Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Sechs und dreysigster Brief.

Wien –

Allgemach fängt der Kaiser an, etwas von dem Plan sehen zu lassen, den er so lange in seinem Busen verschlossen tragen mußte. Du hast nicht von mir zu erwarten, daß ich dir von den Verordnungen, die schon erschienen sind, oder noch erscheinen werden, umständliche Rechenschaft geben solle. Ich denke nächste Woche von hier wegzureisen, und du bekömmst sie geschwinder und vollständiger durch die Zeitungen, als ich sie dir auf meinen Reisen zuschreiben könnte. Freylich ist unsere züchtige Gazette de France der Kanal nicht, Euch Sachen von der Art zufliessen zu lassen. Sie ist zu eng dazu. Sie wird Euch gar umständlich erzählen, wie der Kaiser an dem oder jenem Tag in die Kirche, auf die Jagd oder ins Konzert gegangen, wie er sich die Hand küssen lassen, und welchen Rok oder Ueberrok er an dem oder jenem Ort getragen. Aber daß er Toleranzgesetze macht, Klöster aufhebt, den Pabst beschneidet u. dgl. m. davon weiß sie nichts. Sie mag unsere KleriseyKlerisey – der Klerus durch solche Nachrichten kein Bauchgrimmen machen. Unterdessen habt ihr noch andere Kanäle genug, das reine Wasser an Euch zu ziehn, während daß die Hofzeitung ewig das Vehiculum für allen Schlamm bleibt.

Allgemeine Toleranz, Unabhängigkeit der östreichischen Staaten von allem fremden Einfluß und Tribut, Vertilgung des Mönchswesens, Umschaffung der Geistlichen zu Dienern des Staates, Aufhebung der Leibeigenschaft, Beschneidung der schädlichen Vorrechte des Adels, Säuberung der Dikasterien, Vereinfachung der Staatsverwaltung, eine allgemeine und strenge Oekonomie, Verbesserung der Justiz, Beförderung der Philosophie und Industrie, Verbreitung des Gefühls der Freyheit und Vaterlandsliebe, Aufmunterung des Verdienstes – Alles das wird von Joseph mit einem Eifer und einer Beharrlichkeit ausgeführt werden, wodurch Oestreich zum Erstaunen der Welt in kurzer Zeit zu einem der blühendsten und mächtigsten Reiche werden muß.

Und was wird aus der Kunst, fragst du? – Giebts auch Akademien des Inskriptions et belles Lettres?Akademien ... – in Frankreich wurde die bestehende Akademie im Jahre 1716 in »Académie royale des inscriptions et belles-lettres« umbenannt Arkadische Gesellschaften?Arkadische Gesellschaften – Arkadien war bei den Dichtern ein Synonym für Freiheit und Schönheit, hier im Sinne von Schöngeistiger Gesellschaft zu verstehen Mahler= und Bildhauer=Akademien? Ohne Zweifel. Von der letzten Art ist schon lange eine da, und auch zur Bildung einer von der ersten Art fehlt es hier an tüchtigen Subjekten so wenig, als zu Paris. Es wären Leute genug da, die Zeit und Talente genug haben, einander periodisch die unsinnigsten Komplimente vorzulesen; Komplote zu machen, um die fadeste Broschüre, deren Verfasser sie an den Fußsohlen kitzelt, in die Höhe zu bringen, und einen Schriftsteller von Verdienst, der einem von ihnen auf die Zehen tritt, zu unterdrücken. Es fehlt hier auch nicht an Leuten, die geschickt genug sind, dem abgedroschendsten Gedanken einen Strich von Neuheit zu geben, und unverschämt genug, verunstaltete Uebersetzungen für ihre Geburten auszugeben. Noch vor 8 oder 10 Jahren wurden die meisten neuen englischen und französischen Theaterstücke für Originale hiesiger Dichter verkauft – Allein, zu allem dem wird der Kaiser schwerlich einen Kreutzer hergeben. Er weiß sein Geld besser zu gebrauchen, und ich wünsche, man hätte auch bey Uns die Kosten mancher Akademie an etwas anders verwendet, und sollte es auch bloß auf Kloaken gewesen seyn, um den Koth besser wegzuräumen, der aus den angefüllten EgoutsEgout – Abwasserkanal einen so förchterlichen Gestank macht, und dadurch schon Leute erstickt hat.

Ich sehe, Bruder, wie du hier die Nase rümpfest. Ich weiß, du lebst und webst in deiner Bellettristerey,Bellettristerey – Belletristik; schöngeistige Literatur und bedauerst uns andern, daß wir Barbaren genug sind, dem göttlichen Kunstwesen nicht zu opfern. Ich erinnere mich aller der Vorwürfe, die du mir über meine Stumpfheit, Kälte, oder wie du es sonst nenntest, gemacht hast, so oft dir ein schönes Epigramm, eine lebhafte poetische Schilderey, ein guter Kupferstich, eine Zeichnung von einer Meisterhand, oder was ähnliches auffiel, und ich keinen Theil an deiner Entzückung nahm. Aber, lieber Bruder; jeder Mensch hat seinen eignen und verschiedenen Standpunkt, die Dinge dieser Erde zu betrachten, und da ich – aus Hochachtung für deine Lieblingsbeschäftigungen – mir die Mühe nahm, dir von der deutschen Theater= und Dichterwelt schon manche Nachricht zu geben, und dir auch verspreche, in dem Norden von Deutschland, den ich nun bald betreten werde, noch viele Nahrung für dein Steckenpferd aufzusuchen, so wirst du es mir doch nicht übel nehmen, wenn ich dir zur Rechtfertigung meines Geschmaks etwas sage, ohne dir ihn eben aufdringen zu wollen?

Sage mit, lieber Bruder, ist es nicht eine Wahrheit, welche durch die ganze Geschichte bestätigt wird, daß die Kunst= und Witz=Epoche bey jedem Volk unmittelbar vor seinem Fall vorausgieng? Ich will dir diese Bemerkung nicht von den Griechen an bis zu uns weitläufig aus der Geschichte herleiten. Du wirst dich der vortreflichen Note erinnern, die ein Tyroler Mönch über eine Stelle des KolumellaKolumella – Lucius Iunius Moderatus Columella, römischer Schriftsteller, schrieb ein mehrbändiges Werk über Landwirtschaft, Garten- und Obstbau, † 70 gemacht, und dem Verfasser der Voyages en differens pays de l'EuropeVoyages en ... – Reisen in verschiedene Länder Europas vorgelesen hat. Sie enthält die wichtigsten Zeugnisse der Geschichte, daß ein Staat, worin die blos belustigenden Wissenschaften und Künste herrschend und der vorzüglichste Weg sind, zu Glück und Ehre zu gelangen, seinem Fall nahe ist. Du hast Recht, daß die Schuld nicht an diesen Wissenschaften und Künsten selbst liegt. Allein wenn sie bey einer Nation ein gewisses Uebergewicht über die andern Beschäftigungen des Geistes gewinnen, so müssen sie Folgen nach sich ziehn, die dem Staat verderblich sind. Frivolität, Weichlichkeit, Verschwendung, Vernachläßigung mühsamer Untersuchungen und Anstalten; Scheinliebe, schlechte Beurtheilung in der Wahl der Diener des Staates, eine eitle und unzweckmäßige Verschönerungssucht, u. s. w. sind nothwendige Folgen derselben, wenn sie bis zum Misbrauch – der so gar nahe an den guten Gebrauch gränzt – aufgemuntert werden – Und was tragen sie dann zum wahren Glück der Menschen bey? Sind sie etwas mehr, als ein schöner Traum? Wie vergänglich war nicht bey allen Nationen die Witzepoche! Da kam gemeiniglich ein ganz unliterarisches Volk, wekte sie aus dem schönen Traum mit Faustschlägen auf, und noch ehe sie ihn ganz aus den Augen gerieben hatten, waren sie gefesselt – Wie lang ist es seit KorneilleKorneille – Pierre Corneille, franz. Dramatiker, »Le Cid« 1637, † 1681 und RacineRacine – Jean Racine, franz. Dramatiker, schrieb Dramen über griech. Mythologie, † 1699 her? Und schon erschöpft!

Nicht als wenn ich den Werken des Genies allen Beyfall versagen, und sie unbelohnt lassen wollte. Ich wünsche nur, daß man nicht durch zu grosse Freygebigkeit das Unverdienst mit dem Verdienst vermenge, die Nachäfferey begünstige, die sich bey der Annäherung der Literaturepoche wie eine Seuche unter dem Volk auszubreiten pflegt, und dadurch das Gleichgewicht zwischen den nützlichen und blos ergötzenden Wissenschaften und Künsten zum Vortheil der letzteren hebe. Ich bin überzeugt, der Kaiser wird dem Dichter, Maler, und jedem Künstler von wirklichem Verdienst Gerechtigkeit widerfahren, und ihn nicht unbelohnt lassen. Allein ungleich mehr Aufmunterung würde der Akerbau, die bürgerliche Industrie, die Bestrebung des Philosophen zur Verbesserung der Staatsverwaltung, der praktische Mathematiker und Physiker, in so weit sie mit der bürgerlichen Industrie in Verbindung stehn, und alle die Wissenschaften und Künste, die etwas zum dauerhaften Wohl des Staats beytragen, von ihm zu erwarten haben. Und kannst du ihm das übel nehmen? Sein Hof wird schwerlich der von August werden, wo ein Dichter 4.000. Louisdor unseres Geldes Pension hatte, indessen er seinen ehemaligen Soldaten den Sold schuldig blieb. Aber Oestreich tritt nun in die glücklichen Zeiten von Heinrich dem Vierten, wo es sich zu fühlen beginnt; wo der Grund zum Nationalreichthum gelegt, die bürgerliche Freyheit und Ruhe gegen die Eingriffe der Pfaffen und des Adels gesichert, und das Gleichgewicht zwischen den Ständen des Staats hergestellt wird; wo man die schönen Künste und Wissenschaften, der Natur gemäß, bloß zur Erhohlung treibt, und nicht mehr auf sie verwendet, als ein kluger ökonomischer Hausvater nach dem Verhältniß seines Vermögens für sein Vergnügen zu opfern pflegt, und wo sich diese Künste und Wissenschaften eben deswegen, weil man sie ihrer Natur gemäß behandelt, doch viel besser befinden werden, als wenn man sie durch zu grosse Freygebigkeit verzärtelte, und durch übertriebne Aufmunterung ihnen einen Anhang von Buben verschafte, der sie wie feile Gassendirnen behandelt. So bald die Kunst eine Art von Brodgewinn ist, ist es, glaub' ich, um die Meisterstücke geschehen, und wenn sie gar, wie bey uns eine Art von Zunft, und zwar die zahlreichste bildet, so sind gewiß die meisten Glieder dieser Zunft Affen. Wie selten sind nicht die Urgenies! Und läßt sich Voltäres Geist auch mit einem Preiß von Millionen wieder zum Leben erwecken?

Verzeih mir diese Ausschweifung, die nicht so sehr ein Hieb auf dein Steckenpferd, als vielmehr ein Ausbruch der Hochachtung für den Kaiser war, den ich dadurch in deinen Augen rechtfertigen wollte. Ich weiß es; ganz verzeihen wirst du es ihm nicht, daß er so sparsam gegen die schönen Künste ist; allein denke dir Bruder, er legt in Landstädten Gelder zu 10 und 20 tausend Louisdor an, womit Leute, die ein nützliches Gewerbe treiben, unterstützt werden, und wovon jeder, der irgend eine Manufaktur etabliren will, Vorschüsse zu ganz unbedeutenden Prozenten, und auch ohne alle Interessen haben kann! Er thut den Kolonisten, die sich in seinem Lande niederlassen wollen, auf alle Art Vorschub; er läßt Strassen, Dörfer, Städte und Haven bauen, und hat eine Armee von wenigstens 300.000 Mann zu unterhalten. Soll er diesen Aufwand einschränken, und dafür eine Academie des Inscriptions et belles lettresAcademie des ... – Akademie für Literatur und die schönen Wissenschaften errichten?

Vielleicht thut er mit der Zeit etwas für deine Göttinnen, wenn einmal alle Hofschulden getilgt, seine Finanzen völlig in Ordnung, und die Klöster verdünnert seyn werden. Seine Hofschulden lassen sich zwar mit den unsrigen nicht vergleichen; betragen aber doch ohngefähr 160 Millionen Gulden, und es werden jährlich gegen 18 Millionen an Interessen und an Kapital bezahlt. Die liegenden Güter aller Klöster und Stifter in den kaiserlichen Erblanden werden auf 300 Millionen Gulden geschätzt, wovon beynahe die Hälfte auf die Niederlande und die Lombardey kömmt. Vielleicht erben die Musen mit der Zeit etwas von diesem ungeheuern Vermögen.

Leb wohl.


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