Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Einführung

Was ist es doch für ein Vergnügen, sich für einen Taler belehren zu können und seinen Horizont zu erweitern, ohne aus dem Haus gehen zu müssen!

Voltaire

Beim Zeus, darauf haben wir gerade noch gewartet: Ein Reisebericht von 1780, also aus einer Zeit, die längst Geschichte ist – wie aufregend. Nun kann nichts mehr kommen, höher geht's nimmer und wir können getrost in die Grube fahren. Was wird wohl geboten? Sicher eine genaue Beschreibung von 100.000 Ländchen, die der Herr Verfasser so schnell wie möglich durchreist hat, der grundlegende Unterschied zwischen den einzelnen Herrschaftsformen in Anbetracht der verschiedenen historischen, religiösen und landschaftlichen Gegebenheiten, was eigentlich Karl II. Theodor von Karl IV. Theodor unterscheidet und warum Karl Philipp Theodor kein regierender Fürst war, der Unterschied in der Hauptmahlzeit der Hamburger zu der der Dresdner, die Tendenzen in der Damenmode unter genauer Berücksichtigung des noch geheimen neuesten Reifrocks der französischen Königin (1794 leider hingerichtet), die Gebühren für Postkutsche und Zoll an jeder sogenannten Landesgrenze, dazwischen sicher gefühlsdusslige Rheinromantik, lange Beschreibungen der Weisheit der regierenden Fürsten, ellenlange Elogen für oder gegen die Jesuiten, die Ernteerträge von 1777 im Vergleich mit denselben 1778 und ausführliche Ergründung des Unterschiedes zwischen beiden, warum Friedrich der Große die Kaiserin Maria Theresia nur als Königin von Ungarn bezeichnete, alles das selbstverständlich in einem umständlichen und humorlosen Kanzleistil serviert und tausenderlei anderes, was unbedingt zur Bildung im 21. Jahrhundert gehört. Beim Zeus, nein, wir haben andere Probleme zu lösen und wollen uns nicht noch die längstvergangener Epochen aufhalsen lassen. Einzig die Frage, ob die Dummheit der Menschen damals größere Triumphe als heute feierte, wäre allenfalls von Interesse.

Dies nun, beim Heiligen Antonius von Padua, ist ein Vorurteil, also die ökonomischste Art der Meinungsbildung: Erst reden (schreiben), dann denken (selber lesen). Man kann es nicht leugnen, diese Art intellektueller Rezeption hat viel für sich und wird auch erfolgreich angewandt. Ehe sich nun einer unbesonnen trotz alledem in die Lektüre stürzt, möge er aber noch ein amtliches Urteil über den Autor kennenlernen: »Wie in allen seinen seitherigen Arbeiten, so zeigt sich auch in diesem Werke wol eine gewisse Gewandtheit der Darstellung, aber man vermißt den Ernst der Forschung und Beobachtung, wie nicht minder das Streben nach Unparteilichkeit und Wahrheit.« Also, ganz klar, ein Luftikus, ein Hansdampfinallengassen, der sicherlich mit den hehrsten und heiligsten Idealen sein Spiel treibt, die Fürsten kritisiert, die Geistlichkeit bloßstellt, aber Seinesgleichen ungeschoren läßt und sich vielleicht sogar – Johann Joseph vom Kreuz Calosirto, du Schutzheiliger der Schriftsteller, steh mir bei + + + ! – um die Lebensverhältnisse der Bauern und Handwerker kümmert. Wenn ich also unsere Erkenntnisse zusammenfasse: Dieses Buch, das damals völlig zu Recht verboten wurde, ist nicht empfehlenswert, es verwirrt den Geist ohne ihn zu beleben, es schändet das Andenken großer Männer und Frauen, es verdirbt das sittliche Empfinden der Jugend, es treibt seinen Spott mit den edelsten Idealen der Religion und verhöhnt die Nationale Ehre. Schleudere es frohen Herzens ins Altpapier!

Es gibt eine seltene Spezies von Menschen, die sich ungehörigerweise ihre Meinung selbst bilden, anstatt sich der allgemeinen, die doch von wirklichen Experten stammt und problemfrei zu erfragen ist, zeitsparend anzuschließen. Alles Gebrabbel (hessisch: Gebabbel) geht sie nichts an, sie lesen einen Text selbst. Der Herausgeber vermeidet ein Urteil über diese Leser, denn es sind just die, die sich bis zu dieser Stelle durchgekämpft haben. Für diese nun ein Einblick in das zu Erwartende.

Die Briefform des Reiseberichtes ist der damaligen literarischen Mode geschuldet. Der Briefroman stand seit seiner Wiederbelebung durch den Engländer Richardson und den Erfolg der Werke Rousseaus (Neue Heloisa) und Goethes (Werther) in hoher Gunst beim Publikum. Unser Autor schließt sich dieser Zeiterscheinung an und profitiert davon. Form und Inhalt entsprechen genau dem, was die von der Aufklärung geprägte Zeit erwartet. Er gibt sich als reisender katholischer Franzose niederen Adels aus. Damit hat er nicht nur die Möglichkeit, die vorgefundenen deutschen Verhältnisse mit den französischen zu vergleichen, sondern auch kräftige Seitenhiebe in Richtung eines stubengelehrten weltfremden Idealismus, den er dem Empfänger, seinem Bruder in Paris andichtet, auszuteilen. Auch sein angeblicher Katholizismus erlaubt ihm manchen Vergleich. Er bietet genau die richtige Mischung aus Landschaftsbeschreibung, Folklore, Herrschaftsanalyse, Ökonomie, Pfaffentum und Hofklatsch. Justiz-, Militär- und Kirchen(un)wesen fehlen nicht. Der mit todernster Miene vorgetragene Humor als die Würze der dargereichten Speise kommt nicht zu kurz. Auch die Mätressen und anderes am Wege Liegendes werden erwähnt.

Die Sicht des Autors auf seine Welt ist keineswegs revolutionär, er akzeptiert die Welt, in die er hineingeboren ist, wendet sich nur gegen Mißbräuche, Ungesetzlichkeiten und Dummheit. Und nimmt sich einfach die Erlaubnis – unterthänigst – Vergleiche mit einem stark idealisierten Frankreich Ludwig XVI. oder mit seiner eigenen hypothetischen Republik zu ziehen. Allenthalben sind die wohltätigen Folgen der Aufklärung zu spüren: Es gibt schon Fürsten, die sich als Diener des Staates und nicht den Staat mit dem Besitz aller Einwohner als ihr persönliches Eigentum betrachten. Das Justizwesen befindet sich, hier mehr, dort weniger, woanders überhaupt nicht, im Umbruch. Todesstrafe und Hexenprozesse sind nicht mehr zeitgemäß. Es gibt sogar einen Fürsten, den ein ungutes Gefühl bei Betrachtung aller Umstände befällt (der Herzog von Württemberg). Die Jesuiten haben sich in ihr Mauseloch verkrochen, Klöster werden aufgehoben, die Pfaffen sind verängstigt, weil in Wien Joseph II. die Macht übernimmt. Aber noch steht der Stock allerorten als Antwort auf vorlaute Fragen bereit. Was zu dieser Zeit niemand, auch der Autor nicht ahnt: Noch in diesem Jahrzehnt wird von Frankreich kommend ein Sturm über das alte Europa hinwegbrausen, der viel von dem hier Geschilderten zum Einsturz bringen wird.

Etwas wird den heutigen Leser wohl am meisten in Erstaunen versetzen: die großen regionalen Unterschiede der Herrschaftsgebiete, von denen manche so klein sind, daß man »diesen wahrhaftig schon zu viel Ehre erweiset, wenn man nur sagt, daß sie existiren.« Er erkennt richtig, daß die gemeinsame Sprache das einzig Verbindende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ist. So ist die Einstellung der Regierenden zu Landwirtschaft, Industrie, Handel, Militärwesen, Religion usw. von Ländchen zu Ländchen verschieden. Auch die Menschenwürde zählt mal viel, mal wenig, mal überhaupt nichts. Hier ist sein Kommentar eindeutig: »überall fühlt man, daß man in einen militärischen Staat gekommen ist, der strenge auf Subordination hält. Leute von Stand empfinden diesen Druk nicht, aber ich denke, man wäre allen Menschen ohne Ausnahme Billigkeit und Liebe schuldig.« (Linz)

Unser Autor blickt tiefer in das Vorhandene und stellt Fragen dort, wo sonst niemand etwas sieht. Die Analyse Bolongaros Raubtierkapitalismus (Drey und sechzigster Brief.) ist meisterhaft und »sticht ab« (einer seiner Lieblingsausdrücke) mit der heute noch üblichen Gewohnheit, geschäftlich erfolgreiche Menschen in das beste Licht zu rücken. Auch der Buchhändler von Trattner wird als das geschildert, was er war: ein raffgieriger, aber kirchenfrommer Betrüger. Immer wieder fordert er den Leser durch sein Beispiel auf, sich nicht den überkommen Schemas zu beugen, sondern sich ein eigenes Bild zu erarbeiten. Beispielsweise erkennt er, daß nicht die Religion (gemeint ist die Kirche) an sich den Menschen in eine bestimmte Richtung formt, sondern es ist die geistig-intellektuelle Haltung ihrer Verkünder. Also sind Katholiken nicht grundsätzlich verlogen, liederlich und faul, wie auch Protestanten nicht immer fleißig und tolerant sind. Deutlich wird das auch an der Stelle (Drey und vierzigster Brief.), wo er der protestantischen Dresdner Gesellschaft klarzumachen versucht, daß zwischen ihrer und seiner Religion fast kein Unterschied ist, aber daß beide gleichermaßen mit unvernünftiger, unzeitgemäßer Mystik belastet sind.

Bei den Ereignissen, die die Welt des 18. Jahrhundert »vorzüglich« bewegten, sind die Kriege an erster Stelle zu nennen. Drei sogenannte Erbfolgekriege, die zwei Schlesischen und als ob das nicht genug an Menschenleid sei, noch der Siebenjährige Krieg. Riesbeck präsentiert sich hier als Verehrer Friedrich des Großen, wie er ja auch dessen Regierungssystem in den höchsten Tönen lobt. »Der König hat weder einen eigentlichen Liebling, noch einen Beichtvater, noch einen Hofnarrn, der noch bey einigen andern deutschen Höfen mutatis mutandis im alten Kredit steht und dessen Rolle öfters der Beichtvater zugleich spielen muß.« Man sieht wieder, daß ein Korrespondent kein Prophet sein kann, denn kaum war Friedrich II. tot, brach sein Regime zusammen, hielten die Pfaffen und Mätressen wieder Einzug in Potsdam.

Keine Gelegenheit geht vorüber, ohne die Personen und Stände der Zeit zu zeichnen: Der dumm-stolze, aber auch der gebildete und aufgeklärte Adel, die arroganten Kleinfürsten, die sich wie Großkönige gebärden und ihr Land in Schulden stürzen, die ihr Interesse nicht mit dem des Volkes gleichsetzen, das ökonomisch denkend und handelnde Bürgertum, die sich den Zwängen anpassende Bauernschaft, die parasitären Mönche, fanatisierte Geistliche wie der Hamburger Hauptpastor Goeze, überhaupt »alle Gattungen von Narren« und die Dichter und Gelehrten, die extrem unterschiedlich gewürdigt werden. In Wien verwechselt er die Gelehrten mit den Schneidern, »denn beyde Menschenklassen hab ich hier noch nicht recht unterscheiden gelernt.« Der geneigte Leser, welcher die Epoche der absoluten Weisheit mit der des Internets gleichsetzt, wird über den geistigen Reichtum dieser Zeit mehr als einmal erstaunt sein. Die vom Herausgeber eingefügten Fußnoten sollen ihm dabei behilflich sein. Diese gibt es allerdings nur beim erstmaligen Auftreten eines Namens oder Begriffes.

Auf das Deutsche Reich als solches kann zu Riesbecks Zeiten keiner stolz sein, das Zeitalter des Nationalgefühls bricht erst im nächsten Jahrhundert an. Aber wie sieht es mit dem Stolz auf Fürstentum oder Stadt aus, dem oder der man angehört? Wie in allen anderen Belangen reicht die Palette von absoluter Gleichgültigkeit (Wien) bis zu wahrhaftem Patriotismus (Dresden), der durchaus auch nationalistisch gefärbt sein kann. Doch im Ganzen gilt »ihr vaterländisches Gefühl bezieht sich bloß auf den Theil von Deutschland, worinn sie gebohren sind.« Die sogenannten Religionsgrundsätze schneiden tief in das alltägliche Leben ein. Einmal weiß man nicht, daß Katholiken auch Christen sind, ein andermal bedauert man, daß einer nur ein Lutheraner (also Ketzer) ist, in Wien bekommt er um ein Haar kein Zimmer, weil er einen Bart wie die Juden trägt, in Augsburg »lebt das infamste Kanaille, das man sich denken kann, das immer bereit ist, sich selbst auf das erste Signal aus Religionshaß zu erwürgen.«, bei der Prüfung der jungen Fürsten (die dereinst das Land regieren werden!) durch ihren Hofmeister (Siebenter Brief.) ist der Leser im Unklaren, ob er lachen oder weinen soll, kurzum: »Es ist platterdings unmöglich, alles Lächerliche, was hier der Religionshaß erzeugt, in einer Satyre zu erschöpfen.«

Auffallend ist aber die pauschalisierende Menschenbeschreibung, so als ob es von der Durchschnittserscheinung nicht unendlich viele Abweichungen gäbe. Im Schwarzwald sind »die Männer plump und die Weiber gelb, ungestaltet und gemeiniglich schon in den dreyßig Jahren runzlicht«, in Linz »schreibt man es dem Wasser und der feuchten Luft zu, daß hier das Rothe auf den Wangen so selten ist«, während in Hamburg »das hiesige Frauenzimmer schön, artig, und freyer im Umgang ist, als es in protestantischen Städten gemeiniglich zu seyn pflegt«. Andererseits ist »das heßische Landvolk im Ganzen genommen bis zum Ekel häßlich. Die Weibsleute sind die eckigsten Karrikaturen, die ich noch gesehen habe. ... Die Männer ersetzen zum Theil durch eine anscheinende Stärke, was ihnen an Schönheit mangelt.« Und in Emden »sieht man rothe Wangen unter dem Mannsvolk fast gar nicht.«

Sind nun seine Urteile über das von ihm Beobachteten teils scharfsinnig realistisch, teils durch eigenes Vorurteil getrübt, so gilt von seinen Theaterberichten unbedingt: Hier spricht ein Fachmann. Hier spricht einer, der das Theater und die Mimen kennt, denn Riesbeck war selbst Schauspieler. Er präsentiert uns die Zeit, in der der Hans Wurst im Verschwinden begriffen war und dafür jede Art von Tollheit Platz nahm. Welche Probleme haben in München die Schauspieler, immer wieder neue Arten des Sterbens zu erfinden, um der Gier des Publikums zu genügen! So beklagt er allerorten den verdorbenen Publikumsgeschmack. Die meisten der erwähnten Theaterstücke sind vergessen, nur die Namen Shakespeare, Lessing und Goethe sagen uns heute noch etwas. Seine Schilderung eines Todeskampfes auf der Bühne (Fünf und fünfzigster Brief.) ist ein Kleinod humoristischer Literatur.

Bei seinen Reisen ist ihm jede Reisegesellschaft »vorzüglich« lieb, und »sollte sie auch nur aus Juden, Kapuzinern und alten Weibern bestehn.« Aber er hat auch einen geschärften Blick für die Schönheiten der durchreisten Landschaft. Seine vorbildlichen Landschaftsschilderungen der Donaufahrt, der Stadt Salzburg und besonders der Rheinfahrt von Mainz nach Geisenheim sowie die Beschreibung des Binger Loches mit der Nahemündung (Fünf und sechzigster Brief.) stehen am Beginn einer Epoche, in der die Landschaft nicht ausschließlich ökonomisch, sondern auch ästhetisch gesehen wird. Speziell am Rhein spricht man direkt von der Rheinromantik, die in dieser Zeit ihren Anfang nahm und sich in vielen Bildern niederschlug. Besonders reisende Engländer waren es, die den Rhein mit seinen – damals noch vorhandenen – Schönheiten »entdeckten«. Das Bild des Einbandes verdeutlicht das, es stammt von der Engländerin Regina Catherina Carey aus dem Jahr 1814. Auf der Rückseite sind Ruine Ehrenfels und im Hintergrund die Rochuskapelle zu sehen, vorn Bingen mit Burg Klopp, der Nahemündung, dem Mäuseturm und dem Binger Loch. Heute kann sich jeder vor Ort überzeugen: Die Rheinromantik ist längst den auf beiden Seiten des Flusses angelegten Eisenbahnlinien und Bundesstraßen gewichen. Deshalb gehört eigentlich der oben genannte Brief in jedes Lesebuch unserer Zeit.

Ein Reporter ist kein Prophet. Allein, wer so scharfsinnig die Gegenwart analysiert, dem kann man ein abschließendes Urteil wohl nicht verübeln und verwehren. Das nun ist seine Meinung über die Deutschen: »Wenn der Karakter der Deutschen nicht das Glänzende andrer Völker hat, so hat er doch seinen guten innern Gehalt. Der Deutsche ist der Mann für die Welt. Er baut sich unter jedem Himmel an, und besiegt alle Hindernisse der Natur. Sein Fleiß ist unüberwindlich. ... Nebst dem Fleiß ist die Redlichkeit immer noch ein allgemeiner Karakterzug der Deutschen. Die Sitten der Landleute und Bürger in den kleinern Städten sind auch noch lange nicht so verdorben, als in Frankreich und andern Ländern. ... Uebrigens ist Nüchternheit auf Seiten der protestantischen, und Freymüthigkeit und Gutherzigkeit auf Seiten der katholischen Deutschen ein schöner Charakterzug.« Es tut gut, auch Lobendes über unseren Nationalcharakter zu lesen, der durch die Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts und die nicht enden wollende Propaganda deswegen so stark verdunkelt wird. Hier aber, im Vergleich mit Frankreich, ist seine Erkenntnis zugleich Aufforderung für die Zukunft. In fast jedem Brief wird unser großes Nachbarland in irgendeiner Weise erwähnt und beispielsweise ist die niederträchtige Zerstörung der Pfalz für ihn kein Thema, das er aus politischen Rücksichten nicht erwähnen sollte. Hier ist der Schnittpunkt, an dem sich Nationalstolz und Vorurteil treffen: »Die Nationen müssen überhaupt einander viel verzeihen, und es ist auch sehr leicht zu verzeihen, wenn die Vorurtheile dieser Art wie in Frankreich und Deutschland, den Individuis unschädlich sind, so sehr auch die Nationalehre darunter leiden mag.«

In Erwartung des dann tatsächlich erfolgten Verbotes hat der damalige Herausgeber weder Autor noch Verlag genannt. Das Buch wurde ein großer buchhändlerischer (für den Verleger) und ideeller (für den Autor) Erfolg, ein Bestseller. Auch Raubdrucke erfolgten, wie uns der Verleger berichtet. Riesbecks Reisebericht wurde umgehend in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Die Wirkung des Buches aber konnte nicht über Jahrzehnte anhalten; infolge der Französischen Revolution und der nachfolgenden Napoleonzeit mit den Säkularisationen ging viel vom Inhalt verloren. Das wiedererstarkte Pfaffentum nach dem Wiener Kongreß, der neue Grenzen in Deutschland zog, tat das Seine, um das Andenken dieses »ruchlosen Atheisten« zu vernichten. Obiges Urteil über Riesbecks Werk stammt aus dem Jahr 1884. So ist es nicht verwunderlich, daß sein Name spätestens 1900 aus dem deutschen Bildungskanon verschwunden war. Der Herausgeber stellt es nun für Jedermann, nicht »für einen Taler« sondern kostenlos, im HTML- und in einem druckfähigen Format wieder zur Verfügung.

Zu dieser Ausgabe wäre noch zu ergänzen, daß der Text der zweiten Ausgabe von 1784 zeichengenau übernommen wurde. Zur besseren Lesbarkeit wurden lediglich Tausenderpunkte in den Zahlen eingefügt. Alles, was zu den Themen Druckfehler, Mehrfachorthografie, Abteilen, Registerhaltigkeit, Textbild, Ligaturen usw. zu sagen ist, kann der Vorbemerkung zu den Mönchsbriefen entnommen werden.

Altenstadt in Hessen, September 2007

Roland Welcker


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