Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

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Neunter Brief.

München –

Du foderst in deinem Brief viel zu viel von mir. Ich begreiffe wohl, daß dir besonders daran gelegen ist, diesen Hof und dieses Land genau zu kennen,weil, ohne unsre ehemaligen Verhältnisse mit Bayern in Anschlag zu bringen, das pfälzische Haus nach dem östreichischen und brandenburgischen jetzt das mächtigste in Deutschland ist. Oder doch seinen innern Kräften nach seyn sollte. Und die Lage der Besitzungen desselben es in gewissen Umständen für unsern oder den kaiserlichen Hof äusserst wichtig machen könnte. Ich will thun, was ich kann; aber die Zeit, die ich hier zubringen will, ist zu kurz, um dir gänzlich genug zu thun.

Der hiesige Hof ist in einen so dicken, bunten und stralenden Schwarm von Ministern, Räthen, Intendanten und Kommandanten eingehüllt, daß es sich nicht wohl durchkommen, auch nicht wohl durchsehen läßt. Mit unserm hiesigen MinisterHiesiger Minister – gemeint ist der französische Gesandte (Botschafter), der ohne Zweifel seine Welt kennt, konnte ich noch keine besondere Bekanntschaft machen. Ich schildere dir also den Hof, wie ich ihn theils aus den Beschreibungen einiger ziemlich zuverläßiger Leuthe, theils aus meinen wenigen Beobachtungen kenne, die ich aber nur in einiger Entfernung machte. In so weit der Hof in Verbindung mit dem Lande steht, da haben wir ja die öffentlichen Verordnungen und Anstalten, um ihn zu taxieren.

Der KurfürstKurfürst – Karl Philipp Theodor, s. Zwölfter Brief hat das glücklichste Temperament. Er ist von sanftem, geselligem und munterem Karakter, gar nicht mißtrauisch und argwöhnend, und zu Machtsprüchen und Gewaltthätigkeiten so wenig aufgelegt, daß er, als einst eine Reformation an seinem Hofe zu Mannheim nöthig war, und er den entschlossenen Grafen von Goldstein zum ersten Minister von Düsseldorf berief, um mit Mut Hand an das Werk zu legen, er unterdessen eine Reise nach Italien machte, damit die Reforme durch das Bitten und Klagen der Abgedankten, denen er sich nicht zu widerstehen getraute, nicht hintertrieben würde. In seinen jüngern Jahren verleitete ihn eine etwas mißvergnügte Ehe, aus der er keine Kinder erzielen konnte, zu einigen nicht übertriebenen Ausschweifungen. Die Kinder, welche er von linker Seite hat, liebte er, wie ihre Mutter, so sehr, daß er sie mit schweren Kosten in den Grafenstand erhob. In seinen ältern Tagen öfnete nun seine weiche Gemüthsart und vielleicht die Erinnerung seiner sehr verzeihlichen Fehltritte einer gewissen Frömmigkeit den Weg zu seinem Herzen, die an sich wohlthätig für das Land wäre, wenn nicht zugleich durch sie den Pfaffen und Mönchen der Eingang offen stünde.

Was seine Kenntnisse anbelangt, so soll er in verschiedenen Wissenschaften, besonders in den mathematischen ziemlich bewandert seyn, und französisch, italiänisch und englisch sprechen. Aber die Kunst ist eigentlich seine Sache. Er hat ihr sehr grosse Opfer gebracht. Seine Orchester und seine Oper sind nebst den Musicken zu Neapel und Turin das beste von der Art in Europa. Die prächtigen Sammlungen von Kupferstichen, Anticken, und andern Sachen sind ewige Denkmäler seiner Freundschaft mit den Musen.

Ein Engländer soll ihm zu Mannheim das Kompliment gemacht haben: Er verdiene ein Privatmann zu seyn. Gewiß ist dieß das beste, was sich über den Karakter dieses Fürsten sagen läßt. Ihm fehlts platterdings die Härte und Entschlossenheit, die unumgänglich nötig ist, um ein so wüstes Land, wie Bayern, umzuschaffen. Es fehlt ihm an richtiger Menschenkenntniß, und sein gutes Herz deutet alles zum Vortheil der Leute, die ihn umgeben. Seine Pfaffen sieht er alle im Licht seiner Frömmigkeit und Religion, mit welcher sie doch im Grunde keine wesentliche Verbindung haben, und so ist es sehr begreiflich, daß der liebenswürdigste Privatmann eben nicht der beste Regent ist.

Wenn ich nun meine Augen von der Hauptperson abziehe, und mich nach dem umsehe, der nach derselben und natürlich auch auf dieselbe den meisten Einfluß hat, so tappe ich im finstern herum, und weiß nicht, wen ich greifen soll. Da ist ein Obristhofmeister, ein Finanzminister, ein Kanzler, ein paar geheime Räthe, ein Beichtvater, ein paar Weiber, die unter sich den Einfluß getheilt, und sich den gegenseitigen Antheil garantirt zu haben scheinen.

Wer die Sache bey Licht betrachtet, und dem Gang jeder Intrigue bis auf den Ursprung nachspüren könnte, der würde die eigentlichen Triebfedern der Hofmaschine ohne Zweifel in einer Kutte und in einem CotillonCotillon – Unterrock finden, welche den Staat vermittelst der geheimen Räthe, des Kanzlers und der übrigen Herren mit Sternen und Bändern in die Bewegung setzen.

Was die Pfaffen und Weiber, welche leztere hier zwar keine unmittelbaren, aber doch einen sehr starken Einfluß auf den Regenten haben, für eine Wirthschaft zu treiben pflegen, wenn sie Meister sind, davon haben wir an unserm Hofe Beyspiele genug gehabt. Aber so schlimm, wie sie es hier treiben, war es bey uns doch nie, wenn auch gleich hier nicht, wie an unserm Hofe geschehen, der Raub vieler Provinzen von der Grille einer Mätresse verschlungen wird. Es fehlte doch bey uns nie an entschlossenen Patrioten, die der bösen Wirthschaft entgegen arbeiteten, und öfters zum Theil wieder gut machten, was die andern verdorben haben. Aber einen Patrioten suchst du am hiesigen Hof vergebens, oder wenn du einen findest, so muß er seinen Patriotismus in stillen, unnützen Seufzern aushauchen.

Von den herrschenden Grundsätzen der hiesigen Hofleute überhaupt genommen weiß ich dir wenig zu sagen. Das augenblickliche Privatinteresse scheint die Richtschnur eine jeden zu seyn. Wenn sie Grundsätze haben, so sind es gewiß die geschmeidigsten und biegsamsten von der Welt – Wenn es sich von der Denkungsart einiger Untergeordneten, die ich kenne, auf die Höhern, mit denen sie in Verbindung stehn, schliessen läßt, so haben verschiedene der Grossen des hiesigen Hofes den abscheulichsten Unsinn zu ihrer politischen Theorie angenommen. z. B. die Religion sey nur für den grossen Hauffen, um ihn unter den Füssen halten zu können. – Ein Hofmann müsse das Aeussere der Religion mitmachen, und sein Inneres für das Volk verschliessen – Die Menschen seyen von Natur böse, zum Aufruhr, zu Veränderungen, und zum beständigen Murren geneigt, und nie zu befriedigen; man müsse sie daher unter einem beständigen Druck halten, und ihnen die Kräften zu handeln nehmen – Viel Aufklärung sey dem Volk schädlich – Die Grossen hätten ihre Vorrechte über das Volk unmittelbar von Gott erhalten, sie seyen dem Volk also keine Rechenschaft schuldig, und über alle Verbindlichkeiten gegen dasselbe erhaben; u. s. w. – Doch, wie gesagt, das sind keine Grundsätze, sondern es ist elender Wahnwitz, den einige italiänische Politiker zuerst in Ausübung gebracht, weil sie Machiavels FürstenMachiavels Fürsten – Niccolo Machiavelli, † 1527, gab mit seinem Buch »Der Fürst« eine Anleitung für politisches Handeln misverstanden, den dieser grosse Schriftsteller in seinen Anmerkungen über den Titus LiviusTitus Livius – römischer Geschichtsschreiber, † 17 doch selbst so gründlich und deutlich widerlegt.

Du wirst nun von selbst erachten, daß der hiesige Hof nicht viel besser als der spanische und portugiesische bestellt sey. Mit den besten Absichten kann der Fürst nichts zum wahren Wohl seines Volks bewirken. Die Kanäle, wodurch sich der Regent seinen Unterthanen mittheilen soll, sind verstopft. Unter der vorigen Regierung verkaufte der Minister die Stellen öffentlich, und nun werden sie am Spieltische vergeben. Man hat häufige Beyspiele, daß Leute die gesuchte Beförderung nicht anderst erhalten konnten, als wenn sie und ihre Patronen an gewisse Damen eine gewisse Summe verloren. Alles ist hier feil. Vor 2 Jahren hätten einige Minister des hiesigen Hofes das halbe Bayern an Oestreich verkauft, wenn nicht der preußische und rußische Hof, und der zweybrückischeDer zweybrückische Minister – Zweibrücken war bis 1793 Residenz eines Wittelsbachischen Fürstentums Minister Hofenfels [Hosenfels ?] den Kauf hintertrieben hätten. Alle Entwürfe, welche dem Fürsten vorgelegt werden, haben nur geringern Theils die gute Sache, grösten Theils aber den Vortheil des Projektanten zur Absicht.

Wie ist es möglich, daß ein Hof die zum Glück des Volks erforderliche politische Bildung, und die Grundsätze haben kann, worauf der Werth einer Regierung beruht, wenn man blos durch eine glänzende Geburt, durch Verwandtschaften, durch Geld, durch Weiber und Pfaffen zu den höchsten Ehrenstellen kömmt? – Nebst der Gutherzigkeit ist auch die Prachtliebe des Fürsten zum Uebertriebenen geneigt. Die erstere verleitet ihn zu glauben, der Hof sey vielen Leuten und besonders dem Adel reichen Unterhalt schuldig, wenn sie auch gleich nichts zum Besten des Staats thun. Während daß sich viele andre Regierungen alle Mühe geben, die unbegründeten Vorrechte des Adels zu beschneiden und ihn zu zwingen, sich bloß durch wirkliche Verdienste geltend zu machen, hält es der hiesige Hof für seine Pflicht, ihn in seinem geheiligten Müßiggang, wie die Frösche der LatonaLatona – Latona (Leto) war eine Geliebte des Zeus und die Mutter von Artemis und Apollon. Auf der Flucht vor Hera verboten ihr Bauern, aus ihrem See zu trinken, diese wurden von Zeus in Frösche verwandelt., oder die Gänse des KapitolsGänse des Kapitols – die Gans war das heilige Tier der Juno, deshalb wurden auf dem Kapitol immer Gänse gehalten auf Kosten des Staats zu mästen – Man geht jetzt mit dem Projekt schwanger, eine neue Provinz des MaltheserordensMaltheserorden – der Malteserorden wirkte vom 16. bis zum 18. Jahrh. auf Malta. Heute betreibt er kommerziell den Malteser-Hilfsdienst. mit vielen Millionen in Bayern zu errichten. Nicht das Verdienst, sondern blos der Adel hat auf den Genuß dieser reichen Stiftung zu machen. Ich weiß nicht, ob der kristliche Vorsatz, den Sarazenen Abbruch zu thun, oder sonst eine besondere Vorliebe für diesen Orden den Kurfürsten auf den Einfall gebracht hat: Aber das ist gewiß, daß die Ritter die Zeit, welche sie in ihrem Noviziat auf der See, oder vielmehr an den Spieltischen und bey den Schmäusen auf der Insel Malta zubringen, zu Hause viel nüzlicher für Bayern verwenden könnten. So wenig Vortheil von dieser neuen Maltheserprovinz für den Staat abzusehen ist, so gewiß soll die Ausführung dieses Projekts beschlossen seyn. Man berathschlagt sich nur noch, woher man den Fonds dazu nehmen soll – Die Prachtliebe des Fürsten ist eben so verschwenderisch mit den Staatsgeldern. Ich könnte dir hier zur Erbauung aus dem Hofkalender einige hundert Bedienungen benamsen, deren Verrichtungen insgesamt dir ein unauflösbares Räthsel seyn würden. Es soll aber genug seyn, dir zu sagen, daß sich der hiesige Hof zu 2 bis 3 Rheinschiffen einen Großadmiral hältEinen Großadmiral hält – zum Thema Verschwendungssucht s. a. Sechs und sechzigster Brief..

Alles, alles ist hier durchaus auf den Schein angelegt – Die Armee des Hofes besteht aus ohngefähr 30 Regimentern, die ihrer nun angefangenen Ergänzung ungeachtet doch noch keine 18.000 Mann zusammen ausmachen. Wenigstens einen Viertheil derselben machen die Officiers aus, worunter auch mehrere Generalfeldmarschälle sind. – Die vielen Titel und die bordirten Westen der hiesigen Einwohner setzen einen Fremden nicht sicher von ihnen angebettelt zu werden. Vorgestern beschaute ich die schöne Jesuitenkirche, und um nicht das Ansehn eines müßigen Anschauers zu haben, kniete ich zu einigen Leuten in einen Bethstul. Sogleich rükte ein Mann, den ich nach seiner Kleidung für eine wichtige Person gehalten hätte, näher zu mir, both mir eine Prise Tobak an, und nach einigen Anmerkungen über die Schönheit der Kirche, fieng er an umständlich seine Not zu klagen und mich um ein Almosen anzusprechen. Das nämliche war mir schon in einer andern Kirche von einem sehr wohlgekleideten Frauenzimmer begegnet. – Die Polizey, welche sich die Beleuchtung und Reinlichkeit der Stadt so sehr angelegen seyn läßt, muß sich von den Dieben und Räubern an den Thoren der Stadt trotz bieten lassen, und weiß den unzäligen hiesigen Bettlern keine Beschäftigung und kein Brod zu verschaffen.

Dieser Mangel an wahren, durchgedachten und vesten Grundsätzen, diese Scheinliebe, diese Verwirrung der Geschäfte durch die zu grosse Anzahl unbrauchbarer, unpatriotischer und müssiger Bedienten, macht die Verordnungen des Hofes oft sehr widersprechend. Einige vom Hofe haben vielleicht zwischen Wachen und Schlafen den BekkariaBekkaria – Caesare Bonesano Beccaria, veröffentlichte 1764 ein Buch »Über Verbrechen und Strafen«. «Eines der einflussreichsten Bücher in der ganzen Geschichte der Kriminologie ... Die Wrkung ... auf die Reform der Kriminaljustiz lässt sich kaum übertreiben Beccaria vertrat die Auffassung, die Schwere eines Verbrechens solle nach dem Schaden bemessen werden, den es der Gesellschaft zufüge, und die Strafe solle hierzu im Verhältnis stehen. Er war der Meinung, dass die Verhinderung von Verbrechen wichtiger sei als ihre Bestrafung und die Gewissheit der Strafe von grösserer Wirkung als ihre Strenge. Er prangerte die Verwendung der Folter und das geheime Gerichtsverfahren an. Er war gegen die Todesstrafe, an deren Stelle lebenslängliches Gefängnis treten solle; Eigentumsdelikte sollten vorerst mit Geldstrafen geahndet werden und politische Verbrechen durch Verbannung; die Zustände in den Gefängnissen wären gründlich zu verbessern ... Diese Gedanken sind heute so alltäglich und selbstverständlich, dass es schwerfällt, sich vorzustellen, wie revolutionär sie zu ihrer Zeit wirkten. Beccarias Buch hatte sofort Erfolg; ... es wurde schliesslich in zweiundzwanzig Sprachen übersetzt. Seine Grundsätze sind in den Strafvollzug sämtlicher zivilisierter Länder eingegangen« (Carter/Muir). † 1794 gelesen, oder doch von der Verminderung der Todesstrafen und Abstellung der Folter in Preussen, Rußland und Oestreich gehört. Nun affektirte man hier auch diesen philosophischen Ton – es zeigte sich aber bald, daß es nur Affektation war. Die Diebe, Mörder und Strassenräuber mehrten sich so schnell und stark, daß eine Verordnung erschien, welche die ganze Blösse des Hofes an wahren Grundsätzen zeigte, und worin gesagt wurde: »so sehr der Landesfürst zur Milde geneigt sey, und so vest er sich vorgenommen gehabt habe, nach dem Beyspiel andrer Mächte die Gerechtigkeit menschlicher zu machen, so habe er sich doch gezwungen gesehn, wieder strenge nach der Karolina, wie zuvor, hängen, rädern, spiessen, verbrennen und foltern zu lassen« – Aber warum hat die Milderung der strafenden Gerechtigkeit in Preussen, Rußland und Oestreich die Folgen nicht gehabt, die in Bayern das neue Sistem wieder umwarfen? Aus keiner andern Ursache, als weil benannte Mächte ein ernstliches, durchgedachtes und zusammenhängendes Sistem in ihrer Regierung befolgen, der hiesige Hof aber dieses Sistem bloß zum Schein geborgt hatte, und seine übrige Wirthschaft mit dieser Philosophie nicht übereinstimmte. Man wußte hier nicht, wie in jenen Staaten, durch nüzliche Beschäftigung der Müßiggänger das Land von herumstreifendem Gesindel rein zu halten. Man sorgte nicht dafür, durch gute Erziehung, mehrere Aufklärung, Verbesserung der Sitten und Ermunterung zum Arbeiten die Unterthanen vom Stehlen und Rauben abgeneigt zu machen. – Und wenn dann auch der Hof bey Errichtung von Schulen und öffentlichen Arbeitshäusern für den müßigen Pöbel etwas hätte aufopfern müssen, so hätten ja die 6 Millionen Gulden, die man für das Maltheserwerk wegwerfen will, zur Ersparung und Besserung vieler tausend Menschen nüzlicher angelegt werden können. – Diese prächtigen Opern, diese kostbare Sammlungen von Seltenheiten, diese grossen Palläste und Gärten, dieser unzählbare Schwarm von schimmernden Bedienten, macht nicht alles dem Hof den Vorwurf, daß das Eigenthum seiner Unterthanen in schlimmen Händen ist? – Ohne zweifel werde ich Anlaß finden, dich an andern Orten an den hiesigen Hof einigemal zurück zu erinnern.

Was die hiesigen Pfaffen betrifft, so liegen sie jetzt unter sich im Streit. Es sind die nämlichen Partheyen, die in Frankreich durch ihre Verbitterung und Hitze gegen einander so viel Aufsehens gemacht haben. Die ExjesuitenExjesuiten – der Jesuitenorden wurde 1773 von Clemens XIV. verboten, nachdem sein Wirken schon vorher in verschiedenen katholischen Ländern untersagt worden war. mit ihrem Anhang haben eine mächtige Stütze an dem Beichtvater des Kurfürsten, einem aus ihrem Mittel, und an der Spitze stehn sehr reiche Prälaten, die sich mit ihrem Gelde durch die feilen Hofbedienten und Damen einen Weg in das Kabinet zu öfnen suchen.

Wenn ich nicht irre, so gehören einige der leztern auch zum Korps der Landstände: Aber bey der jezigen Regierung, die so eifersüchtig auf ihren Sultanismus ist, und die Landstände als ihre Feinde betrachtet, gibt ihnen das wenig Gewicht, wie denn der Hof auch die Huldigung seiner Stände so lang als möglich auszuweichen sucht. Dem ungeachtet glaubt man, sie würden die Jesuiten noch unter die Füsse bringen, weil das Geld hier allmächtig ist. Was der Staat dabey zu verlieren oder zu gewinnen hat, weiß ich nicht. Die BenediktinerBenediktiner – katholischer Orden, der auf Benedikt von Nursia zurückgeht sind zwar immer auch Mönche, aber wenigstens doch so eigensinnig und unverträglich nicht als ihre Feinde von der Gesellschaft Jesu.

Diese Intoleranz der Jesuiten, welche schon seit langer Zeit Einfluß auf den Fürsten gehabt haben, hat der Pfalz am Rhein sehr viel geschadet. Die Reformirten machten wenigstens die Hälfte der Einwohner dieses Landes aus, und haben verschiedene Friedensschlüsse und öffentliche Verträge zu ihrer Sicherheit. Sie sind in jedem Staat die besten Bürger, deren Religionslehren mit der gesunden Politik vollkommen übereinstimmen, und deren Geistlichkeit mit der weltlichen Macht gar nicht im Streit liegt. Dem ungeachtet werden sie noch bis auf diesen Tag auf alle Art gedrükt, und der Hof scheint sich ein Verdienst daraus zu machen, diesen bessern Theil seiner Unterthanen auszurotten, und geblendet von den Trugschlüssen seiner Pfaffen, betrachtet er ihn als Unkraut im Garten des Herrn. Die Heuchler verlarfen ihren Verfolgungsgeist mit politischen Scheingründen, und suchen den Fürst zu bereden, Einheit der Religion sey jeder Staatsverfassung so wesentlich, als Einheit der Souveränität. So eben les' ich einen Kabinetsbefehl zur Unterdrückung eines kleinen, artigen und sehr unschuldigen Gedichtes gegen die Intoleranz. Es heiß darinn, der Verfasser suche in dem erzkatholischen Bayern einen dem Staat sehr schädlichen Mischmasch von Religionen einzuführen. Sehe der Hof doch, oder hätte er doch Augen zu sehn, was dieser Mischmasch von Religionen in Holland für gute Wirkungen für den Staat hat, und wie groß im politischen Betracht der Abstand zwischen dem durchaus katholischen Bayern und dem Lande sey, das etliche und dreyßig Sekten zählt!

Durch die nämlichen Scheingründe trugen die Jesuiten in Frankreich viel dazu bey, daß das Edikt von NantesEdikt von Nantes – Heinrich IV. Gewährte in diesem Dokument den Hugenotten (franz. Protestanten) volle Glaubensfreiheit und bürgerliche Gleichberechtigung. wiederrufen wurde. Sie gewöhnten Ludwig den Vierzehnten von Jugend auf, die Reformirten als heimliche Feinde der Krone und des Staats zu betrachten, und dichteten diesen stillen Bürgern den Verfolgungsgeist an, den sie selbst in ihrem eignen Busen fühlten. Unser Hof hat nun einsehn gelernt, daß die Jesuiten ärgere Feinde Frankreichs waren, als die Reformirten; aber während daß wir diesen Schritt so laut bereuen, während daß die Reformirten Hofnung haben, unter Ludwig dem Sechzehnten ihre entrissene Religionsfreyheit wieder zu erlangen, während daß NeckerNecker – Jaques Necker, 1776 bis 81 franz. Finanzminister unter Ludwig XVI. Er schaffte die Folter ab, die als jesuitisches Rudiment gesehen wurde. 1788 wurde er erneut berufen und im Zuge der Französischen Revolution gestürzt. † 1804 an seiner hohen Stelle ein öffentlicher Beweis von den unjesuitischen Gesinnungen unsers Hofes ist, fährt man hier fort, die Reformirten auch von den niedrigsten Staatsbedienungen auszuschliessen und auf alle erdenkliche Art zu unterdrücken.

Die Natur rächt allzeit ihre gekränkten Rechte. Die verfolgten Ketzer fliehn aus der Pfalz und bauen die nordamerikanischen Wildnisse an, da unterdessen ein grosser Theil von Bayern wüste bleibt, und mit allen seinen Finanzprojekten kann der hiesige Hof das nicht ersetzen, was er sich selbst durch seine Intoleranz schadet. Leb wohl.


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