Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Sechster Brief.

Augsburg –

Nachdem ich die Gegenden des Bodensees in der Runde besichtigt, trat ich meine Reise von Lindau hieher an, und kam durch einige verfallene Reichsstädte, die das Reich um Nachlaß ihres Kontingents bitten müssen, und wirklich Dörfer geworden sind. Memmingen nimmt sich unter ihnen sehr aus. Es hat einige Manufakturen, und sieht wirklich einer Stadt etwas ähnlich. Von diesem Städtchen kam mir der Auszug einer Kronik zu handen, der so altweiberisch wie alle Kroniken kleiner Städte lautet, woraus ich dir aber einige Stellen mittheilen muß, weil sie den Karakter des Volks schildern.

Im Jahr 1448 gieng in den Schenken der Stadt der Wein aus. Der Rath schickte eine feyerliche Deputation an den Necker, um dieß dringende Bedürfniß seiner Unterthanen zu verschaffen. Als die Wagen mit Wein im Anzug waren, gieng ihnen die Bürgerschaft in einer Prozeßion mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen entgegen, und es wurde auch ein öffentliches Freudenfeuer angestellt ...

Im Jahr 1449 entstand am St. Gallentage in der Martinskirche wegen den Bethstühlen eine Uneinigkeit unter den Weibern, die in der Kirche selbst eine grosse Schlägerey unter denselben veranlaßte. Die Geistlichkeit meinte, man müsse nun die entheiligte Kirche von neuem einweihen; aber der Rat widersetzte sich mit allem Nachdruck: weil es nur Weiber gewesen wären ... Beyde Schilderungen haben noch ihren Wert; denn der Schwabe hat noch die nämliche Verehrung für den Wein und die nämliche SuperioritätSuperiorität – Überlegenheit, Übergewicht über sein Weib.

Nebst diesen kam ich durch unzälige Graf= und Herrschaften, worunter die Güter der Grafen Truchsesse und Fugger die beträchtlichsten sind, und wohl Fürstenthümer seyn könnten, wenn sie nicht unter so viele Nebenäste der Familie zertheilt wären.

Der ganze Strich vom Bodensee hieher ist lange nicht so schön gebaut als der untere Theil des Schwabenlandes. Auch in der sittlichen Kultur ist er weit unter diesem. In der Bildung der Menschen ist der Unterschied auffallend. Die Einwohner dieser Gegend haben soviel Eckigtes und Schiefes in ihren Gebehrden, daß es einem eckelt. Die Natur hat aber selbst auch viel weniger für sie gethan, als für ihre Nachbarn. Der ganze Strich ist eine Ebene, die nur von einer Reihe waldigter Hügel zwischen Lindau und Leutkirchen unterbrochen wird, und das Land ist also bloß zum Ackerbau bequem, dahingegen im Unterschwaben das Gemische der Berge, Hügel und Thäler zu einer mannichfaltigern Kultur Anlaß giebt.

Was vollends zum Verderben dieser Gegend gereicht, ist die Zerstückung in so viele, gar zu kleine Herrschaften, und daß mehrere Besitzer derselben an grossen Höfen leben, und also das Geld aus dem Lande ziehn. Man hat nicht nöthig zu fragen, ob der Herr des Gutes an Ort und Stelle residirt. Man sieht es augenscheinlich auf den Gesichtern der Unterthanen und der Verwilderung des Landes. Während daß der Herr am Hofe mit der Beute seiner Unterthanen glänzt, sind diese den Bedrückungen raubgieriger Beamten unterworfen, die gemeiniglich in wenigen Jahren so viel zusammenzubringen wissen, daß sie freywillig abdanken und dann selbst Herren spielen können.

Wenn nicht so ungeheure Verschwendung und so lächerliche Titelsucht unter dem großen deutschen Adel Mode wäre, wenn er mehr Geschmack an Wissenschaften und Künsten hätte, wenn er ein besseres Vergnügen als das an Pferden, prächtigen Wagen, vielen Bedienten u. dgl. kennte, wenn er etwas mehr als einen steifen Rücken, gezwungene Stellung der Füße, eine gute Art, sein Geld zu verspielen, das elendeste Jargon und gewisse Krankheiten aus FrankreichKrankheiten aus Frankreich – die Syphilis, auch Franzosenkrankheit oder kurz Franzose genannt zu holen wüßte, so könnte er die glücklichste Klasse von Erdensöhnen seyn. Fast ganz unabhängig, wie er ist, könnte er im weitesten Verstande der Schöpfer des Glückes seiner Unterthanen und von ihnen angebethet werden. Aber dafür scheint der grosse Haufen der BaronsFußnote im Original: Man braucht wohl nicht anzumerken, daß zu Paris jeder Deutsche Kavalier, wenn er auch Graf ist, Baron heißt. D. U. kein Gefühl zu haben. Die Natur rächt es. Durch ihre dumme Verschwendung an den Höfen werden ihre Güter verschuldet und die Quellen versiegen nach und nach.

Das berühmte Augspurg ist das lange nicht mehr, was es war. Es gibt hier nun keine Fugger und WelserFugger und Welser – Augsburger Patriziergeschlechter, die als reiche Handelshäuser im Mittelalter eine große Rolle spielten. Beide im 17. Jahrhundert untergegangen, die Fugger als Folge des Dreißigjährigen Krieges, die Welser infolge der Staatsbankerotte in ihren Schuldnerländern mehr, die den Kaysern Millionen vorschiessen können. In dieser großen und schönen Stadt, die unter den deutschen Handelsstädten in der ersten Reihe steht, sind nicht über 6. Häuser zu finden, die über 200.000, und keine 15 die 100.000 Gulden Vermögen hätten. Der grosse Schwarm der hiesigen Kaufleute, wovon ein guter Theil Karossen haben muß, schleppt sich mit einem Kapitälchen von 30 bis 40.000 Gulden herum, macht den Krämer, Mäkler und Kommißär, und die nun einmahl gängige Gewerbart macht ihn zur Anlegung von Fabricken zu träge. Einige wenige Häuser thun etwas in Wechselgeschäften und der Weg durch Tyrol und Graubündten veranlaßt hier einigen Gegenhandel zwischen Italien und Deutschland.

Nach diesen Krämern und Mäklern sind die Kupferstecher, Bilderschnitzer und Maler der ansehnlichste Theil der beschäftigten Einwohner. Ihre Produkten aber sind der Pendant zur Nürnberger QuinquaillerieQuinquaillerie – Spielzeug und Kunstgewerbe. Es gab immer einige Leute von Talent unter ihnen; da sie aber bey den kleinen Versuchen für die Kunst nie ihre Rechnung fanden, so mußten sie bey den Kapuziner=Arbeiten bleiben, um nicht zu verhungern. Sie versehen fast das ganze katholische Deutschland mit Bilderchen für die Gebetbücher und zur Auszierung der Bürgerhäuser. Für die Kunst ist der hiesige Himmel sehr ungünstig. Der Baron füttert lieber Pferde und Hunde und einen Schwarm Bedienten, deren Narr er gemeiniglich ist, als Künstler, und wenn er auf Geheiß der Mode der Kunst ein Opfer bringen muß, so hat er keinen Glauben an das Talent seiner Landleute. Da er selten selbst Geschmack und Einsichten hat, so folgt er gewöhnlich in seiner Wahl dem blinden Ruf fremder Künstler und läßt das Verdienst in seinem Vaterland darben. Es scheint in andern Gegenden Deutschlands hierinn nicht viel besser zu seyn; denn MengsMengs – Anton Raphael Mengs, deutscher Maler, Schöpfer des großen Altargemäldes der katholischen Hofkirche in Dresden, † 1779, WinkelmannWinkelmann – Johann Joachim Winckelmann, deutscher Archäologe und Kunsthistoriker, Begründer der wissenschaftlichen Archäologie, † 1768 (ermordet), Gluck, HasseHasse – Johann Adolph Hasse, deutscher Komponist, wirkte lange in Dresden, später in Wien und Venedig, † 1783, Händel und viele andre mußten erst von Ausländern in Ruf gebracht werden, ehe man in Deutschland ihre Verdienste anerkannte.

Es hat sich zwar unter dem Schutz des Magistrates hier eine Künstlerakademie zusammengethan, die aber, so wie ihre Patronen, keinen höhern Zweck zu haben scheint, als unter dem Namen von Künstlern gute Handwerksleute zu bilden, und die Manufakturen der Stadt im Gang zu erhalten. Der Rath geht seit einiger Zeit mit vielen ähnlichen Entwürfen zur Beförderung der Industrie schwanger, und wie ich an jeder patriotischen Empfindung Theil nehme, so konnte ich denselben anfangs meinen Beyfall nicht versagen. Aber wie ärgerlich war es mir zu sehen, daß diese Entwürfe, zum Theil von den Regenten der Stadt selbst wieder vereitelt werden!

Der Grund dieses wiedersinnigen Betragens liegt zum Theil in der Regierungsform. Die Patrizier, welche nebst einem Ausschuß der Kaufleuthe die Stadt aristokratisch beherrschen, können es nicht verdauen, daß der Plebejer durch die Mittel, die er sich durch seinen Fleiß erwirbt, das Haupt über sie empor haben soll. Sie hassen und verfolgen den Fleiß ihrer Werkstätte aus einer elenden Eifersucht, und sprechen ihm in der Rathstube aus affektiertemaffektiert – gekünstelt, eingebildet Patriotisme das Wort. Ein gewisser Schülin, welcher durch eine beträchtliche KottonfabrikKottonfabrik – Kotton: Baumwollgewebe sein Glück gemacht, ist ein trauriges Beispiel davon. Mit den Millionen, die er sich durch seinen Fleiß erworben, kann er wohl prächtiger leben, als die Patrizier mit ihren leeren Titteln, und deßwegen ist er der unsinnigsten Verfolgung ausgesetzt.

Der Hauptgrund dieser erbärmlichen Politick ligt in der Verderbtheit des Ganzen. Neun Zehntheile der Einwohner sind das infamste Kanaille, das man sich denken kann, das immer bereit ist, sich selbst auf das erste Signal aus Religionshaß zu erwürgen, das den Arbeitslohn einer Woche richtig auf den Sonntag in die Bierschenke trägt, und an die Größe seiner Vorfahrer nicht eher denkt, als wenn das Bier in seinem Kopfe gährt – Ich hätte dir schon lange sagen sollen, daß die Regierung gemischt und zur Hälfte katholisch und lutherisch ist. Im Ganzen mögen die Katholiken zahlreicher seyn als die Protestanten – Es ist platterdings unmöglich, alles Lächerliche, was hier der Religionshaß erzeugt, in einer Satyre zu erschöpfen. Täglich hast du einen neuen unerwarteten Auftritt zu erwarten, der dich lachen und fluchen macht. Es kann kein Spinngewebe an einem öffentlichen Gebäude weggeräumt werden, ohne daß sich die Religion ins Spiel mische. Die Katholiken, welche natürlicher weise erhitzter sind als die Protestanten, halten sich einen sogenannten Kontroversprediger, der zu gewissen Zeiten die eine Hälfte von Augspurg lachen und die andere rasen macht. Der, welcher jezt diese Rolle spielt, ist ein Jesuit und der beste Hannswurst, den ich von seiner Art gesehen – Die tiefe Armuth und Liederlichkeit des Pöbels macht ihn gegen die Rechte unempfindlich, die er der ursprünglichen Verfassung gemäß behaupten sollte. Die Aristokraten wären so übermächtig nicht, wenn das Volk mehr Sinn und Gefühl für seine eigentliche Konstitution hätte. Aber die Freyheit der meisten hiesigen Bürger ist so wohlfeil, als die Jungferschaften ihrer Töchter, welche die hiesigen Dohmherren, deren Pfründen ohngefähr 2.000 Gulden eintragen, jährlich duzendweis kaufen.

Das übrige Zehntheil der Einwohner besteht aus einigen Patrizier=Familien, unter denen es sehr artige Leute giebt, aus einem Dutzend Kaufleuthe, einigen Künstlern und der Geistlichkeit. Unter diesen herrscht aber zu viel dumme Verschwendung, welcher auch der Klügere nicht ganz entsagen darf, weil sie allgemeine Sitte ist, und zu viel Privateifersucht, als daß wahre, wirksame Vaterlandsliebe unter ihnen Wurzel fassen könnte. – In dieser Stadt, die allerdings 3 Stunden im Umfang hat, wohnen kaum 36.000 Menschen, und das ganze eintragende Kapital derselben beträgt schwerlich über 15 Millionen Gulden. – Ihre Abnahme wird von Jahr zu Jahr merklicher, und wenn ihr nicht sehr günstige Umstände zu Hülfe eilen, so enthält sie im künftigen Jahrhundert nichts als einen Haufen Bettler, deren Regenten in den geraubten und mit Flittergold verbrämten Lumpen ihrer Unterthanen paradieren.

Die Stadt ist wirklich schön und das Rathhaus eines der schönsten Gebäude, die ich auf der ganzen Reise hieher gesehen. Der Magistrat läßt sich auch die äussere Verschönerung der Stadt, man sollte glauben, um so mehr angelegen seyn, als die innern Kräfte derselben abnehmen. Die Schminke der ausgedienten Buhlschwester täuscht wohl den vorübergehenden Fremden, aber wer sie am Nachttische besucht – Vor kurzem ließ das Bauamt auf Befehl des Rathes eine Verordnung ergehen, daß die Dachrinnen, welche das Wasser sonst auf die Gassen sprizten und das Pflaster verdarben, an den Häusern herab sollten geführt werden. Eine Gesellschaft von Kaufleuthen protestirte dagegen, und in ihrer Vorstellung an den Rat wurde gesagt: »Die Römer wären eben nicht auf der höchsten Stufe ihrer Grösse gewesen, als der Appische WegAppischer Weg – Via Appia, die wichtigste Straße des Römischen Reiches, sie führte auf einer Länge von 540 km von Rom nach Brindisi an der Ostküste Italiens, heute noch befahrbar gemacht worden« – Ich weiß nicht, ob der KonzipientKonzipient – Verfasser seinen Spaß trieb. Man sagt sonst: Jede Vergleichung hinkt. Neben den Römern sind die Krücken der Augspurger gar zu sichtbar.

Die Stadt bekömmt das Trinkwasser größtentheils aus dem Lech, welcher in einiger Entfernung vorüberfließt. Das Werk, wodurch das Wasser in der Stadt vertheilt wird, ist wirklich bewundernswürdig. Der bayrische Hof kann dieses unentbehrliche Bedürfnis derselben abschneiden, und setzt sie unter Androhung dieser Katastrophe öfters in Kontribution. Er hat nebstdem noch verschiedene Mittel in Händen, den hohen Rath in einer gewissen Abhängigkeit zu erhalten. Um sich gegen die Unterdrückung dieses Hofes sicher zu setzen, sucht die Stadt den Schutz des Wiener Hofes und macht sich auf dieser Seite ebenso abhängig, als auf der ersten, und die Staatskunst des hochweisen Rathes ist also ein Ball, womit beede Höfe unter sich spielen. – Der kayserliche Minister für den schwäbischen Kreis residirt gemeiniglich hier, und versichert seinem Hof einen immerwährenden Einfluß – Es liegen immerfort auch Oestreicher und Preussen auf Werbung hier, und die Partheylichkeit der Stadtregierung für die erstern ist sehr merklich – Im Krieg von 1756Krieg von 1756 – der Siebenjährige Krieg, s. Fünfter Brief war die Bürgerschaft für beide Höfe in zwo gleiche Partheyen getheilt. Die Katholicken betrachteten den Kayser und die Protestanten den König von Preussen als ihren Schutzgott, und bald hätte der Religionshaß hier einen blutigen Bürgerkrieg veranlaßt.

Der BischofBischof – Clemens Wenzeslaus von Sachsen, s. Sieben und sechzigster Brief., welcher sich von dieser Stadt benennt, aber zu Dillingen residirt, hat ohngefähr 200.000 Gulden Einkünfte. Leb wohl.


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