Johann Kaspar Riesbeck
Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder - Band 1
Johann Kaspar Riesbeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehnter Brief.

Wien –

London ausgenommen, lieber Bruder, ist gewiß keine grosse Stadt so schlecht mit Gasthäusern versehen, als Wien. Die wenigen Stunden, die ich nun hier bin, habe ich fast bloß mit Fluchen zugebracht. Da wies man mich in eins der berühmtesten Gasthäuser, dessen Namen ich nicht nachsprechen kann, so sehr meine Zunge auch an die wiehernde deutsche Sprache gewohnt ist. Soviel weiß ich, daß man es einen Hof betitelt. Da brennte man in der sogenannten Gaststube, die einem unterirdischen Gewölbe ähnlich sah, bey hellem Mittag ein Licht. Der schmutzige Kell[n]er sagte mir, alle Zimmer seyen von einer Truppe Komödianten besetzt, und ich nahm meinen Weg zum Ochsen, dem allerberühmtesten Gasthof in der Hauptstadt Wien. Da mußte ich wie auf einen hohen Thurm hinaufkletern, in ein schwarzes Kämmerlein, wo ich keine Luft und keine Aussicht als auf Dächer hatte. Ich fragte um den Preis dieses Loches, und da forderte man 56 Kreutzer des Tages. Ich lief was ich laufen konnte den babylonischen ThurmBabylonischer Turm – Anspielung auf den Turmbau zu Babel in der Genesis wieder herab und fragte nach einem andern berühmten Gasthaus. Man führte mich in den wilden Mann, der immer noch unter die 4 bis 5 ersten Gasthöfe der Kaiserstadt Wien gehört, und da habe ich nun eine Art von Gefängniß in Besitz genommen, wo ich durch mein Fenster nichts als schwarze Mauern sehe, worinn, ausser dem schlechten Bett, einem Tisch und Stul von schwarzen Tannenbrettern, nicht das geringste befindlich ist, in welches ich nur über 4 bis 5 Stiegen kommen kann und das ich doch täglich mit 42 Kreuzer oder beynahe 2 Livres unsern Geldes bezahlen muß.

Als die Rede vom Essen war, da war weder eine Table d'hoteTable d'hote – Gemeinschaftstafel noch etwas ähnliches im Haus. Der Keller stellte sich steif vor mich hin und nannte mir 20 bis 30 Gerüchte in einem Athem so geschwinde daher, daß ich nichts unterscheiden konnte. Ich mußte es platterdings seiner Diskretion überlassen, die Speisen für mich zu wählen. Nun giengs an ein Fragen, für wie viel Kreutzer Suppe, für wie viel Gemüß, für wie viel Braten u. s. w. ich haben wollte, als wenn man im ersten Augenblick mit dem Werth der Dinge in einer Stadt bekannt seyn könnte. Ich sagte ihm nur, er soll mich nach seinem Gutbefinden füttern, und ich wollte dann alles richtig bezahlen. Zum guten Gebrauch für die Zukunft erkundigte ich mich um den Preis jeder Schüssel, wie sie mir aufgetragen wurde, und ich muß gestehn, daß alles sehr billig war. Um 20 bis 24 Kreutzer kann man hier ein ziemlich gutes Mittagessen nebst einem Schoppen Wein haben. Aber die Art zu speisen ist traurig. Jeder setzt sich besonders in einen Winkel, bewegt eine Zeit lang die beyden Kinnbacken und die Hände, bezahlt seine Zeche, und geht fort ohne ein Wort geredt zu haben. Man hört in der Gaststube nichts, als das Scharren mit den Löffeln und das Geräusche des Kauens. Ich bin, wie du weißt, nur halb satt, wenn ich vom Tisch aufstehn muß, ohne meinen Theil geplaudert zu haben. Man sollte glauben, es sey hier eine TaxeTaxe – Gebühr auf das Reden gelegt. Wie verschieden von Paris! Wie lebhaft sieht es da in den Gaststuben aus! Wie bekannt thun nicht da alle Fremden und Eingebohrnen zusammen im ersten Augenblick wo sie einander sehn! – An der Thüre des Gastzimmers ist ein Zettel angeschlagen, worauf mit grossen Buchstaben gedrukt zu lesen ist, daß der Wirth 10 Thaler Strafe zu erlegen habe, wenn er auf die Fasttäge einem bekannten Katholiken Fleisch zu essen gäbe – Ich bekam Fleisch im Ueberfluß, ob es schon heute Freytag ist. Der Keller nahm sich die Mühe nicht, sich um meine Religion zu erkundigen, und da that er wohl daran.

Nach dem Essen legte ich mich ans Fenster der Gaststube, woraus ich einen grossen Theil einer der gangbarsten Strassen dieser Stadt, nämlich der Kärnthnerstrasse überschauen konnte. Das Gewimmel ist nicht viel geringer, als das in der Gegend der neuen Brücke zu Paris, und es sieht hier viel bunter aus. Türken, RaizenRaizen – Griech.-Orthodoxe Serben, Pohlen, Ungarn, Kroaten und ich glaube, auch PandurenPanduren – ungarische Soldaten und Kosaken und KalmükenKalmüken – Kalmücken, mongolisches Volk, damals hauptsächlich an der unreren Woga beheimatet durchkreutzen auf eine stark abstechende Art den diken Schwarm der Eingebohrnen, der sich in ungläublicher Stille durch die Strasse drängt. Entweder weiß man hier nichts zu reden, oder man scheut sich laut zu reden. Wenn zwey Bekannte mit einander gehn, so lispeln sie auf der Seite einander zu, und wenn die Kutschen nicht etwas Lärmen machten, so verspürte man auch in dieser Hauptstrasse bey eingeschlossenen Fenstern nichts davon, daß man in einer grossen Stadt ist. Wie verschieden von Paris, London und Neapel!

Ohne Zweifel werde ich hier noch Verschiedenheit genug finden, um dich auf eine lange Zeit unterhalten und dir einen Begriff von der Hauptstadt des ganzen DeutschlandesDeutschland – dazu gehörten damals noch Hinterpommern, Schlesien, Böhmen, Mähren, Österreich, Steiermark, Luxemburg, Jülich, Kleve; nicht aber West- und Ostpreußen. und aller östreichischen Staaten geben zu können. Indessen, bis ich einen bessern Standpunkt, als meine hohe Felsenhöhle in diesem Gasthaus ist, bekommen werde, meine Beobachtungen anzustellen, will ich dir von meiner Fahrt von Linz hieher Nachricht geben.

Unser Schiff war nach dem RißRiß – die Konstruktionszeichnung eines Gebäudes. Das Wort ist heute noch in den Begriffen Reißzeug und Reißbrett, auch Grundriß lebendig der Arche Noahs gebaut, ohne Fenster, durchaus verdeckt, und Menschen, Waaren, Thiere und Ungeziefer ohne Unterschied durch einander eingepackt. Was eine Art von Kajüte vorstellen sollte, war der Vordertheil. Eine hohe Lage Zuckerkisten bildeten die hintere Wand, und auf einer Seite war eine kleine Oefnung angebracht, die man ein Fenster nannte, wodurch man aber kaum sehen konnte, daß es Tag war. Mitten in dem Schiff, der Länge nach, war zur Seite auf dem Verdeck eine andre Oeffnung gemacht; aber nicht um eine Taube nach einem Oelzweig ausfliegen zu lassen – Man mußte über das ziemlich abhängige und bey einem Regen sehr schlüpfrige Verdecke mit etwas Lebensgefahr in diese Oefnung hinabsteigen, um seine Nothdurft zu verrichten. Da diese Kloake keinen Ausfluß hatte und auch kein Schiffsjunge da war, sie zu reinigen, so kannst du dir leicht vorstellen, daß das ganze Schiff immerfort mit balsamischen Düften angefüllt war besonders da es ungewöhnlich viel Leute hatte.

Ich lag die meiste Zeit ausgestreckt auf dem Dach der Arche, mußte aber die Vorsicht gebrauchen, mich auf der Spitze desselben wohl anzustemmen, um nicht durch den geringsten Stoß, den das Schiff von einem Ruderzug oder von dem Berühren des Ufers zu beförchten hatte, ins Wasser gewippt zu werden. Es ist nicht das geringste angebracht, was den Füssen einige Sicherheit geben könnte. Die herrlichen Aussichten, deren ich genoß, machten mir die Reise in etwas erträglich. Von Passau bis hieher sind die Ufer der Donau gebirgigt, und nur an sehr wenigen Orten stehn die Bergreihen, welche das Thal Oestreich bilden, so weit von einander, daß man den Zwischenraum eine Ebene heissen kann. An vielen Orten hängen sie wie abgehauene Mauern über den Fluß her. Dem ungeachtet sind diese Ufer stark bewohnt und vortreflich angebaut. Man erblickt zwar auf denselben, von Linz bis hieher, welches 28 deutsche Meilen beträgt, keine beträchtliche Stadt, aber eine Menge kleiner Städte und wohlgebauter Flecken und Dörfer, die alle von einem hohen Wohlstand der Einwohner sprechen.

Was den meisten Reiz für mich hatte, waren die Krümmungen des Flusses. Einigemal fuhren wir ein langes, enges Tal herab, dessen Bergabhänge aber sanft genug waren, um stufenweis bis zu den Gipfeln hinauf auf die mannichfaltigste Art angebaut zu werden. Im Hintergrund des schönen PerspektivsPerspektive – Ansicht lag am Fuß eines steilen Berges irgend ein wohlgebautes Städtchen oder ein großer Flecken, dessen Weiß mit der finstern Waldung des herüberragenden Berges stark abstach. Nun nähert sich unser Schiffe nach und nach diesem Ort, welcher die ganze Aussicht schließt, und auf dem Wasser zu schwimmen scheint. Wir sind nur noch einige hundert Schritte davon entfernt, ohne absehn zu können, auf welcher Seite sich der Strom aus dem Thal winden wird. Wir glauben bald an die Mauern des Städtchens zu stossen, oder in die Strassen des Fleckens einlaufen zu müssen, als sich auf einmal zu unserer Rechten ein Perspektiv von einer ganz andern Natur öfnet. In einem scharfen Winkel wendet sich der Fluß hier aus dem heitern Thale in einen engen wilden Tobel, dessen ganzen Boden er einnimmt. Es ist, als wenn man auf einmal aus dem hellen Mittag in die tiefe Dämmerung der Nacht versetzt würde. Die senkrechten und sehr hohen Berg= und Felsenwände zu beyden Seiten lassen den Tag nicht eindringen. Den Hintergrund dekt eine dicke Nacht, die kaum die Umrisse der Berghäupter an dem tiefen Blau des Himmels sehen läßt. Der Vordergrund dämmert in einem Halbdunkel, welches den Farben und Gestalten der Berge und Felsen vortreflich zu statten kömmt. Kein Laut unterbricht die Stille, die in diesem öden Thale herrscht, als etwa der widerhallende Schlag eines Holzhauers im nahen Walde oder der Gesang eines Vogels. Wir sind nun bald am Ende des schauerlichen Perspektivs und erwarten, durch eine unterirdische Kluft aus demselben wieder an das Tageslicht zu kommen. Die Schaubühne wird immer dunkler und enger und unsere Auskunft immer räthselhafter. Mit gierigen Blicken suchen wir eine Oefnung in den Felsenwänden, worinn wir ringsum eingemauert sind. Wie auf den Schlag eines Feenstabes öfnet sich nun eine lachende Landschaft zu unsrer Seite, in die wir durch einen Schlund einfahren. Unsere betroffenen Augen waiden nun auf den schönen Hügeln, dem mannichfaltigen Gehölze, den unzähligen Flecken, Schlössern und Höfen, den Weinbergen und Gärten, die sich auf eine grosse Strecke hin in dem Fluß spiegeln – Auf diese Art wechselten die Aussichten immerfort ab, mit einem Abstich, der bey jeder Veränderung immer mehr erwarten ließ, und immer mehr leistete, als er versprach.

Ich bestand auf dieser Fahrt zwey Abentheuer, die ich, als ich sie bloß aus dem Gerüchte kennte, nicht gegen jenes des Ritters aus der ManchaRitter aus der Mancha – »Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha« 1605 von Miguel de Cervantes Saavedra, † 1616 in der Höhle Montesinos vertauscht hätte. Wie es aber zur Sache selbst kam, entwikelte sich der Auftritt, wie jener mit den Walkmühlen, und fast schäme ich mich dir Nachricht davon zu geben. Zu Ulm, Augspurg, München, Regenspurg, Passau und Linz hörte ich so viel von einem Strudel und Wirbel, die man auf der Donau mit grosser Gefahr paßieren müßte, daß ich dir und der Nannette durch die Beschreibung dieser Gefährlichkeiten, die ich bestehen wollte, nicht wenig Schrecken einzujagen gedachte. Ihr könnt aber ruhig seyn, lieben Kinder, wenn ich auch noch hundertmal diese Scylla und CharybdisScylla und Charybdis – Skylla war ein sechsköpfiges Ungeheuer, das an einer Meerenge gegenüber der Charybdis hauste und die Vorüberfahrenden verschlang.
Charybdis – Die Charybdis war ein gestaltloses Meeresungeheuer das in der Straße von Messina lebte. Sie sog dreimal am Tag das Meerwasser ein, um es danach brüllend wieder auszustoßen. Schiffe, die in den Sog gerieten, waren verloren.
befahren müßte. Beyde Plätze sind nicht so gefährlich, als es einige Gegenden in der Mosel, Maaß, Rhone, Loire, im Rhein und in mehrern Flüssen von Europa sind, die demungeachtet stark befahren werden.

Verschiedene Nebenumstände erhalten den Ruf des Schreckens dieser beyden Plätze. Viele Handwerkspursche pralen gerne damit, daß sie das Abentheuer bestanden, und vergrössern vorsätzlich die Gefahr. Andre sind einfältig genug, dieselbe für wirklich zu halten, und das Schauerliche der Landschaft und des Brausens des Wassers trägt nebst dem Vorurtheil noch viel dazu bey, daß sie auf den verschrienen Stellen zittern, und es ihnen düster vor den Augen wird. Nun sehn sie alles durch das Vergrösserungsglas ihrer eingebildeten Forcht, und übertreiben dann ihre Beschreibung davon unvorsätzlich. Das meiste aber thun hiebey die Schiffleute. Sie bringen die Gefahr mit dem Frachtlohn in Anschlag, und wenn man an den berüchtigten Plätzen vorüber ist, so geht der Steuermann mit offenem Hut im Schiffe herum, und sammelt von den Passagiers ein Trinkgeld ein, daß er sie glüklich durch die Gefahr gebracht. Es ist ihnen also daran gelegen, den Strudel und Wirbel in ihrem KreditKredit – hier: Ansehen zu erhalten. Der Eigenthümer des Schiffes, als er sah, daß ich keinen Glauben an das Gespenst hatte, gestand mir im Vertrauen, daß er sich seit den 20 Jahren, durch welche er nun die Donau befahren habe, keines Unglücks zu erinnern wisse, das auf diesen verschrieenen Orten vorgefallen wäre.

Ungleich mehr Gefahr ist bey den vielen Holzbrüken, worunter die Schiffe durchfahren müssen. Die Joche stehn größtentheils so nahe beysammen, daß kaum für ein grosses Schiff zwischen denselben Raum genug ist. Auf einem ordinären Fahrzeug, welches Güter von beträchtlichem Werth und Reisende an Bord hat, ist auch nicht viel zu beförchten, denn der Rand dieser Schiffe geht so hoch über das Wasser hinauf, daß sie beym Anstossen nicht sogleich Wasser schöpfen können, und die Schiffleute, welche für die Waaren haften müssen, sind vorsichtig genug, um sich vor Schaden zu hüten. Aber zu Stein, wo wir uns im Wirthshaus an der herrlichen Aussicht nach dem Kloster Gottwich und der Gegend umher waideten, sahen wir drey Holzschiffe nacheinander an der Brücke untergehn. Die wenigen Schifleute, welche sie führten, sprangen in einen Kahn, und suchten vor der ungeheuern Menge Holz, womit die ganze Donau bedeckt war, so viel wieder aufzufangen als sie konnten. Das Bord dieser Schiffe geht kaum einige Zoll hoch über die Oberfläche des Flusses hinauf, und bey dem geringsten Anstoß schöpfen sie auf einmal so viel Wasser, daß sie sinken müssen. Diese Holzschiffer sind arme Leute, an denen sich die Handelsleute nicht erholennicht erholen – sie bekommen den Schaden nicht ersetzt können. Ihr elendes Schiff hat keinen Werth, und sie können sich im Fall des Scheiterns immer leicht auf einen Kahn retten, den sie hauptsächlich zu diesem Zweck mitnehmen. Ihrer Liederlichkeit hat man die meisten Unglücksfälle zuzuschreiben.

Auf der ganzen Reise wurden wir in den Gasthäusern ungemein gut und wohlfeil bewirthet. Von Kell[n]ern weiß man hier zu Lande nichts; sondern die Dienste derselben verrichten schöne junge Mädchen, die ziemlich viel guten Willen äussern, die Fremden nicht bloß zu Tische zu bedienen – Durchaus herrscht eine auffallende Reinlichkeit und ein hoher Grad von Wohlstand.

Paris fällt auf keiner Seite so schön in die Augen als die Hauptstadt Deutschlands, wenn man sich derselben auf dem Flusse nähert. In der Entfernung von einigen Stunden erblickt man zuerst den hohen St. Stephansthurm durch ein enges Thal, wodurch sich der Strom windet. Die Krümmungen des Thales entziehn ihn wieder dem Auge des Reisenden, der nun mit Sehnsucht die Augen nach der Gegend richtet, wo ihm die verschwundene Pyramide die Nähe der Kaiserstadt verkündet hat. Hohe Weinberge schliessen dieses Thal, und zur linken öfnet sich eine unabsehbare Ebene, worauf man einen Theil der Stadt allmählich erblickt. Zur Rechten ziehn sich die zum Theil beholzten, zum Theil berebten Berge immer noch am Ufer fort, und das königliche Kloster Neuburg vermehrt noch die Pracht der schönen Gegend. Endlich kömmt man an einen steilen Felsen, der sturzdrohend über den Fluß herüberragt. Sein Gipfel trägt ein Kloster, und an seinem Fuß liegt das schöne Dorf Nusdorf, welches man bald für eine Vorstadt von Wien halten sollte. Sobald man an diesem Felsen vorüber ist, nimmt diese Hauptstadt den ganzen Gesichtskreis vor den Augen des staunenden Fremden ein. Ihre Theile entfalten sich dem Auge um so deutlicher, da sie hie und da ziemlich weit von einander getrennt sind, und viele derselben auf merklichen Erhöhungen liegen. Die unübersehbare Masse der Gebäude, das Geräusche, welches einem entgegen hallt, und endlich die Tiefe der Aussicht in einem unendlichen Häuserhaufen, wenn man sich nun wirklich zwischen den Vorstädten befindet, machten mir das Herz pochen, so sehr ich auch auf den Spruch: Nil admirariNil admirari – (lat.) sich über nichts wundern halte.

Als wir ausstiegen, ward mein Koffer am Ufer noch einmal visitirt. Es geschah ohne lästige Umstände, und man nahm sich die Mühe nicht, meine Taschen anzuschauen, die ich mit einigen konfiskablenkonfiskabel – verbotener Gegenstand, der entschädigungslos eingezogen (konfisziert) wird Büchern hoch angefüllt hatte – Die ganze Reise von Linz hieher währte 6 Tage, ob man sie schon sehr gemächlich in 2 Tagen machen kann. Die Schifleute nahmen wieder die widrigen Winde zum Vorwand; ich wußte aber wohl, daß ihre Kontrebande eigentlich schuld daran war – Mit 2 Dukaten kann man die Reise von Regenspurg hieher machen. Mit dem einen wird die Fracht und mit dem andern die Kost der Schiffleute bezahlt, welche in frischen Fischen, gesalzenem Fleisch und etwas Zugemüß besteht. Bey der guten Jahreszeit kann man auch ohne Beschwerde im Schiffe schlafen – So wohlfeil auch diese Reise von 56 deutschen Meilen nach diesem Anschlag ist, so fand ich doch meine Rechnung nicht dabey. Der öftere und lange Aufenthalt des Schiffes reitzte mich zu oft auszusteigen, und in den Wirthshäusern Zerstreuung zu suchen – Wenn man das Glück hat, zu Ulm oder Regensburg Gesellschaft zu finden, so thut diese wohl, wenn sie für sich ein kleines gedecktes Fahrzeug kauft, welches man um 60 bis 70 Gulden immer haben kann und das für 12 bis 16 Personen geräumig genug ist. Das Schiff kann zu Wien gar leicht wieder verkauft werden, und man macht dann die Fahrt von Ulm hieher in 4, 5 oder höchstens 6 Tagen, wozu ein ordinäres Schiff oft 14 bis 18 Tage braucht. Drey bis 4 Schiffsjungen, die man zum Rudern mitnimmt, halten sich für gut bezahlt, wenn man ihnen zu Wien das Schiff überläßt und sie unterwegs kostfrey hält. Leb wohl.


 << zurück weiter >>