum – Herculaneum, zusammen mit Pompeji 79 vom Vesuv verschüttet oder der florentinischen Sammlungen einige müßige Stunden zuzubringen. Ich sah verschiedene male einige Ungarn am Tische, die mit ihrer Lektüre alle Deutschen beschämten, die zugegen waren. Die liessen sich ihre seltensten vaterländischen Geschichtschreiber geben, und man sah in ihrer Miene, daß sie ihren Verstand mit der Lektüre nährten, und ihr Herz zugleich wärmten. Sollte nicht die Regierungsverfassung etwas beytragen, daß die Hungarn, wie ich ziemlich allgemein bemerkt habe, mehr Vaterlandsliebe haben, und folglich auch mehr auf die Geschichte ihres Vaterlandes achten, als die Oestreicher? Unter diesen hab ich noch keinen auffinden können, der an der Geschichte seines Vaterlandes, einen besondern Geschmack fände.

Auf diese Art ist es sehr begreiflich, daß die meisten Gesellschaften hier, welches mir gleich anfangs auffiel, so todt sind. Die Materie vom Theater ist bald erschöpft, und dann hat man zur Unterhaltung des Gespräches keine Hilfsmittel mehr, als die täglichen Stadtneuigkeiten und schale Bemerkungen darüber. Das Frauenzimmer ist hier allein im Stand, ein gesellschaftliches Gespräch beym Leben zu erhalten. Es sticht durch natürlichen Witz, Lebhaftigkeit und durch mannichfaltige Kenntnisse mit dem hiesigen Mannsvolk erstaunlich stark ab. Ich hab hier in 3 bis 4 ansehnlichen Häusern Bekanntschaft, worin die Herren in den ersten 5 Minuten am Ende von allem sind, was sie zu sprechen wissen; und ohne Galanterien einzumischen, finde ich bey ihren Weibern und Töchtern eine unerschöpfliche Quelle von lebhaftem Gespräche. Es ist wahr, oft wird der Faden des Gesprächs blos durch die natürliche Neugierde des Frauenzimmers fortgesponnen; aber alle Fragen, welche die Neugierde sie thun läßt, verrathen schon einige Bekanntschaft mit dem Gegenstand, worauf sie sich beziehn, oder wenigstens mit dem Gegentheil davon, und sie sammeln dadurch einen Fonds zu neuen Bemerkungen und zur Unterstützung eines neuen Gesprächs. Eben diese Neugierde fehlt den Männern, die überhaupt zu stumpf sind, und zu wenig von allem dem haben, was dem Geist einen Schwung giebt.

Das hiesige Frauenzimmer ist schön und stark von Wuchs; nimmt sich aber weder durch eine vorzügliche Gesichtsbildung, noch durch eine schöne Farbe aus. Es ist frey und lebhaft in seinen Gebehrden, seinem Gang und seinem Gespräche. Es ist gesetzter, männlicher und entschlossener als das von Paris, aber nicht so heroisch als das von London. Ich kann dir keinen bessern Begriff von ihm geben, als wenn ich dir sage; es ist das Mittel zwischen den Engländerinnen und Französinnen. Grosse Schönheiten sieht man hier wenig; aber auch wenig starke Karrikaturen. In der Winterkleidung, die es nun schon seit dem Anfang Oktobers trägt, hat es unsere Landsmänninnen noch nicht nachgeahmt. Diese läßt ihm ungemein schön, und besteht in einer mit kostbarem Pelz ausgeschlagenen, und bis auf die Füsse reichenden Polonaise. Da sich diese Kleidung mit keinen hohen PoschenPosche – Hüfttasche verträgt, am Oberleib geschlossen ist und auf den Untertheil nachläßig genug fällt, um seine Umrisse und Bewegungen sehen zu lassen, so hat sie wirklich etwas von der Simplizität eines griechischen Gewandes. Ein Zug von Andächteley, welcher dem hiesigen Frauenzimmer eigen ist, ist mit einer gewissen Empfindsamkeit des Herzens verwebt, und der Liebe, Freundschaft und Wohlthätigkeit eher zuträglich als nachtheilig. Moore hat diesen Zug richtig bemerkt; aber nichts setzt ihn in ein helleres Licht, als wenn eine Dame in einem Kloster Messen bestellt und zu gleicher Zeit den Armen Almosen giebt, damit Gott ihren Wunsch erfülle, und ihren kranken CicisbeoCicisbeo – vom Ehemann akzeptierter Liebhaber einer Frau bald gesund werden lasse. Das Cicisbeat steht hier auf dem nämlichen Fuß wie in Italien. Unter den Grossen erhält es sich durch den einmal angenommenen Geschmack; die von der untersten Klasse suchen Geld dadurch zu verdienen, und bloß ein Theil des Mittelstandes, nämlich die Fabrikanten und Kaufleute, kennen die eheliche Eifersucht. Es gab hier vor einigen Jahren einen seltsamen Auftritt. Einer vom hohen Adel besuchte einigemal eine Kaufmannsfrau. Den Mann jukte es auf der Stirne, und als der Kavalier einst bey seiner Frau anklopfte, schlich er sich auf die Seite, und ließ alle seine Bedienten mit großen brennenden Fackeln sich auf die Treppe stellen. Er gieng sodann ins Zimmer, und sagte dem Kavalier, die Bedienten warteten mit Lichtern auf ihn, er möchte sie nicht lange warten lassen. Dieser war in der größten Verlegenheit von der Welt; aber der Kaufmann half ihm bald heraus; nahm ihn beym Arm und führte ihn sehr zeremonisch die Treppe herunter bis an die Thüre; die Bedienten schritten mit den Fakeln voraus; und ob es schon heller Mittag war, leuchteten sie doch bis mitten auf die Strasse. Der Kaufmann blieb unter der Thüre stehn, machte Bücklinge über Bücklinge, und indem er sich so laut, als er schreyen konnte, dem Herrn gehorsamst empfahl, nannte er zugleich seinen Namen. Das zuschauende Publikum brauchte zur Erklärung dieses Auftrittes nichts, als den Namen des Kavaliers zu hören, denn die ganze Stadt wußte, daß er selten in einer andern Absicht in ein Bürgerhaus gieng, als um dem Hausherrn Hörner aufzusetzen.

Die Wohllust schweift hier selten ins Abscheuliche und Unnatürliche aus. Ich kenne zwar einen jungen Menschen vom Niederrhein, den eine Dame aus dem Fenster zu sich rief, und den es bald reute, daß er dem Wink gefolgt war. Er fand die Dame mit ihrer Tochter im Schlafgemach, und beyde fiengen ein heftiges Gezänke an, welcher er zu Theil werden sollte. Der gute Mensch suchte die Thüre wieder, aber beyde hiengen sich mit wohllüstiger Wuth an ihn. Er mußte endlich den Vertrag eingehn, daß er wechselsweis eine nach der andern bedienen wollte. Er erfüllte seinen Vertrag so heldenmäßig, daß man ihm grosse Versprechungen machte, wann er wieder kommen wollte, welches er nicht für gut fand. Allein, diese Dame und ihre Tochter waren, wie der junge Mensch selbst glaubte, allem Anschein nach Fremde.

Ohne zu bedenken, daß jede grosse Stadt zum Genuß des sinnlichen Vergnügens reizt, so ist hier der etwas unmäßige Genuß unter allen grossen Städten in Europa am leichtesten zu entschuldigen. Die Wollust hat hier mehr Nahrung, als an irgend einem andern Ort. Die Zahl der ganz Armen ist hier nach dem Verhältniß ungleich kleiner als zu Paris, und vielleicht auch geringer als zu London. Alles, sogar die Kleidung der geringsten Dienstmagd, spricht von einem hohen Wohlstand. Die Verschwendung des grossen Adels, die vielen und starken Besoldungen des Hofes, und die ausgebreitete Handlung der Bürgerschaft befördern den Umlauf des Geldes ungemein. Man schätzt die Summe des in der Stadt beständig zirkulierenden Geldes auf 12 Millionen Kaisergulden, oder auf ohngefähr 31 Millionen Livres. Der Erwerb ist leichter als irgend anderstwo, und Wien ist vielleicht der einzige Ort, wo der Preis der Lebensmittel mit der Masse des zirkulierenden Geldes in gar keinem Verhältnis steht. Die Fruchtbarkeit und der Geldmangel des benachbarten Hungarns ist die Ursache davon. Man hat hier trinkbaren Wein um 6 Kreuzer die Maaß, und um 12 Kreuzer ein gutes Mittagessen. Es ist ein Wirth hier, welcher um 13 Kreuzer eine Tafel giebt, die aus Suppe, Zugemüß mit einer Beylage von Karbonnaden,Karbonnade – Karbonade: Frikadelle Würsten, oder gebraten Leber und Rindfleisch besteht; 1 Schoppen Wein und das nöthige Brod mitgerechnet. Hier könnte der Homme à quarante écusHomme à ... – Name eines Romans von Voltaire (Der Mann mit den vierzig Talern) wirklich bestehen; aber wenn er mehr als 40 Thaler hätte, so ist die Versuchung, mehr zu verthun, zu stark, als daß er seiner Oekonomie getreu bleiben könnte. Je mehr die Natur giebt, desto mehr Bedürfnisse macht sich der Mensch, und hier ist sie gegen ihre Kinder wirklich so verschwenderisch, daß sie es auch werden müssen. Die unmäßig große Anzahl der reichbesoldeten Hofbedienten, der zahlreiche Adel, und die vielen Fremden, die sich bloß des Vergnügens halber hier aufhalten, wissen von keiner bessern Beschäftigung, als ihrem Vergnügen nachzuhängen. Reichthum, Müßiggang und die Freygebigkeit der Natur müssen ein Volk wohllüstig machen, dessen Religion ohnehin das Gegentheil von aller FrugalitätFrugalität – Einfachheit, Bescheidenheit ist und dessen Regierung die Schnellkraft seines Geistes auf keine andre Gegenstände zu lenken weiß.

Die Handlung der Stadt ist sehr blühend. Lange wußte sie die Vortheile nicht zu benutzen, welche ihr die Natur darboth, und ob sie schon einen der grösten Flüsse beherrscht, der bis auf etliche und 70 deutsche Meilen aufwärts schiffbar ist, und ihr abwärts einen Weg bis ins Schwarze Meer und die LevanteLevante – der östliche Mittelmeerraum öffnet, so lag doch bis unter die vorige Regierung aller Handlungsgeist darnieder. Karl der Sechste that zwar zur Aufnahme des Handels und der Industrie sein Mögliches; aber so glücklich auch seine Unternehmungen in verschiedenen andern Provinzen waren, so unglücklich waren seine Entwürfe für das Erzherzogthum Oestreich und die Hauptstadt. Der hiesige Adel hielt die Kaufleute für eine Gattung aus dem Thierreich. Die Jesuiten hielten die Protestanten, die in der Folge das meiste für die hiesige Handlung thaten, entfernt, oder unterdrückten sie, wenn sie sich eingeschlichen hatten und empor kommen wollten. Der Hof war voll Schulden, und seine Kasse war für öffentliche Fonds und zur Unterstützung der thätigen und denkenden Partikularen zu schwach. Es fehlte bey Hof und unter dem Publikum an Kredit. Kaiser Franz fieng an, die Finanzen auf einen soliden Fuß zu setzen. Er war selbst Kaufmann, und der Adel gewöhnte sich nach und nach, den industriösen Theil des Publikums mit weniger Verachtung anzusehen. Man fieng an, die reichern Handelsleute zu adeln; und so einen schlimmen Begriff es Einem von der hiesigen Sinnesart geben mag, so war doch dieser Kunstgriff, die Eitelkeit der Grossen zu demüthigen und jene der Kleinern zu privilegiren, in einem Lande nothwendig, wo Verdienst, Tugend, Ehre und alles, was zwischen den Menschen einigen Unterscheid macht, in den Wörtchen Edler und von einbegriffen war. Das Beyspiel des jetzigen Kaisers von Popularität wirkt noch mehr zur Tilgung dieses so schädlichen Vorurtheils. Wo es nur möglich ist, dem Stolz seines Adels einen schlimmen Streich zu spielen, unterläßt er es gewiß nicht. Er führt Künstler und Kaufleute von Verdienst bey der Hand in die ersten Gesellschaften. Die Herren, deren ganzer Werth auf dem politischen Aberglauben an einen Stern und an ein Band beruht, verziehen wohl den Mund und die Nase bey der Erscheinung eines Plebejers unter ihnen, und lassen es auch an Witzeleyen nicht fehlen, um ihn fühlen zu lassen, daß er aus seiner Welt in eine höhere getretten ist. Allein, ein Wort des Monarchen entwaffnet ihren Hohn, und je mehr sie sich sträuben, desto mehr Mühe giebt er sich, ihren erbärmlichen Stolz in die Enge zu treiben. Man sagte mir, er habe vor einigen Jahren zu Prag eine Bürgersfrau in eine adeliche Gesellschaft geführt. Die Damen machten erstaunlich grosse Augen; aber der Kaiser, welcher es bemerkte, suchte sie in noch grössere Verlegenheit zu setzen, und machte mit der Bürgersfrau den ersten und einzigen Tanz.

Mit allem dem wäre die Handlung nie hier blühend geworden, wenn nicht die Fremden das Meiste dazu beygetragen und die Ketzer etwas mehr Freyheit gefunden hätten, als man ihnen zu der Zeit gestattete, wo der Beichtvater des Regenten der Direktorialminister von allen Departements und die Politik des hiesigen Hofes ein Spiel der Jesuiten war. Die Leichtigkeit, womit so viele Familien grosses Glück machen konnten, ist ein offenbarer und auffallender Beweis, wie sehr sie den Eingebohrnen an Verstand und Thätigkeit überlegen waren. Der Hofbanquier, Baron von Fries,Baron von Fries – Johann Graf von Fries, Industrieller und Bankier, prägte den Maria-Theresia-Taler, † 1785 ein Mühlhauser von Geburt, konnte ohne beträchtliche Fonds in einer fast ungläublich kurzen Zeit zu einem der ansehnlichsten Wechsler von Europa werden. Er ist ein Mann von ohngefähr 4 Millionen Kaisergulden. Die meisten der vornehmsten Handelsleuthe und Fabrikanten sind aus Schwaben, Franken, Sachsen und andern Gegenden Deutschlands. Die Bürger von Nürnberg, Augspurg, Ulm, Lindau und andern Städten, die mit schwachen und immer mehr abnehmenden Kräften gegen ihren Untergang kämpfen und wo der abscheulichste Despotismus unter der Maske der Freyheit herrscht, fanden hier ungleich mehr Vortheile, die ihnen sowohl die Natur als die Regierung darboth, als in ihren schwindsüchtigen Vaterstädten. Die meisten machten ihr Glück durch Verstand, Fleiß und besonders durch eine sparsame Lebensart, wodurch sie bey ihrer Niederlassung vor den so verschwenderischen Eingebohrnen zur Aufnahme ihres Gewerbes erstaunlich viel voraus hatten. Auch Triest mußten die Fremden, und besonders die Protestanten blühend machen.

Nun ist zwar die hiesige Handlung noch lange nicht das, was sie seyn könnte; allein sie ist im Gang zu ihrer Grösse, und macht Riesenschritte. Die Fabriken mehren sich von Jahr zu Jahr. Man zählt hier schon einige hundert Seidenweberstüle und macht Sammet, Grosdetours,Grosdetours – Gros de Tours, ein starker Seidenstoff halb- und ganz seidne Zeuge, und besonders eine erstaunliche Menge Strümpfe und Saktücher.Saktücher – Sacktücher: Taschentücher Auch die Plüsch- und Kottonmanufakturen sind sehr beträchtlich, und der Handel mit inländischen und hungarischen Weinen, mit böhmischem und mährischem Leinwand, der über Triest nach Italien, Spanien, Portugall und in die Türkey verführt wird, mit rohem und verarbeitetem Eisen, Stal und Kupfer, mit Leder, Porzellän und verschiedenen andern Artikeln beträgt einige Millionen. Von dem Handel der gesammten östreichischen Lande werd' ich dir ein andermal Nachricht geben.

Der Hof geht in seiner Ermunterung zur Handlung so weit, daß er einen ansehnlichen Fonds bereit hält, woraus unternehmende und einsichtige Partikularen unterstützt werden. Nach Gutbefinden der zu diesem Zweck niedergesetzten Kommißion streckt man denselben sehr beträchtliche Summen vor, wovon sie in 5 == 6 bis 10 Jahren keine Interessen,Interessen – Zinsen und dann stufenweis 1 == 2 bis 3 Prozent zu zahlen haben. Wenn einmal die Zucht der Eingebohrnen gebessert seyn wird, und das sollte man nach den grossen Erziehungsanstalten in der nächsten Generation erwarten, so fehlt es dem industriosen Theil der Einwohner auch zu den größten Unternehmungen nicht an Geld. Der reiche Adel wird, anstatt wie jetzt auf seine Schulden stolz zu seyn, lieber mit einem klugen Bürger in Gesellschaft treten, und anstatt die verderblichen Küchenzettel täglich in die Hand zu nehmen, lieber sich jährlich einmahl die Rechnung von seinem Gewinnst von dem Kaufmann oder Fabrikanten vorlegen lassen. Das Mark des Landes, welches der Adel und die Klöster an sich ziehn, wird dann nicht mehr ein Raub von nichtswürdigen Bedienten und Müßiggängern werden, sondern sich in den Händen kluger und thätiger Bürger zum Besten des Staates mehren. Der grosse englische Adel schämt sich der Handlung nicht, und dadurch wird der Ertrag seiner Güter, so wie auch jener des ganzen Staates, verdoppelt. Das nämliche Geld, welches er aus seinen Herrschaften zieht, läuft erst durch eine Handlungskasse, bekömmt vom Auslande Zuwachs, mehrt die Masse des Nationalvermögens, und ist dann, wenn es in seine häusliche Kasse zurückkömmt, aus einem Bach ein Strom geworden. Der größte Theil des hiesigen Nationalvermögens, welches ursprünglich ungleich ansehnlicher, als das von England ist, wird vom innern Luxus verschlungen, noch ehe es von aussen Zufluß erhalten kann. Ein guter Theil davon fließt auch gerade von der Quelle ins Ausland aus, und ist für den Staat unwiederbringlich verloren. Es fehlt hier noch, woran es gemeiniglich zu fehlen pflegt, an den einfachsten Besserungsmitteln. So lange dem Adel durch eine frugalere und gemeinnützigere Erziehung nicht bessere Grundsätze beygebracht werden, so werden alle Entwürfe des Hofes zur Aufnahme der Handlung und Industrie nur Flikwerk sein. Die walonischen und italiänischen Abbes und die französischen Kammermädchen sind die Leute nicht, die dem Staat, anstatt stolzer Verschwender nützliche Bürger liefern können.

So eben breitet sich ein trauriges Gerüchte durch die Stadt aus. Die Kaiserin kam vor einigen Tagen von einer Spazierfahrt unpäßlich zurück, und nun soll diese Unpäßlichkeit zu einer gefährlichen Krankheit geworden seyn. Die Aerzte beförchten eine starke Brustentzündung, welche hier, bey den heftigen Wetterveränderungen immer die gewöhnliche Krankheit ist. Ich hoffe meinen nächsten Brief freudiger anfangen zu können, als ich diesen schliessen muß. Lebe wohl.


 << zurück weiter >>