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Zwei Jahre fast sind verschwunden seit der Einnahme Sebastopols, – Frieden sind geschlossen, neue Bündnisse erregen die Welt, der Osten stürzt mit Gewalt in die Kultur des Westens und reißt die fest gebauten Schranken zweier Jahrhunderte nieder. Die Dynastie der Napoleoniden ist legitimiert durch Visiten und Gegenvisiten, es hat ein Heer von Sternen geregnet – Frankreich hat seinen Sohn – unter der Asche Italiens lodert die Revolution, und am Ganges zieht das Gericht der Vergeltung herauf für die prahlerischen Wucherer mit dem Blute der Völker.
Was ist anders? – Ein großes Herz fehlt in den Reihen der Gesalbten, und viermalhunderttausend ordinäre Menschen deckt die orientalische Erde!!! – – – –
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Die sonntäglichen Extrazüge haben Tausende müßiger, vergnügungssüchtiger Berliner nach dem Paradiese von Sanssouci befördert, von dem sich der königliche Monarch von Preußen nur den kleinen Raum der oberen Terrasse mit der Sterbestätte seines großen Ahnen bewahrt. Wenn das Leben und Wohnen irgend eines Hofes der Welt öffentlich und dem Volke gehörig ist, so ist es das des Königlichen Hauses der Hohenzollern ... Die Kunstschätze und die herrlichen Anlagen des Parks haben heute nicht allein die Menge nach der zweiten Residenz gezogen. Erhabene Gäste weilen dort, – Namen, auf die die Welt schaut, eine hohe Frau, jedem Preußenherzen teuer in ihrem Witwenschleier, wie einst unter dem Blumenkranz des Mädchens und unter der Krone des größten Reichs der Welt; – ein Fürst, der eine halbe Erde, sein Erbe reformieren will und den Raum zu dem Versuche findet von der Weichsel bis zum chinesischen Meer, vom Nordpol bis zum Fuß des Ararat, – ein Prinz, der sich im Schlachtgewühl von Inkerman den Lorbeerkranz geholt, den er jetzt in den Myrtenkranz der Braut schlingen will. – –
Das schöne militärische Fest des Mittags, dem der ganze Hof beigewohnt, ist vorüber; die höchsten Herrschaften haben sich einen Augenblick zurückgezogen; die Hitze hat auch das Publikum vertrieben, und nur einzelne Gruppen von Damen und Herren, meist in reichen Uniformen, bewegen sich in den duftigen Schatten der riesigen hundertjährigen Orangen. Auf einer der zierlichen Gitterbänke von Gußeisen sitzen zwei Damen, eine ältere mit festen, aristokratisch stolzen Zügen, das Auge beweglich und doch so sicher, die zweite jung, zierlich und elegant gebaut, zu dem hellblonden Haar und der etwas matten, feinen Miene passend. Eine dritte, imponierend durch ihren Wuchs, die Zahl der Sommer durch die blendende Toilette unmöglich zu entscheiden, wenn der Gothaer Almanach nicht zu Hilfe kommt, mit dunklem Auge die Gruppe überblitzend, stützt leicht die von der feinsten Pariser Hülle bedeckte Hand auf den Kasten des nächsten Orangenbaumes.
Vier Herren stehen im Gespräch um sie gruppiert, nur einer davon ist in Zivil, die drei andern tragen Uniform. Der erste von ihnen ist ein hoher Offizier und schon sehr alt, aber von ungebeugter, martialischer, kavaliermäßiger Haltung. In dem kleinen, von Falten umgebenen Auge, das scharf umherblickt, liegt ein gewisser gutmütiger Humor; er spricht langsam und gegen Männer mit dem Ausdruck eines Mannes, der zu befehlen gewohnt ist. – Der zweite ist ein Garde-Artillerieoffizier in der vollen, stattlichsten Mannesblüte. Sein frisches Äußere imponiert, seine Bewegungen sind die der höchsten Gesellschaft und stellen seinen Nachbar in Schatten, der zwar von gleichem Alter und in einer glänzenden russischen Gardeuniform, die junge, breite Brust mit Orden bedeckt, doch zuweilen zeigt, daß das Feldlager und Schlachtgewühl ihm ein gewohnterer Boden als das Parkett eines glänzenden Hofes. Der Herr im schwarzen Zivilfrack, auf der Brust eine Reihe von Orden, unter denen das Hohenzollernkreuz ein Herz deckt, das mit jedem Gedanken, mit Wort und Tat auf diese Anerkennung seines Königs ein Recht hat, zeigt ein gewisses Embonpoint, jene solide Beharrlichkeit geistreicher Genußmenschen.
»Sie sind uns noch immer den Scherz schuldig, Prinz Kraft,« sagte die sitzende Dame mit dem strengen Ausdruck, »über den unser Hofrat so viel gelacht. Mon Dieu, wäre er nicht für unsere Ohren?« – »Warum nicht, meine gnädigste Gräfin?« erwiderte der junge Offizier. »Ich überbrachte die telegraphische Depesche von Wien, die für morgen die Ankunft Ihrer Majestät der Königin von Griechenland meldet; Seine Majestät meinten heiter scherzend: Das Hotel zum Schwarzen Adler wäre in diesem Sommer das besuchteste von ganz Berlin.« – »Wenn Ihre Majestät die Königin von Griechenland kommt,« bemerkte mit leichter Satire die hohe Dame am Orangenbaum, »so werden wir Gelegenheit haben, zu erfahren, ob Ihr Herr Caraiskakis oder Grivas noch am Leben, lieber Hofrat?« – »Es ist doch recht abscheulich von Ihnen,« sagte die junge Blondine, »daß Sie das arme Marketendermädchen so grausam sterben lassen. Sie sind sonst ein herzensguter Mann und lesen uns manchmal so liebe komische Dinge, daß ich gar nicht begreife, wie Sie so grausam sein können.« – »Also Sie haben das Buch auch gelesen, ma chère!« fragte scharf die ältere Dame, »Sie leugneten es doch neulich auf das bestimmteste.«
Das reizende Gesichtchen der jungen Baronesse überzog sich mit Rot ... »Es fielen mir neulich einzelne Hefte bei meiner Schwester in Berlin in die Hände, deren Gemahl sich dafür interessiert. Die Beschreibungen der Schlachten sind wirklich – wie soll ich sagen, recht unterhaltend, namentlich, wenn man jetzt die Herren vor sich sieht, die darin mitgekämpft haben ... Haben Sie nicht auch die militärischen Schilderungen recht pikant gefunden, Exzellenz?« – »Verzeihen, Baroneß,« sagte der alte Feldmarschall trocken, »ich lese dergleichen Zeugs nicht. Ich begreife nicht, wie sich hier der Hofrat, seinerzeit ein ganz verständiger Soldat, mit so nichtsnutzigem Geschreibsel befassen kann!« – Der Hofrat wehrte mit Hand und Mund. »Ich bitte Eure Exzellenz und Sie, meine gnädigsten Damen, auf das untertänigste, doch endlich Akt zu nehmen von meinem Protest. Ich werde doch gewiß nicht einen solchen Verstoß begehen, ein Buch zu schreiben, in dem allerlei lebende, hohe und verehrungswürdige Persönlichkeiten mit so frevelhafter Dreistigkeit behandelt sind.« – »Sie haben recht, lieber Hofrat,« sagte die ältere Dame, »ich traue Ihnen so etwas nicht zu, obschon Sie manchmal gewisse kleine Tücken noch immer nicht ablegen können. Nicht wahr, ma Comtesse, Sie sind auch meiner Meinung?«
Die schöne Dame am Baum klappte mit einem leichten ironischen Lächeln den Fächer zu ... »Man hätte am Ende gar noch zu befürchten, selbst zur Staffage der Szenen des unbekannten Autors zu dienen!« – »Himmel! was denken Sie, meine Liebe, – eine solche Anmaßung!« – »Ich schicke Ihnen morgen Ihr häßliches Buch durch einen Diener zurück, Hofrat; ich mag es gar nicht zu Ende lesen! Es war ohnehin unverantwortlich von dem Autor, wer der Herr auch sei, so lange mit dem Schluß uns warten zu lassen.« – »Ich traue Ihnen doch nicht, Hofrat,« sagte der Artillerieoffizier; »die allgemeine Stimme hält Sie oder den Kabinettsrat für den geheimen Verfasser oder Faiseur, denn es ist unglaublich, daß einem der gewöhnlichen Herren von der Feder alle die Hilfsquellen und Mittel zu Gebote gestanden hätten, die offenbar zu dem Buche benutzt sind.« – »Auf meine Ehre, Durchlaucht,« beteuerte der Hofrat, »Sie tun mir unrecht. Der Autor, wenigstens der, den ich dafür halten muß und den ich freilich das Unglück habe zu kennen, der mir aber gewiß selbst noch irgend eine Bosheit für das Gerücht spielt, war heute im Park. Ich sah ihn unter dem Publikum bei dem Fest.« – »Ei, und Sie zeigten ihn uns nicht? Sein Name?«
Der in die Enge getriebene Hofrat nannte nach einigem Sträuben, als die Hand der schönen Dame sich halb schmeichelnd, halb befehlend auf seinen Arm legte, den bescheidenen Schriftstellernamen ... Niemand zollte ihm weitere Aufmerksamkeit als der russische Kapitän; mit der Gewöhnlichkeit eines Namens schwindet ja so häufig das Interesse an irgend einer bis dahin pikanten Erscheinung ... Der Russe bat den Hofrat, den Namen zu wiederholen, was dieser mit seiner einschmeichelnden Gefälligkeit tat ... »Er wird vielleicht ein kleines Interesse für Sie haben, Herr von Potemkin, weil Sie ja selbst jene blutigen Tage so ehrenvoll mit durchkämpft;« er deutete fein auf die Orden. »Ja – es ist merkwürdig, ich erinnere mich sogar, daß Ihr in Rußlands Geschichte so berühmter Name in eine Szene an der Donau, ich glaube, bei der Verwundung des Generals Schilder, verflochten ist.« – »Ich stand allerdings bei Silistria und hatte bei Inkerman die Ehre, Seiner Kaiserlichen Hoheit bekannt und deshalb zu Höchstseinem Stabe befördert zu werden. Das Buch, von dem Sie sprechen, mein Herr, ist mir jedoch unbekannt, und ich frage nur nach dem Namen, weil er der meiner verstorbenen Mutter ist. Sie war eine Deutsche, und mein Vater lernte sie in dem Feldzuge von 1813 kennen.« – »Ihre gnädige Frau Mutter hat vielleicht Verwandte bei uns?« – »Ich weiß es nicht – meine Mutter starb sehr jung – man sagte mir später, an Heimweh. Ich habe nie von meinen Verwandten gehört, und mein Kriegerleben von Jugend auf hat mich auch gehindert, danach zu forschen.«
Die Gesellschaft erhob sich, denn es zeigte sich eine Bewegung im mittleren Pavillon, und aus den Laubgängen von der Seite der berühmten Mühle von Sanssouci her kam, von hohen Militärs gefolgt, ein majestätisch stattlicher Offizier in der Uniform eines preußischen Ulanen-Regiments. Der Feldmarschall ging ihm sogleich ehrerbietig entgegen ... »Bitte, bester Hofrat,« flüsterte im Vorbeigehen die junge blasse Baronesse dem Zivilisten zu, »fragen Sie doch den Herrn, was aus der Fürstin Iwanowna geworden, und ob sie sich wirklich noch bekommen haben?«
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In der schattigen Allee, nahe der prächtigen und künstlerisch sinnigen Idylle, mit deren Namen ein mächtiger Fürst das Andenken seiner erhabenen Schwester feierte, und die in früheren Zeiten, als der unvergeßliche, heilig verehrte Vater noch die Krone trug, sein Lieblingsaufenthalt war, gingen zwei Männer spazieren, von einem blonden, kräftigen Knaben gefolgt ... Wir sind ihnen früher begegnet – auf der Rennbahn bei Berlin, dem Journalisten mit dem losen Mund und seinem Freund, dem Arzte, der damals nach Sebastopol ging. Er ist zurückgekommen aus den südlichen Steppen des russischen Kaiserreiches, wo er nach dem Fall von Sebastopol sich eine Existenz gegründet hat, um noch einmal die hochbetagte Mutter zu sehen, und die Freundin, die treulich auf ihn, den längst in Rußland Verheirateten, in stiller unerkannter Liebe gehofft hat ...
»Sagen Sie mir, lieber Freund,« fragte der Doktor, »was ist aus der vornehmen schönen Dame geworden, der wir damals zufällig Gelegenheit hatten, einen kleinen Dienst zu erweisen? – Besuchen Sie noch ihr Haus, wohin der Herr Gemahl Sie eingeladen?« – »Der Graf ist vor zwei Jahren gestorben und hat sie als reiche Frau hinterlassen. Die Gräfin hat jedoch vorgezogen, die erneuerten Bewerbungen des früheren Verehrers zurückzuweisen und, statt am Kap der Guten Hoffnung sich unter Kaffern und Buschmännern anzusiedeln, sich mit einem hübschen an Kindesstatt adoptierten Mädchen auf eines ihrer Güter in Schlesien zurückzuziehen. Doch bei der Erwähnung fällt mir ein, daß Sie ja damals auch mit einer der Persönlichkeiten bekannt wurden, denen man später den gemeinen Verrat der von untreuen Dienern erkauften russischen Depeschen an Frankreich und England schuld gab.« – »Wen meinen Sie?« – »Den Mann, der das Geheimnis der armen Frau von jenem abscheulichen Weibe erfahren wollte und leider auch wirklich später durch einen unglücklichen Zufall erfahren hat. Er sog sich wie ein Blutegel an dem Erlauschten fest, und erst der Tod ihres Gemahls befreite die Gräfin von seinen Erpressungen.« – »Es erfolgten ja wohl damals auch einige Verurteilungen?« – »Das Sprichwort von den kleinen und großen Dieben hat sich nur teilweise bewahrheitet. Es schwebt immer ein gewisses Geheimnis über der Sache, das die eben verbreitete Nachricht eines Berliner Blattes von der Anstellung einer der Hauptpersonen keineswegs geeignet ist, aufzuklären. Ein Opfer ist freilich der Justiz gefallen. Wenn man, wie andere, aus alter Zeit dreitausend Taler Anteil an gewissen Versicherungsgesellschaften bezieht, kann man wenigstens den Folgen Trotz bieten. Die Polizeiakten einer nordischen Provinzialresidenz sollen darüber interessante Daten liefern.« – »Lassen Sie mich etwas anderes fragen. Wollen Sie denn Ihr Buch nicht beenden? So viele der lebendigen Figuren, an denen der Leser so reges Interesse genommen, sind ohne Abschluß geblieben.«
Der Journalist lächelte spöttisch, indem er dem Knaben, der neben ihn getreten, das blonde Haar aus der Stirn strich. »Warum denn alles immer erschöpfen bis auf die Hefe der Alltäglichkeit? Sind wir nicht schon Philister genug? Soll ich Ihnen etwa erzählen, daß der deutsche Demokrat und seine schwarze Gattin von Mariams Todesgeschenk glücklich und zufrieden unter dem Schutz der despotischen Herrschaft des Doppeladlers in Odessa leben, die schwarze Frau ihrer Liebe und er in weitem Wirkungskreise geehrt und gesucht? – Sie selbst sind dem Paare ja dort begegnet und wissen, daß er den besten Teil erwählt; denn mit der Mohrin am Arm wäre in den Berliner Straßen ihm die löbliche Gassenjugend nachgelaufen und hätte ihn genarrt!« – »Aber Méricourt? Iwanowna?« – »Auf den hohen Bergebenen des freien Daghestan soll ein Haus stehen, halb Palanka, halb Villa, das der Gattin Djemaladins, des verschollenen Tscherkessenprinzen, gehört, die er sich geholt in sternenloser Nacht am Ufer des Kuban. Dort wohnt ein fremder Krieger mit seinem Weibe, – sie beide haben Namen und Glanz aufgegeben und mit der Vergangenheit gebrochen; er schwingt den Säbel nicht mehr für Ehre und Fürstengunst, sondern nur, wenn die Gefahr es heischt, für die heiligen Nationalrechte eines freien Volkes; sie vergißt im Arme der Freundschaft und Liebe den undankbaren Fluch eines Bruders. Ob es Méricourt, ob Iwanowna, das Paar, von dem ich hörte – ich weiß es nicht! Was kümmern mich die Briefe an meinen Herrn Verleger, die nach ihrem Schicksal fragen? Wollen Sie die Badeliste von Kissingen lesen, – Sie finden vielleicht Fürst Iwan darin. Durch die französischen und deutschen Blätter lief schon im vergangenen Winter die artige Anekdote von dem Zuavensergeanten, der ein Kind in den Trümmern von Sebastopol unverletzt in den Armen einer blutbedeckten, anscheinend toten Frau fand und mit sich nahm. Eine trauernde Dame – so lautet die Geschichte der Zeitungen – steigt eines Tages, nachdem die Presse viel von dem kleinen Regimentsknäblein der Zuaven erzählt hat, in Begleitung von Freunden an der Kaserne der Rue de la Pépinière ab; sie fragt nach dem Sergeanten B... man sagt ihr, der Herr Leutnant wohne in der Nachbarschaft. Die Besucher begeben sich dahin. Als die junge Frau in das bescheidene Zimmer des Offiziers tritt, sinkt sie ohnmächtig auf einen Stuhl; sie hat das Kind, das sie zu Sebastopol verlor, spielend am Boden erkannt. Leutnant B. erzählt einfach, was er getan, und indem er die älteren Rechte ehrt, bittet er nur um die Erlaubnis, den Kleinen von Zeit zu Zeit umarmen zu dürfen. Der Bericht fügt bei, daß der Knabe im Hotel der schönen russischen Dame mit dem französischen Namen bald Vater und Mutter haben würde! Sind Sie nun befriedigt?«
»Aber – – –« – »Kein ›Aber‹, Freund! ich habe schon genug gegen das eigene Gefühl gesündigt. Da blicken Sie hin, ein Stück Geschichte aus der Gegenwart, das interessanter ist als jede Romanfigur. Die Mütze ab, mein Junge! hier kommen die, vor denen sie jeder Preuße zieht.«
Equipagen, galonnierte Vorreiter voran, die prächtigen Rappen des Trakehner Gestüts biegen in die Allee und halten vor dem Eingang von Charlottenhof. Ehrerbietig ziehen sich die Zuschauer in die Umgebung des berühmten Rosengartens der Villa zurück. Der prächtige Blumenflor ist zwar längst vorbei, die Hitze des Sommers hatte die Blätter vor der Zeit verdorrt, die Winde haben den Rest zerstreut in die Lüfte, und blütenleer stehen die mit seltener Kunst gezogenen und gepflegten Stämme ... Nur an einem Zweig noch blüht in werdender Pracht eine dunkle Granatrose, gleich einem schimmernden Blutfleck auf dem grünen Gewande der Blätter. Herrlich ist ihr Kelch aufgetan, süß der Duft, der ihr entströmt ... In ehrerbietiger Ferne halten sich die wenigen zufällig Anwesenden, als die hohe Gesellschaft, aus dem grünen Rondel der prächtigen Villa tretend, den leeren Rosengarten durchwandelt. Eine Dame, in ihren Schleier gehüllt, die Farben ihrer Robe blau und weiß, wird von einem jungen, stattlichen Offizier geführt; der hohe Mann, den auf der Terrasse der Feldmarschall begrüßte, geht an ihrer andern Seite, mit einer still freundlichen Dame sich unterhaltend, die jenen höchsten Ruhm des Frauenhaften selbst auf einem Throne genießt, daß nur bei Werken des Segens von ihr gesprochen wird. Ein ältlicher, etwas starker Herr von etwa 60 Jahren, in einfacher Uniform, promeniert, mit einem jungen, reizenden Mädchen plaudernd, voraus. Seine Stirn ist hoch, das runde, offene Gesicht voll Seelengüte und Würde, die von Kurzsichtigkeit und dem Bedürfnis, sich eines Glases zu bedienen, häufig zwinkernden Augen leuchten Humor und Geist. Der Herr bleibt vor der Rose stehen und betrachtet sie durch das Glas ... » Ah, magnifique! Sehen Sie einmal, schöne Nichte, ist das nicht deliziös? Noch so spät und so süperbe Entfaltung!« – Er verweilt einen Augenblick, während der hohe Kreis weiter schreitet. Sein Auge fällt auf eine Gruppe, die in einem Seitengange des Gartens steht – ein hoher, alter, ehrwürdig aussehender Mann von feiner, aristokratischer Haltung, an seiner Hand ein junges, reizendes Mädchen und neben ihnen ein schlichter, einfacher Arbeiter in kräftigen Mannesjahren, mit einer offenen Bluse und einem grauen Hut bekleidet, den er jetzt in der Hand trägt, und der mit einer preußischen Kokarde geschmückt ist, obschon der Mann etwas Fremdes in seinem Äußeren zeigt ... Die kleine Gesellschaft ist schon früher dem Arzt und dem Journalisten aufgefallen, wie sie jetzt dem hohen Herrn am Rosenbaum auffällt. Er winkt ihr, näher zu treten, und der alte Mann, die Hand des Mädchens fassend, gefolgt von dem Handwerker, naht sich mit ehrerbietigen, von der feinsten Tournüre zeigenden Verbeugungen. – »Wer sind Sie? ... Sie sind fremd hier?« – »Sire! Ich nenne mich Creuxdevent und komme aus dem neuen Kanton Neuenburg, Sie noch einmal zu sehen, ehe ich mein Haupt niederlege auf die Erde meiner und Ihrer Väter.«
Der hohe Herr scheint betroffen von der Auskunft, die er erhalten. Auf seinem Antlitz zeigt sich eine schmerzliche, tiefe Bewegung. Er sucht sie mit Gewalt zurückzudrängen. – »Ist das Ihre Tochter, Herr Graf?« – »Mein einziges Kind, Sire! ihre Mutter war aus der Familie Gélieu. Dies alte Geschlecht, von dem ein Nachkomme ausgangs des vorigen Jahrhunderts als Hauptmann bei den Gardeschützen diente, wurde auch damals von einem tragischen Geschick in Gr.-Lichterfelde ereilt: Das erstgeborne Söhnchen des höchst beliebten Offiziers fiel in einem unbewachten Augenblick beim Spielen im Garten der Villa kopfüber in eine Wassertonne und ertrank, ehe das Unglück bemerkt wurde. (Anm. d. Bearb.) Hätte Gott meine Ehe mit Söhnen gesegnet, Sire, so würden diese Sie um eine neue Heimat gebeten haben. Ich bin zu alt, um die gewohnte noch zu verlassen. Diesen Mann hier, den Milchbruder meiner Tochter, den Montagnard mit preußischem Herzen, begleiten wir auf dem Weg nach Schlesien, wo er sich anzusiedeln gedenkt.«
Wiederum zuckt es schwer und trübe über das Antlitz des hohen Herrn, seine Hand bricht unwillkürlich achtlos, wie krampfend vom innern Schmerz, die Rose von dem Strauch an seiner Seite. – »Sire!« sagt der Greis, »leben Sie wohl! Möge Gott Sie und Ihr hohes Haus segnen, unser Herz bleibt das Ihre, auch wenn Ihr Premier nicht den preußischen Friedrichsd'or für den Neuenburger Groschen wagen wollte!«
»Schweigen Sie, Herr Graf!«
Der Greis beugt sich auf seine Hand und küßt sie. In die Augen des hohen Herrn steigt es trübe empor – ein Tropfen – ein kostbares, heiliges Naß fällt auf die Rose in seiner Linken; dann reicht er sie dem jungen Mädchen, und mit den Worten: »Nehmen Sie, mein gnädiges Fräulein – zum Andenken, und bewahren Sie alle das meine – wie ich –« wendet er sich hastig ab und schreitet sichtlich bewegt seiner hohen Gesellschaft zu.
Der majestätische Offizier in der Ulanenuniform tritt ihm entgegen mit einem Blick nach jener Gruppe: »Immer freundlich und huldreich gegen die Damen, mein Oheim?!«
Ein schweres, trübes Lächeln liegt um den Mund des Herrn, als er den ernsten Blick zuerst auf der hohen Dame in Weiß und Blau ruhen läßt und ihn dann zu den Fragenden wendet: »Verzeihung, mon neveu, daß ich Sie warten ließ. Ich tauschte eben die letzte Rose von Charlottenhof für das Vergißmeinnicht von Sebastopol!«
Ende.
[Fehler in der Buch- und Kapitelnummerierung der Scanvorlage wurden korrigiert. Re]