Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Acht und zwanzigster Brief.

Wien –

Der Verfasser der Voyages en différents pays de l'Europe (Herr Pilati) spricht sehr verächtlich von dem deutschen Adel und setzt den neapolitanischen in Betracht des Reichthums weit über denselben. Wenigstens hätte er den hiesigen davon ausnehmen sollen; denn es sind Häuser hier, deren eines mehr Vermögen hat als die 6 reichsten von Neapel, die er nennt. Die ältere Linie des Hauses Lichtenstein, oder der Fürst Franz dieses Namens hat wenigstens 900.000 Kaisergulden oder über 2.300.000 Livres jährlicher Einkünfte. Er besitzt allein in Mähren gegen 20 Herrschaften, deren viele aus 20 bis 30 Dörfern bestehen. Er ist ohne Vergleich der reichste PartikularPartikular – Partikülier: Privatmann in Europa; denn man kann ihn mit allem Recht einen Partikularen heissen, weil die unmittelbaren Reichsherrschaften Vadutz und Schellenberg in Schwaben, die das Haus bloß in der Absicht gekauft hat, um Sitz und Stimme auf dem Reichstag zu haben, im Ganzen nicht in Anschlag kommen. Lord Kavendisch, welcher jetzt für den reichsten Mann in England gehalten wird, hat ohngefähr 80.000 Pfund Sterling jährlicher Einkünfte, die kaum 700.000 Gulden hiesiges Geld ausmachen. Zu Paris kennt man weder unter dem Adel (die Prinzen vom königlichen Geblüt ausgenommen) noch unter den GeneralpächternGeneralpächter – Steuerpächter. Diese haben das Recht der Steuererhebung und zahlen die zu erwartenden Einnahmen im voraus an den Staat. jemand, der über 1.200.000 Livres Revenüen hätte, und die Fürsten Radzivill und Czartoryskin in Polen können sich so wenig als einige rußische Familien mit dem Haus Lichtenstein vergleichen. Der Fürst Esterhazy hat über 600.000 und der Fürst Schwarzenberg über 400.000 Kaisergulden jährlichen Einkommens. Der Häuser von mehr als 100.000 Kaisergulden Renten, oder von ohngefähr 300.000 Livres, welche Herr Pilati als die reichsten zu Neapel angiebt, findet man hier gegen 30, und ohne die obbemeldten wenigstens noch 10, die noch einmal so reich sind. Die Häuser Karl Lichtenstein, Auersberg, Lobkowitz, Paar, Palfy, Kolloredo, Hatzfeldt Schönborn und noch viele andere sind ungleich vermögender als die Herzoge Pignatelli, Matalone und die Fürsten von Palagonia und Villa Franca zu Neapel.

Dieses erstaunlichen Reichthums ungeachtet sind die meisten grossen Häuser mit Schulden beladen. Hier vereinigt man alle Arten des Luxus, die man sonst unter verschiednen Nationen zerstreut findet. Pferde, Bedienten, Tafel, Spiel und Kleidung, alles ist übertrieben. Es sind viele Ställe hier von 50, 60, und mehr Pferden. Wer 50 bis 60tausend Gulden Einkünfte hat, muß wenigstens 24 bis 30 Pferde haben. Ein Haushofmeister, ein Sekretär, 2 Kammerdiener, 2 Läufer, 1 oder 2 Jäger, 2 Köche, 5 bis 6 Laquayen und ein Portier machen die Bedienung jedes mittelmäßigen Hauses aus. Die Häuser Lichtenstein, Esterhazy, Schwarzenberg und einige andere haben wohl gegen 50 Bedienten, die Leibwachen der 2 erstern Fürsten ungerechnet. Man setzt oft nur eine Platte Obst für 60 bis 70 Gulden auf die Tafel, und Graf Palm hatte einst ein Kleid von 70.000 Gulden Werth auf dem Leibe. Ein Schmuck für eine Dame von 30 bis 40tausen Gulden ist hier etwas gemeines, und wenn auch gleich die Hazardspiele verboten sind, so hat man doch häufige Beyspiele, daß einzelne Personen in einem Sitz 15 bis 20tausend Gulden verloren haben.

Prinz R ** n, welcher als französischer Bothschafter hier war, mit dem hiesigen Adel im Aufwand wetteifern wollte, aber viele Schulden hinterließ, sagte bey seiner Abreise: Man verthut sein Geld zu Paris mit mehr Geschmack, aber die Wiener halten länger aus. Es ist wahr, man verthut sein Geld, ohne viel dabey zu geniessen, ohne Geschmack. Viele würden wohl thun, wenn sie die Hälfte ihrer jährlichen Revenuen gerade zum Fenster hinaus würfen, und sich die Leute darum schlagen liessen. Sie machten auf diese Art ihre Bedienten nicht zu Schurken, und genössen ebensoviel dabey. Zu Paris schränkt man sich in manchen Stücken ein; jeder Hausvater von Stande hat seine Art von Oekonomie, auf die er strenge hält und die ihm zur Gewohnheit geworden; man studiert darauf, um sein Geld mit Anstand zu verwenden, und genießt es dann doppelt, weil die Verwendung mit Bewußtseyn, mit Bedachtsamkeit geschieht. Die meisten unserer Familien bringen auch den Armen, der Kunst und oft auch dem Vaterland ihr Scherflein. Man kennt bey uns den geistigen Genuß des Geldes; aber hier wird alles für eitle Pracht, die nicht der Besitzer, sondern allenfalls nur der Zuschauer genießt, und für die Sinnlichkeit verschwendet. Wenn man die darbende Armuth zu Paris neben dem Ueberfluß sieht, so tröstet doch den Menschenfreund wieder die Erinnerung, daß es in der Stadt einen Beaumont und einen Pfarrer von Sulpice giebt, die einen grossen Theil von dem Ueberfluß der Reichen unter die Dürftigsten vertheilen. Aber hier tröstet einen nichts über den traurigen Anblick der alten und oft kranken Armen, die sich im Dunkeln in die Bier= und Kafeehäuser schleichen, um sich für den andern Tag ihr Brod zu betteln, während daß der Grosse öfters auf einer Schüssel so viel auf seine Tafel setzt, daß eine bürgerliche Familie ein Jahr lang davon leben könnte.

Die Kunst genießt vom Reichthum der hiesigen Grossen so wenig als die Armuth. Fast alle ihre Palläste und Gärten verrathen nichts, als eine geschmacklose Verschwendung. Von Sammlungen von Kunstdenkmalen habe ich ausser der lichtensteinischen Gemählde=Galerie in Privathäusern nichts merkwürdiges auffinden können. Diese kann freylich allein für viele Sammlungen von der Art gelten. Sie besteht aus mehr als 600 Stücken von den ersten Meistern und ist in 12 Zimmer vertheilt, die einen herrlichen Anblick darbieten. Man sieht viele Tafeln von Franceschini, Leonardo da Vinci,Leonardo da Vinci – ital. Maler, Bildhauer, Naturforscher und Ingenieur, † 1640 Rubens,Rubens – Peter Paul Rubens, flämischer Maler, † 1640 Guido,Guido – Guido Reni, italien. Maler und Radierer, † 1642 Michael Angelo Caravani,Michael Angelo Caravani – Michelangelo da Caravaggio, ital. Maler, † 1610 Lucca,Lucca – der aus Lucca stammende Pompeo Girolamo Batoni, italien. Maler, † 1787 (?) Castiglione,Castiglione – Giovanni Benedetto Castiglione, italien. Maler, † 1670 Pietro Testa, WeenixWeenix – Jan Weenix, niederländ. Maler, † 1719 und van Dyck.van Dyck – Anthonis van Dyck, flämischer Maler des flämischen Barock, † 1641 Rubens nimmt sich hier vorzüglich aus. Aber das ist auch alles, was man außer dem Hofe in den vielen Pallästen hier sehen kann.

Ich hätte bald einen Zug vergessen, der den hiesigen Aufwand sehr karakterisirt. In einigen Häusern, die nach dem höchsten Ton leben wollen, ist es Sitte, wenn grosse Tafel gegeben wird, in einem Nebenzimmer mehrere Dosen Tartarus Emetikus und LavoirsTartarus Emetikus und Lavoirs – Brechweinstein und Waschbecken bereitzumachen. Die Gäste, welche an der Tafel Blähungen und Unverdaulichkeiten empfinden, nehmen ohne die geringste Bedenklichkeit einen Abtritt, erbrechen sich und fangen dann von neuem an, den Magen zu füllen.

Die Musiken sind das einzige, worinn der Adel Geschmak zeigt. Viele Häuser haben eine besondere Bande Musikanten für sich, und alle öffentlichen Musiken beweisen, daß dieser Theil der Kunst in vorzüglicher Achtung hier steht. Man kann hie 4 bis 5 grosse Orchester zusammenbringen, die alle unvergleichlich sind. Die Zahl der eigentlichen Virtuosen ist geringe; aber was die Orchestermusiken betrift, so kann man schwerlich etwas schöneres in der Welt hören. Ich habe schon gegen 30 bis 40 Instrumente zusammen spielen gehört, und alle geben Einen so richtigen, reinen und bestimmten Ton, daß man glauben sollte, ein einziges übernatürlich starkes Instrument zu hören. Ein Strich belebt alle Violinen und ein Hauch alle blasenden Instrumente. Einem Engländer, neben den ich zu sitzen kam, schien es Wunder, durch eine ganze Oper, ich will nicht sagen, keine Dissonanz, sondern nichts von allem dem zu hören, was sonst irgend ein hastiger Vorgriff, ein etwas zu langes Schleifen oder ein zu starker Griff oder Hauch eines Instruments in starken Orchestern zu veranlassen pflegt. Er war entzückt über die Reinheit und Richtigkeit der Harmonie, und kam doch so eben aus Italien. Es sind gegen 400 Musikanten hier, die sich in gewisse Gesellschaften theilen, und oft viele Jahre lang ungetrennt zusammen arbeiten. Sie sind einander gewohnt, und haben gemeiniglich eine strenge Direktion. Durch die grosse Uebung, und dann durch den Fleiß und die Kaltblütigkeit, welche den Deutschen eigen ist, bringen sie es so weit. An einem gewissen Tag des Jahres geben diese 400 Künstler zusammen ein Konzert zum Besten der Musikantenwittwen. Man versicherte mich, daß dann alle die 400 Instrumente ebenso richtig, deutlich und rein zusammen spielten, als man es von 20 bis 30 hört. Gewiß ist dieses Konzert das einzige von der Art in der Welt.

Eins der schönsten Schauspiele für mich waren in den letzten Sommernächten die sogenannten Limonadehütten. Man schlägt auf den grössern Plätzen der Stadt eine grosses Zelte auf, worinn zur Nachtzeit Limonade geschenkt wird. Einige hundert Stüle stehen oft darum her, und sind mit Damen und Herren besetzt. In einer kleinen Entfernung steht eine starke Bande Musikanten, und die grosse Stille, welche die zahlreichste Versammlung hier zu beobachten pflegt, thut alsdann eine unbeschreiblich gute Wirkung. Die vortrefliche Musik, die feyerliche Stille, das Vertrauliche, welches die Nacht der Gesellschaft einflößt, alles giebt dem Auftritt einen besondern Reiz.

Um die Equipagen von Wien zu sehn, muß man zur Sommerszeit ein Feuerwerk im Prater besuchen. Der Prater ist ein natürlicher Eichen= und Buchenwald, nahe bey der Stadt, auf einer Insel der Donau, auf deren obern Theil die grosse Vorstadt Leopoldstadt liegt. Unfern des Einganges liegen unter dem Schatten der Bäume gegen 30 Hütten zerstreut, mit vielen Bänken und Tischen umher, wo man Essen und Trinken in Ueberfluß haben kann. Der Ort wird täglich stark besucht, ist aber bey einem Feuerwerk besonders merkwürdig. Gegen 12.000 Menschen versammeln sich da nach und nach, und die nehmen im Walde ihr Abendessen. Auf das gegebene Zeichen, wenn die Nacht eingebrochen ist, strömt die Gesellschaft von den Tischen weg auf die ringsum mit hohen Bäumen umgebene Wiese hin, wo das Schauspiel gegeben wird. Ein schönes grosses Amphitheater erhebt sich dem Feuerwerk gerade gegenüber, und ist größtentheils von einigen hundert Damen besetzt, deren hochgeschminkte Wangen, kostbarer Schmuck, und leichte Sommerkleidung im Licht des Feuerwerkes eine besonders gute Wirkung thun. Das Parterre zwischen dem Amphitheater und den Maschinen ist dicht mit Mannsleuten angefüllt. Der merkwürdigste Auftritt folget nach dem Beschluß des Feuerwerkes. Ein Zug von 12 bis 15hundert Kutschen, PirutschenPirutsche – auch Birutsche: ein leichter, halbgedeckter Wagen und allen Gattungen Fuhrwerkes gehet aus dem Walde in die Stadt in einer so geraden und gedrängten Linie, daß, wenn er sich manchmal unter dem Thore stopft, die Deichseln der hintern Wagen mitten auf die Kasten der vordern stossen, und da man nicht anderst als im stärksten Trott oder Gallopp fährt, so wird mancher Wagen auf diese Art durchstossen, und die darinn sitzenden Personen auf das vordere Fenster geworfen. Die meisten sind herrschaftliche Equipagen mit 4 bis 6 Pferden, deren Anzahl überhaupt sich hier auf ohngefähr 3.500 beläuft. Der Fiaker sind gegen 560, und der Stadtlohnwägen gegen 300. Die letztern sind nicht numerirt, haben bessers Geschirre, sind überhaupt schöner, werden meistens von den Wirthen gehalten, und theurer bezahlt als die erstern. Bey all dem starken Fahren der vielen Wagen fällt doch bey einem solchen Anlaß nicht die geringste Unordnung vor. Die Fußgänger haben ihren besondern Weg, den kein Kutscher befahren darf. Die Brücke zwischen der Leopoldstadt und dem Prater, worauf das Gedränge am stärksten, ist in 4 Theile getheilt. Die 2 aussern sind für die Fußgänger, und der eine von den innern für die Wagen, die hinein, und der andre für die, welche herausfahren. Diese Ordnung wird durch den Wald und auf der Chaussee durch die Vorstadt bis in die Stadt selbst beobachtet. Einige KuraßierKuraßier – Kürassier, Panzerreiter. Da diese militärisch am Ende des 18. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr hatten, wurden sie als Ordnungspolizei verwendet. mit gezogenen Säbeln sorgen dafür. Bey öffentlichen Festen weiß man hier von keinen besondern Unglücksfällen, und alles Unheil, welches hier die Kutschen anrichten, geschieht im alltäglichen Getümmel der Stadt. Man kann sich nicht erinnern, daß in einem Jahr über 7 Personen sind todtgefahren worden, da sich hingegen zu Paris die Zahl der jährlich Totgefahrnen im Durchschnitt der letztern 10 Jahre auf 20 beläuft.

Was das Feuerwerk selbst betrift, so zieh' ich es allen hiesigen Schauspielen, und selbst dem Nationaltheater vor. Herr Stuwer, von welchem ich einige sahe, versteht die Kunst. Er stellt mit allem mannichfaltigen Farbenspiel, den Schattirungen, und dem gehörigen Perspektiv ganze Gärten, grosse Palläste und Tempel in fast natürlicher Grösse in Feuer dar. Seine Maschinen sind besonders schön und groß, und machen oft 6 bis 8 Fronten von 50 bis 60 Schritt in die Länge. Bey Eröfnung des Schauspiels fliegen auf einmahl viele hundert Raketten unter einem dem Donner ähnlichen Getöse in die Luft, wovon der ganze Wald erbebt und wobey die Gegend auf einen Augenblick wie bey Mittag erleuchtet ist. Er hatte noch vor einigen Jahren an Herrn Girandolini einen Nebenbuhler, der ihm nach dem Zeugnis aller Kenner in der Kunst überlegen war, aber das Opfer der Bigotterie des Publikums werden mußte. Herr Girandolini, welcher ohnehin als ein Fremder mit mehrern Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, als Herr Stuwer, mußte sich auf das Aeusserste anstrengen, um sich einen Fonds zu machen und es seinem Nebenbuhler gleichthun zu können. Er hatte, wie Herr Stuwer, einen großen Schwarm von Arbeitern den ganzen Herbst und Winter und das Frühjahr durch in Sold. Als er im Sommer sein erstes Schauspiel geben, und es, um sich seines Aufwandes zu erhohlen, so prächtig als möglich machen wollte, kam an dem Tag, der zur Ausführung desselben angekündigt war, ein Donnerwetter, und verdarb ihm fast alles. Als er auf seinem Gerüst die Wolken heranziehn, und sein Unglück vor Augen sah, fluchte er mit der einem Italiäner natürlichen Lebhaftigkeit dem Donner entgegen, und nun schrieen ihn seine eigne Arbeiter als einen Atheisten aus. Er war in seinen Reden überhaupt zu unbedachtsam, und das Publikum faßte ein Vorurtheil gegen ihn, welches er mit aller seiner Kunst nicht besiegen konnte. Man schalt ihn einen Freygeist und Gotteslästerer. Die Anhänger seines Nebenbuhlers suchten dieses Vorurtheil auf alle mögliche Art zu verstärken. Die Kaiserin selbst ward durch das große Geschrey und die Intriguen der Leuthe, die sie umgaben, gegen ihn eingenommen. Wenn ein fremder Grosser kam, den sie mit einem Feuerwerk unterhalten wollte, so hatte Herr Stuwer den Vorzug. Dieser hatte gemeiniglich 3 und 4 tausend Gulden Einnahme, da Herr Girandolini froh seyn mußte, wenn er es auf 15hundert bis 2tausend brachte. Auf diese Art konnte er sich nie aus seinen Schulden ziehn, und kam endlich so weit zurück, daß er wegen den Kosten seinem Nebenbuhler den Preis überlassen und davon gehn mußte. Ich habe dir in einem andern Brief gesagt, daß hier das Verdienst sehr oft ein Opfer der Kabalen ist, und nun hast du auch ein Beyspiel, wie es von den Vorurtheilen des Pöbels mishandelt wird.

Zu den Sommerbelustigungen, wo man die Art der hiesigen grossen Welt sehen kann, gehört auch der Augarten. Dieser ist ein grosser Park von schönen Alleen und schönem Buschwerk, auf der nämlichen Donauinsel, worauf der Prater ist, an welchen er gegen Osten angränzt. Er ist ein Werk des Kaisers, welcher ihn, wie die Aufschrift über dem Thore sagt, als ein Freund aller Menschen zu einem Belustigungsort aller Menschen gewidmet hat. Allein, es geniest ihn nur der feinere Theil des Publikums, und der Pöbel fühlt selbst, daß er hier in einem schlechten Licht steht. Er schließt sich selbst aus und thut wohl daran. Es ist zum Staunen, wie dieser Park in so kurzer Zeit das werden konnte, was er ist. Der Kaiser mit seinem lebhaften Temperament wollte sein Geschöpf gleich in vollem Wuchs vor sich sehn, und sparte keine Kosten, um unzälige halb= und ganz ausgewachsene Bäume oft aus der grösten Ferne herbeyzuschaffen. So verschieden auch die Gattungen der Bäume und des Gebüsches und die Alleenordnungen sind, so ist er doch zu regelmäßig, und hat zu wenig Mannichfaltigkeit, als daß man ihn einen eigentlichen englischen Garten heissen könnte. Ein ziemlich breiter Arm der Donau, welcher seine Ufer bespühlt, giebt ihm das meiste Leben. Jenseits des Flusses hat man einen breiten Wald durchgehauen, und diese Waldbahn fällt mit einer der Hauptalleen des Parks in eine Linie. Das Perspektiv, welches dadurch gebildet wird, ist meines Erachtens das Beste im ganzen Garten. Es wird in einer fast unabsehbaren Ferne vom mährischen Gebirgemährisches Gebirge – Böhmerwald, Bayrischer Wald wie von einem leichten Gewölke geschlossen. In einem prächtigen Pavillon hat man alle Erfrischungen und Billard. Wenn man diesen Ort in seinem Glanz sehen will, muß man ihn in den höchsten Sommermonaten morgens besuchen. Es ist seit einigen Jahren hier in der grossen Welt Sitte, daß man im Augarten eine Kur von mineralischem Wasser trinkt, wenn man auch noch so gesund ist. Die Einbildung hat wirklich an diesem Ort die Geselligkeit und Vertraulichkeit eingeführt, die sonst an den berühmten Gesundbrunnen zu herrschen pflegt, und man genießt hier wirklich das Offene und Freye der Gesellschaft, wodurch sich Spa, PyrmontSpaa, Pyrmont – Spa, Bad Pyrmont, Kurorte mit Mineralwasserquellen in Belgien und Deutschland und andre Plätze dieser Art berühmt gemacht haben, ob man schon das nöthige Kurwasser von mehr als hundert Meilen her beschreiben muß. Alle Stände, besonders die Gelehrten und der Adel, mischen sich hier durch einander. Die Damen trinken die Kur, um sich im NeglischeNeglische – Negligé, zarter, durchscheinender Überwurfmantel zeigen zu können, und die Herren, weil die Damen im Neglische nicht so stolz und spröde als im großen Putz sind.

Es gibt noch verschiedene öffentliche Spazierplätze in der Stadt. Der welcher am häufigsten besucht wird, ist der Stadtwall oder die sogenannte Bastey. Ob man schon hier der Sonne sehr ausgesetzt ist, so ist er doch gar oft gedrängt voll. Die Bürgerlichen können nachmittag nicht in die Kirche gehn, ohne zugleich auf dem Wall eine Tour um die ganze Stadt zu machen, wozu sie gerade eine Stunde gebrauchen. Die vom höhern Stande kommen dahin um ihre Hunde zu producieren, die hier ganz allein vor den Pferden und Wagen sicher sind. Die Hunde machen hier einen grossen Artickel des Luxus aus, und man wetteifert darin, wie in den Equipagen und Kleidern. Itzt sind die kleinen PommernPommern – Spitze Mode, und wenn ein Pommerchen schneeweiß oder kohlschwarz ist und eine scharfspitzige Schnauze hat, so wird es mit 10 bis 15 Dukaten bezahlt. Fürst von ** hat eines um 25 Dukaten gekauft. Jeder Herr, der auf gute Lebensart Anspruch machen will, muß sein Spitzchen haben, welches hier der eigentliche Namen dieser Hunde ist. Die Bauern befinden sich wohl dabey, und haben auf dem Vögelmarkt zugleich einen Hundsmarkt errichtet.

Der Garten des Belvedere in der Vorstadt, der Rennweg, welchen ehedem Prinz Eugen besessen, ist nun auch ein öffentlicher Spazierplatz. Der Garten hat an sich nichts vorzügliches, aber der Pallast ist so wohl wegen seiner Bauart, als besonders wegen seiner vortreflichen Lage eines der merkwürdigsten Gebäude in der Stadt. Auf der Terrasse und den Balkons desselben beherrscht man die Aussicht über die ganze Stadt und die ganze Gegend umher. Dieser Pallast enthält seit einiger Zeit in 22 grossen Zimmern die kaiserliche Gemähldegallerie. Der untere Stock ist den Italiänern angewiesen, unter denen sich Tizian,Titian – Tiziano Vecellio, kurz Tizian genannt, italien. Maler, † 1576 Korreggio,Korreggio – Antonio Allegri da Correggio, italien. Maler, † 1534 Guido, Paolo Veronese,Paolo Veronese – italien. Maler, † 1588 Palma und GiorgioneGiorgione – Giorgione de Castelfranco, italien. Maler, † 1510 vorzüglich ausnehmen. Man zeigt auch zwei kleine Stücke, die von RaphaelRaphael – Raffael da urbino, italien. Maler, † 1520 seyn sollen; allein, wenn sie wirklich von Raphael sind, woran aber der Herr Unterinspekteur, welcher uns begleitete, selbst zweifelt, so gehören sie gewiß unter seine ersten Versuche. Das beste ist ein KupidoCupido – Kupido, der Liebesgott Amor von Korreggio in der Attitüde, wie er den Bogen spannt. Dieses Stück ist um 18.000 Dukaten, ich glaube, von Kaiser Karl VI. gekauft worden. Man war ehedem hier so fühllos gegen die Kunst, daß man dieses Meisterstück auf einem Speicher liegen ließ und mit Füssen darauf trat. Es wurde stark beschädigt, und der Ausbesserer hat einen guten Theil desselben, besonders den Rücken, abscheulich verdorben. Zum Glück erhielt sich der schöne Kopf unverletzt: Schelmischer und doch zugleich kindischer, giebt es kein Auge, weder im Kopf einer KoquetteKoquette – Kokette, eine Frau, die auf Männer wirken möchte noch eines Adonis,Adonis – schöner Jüngling der griech. Sage als das Auge dieses Amors. Der Trotz auf seiner Stirne sticht mit einer scheinbaren Unschuld auf dem Mund sonderbar ab. Kurz, es ist Amor mit Leib und Seele. Da, wo das ursprüngliche Fleisch, welches Korreggio seinem Geschöpfe gegeben, noch erkenntlich ist, übertrifft es alles, was jeder andere im Fleisch getan hat. Es wurden durch die Unachtsamkeit, welche der Hof bis unter dem jetzigen Kaiser gegen die Sammlung äusserte, noch mehrere Stücke vorn höchsten Werth verunstaltet; aber alle waren in der Ausbesserung glücklicher, als der arme Kupido, dem ohnehin durch die hiesige Polizey so übel mitgespielt wird – Im obern Stock prangen die Niederländer, die hier mit allem Recht mit den Italiänern um den Rang streiten können. Man hat viele Wouwermanns,Wouwermann – Philips Wouwermann † 1668, Jan W. † 1666, niederl. Maler Berchhems, Rembrands,Rembrandt – Rembrandt Harmenszoon van Rijn, niederl. Maler, † 1669 Vanderveldensvan de Velde – niederl. Malerdynastie und de Heens.de Heen – Jan David de Heem, niederl. Maler, † 1684 – Die Gallerie ist 3 Tage in der Woche für jedermann unentgeldlich offen.

Die anstößigen Gemählde sind mit Vorhängen von grünem Taffet bedeckt, die aber jedermann nach Belieben aufziehen kann. Es sind einige darunter, bey deren Anblick der heilige Franz von AßisFranz von Aßis – Franziskus von Assisi – gründete 1209 einen Orden, dessen Mitglieder nach dem Vorbild Jesu ohne jeden Besitz leben sollten, † 1226. sich gewiß in Dornen wälzen würde. Es sind keine einzlne, nackte Figuren, sondern Gruppen, die man im Leben nirgends als hinter Bettgardinen findet. In der Gesellschaft, worinn ich die Gallerie sah, waren verschiedene Damen und Fräulein. Die Herren zogen ohne alles Bedenken die Vorhänge auf. Ich hätte der so züchtigen Polizey zugetraut, daß sie wenigstens eine AffektationAffektation – hier: so tun als ob von äusserlicher Scham zur Sitte machen könnte: Aber einige von unsern Frauenzimmern sahen auch die geheimsten Spiele der schönen Göttin mit starren Augen an, und die andern hielten zwar die Fächer vors Gesicht; aber die Fächer hatten grosse Oefnungen, und sie konnten sich nicht überwinden, das Gesicht ganz wegzuwenden.

Eine halbe Stunde von der Stadt liegt die Sommerresidenz der Kaiserin, Schönbrunn, in einer sumpfigten Vertiefung, worin ich wegen der eingeschränkten Aussicht und der feuchten Luft keine zwey Tage aushalten könnte. Der Pallast ist sehr weitläufig und wirklich in einem grossen Stil gebaut. Die Meublirung ist kaiserlich. Verschiedene Säle sind mit den besten Tapeten aus der Fabrik der Gobelins ausgeschmückt, und die Tapezierung eines einzigen Sales von der Art hat gegen 300.000 Gulden gekostet. In dem dabey befindlichen Thiergarten ist ein Elephant das merkwürdigste. Er ist von der größten Art aus Indien und ein Geschenk des jetzigen Statthalters von Holland, den er auf 10.000 Gulden zu stehen kam. Auf einer Anhöhe hinter dem Pallast hat der Kaiser in antikem Geschmack eine Sala TerrenaSala Terrena – klassizistische offene Halle mit 2 Säulengängen zu beyden Seiten bauen lassen, und dadurch den Fleck bezeichnet, wo seine Mutter ihren Sommerpallast hätte hinbauen sollen, wenn sie eine reizende Aussicht und eine reine Luft hätte geniessen wollen. Wenn die Kaiserin da ist, so sieht man ausser den Kapuzinern und einigen alten Damen wenig schöne Welt. Unterdessen gehört doch dieser Ort auch zu den öffentlichen Spazierplätzen, denn der Garten ist zu jeder Zeit, und der Pallast während der Abwesenheit der Kaiserin für jedermann offen.

Unendlich mehr Reiz für mich hat der sogenannte Kalteberg eine Stund über der Stadt an der Donau. Der Weg hinauf geht durch ein vortreflich angebautes Land. Zur Linken erblickt man in einiger Entfernung auf dem Abhang des Berges und im Schatten alter Eichen das sehr einfache Sommerhaus des Feldmarschalls von LascyLascy – Franz Moritz Graf von Lacy, österreich. General, † 1801 mit einem schönen Englischen Garten. Nach und nach gewinnt man die dicke Waldung auf der Höhe des Berges, und auf der Spitze desselben steht ein KamaldulenserklosterKamaldulenser – katholischer Mönchsorden aus dem 11. Jahrhundert. Die Mönche lebten nach dem Prinzip des zusammengeschlossenen Eremitentums (jeder in einer Zelle eingemauert). Der Orden wurde durch Joseph II. 1786 in Österreich aufgelöst. auf dem schönsten Gesichtspunkt, den man weit und breit nur immer aussuchen konnte. Vor dem Kloster sind unter den Bäumen einige Bänke um einen Tisch angebracht, wo die Herren ihre Frauenzimmer, welchem der Eintritt in das Heiligthum ohne besondere Erlaubniß des Erzbischofs verboten ist, ausruhen lassen, bis sie das Kloster besichtigt haben. Die Wohnungen der Mönche sind kleine abgesonderte Häuser, wobey jeder sein eignes Gärtchen hat. An der äussersten Zelle bildet der Garten eine Terrasse von welcher man senkrecht über einen sturzdrohenden Felsen herab in die Donau sieht, und eine Aussicht beherrscht, deren ein Mönch von der Art wirklich unwürdig ist. Man hat die ganze Stadt, wie in einem Grundriß zu seinen Füßen. Man glaubt das Getöse des Menschengewühls zu hören, welches sie belebt. Man übersieht diesen Theil von Oestreich bis an die Gränzen von Mähren und Ungarn. Die majestätische Donau windet sich durch die unabsehbare Fläche, und in grosser Ferne, wo sie sich mehr ausbreitet, oder von keinem Gehölze und keinen Erderhöhungen gedekt wird, schimmert sie stückweise mit Silberglanz aus der Landschaft hervor. Zur Rechten, wenn man die Stadt gerade vor sich hat, senkt sich der mit Holz bekrönte Berg bis an die Vorstädte hin, und zur Linken zieht sich sein hoher Rüken längst der Donau hinauf, wo man in einer Entfernung von einer Stunde den goldenen Berg von Enzersdorf erblickt, der einen der besten Weine von Oestreich liefert. Die vielen und schönen Dörfer, die blauen am Rand des Horizonts schwebenden Berge, die vielen und mannichfaltigen Parthien Gehölze und das Wasser geben der weiten Fläche Leben genug. Ich konnte meine Entzückung über den Anblick gegen den Mönch, der neben mir stand, nicht bergen. Ich sagte ihm, ich hielt den Bruder für glücklich, der die äusserste Zelle zu bewohnen hätte: «Nein, antwortete er; wir sind nicht Ihrer Meinung. Keiner von uns will in dieser Zelle wohnen; weil sie dem Wind zu sehr ausgesetzt, und im Winter noch einmal so kalt als eine andre Zelle ist.« Auf einmal brachte mich der Mann aus der Entzückung zurück. Du weist, ich bin einer von denen, die im Sommer nicht an den Winter denken können, und denen nichts auffallender ist, als wenn man sie mitten im Genuß der schönen Seite eines Dinges an die häßliche desselben erinnert, so natürlich es auch seyn mag. – Nachdem wir alles, auch die Betten, Gebetbücher, ZilizienZilizium – von lat silentium = Stille; Keuschheitsgürtel für Männer (?) etc. der Mönche besichtigt hatten, gaben wir ihnen Geld für einige Messen für uns, welches das gewöhnliche Trinkgeld der Fremden ist, und eilten unter die Bäume zu unserm Frauenzimmer. Wir hatten eine kalte Küche und einige BouteillenBouteille – Flasche Schumlauer und St. Jörger AusbruchSchumlauer, St. Jörger Ausbruch – österreichische Weinsorten vorausgeschickt. Der Tag war schön, das Frauenzimmer bey guter Laune, und wir waren alle aufgelegt, den Vorhof des Heiligthums in Zucht und Ehre ein wenig zu profaniren.profaniren – verweltlichen, entweihen Diese Wahlfahrt ward in den ersten Tagen meines hiesigen Aufenthalts veranstaltet, und seit der Zeit habe ich noch verschiedene male, auch bey der rauhen Witterung des Herbstes, in einer weniger zahlreichen Gesellschaft den lieben Ort besucht.

Es giebt hier noch verschiedene andre öffentliche Spazierplätze, worunter man auch den KalvarienbergKalvarienberg – lat. calvaria = Schädel, eigentl. Schädelstätte. Nachbildung eines Hügels mit der Kreuzigung. zu Herrnals und einige andre Andachtsörter zählen kann; denn das Frauenzimmer und die jungen Herren treiben hier die gegenseitigen Eroberungsoperationen weiter, als an irgendeinem andern öffentlichen Ort, weil die Maske der Andacht sie dem Auge der Polizey versteckt.


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