Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Achtzehnter Brief.

Linz –

Ich erwartete zu Passau das ordinäreordinär – hier: öffentlich, regelmäßig fahrend Wochenschiff von Regenspurg, und wollte mit demselben gerade nach Wien fahren. Die Schifleute machten bey der größten Luftstille unter dem Vorwand eines bald zu erwartenden bösen Windes so oft Halt, daß mir die Geduld ausbrach. Ich merkte wohl, daß es ihnen darum zu thun war, um an den kleinen Orten ihre KontrebandeKontrebande – Konterbande: Schmuggelware mit guter Art an Land zu bringen. Meine Reisegesellschaft hatte auch zu wenig Reitz für mich. Sie bestand aus einem Schwarm Handwerkspursche, die mit dem Rudern ihre Fracht bezahlen, und aus einer Menge Bauerndirnen, die zu Wien als Mägde unterkommen wollen. Einige derselben waren sichtbarlich in gesegneten Leibesumständen, und schienen ihre Heimat verlassen zu haben, um in dem Spital zu Wien mit geringerer Schande, auf Kosten des Kaisers, entbunden zu werden. Oestreich soll immerfort auf dieser Seite einen starken Zufluß von Bevölkerung dieser Art erhalten. Der ganze Troß, sammt den groben Schiffern war mir platterdings ungenießbar, und die Stadt Linz mit der Gegend umher lachte mich zu freundlich an, als daß ich nicht aussteigen und auf einige Tage nähere Bekanntschaft mit ihr machen sollte.

Zu Engelshartszell wurden wir visitirt. Alles geschah in der besten Ordnung und mit ziemlich viel Gelindigkeit. Man hatte einen ganzen Tag mit dem Plombieren der Waaren unsers Schiffes zu tun. Es war mir ein unerklärliches Räthsel, wie die Schiffer ihre Kontrebande, von deren Daseyn ich überzeugt war, durchbringen konnten; denn die Mauthbedienten schienen mir eben nicht sehr geneigt zu seyn, sich bestechen zu lassen. Auf meine Bücher richteten die Herren Visitatoren ganz vorzüglich ihre Aufmerksamkeit. YoungsYoung – Edward Young, englischer Dichter, 1742 veröffentlichte er »Klagen oder Nachtgedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit«, † 1765 übersetzte Nachtgedanken, die ich von einem armen Studenten zu Salzburg aus Erbarmen gekauft hatte, nahm man mir als ein verbotenes Buch weg, und GibbonsGibbon – Edward Gibbon, brit. Historiker, verfaßte eine 6bändige Römische Geschichte, die 1783 auf den Index kam und deshalb weite Verbreitung fand. † 1794 Werke ließ man durchgehn. Der erste ist ein Christ bis zur Schwärmerey, und bloß der kleine Ausfall, den er wegen des Begräbnisses seiner Tochter – nicht gegen die Katholiken überhaupt, sondern bloß gegen die Stadt thut, die seinem Kind das Begräbniß versagte, hat ihn neben den Machiavels, SpinozasSpinoza – Benedictus de Spinoza, † 1677, jüdisch-holländischer Philosoph und Theologe, BolingbrokesBolingbroke – Henry Saint John Bolingbroke, engl. Politiker und Schriftsteller, vermittelte 1713 den Frieden zu Utrecht. Sein »Briefe über das Studium und den Nutzen der Geschichte« erregten großes Aufsehen, † 1751 u. dgl. m. an den heiligen Pranger gebracht. Wie lächerlich wird der Index, wenn man offenbar sieht, daß öfters der blosse Titel sein Werk brandmarkt, und wenn man bedenkt, daß kein Zensurkollegium im Stande ist, mit der ungeheuern Menge neuer Bücher, die in den kultivirten Sprachen unserer Zeit erscheinen, augenblicklich so bekannt zu seyn, daß man ihnen sogleich auf die Grenze Steckbriefe entgegen schicken, und den Eintritt in das Land wehren könne. Gibbon ist ein erklärter Feind der Religion, und hat doch über Oestreichs Gränze eindringen können. Ich höre zwar, daß man zu Wien die Bücher, welche den Zensoren fremde sind, nicht eher verabfolgen läßt, bis man sie ganz durchgelesen hat; aber ich werde die Herren dieser Mühe zu überheben wissen – Vielleicht ist dieß die einzige schwache Seite der kaiserlichen Regierung – Es ist sehr unökonomisch gehandelt. Das Bücherverbot erhöht nur ihre Preise im Lande. In der Schweitz, zu Inspruck, zu Salzburg und an andern Orten erfuhr ich, daß jährlich eine ungeheure Menge verbotener Bücher auf dieser Seite in die östreichischen Lande gebracht wird. Officiers vom ersten Rang, Präsidenten und Räthe sind bey diesem Schleichhandel intereßiert, und das Verbot hat keine andre Wirkung, als daß z. B. BaylesBayle – Pierre Bayle, franz. Schriftsteller und Philosoph, wichtiger Vertreter der Frühaufklärung. Forderte im Zusammenhang mit der Erscheinung des Halleyschen Kometen von 1680 »alles Wissen muß ständig kritisch überprüft werden«. Er entwarf eine nichtreligiöse Ethik (»ein Atheist ist nicht zwangsläufig auch sittenlos«) und brandmarkte die unheilige Verquickung von Staat und Kirche in Frankreich. 1702 erschien »Peter Bayles historisches und kritisches Wörterbuch«. † 1706 Diktionäre, welches sonst 5 Louisdor kostet, zu Wien mit 100 Thaler bezahlt wird, und um diesen Preiß häufig genug zu haben ist – Ohne Zweifel wird dieser Schleichhandel auf der sächsischen und slesischen Grenze eben so stark getrieben.

Sobald man den Fuß auf östreichischen Grund und Boden gesetzt hat, fühlt man lebhaft, daß ein ganz andrer Regierungsgeist das Land belebt. Die Wohnungen der Landleute, ihre Kleidung, ihre Gesichtszüge, der Anbau ihrer Güter, alles zeichnet sie zu ihrem Vortheil auffallend von den Bayern aus. Gestern sah ich hier einige Bauern in einspännigen Kaleschen zu Markte fahren, die völlig wie die reichern Pachter in England oder die nordholländischen Bauern aussehen. Ihr volles Gesicht, ihre ausgefütterten Pferde und das gute Geschirr sprachen von einem Wohlstand, die ihr langer, brauner, aber doch sehr reinlicher Wollenkittel, ihre plumpen Schuhe ohne Schnallen, und ihre grossen abgekremten Hüte nicht zu verrathen schienen. Diese reichern Bauern nennt man hier Landler, und ihre beträchtliche Anzahl macht der Regierung viel Ehre. Ueberall erblikt man Spuren des Wohlstandes, und es ist mehr Sitte, als dringende Armuth, daß man besonders unter dem TitelTitel – hier: Vorwand zur Aussteurung einer Braut oder eines Bräutigams von den Landleuten angebettelt wird – Die grossen, abgekremten, grauen oder schwarzen Filzhüte lassen den hiesigen Bauernmädchen, so wie ihre ganze Kleidung ungemein schön [erscheinen].

Oberösterreich ist gegen die befruchtenden West= und Südwinde von grossen Bergen verschlossen, und auch dem reinigenden Nordwinde ist vom böhmischen Gebirge der Zugang erschwehrt. Nur der Ostwind hat durch einen Theil desselben freyen Zug. Das sehr wasserreiche Land kann also nicht anders als sehr feucht seyn. Der bergigte und waldigte Boden ist dem Ackerbau nicht sehr günstig, und sein Reichthum besteht hauptsächlich in der Viehzucht, in Salz und Obst, dessen Most den Mangel des Weines ersetzt.

Linz, die Hauptstadt dieses Landes, hat eine vortrefliche Lage. Auf dem Schloßberg, welcher auf der Westseite der Stadt liegt, beherrscht man eine prächtige Aussicht auf eine ungeheure Ebene zur Rechten der Donau, die gegen Süden von den himmelhohen steyrischen Bergen geschlossen wird, deren Häupter oft über die Wolken emporragen. Jenseits der Donau, der Stadt gerade gegenüber stellt sich ein ungemein schönes Amp[h]itheater dar. Der Halbzirkel der schönen und hohen Berge, die es bilden, stößt an der Donau an. Der tiefe und weite Grund desselben ist dicht mit Dörfern und Höfen besäet, und auf den waldigten Abhängen der Berge nehmen sich einige Schlösser vortreflich aus. Die majestätische Donau giebt dieser schönen Landschaft noch mehr Pracht, Leben und Mannichfaltigkeit.

Die Stadt ist sehr schön und fast durchaus von Steinen erbaut. Unter den 12.000 Einwohnern, die sie ohngefähr enthält, herrscht so viel Industrie, Geselligkeit und Wohlstand, daß mir die Erinnerung der bayrischen Städte im Abstich mit dieser aneckelt. Es giebt hier einige sehr beträchtliche Manufakturen, und die Handlung der Stadt ist sehr ausgebreitet. Der ziemlich zahlreiche und gutgesittete Adel, die Officiers der hier einquartirten Truppen und einige Professoren bieten die besten Gesellschaften dar. Die Stadt ist ganz offen, und das Ländliche ist nach meinem Geschmack so schön mit dem Städtischen vermischt, daß ich hier meine beständige Hütte aufschlagen würde, wenn mir mein irrender Rittergeist Ruhe gestattete. Der hiesige Adel besteht zwar bloß aus solchen Familien, deren Einkünfte zu eingeschränkt sind, als daß sie mit Anstand zu Wien leben könnten; aber dadurch ist man des imposanten Tones überhoben, womit der reiche deutsche Adel seine Gesellschaft so abschreckend macht.

Das hiesige Frauenzimmer ist mit den guten Manieren, der Lektüre und den gesellschaftlichen Situationen viel besser bekannt, als die Bayerinnen und Schwäbinnen, die aber an Fleisch reichlich ersetzen, was ihnen an Geist gebricht. Man schreibt es dem Wasser und der feuchten Luft zu, daß hier das Rothe auf den Wangen so selten ist, und die sprechenden und einnehmenden Gesichtszüge des hiesigen Frauenzimmers den Fremden auf das Welke ihrer Körper nur noch aufmerksamer machen; allein ich glaube, die Hauptquelle des Uebels liegt anderstwo. Eine starke Besatzung ist selten der Gesundheit des Frauenzimmers zuträglich – Die Kleidung der gemeinen Weibsleute ist die niedlichste, die ich je gesehen. Ihr Temperament scheint sehr reitzbar zu seyn, welches das Verwelken ihrer Körper beschleunigt.

Die Art, wie man die herankommenden Fremden behandelt, entspricht nicht dem sanften, menschenfreundlichen Ton, den sonst die östreichische Regierung annimmt. Man eskortirte uns wie Gefangene aus dem Schiff zur Hauptwache, und ich mußte über eine halbe Stunde in der stinkenden Stube stehen, bis der Officier mit der Miene eines Inquisitors die KundschaftenKundschaften – Führungszeugnisse der Handwerkspursche durchschaut hatte, und es ihm endlich beliebte, meinen Paß zu besichtigen. Es war ihm mehr darum zu thun, einen Rekruten zu werben, als sich und seine Obern durch gute Art den Fremden zu empfehlen. Ich hatte meine Tobaksdose in dem Schiff vergessen, und da ich wußte, daß es zu Ens, einige Stunden von hier, halten mußte, um einige Waaren auszuladen, so machte ich durch die reitzende Landschaft einen Spaziergang dahin. Ich kam eben dazu, als einige Unterofficiers mit grober Ungestümme an Bord stiegen, um die Handwerkspursche, die sich zu Linz hinlänglich legitimirt zu haben glaubten, noch einmal zu visitieren. Sie nahmen 2 Böhmen mit Gewalt unter dem Titel weg, daß es den Landeskindern verboten sey, sich ohne besondere Erlaubnis aus ihrer Provinz irgendwohin zu begeben. Unterdessen gieng das Schiff weg; die Böhmen legitimirten sich durch ihre Papiere, und mußten nun einige Meilen zu Fuß laufen, um wieder zu dem Schiff zu kommen. Die Absicht der Soldaten war, die guten Leute durch diesen Aufenthalt in Verlegenheit zu setzen, um sie zu Werbunterhaltungen geneigt zu machen. Gewaltthätigkeiten von dieser Art hat ein Reisender vom niedrigsten Stande in Frankreich nicht zu beförchten. Wenn sein Paß besichtigt und sein Koffer durchsucht ist, wird er nirgends mehr angehalten – Ich stand heute am Ufer der Donau, u. [um] die Leute aus einem Ulmer Schiffe aussteigen zu sehn, in deren Gesellschaft ich morgen meine Reise fortsetzen werde. Unter denselben befanden sich 2 unserer Landsleute; der eine ein betagter Mann, der zu Wien als Sprachmeister sein Brod suchen will, und der andere ein Friseur. Ein StokböhmeStockböhme – ein waschechter Böhme foderte mit aufgepflanzter Bayonnette die Pässe und Kundschaften ein, und riß sie vielen mit einer gewissen groben Wildheit aus den Händen, die ich ihm nicht verargte, weil sie ihm natürlich war. Der Sprachmeister schöpfte aus dieser unfreundlichen Art den Argwohn, es könnte mit den Pässen unrichtig zugehen und vielleicht mancher dem Eigenthümer vorenthalten werden, um Ansprüche auf seine Person zu bekommen. Es war ihm nicht um sich selbst, sondern um den jungen, wohlgewachsenen Friseur zu thun, der den Soldaten in die Augen stechen mußte. Er raffte all sein bisgen Deutsch zusammen, um dem Soldaten seine Bedenklichkeit begreiflich zu machen. Aber dieser verstand als ein Stokböhme kein Wort davon, und ward durch die anhaltenden Vorstellungen des Franzosen so aufgebracht, daß er ihm bald den Flintenkolben unter die Ribben gestoßen hätte. Der Franzose äusserte gegen die umstehenden Zuschauer, daß man in seinem Vaterlande die Fremden anderst behandelte, und nun mischte sich ein Eingebohrner ein, der ihm unter die Nase sagte, wenn ihm diese Art nicht gefiele, so sollte er zu Hause bleiben – Ein Fremder, dem nicht die bessern Gesellschaften geradezu offen stehen, ist hier zu Lande überhaupt schlecht empfohlen.

Vorstellungen sind hier übel angebracht. Ueberall steht der allmächtige Stok zur Antwort bereit, und überall fühlt man, daß man in einen militärischen Staat gekommen ist, der strenge auf SubordinationSubordination – Unterordnung hält. Leute von Stand empfinden diesen Druk nicht, aber ich denke, man wäre allen Menschen ohne Ausnahme Billigkeit und Liebe schuldig. Bey uns nimmt auch der geringste Soldat eine Vorstellung an, und beantwortet sie, so gut er kann. Alles beeifert sich, dem Fremden zu zeigen, daß man an seinem Schiksal Theil nimmt, daß man froh ist, ihn bey sich zu sehen, und stolz, ihm durch gutes Betragen den Aufenthalt angenehm zu machen. Offenbar begegnete man uns bey der Mauth zu Engelhartszell etwas gelinder, weil wegen der zu beförchtenden DesertionDesertion – Fahnenflucht keine Truppen dorthin gelegt werden können, und also die Civilbedienten eher ein Wort in Güte annehmen müssen. Aber hier, wo die ganze Luft vom Schwingen der Korporälstöcke ertönt, muß man jeden Blik eines Unterbedienten als ein Gesetz annehmen – Bruder! in Betracht der schönen Sitten und wahren Menschenliebe können wir immer stolz auf uns seyn. Es ist kein Vorurtheil. Unter den übrigen europäischen Nationen ist die gute Lebensart fast durchaus nur auf die kleine höhere Klasse eingeschränkt; aber man muß auch unserm Pöbel die Ehre lassen, daß er es lange nicht so sehr, als in andern Ländern ist, und die sogenannte Freymüthigkeit einiger unserer Nachbarn ist gar oft nichts als eine durch schlechte Erziehung angewöhnte Grobheit und Verwilderung der Sitten.


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