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Fünftes Kapitel.
Nursah.

Die Hitze des Tages, des nämlichen, dessen Ereignisse in Varna wir in der vorigen Skizze zu erzählen begonnen, hatte schwere Gewitterwolken von Süden heraufgeführt, die, an der Bergkette des Balkans hinziehend, ihr fernes Wetterleuchten über Meer und Land gossen ... Der Konak Sali-Paschas, des türkischen Gouverneurs von Varna, war der Einquartierung so wenig wie jedes andere Gebäude der Stadt entgangen, und es hatten sich in den vordern Höfen zwei Kompagnien der schwarzen schottischen Schützen gelagert, die jedoch am Nachmittag auf den Schiffen der Expedition eingeschifft worden waren, und ihre Stelle hatten die eingetroffenen kurdischen und arnautischen Freischaren eingenommen.

Die Höfe standen voll Pferde, an den Mauern, unter jedem Vorsprung, unter jedem Dache lagerten die Gruppen der Reiter, nach ihren Landsmannschaften getrennt, während die Diener, Khawassen und Soldaten des Paschas ab- und zugingen ... Selbst der hintere Teil der Wohnung des Paschas war seinem eigenen Gebrauch nicht allein vorbehalten geblieben. Der eifersüchtige Moslem hatte seinen Harem nach Konstantinopel entfernt, um jede Berührung mit den Christen zu verhindern, und das Haremlik mit Sir Edward Maubridge geteilt, der der persönlichen Protektion des englischen Oberbefehlshabers genoß und außerdem mit Sali-Pascha bekannt war, der vor dem Kriege zur Gesandtschaft in London gehörte und – gleich vielen andern vornehmen Moslems – eine gewisse europäische Tünche des Äußern sich zu eigen gemacht hatte.

In einem wohlerleuchteten Gemach dieses Haremliks, wo mehrere Gegenstände, zur Reise gepackt, umherstanden, befanden sich am späten Abend noch drei Personen, zwei Männer und eine Frau; die ersteren waren der Baronet und Sali-Pascha, ein schöner, noch ziemlich junger Mann, dessen Antlitz jedoch in seiner matten Farbe und in den dunklen Ringen um die dunklen Augen die Erschlaffung der Haremsgenüsse verriet, – die Frau war Nausikaa, die Begleiterin und Maitresse des Baronets, seit er ihr Rendezvous mit dem Midshipmann gestört. Die schlaue Person, die Gefahr ihrer früheren Erinnerungen einsehend, hatte jedoch ihren Namen geändert und nannte sich seitdem Nedela ... Während die beiden Männer nach europäischer Weise bei den Resten des Mahles am Tische saßen, zwei Flaschen des milden Brussaweins vor sich, den der Pascha, sich wenig um die verbietende Satzung des Korans kümmernd, mit Genuß schlürfte, lag Nausikaa-Nedela auf den Polstern des Diwans, und ihr feuriges, beobachtendes Auge wanderte von dem einen zum andern. Da der Baronet mit finsterer Miene, das Haupt auf die Hand gestützt, am Tische saß, begegnete es häufig den leidenschaftlichen Blicken des Moslems mit einer aufreizenden Koketterie und einem Ausdruck, der auf ein Einverständnis zwischen beiden schließen ließ.

In dem Wesen des Baronets war eine gewisse Unruhe, ein Kampf seiner Seele bemerklich, den er durch hastiges Trinken zu betäuben suchte ... »Es waren am Abend zwei fränkische Offiziere hier,« sagte der Pascha, »die den Gefangenen sprechen wollten. Sie sind abgewiesen auf meinen Befehl.« – »Ich danke dir.« – »Der verräterische Giaur wird morgen sterben in der zweiten Stunde. Es vermag ihn nichts zu retten. Wann schiffst du dich ein, Beisädih?« – »Mit Sonnenaufgang. Unsere Sachen sind größtenteils bereits an Bord der Brigg, deren Kajüte ich gemietet habe. Doch du kennst unsern Vertrag, Freund Sali?« – »Inshallah! was werd' ich nicht! Ihr Franken habt zwei Augen im Kopfe, und eure Zunge ist gespalten. Du hast den Hekim-Baschi unter das Schwert unserer Gerechtigkeit geliefert, der ihn alle Franken-Paschas nicht entreißen sollen. Aber er mag entfliehen, wenn du es so willst. Was ist an einem Hunde gelegen!« – »Er hat den Tod verdient,« sagte der Baronet, »denn ich weiß, daß er ein Verräter ist. Aber er besitzt ein Geheimnis, das sein Leben retten kann. Ich muß den Versuch mit ihm machen.« – »Was willst du von ihm, o Beisädih?« – »Nur den Namen und den Aufenthalt eines Mannes, der mein Feind ist und dem ich ein Leben entreißen muß, das mir gehört. Meine Anstalten sind getroffen. Ich kann mich auf deine Leute verlassen? Denn ich mag die Hilfe meiner Landsleute nicht in meine Angelegenheiten mischen.« – »Arnud-Mustapha, der Führer meiner Khawassen, fürchtet den Teufel nicht, und Hussein-Aga, mein Verwalter, ist mir treu ergeben. Sie harren mit Yaver-Mehemed deiner bei der Torwache und werden dir überall hin folgen. Vassili, mein griechischer Diener, wird euch zu ihnen geleiten, sobald du befiehlst.« – »Der Zugang zu dem Gefangenen ist also frei?« – »Bismillah! Ich habe ihn in das bestimmte Gemach führen und die Wache vor seiner Tür entfernen lassen, da du es wünschtest. Der Hof ist voll von Kriegern und seine Flucht unmöglich. Hier ist der Schlüssel zu seinem Kerker.« – »Gut! So will ich den Versuch machen. Es ist eine Stunde vor Mitternacht und Zeit, daß du dich zur Ruhe begibst, Nedela. Wir müssen mit Sonnenaufgang zu Schiffe.«

Das Mädchen wechselte rasch einen Blick des Unwillens mit dem Moslem ... »Ich fühle mich unwohl, Herr, und möchte, daß du mich auch diesmal zurückließest.« – »Es geht nicht, oder du mußt überhaupt auf meinen Schutz verzichten. Meines Bleibens ist in Varna nicht, auch wenn meine Absicht mißlingt, und Konstantinopel ist ein besserer Aufenthalt für dich als dies Heerlager.« – Der Pascha hatte sich erhoben ... »Möge der Himmel deinen Wünschen günstig sein, Franke,« sagte er, dem Engländer die Hand reichend. »Ich werde dich morgen vor deiner Abreise sprechen und erfahren, was das Kismet gewollt hat.« – Er neigte sich höflich vor der Griechin, deren Augen ihm bedeutsam winkten, und verließ das Gemach.

Noch kurze Zeit schritt der Baronet auf und nieder, dann nahm er aus einem Kästchen zwei Terzerole, prüfte die Schlösser und steckte sie zu sich. Er warf einen Offiziersmantel um seine Schultern, setzte die Militärmütze auf und trat zu dem Mädchen, das bisher stumm seinen Bewegungen gefolgt war ... »Ich muß dich verlassen, Nedela, für diese Nacht,« sagte er, »denn ich habe Wichtiges vor. Du wirst dich nicht fürchten, allein zu bleiben?« – »Warum sollte ich mich fürchten?« entgegnete mürrisch die Schöne. »Ich bin gewohnt, daß du mich allein läßt und all die schönen Dinge unerfüllt bleiben, die du mir versprochen hast, als du mich aus Konstantinopel führtest, wohin ich nicht zurückkehren mag. Bin ich eine Sklavin, die man einsperrt oder ein griechisches Mädchen, das seine Freiheit hat zu tun, was es will?« – »Du bist töricht, Nedela! Dieses Heerlager von Soldaten eignet sich nicht für ein Weib.« – »Und warum nicht? Ich bin jung, ich bin schön und werde Freunde finden in Menge, die mich mehr lieben als du, und weniger finster sind. Denn ich weiß, Herr, du liebst mich nicht, du ziehst ratlos umher, und ich bin nur das Spielwerk deiner Laune und dir längst zur Last. Ich mag nicht nach Konstantinopel.« – »Du bist ein Kind, Nedela, und weißt nicht, was du willst. Nachdem ich mich deiner angenommen, kann ich dich nicht hilflos verlassen. Ich will dich zu deinen Verwandten in Fanar zurückbringen, von denen du mir erzählst, und dich reichlich versorgen, wenn du mich nicht ferner begleiten willst. Überlege deinen Entschluß wohl bis morgen.«

Er verließ sie. Das eitle und gefallsüchtige Mädchen, das während der Abwesenheit des Baronets bereits ein Verhältnis mit Sali-Pascha angeknüpft hatte und dessen Favoritin zu werden hoffte, sann unruhig auf Mittel, wie sie sich der Aufsicht ihres Beschützers entziehen könne, denn der vorsichtige Pascha hatte sich streng geweigert, einen Streit oder Bruch ihrethalben mit dem Gastfreunde herbeizuführen ... Da störte sie ein leises Kratzen an der Tür des Gemaches. Sie klatschte in die Hände, zum Zeichen des Eintritts, und Vassili, der griechische Diener, erschien sofort auf der Schwelle und hob den Teppichvorhang. Der arme verliebte Soldat, den Caraiskakis, unter Veränderung seines Namens Vaso in Vassili, in den Dienst des Paschas gebracht hatte, war durch die Färbung seiner Haare, durch seinen nach türkischer Sitte gewachsenen Bart und ein Pflaster auf einem Auge, völlig unkenntlich geworden. Selbst seine Stimme hatte der Wunsch, immer in der Nähe der früheren Braut zu sein, und die Furcht, sobald er erkannt worden, von ihr gewiesen zu werden, zu verändern gewußt. Dennoch lag in diesem feigen, zertretenen Herzen eine heftige Leidenschaft, eine glühende Eifersucht, die bald zur blutigen Tat werden sollte.

»Herrin,« flüsterte der Diener, »bist du allein?« – »Was hast du, Vassili?« – »Ein Armenier, der in das Konak gekommen, bittet dich dringend um eine Unterredung. Er sagt, er brächte dir Botschaft von deinem Vater.« – Das Mädchen sprang empor, wie von einer Feder geschnellt ... »Von Janos, meinem Vater? Es ist unmöglich!«

Vaso hatte die Tür geöffnet, der Armenier, in Barett und Bart, schlüpfte herein. Durch die Öffnung sah man zugleich neben Vaso die Gestalt eines jungen türkischen Matrosen ... »Wer bist du? Woher kommst du?« fragte hastig Nedela. – Der Fremde nahm Bart und Barett ab. – »Du bist Nausikaa, die Tochter Janis, des Kameltreibers,« sagte Gregor Caraiskakis; »erkennst du mich, Mädchen? – Die junge Smyrniotin hatte sich einige Schritte zurückgezogen, ihr Antlitz zeigte den schnellen Wechsel der Farben ... »Heilige Maria! Du bist der Mann, der mich ärmste aus dem Bosporus rettete, der im Fanar ... –« Sie vollendete nicht, das Bild jener Nacht stand vor ihrer Seele, wenn auch mit einem unbehaglichen Gefühl der Erinnerung, denn die Erscheinung und die Ansprüche eines alten Liebhabers harmonierten keineswegs mit ihren Plänen ... Aber Gregor, von einem doppelten Gefühle erfüllt, der Erinnerung an den alten Freund, der mit seinem Blute die Treue besiegelt, und den Schwüren jener Nacht voll Wollust, Vergessenheit und Liebe, unterbrach sie ... »Höre mich an, Nausikaa,« sprach er hastig, »die Minuten sind uns gezählt; ich komme, dich zu retten aus diesen unwürdigen, schmachbedeckten Fesseln, in die deine bedachtlose Jugend dich geführt. Ich komme, um eine teure Schuld an deinem Vater, eine Schuld an dir gut zu machen. Welche Vergangenheit auch an dir klebt, Gregor Caraiskakis wird dich zu seiner Gattin machen, und sein Name wird jeden Flecken von dir nehmen.«

Er breitete seine Hände nach ihr aus, die ehemalige Odaliske schien jedoch wenig geneigt, sich seiner Sorge anzuvertrauen ... »Du kommst von Janos, meinem Vater – es sind Jahre vergangen, daß ich nicht von ihm hörte, und ich bin seine Tochter nicht mehr.« – »Du bliebst es, denn du warst ein willenloses Opfer des Frevels. Er hat ihn gerächt, aber er ist selber hinübergegangen zu den Gefilden der Glückseligen. Ich vollziehe sein Erbe, indem ich dein Retter und Schützer werde fürs Leben.«

Selbst die Nachricht von dem Tode ihres Erzeugers schien nur wenig Eindruck auf das in den Intrigen und Gelüsten des Harems verdorbene Herz der Schönen zu machen ... »Wohin willst du mich führen, wenn ich dir folge?« fragte sie. – »Ich werde dich an einen sichern Ort geleiten, wo du bleibst, bis diese Kriegsstürme ausgetobt haben. Du wirst mit Nikolas, meinem Bruder, nach dem russischen Gebiet fliehen.« – Das Mädchen schüttelte verächtlich den Kopf ... »Wozu? ich habe Freunde hier – der Beisädih ist mein Beschützer.« – »Fluch über den Verräter! Sein falsches Herz hat das Leben meiner eignen Schwester gebrochen und er wird dich ebenso verstoßen, wie er sie verstoßen hat. Die Rache ist auf seinen Fersen.« – »Du bist sein Feind?« – »Bis über das Grab hinaus. Drei Dinge führen mich hierher: dich zu holen, den gefangenen Freund vor dem schimpflichen Tode zu retten und mich an dem Inglis zu rächen. Wo ist er?«

Die Odaliske sah ihn mit einem seltsamen, forschenden Blick an ... »Meinst du den deutschen Arzt, den der Inglese hat zum Tode verurteilen lassen?« – »Denselben. Er kannte deinen Vater. Er ist für unsere Sache in Gefahr.« – »Und du willst ihn retten vor seinen Feinden und diese verderben?« – »So wahr mir die Märtyrer helfen mögen, ja!«

Sie faßte seine Hand, – ihr Hauch blies die Lampe aus, daß er in dem Dunkel des Gemachs die frohlockende Miene nicht sehen konnte: »Bist du bewaffnet?« – Er legte ihre Hand auf seine Brust, sie fühlte unter dem Gewand die Knäufe der Pistolen und den Griff eines Dolches. – »So komm!« – Sie zog ihn hastig durch mehrere Gemächer; die Matten und Teppiche dämpften das Geräusch ihrer Schritte. Dann auf eine letzte Tür deutend, deren Spalt einen hellen Lichtschimmer ausströmen ließ, flüsterte sie: »Dort! ich erwarte dich!« und entfloh.

Gregor Caraiskakis näherte sich der Tür, durch die ihm zwei bekannte Stimmen entgegenschallten.

*

In einem Gemach des steinernen Hauptgebäudes des Pascha-Konaks, wohin er nach dem Kriegsgericht gebracht worden, saß der deutsche Arzt, bemüht, mit möglichster Ergebung das traurige Schicksal zu erwarten, das ihm für den nächsten Morgen zuerkannt worden ... Er vermochte nicht zu entscheiden, ob seine Verurteilung mehr an dem bösen Willen oder der Gleichgültigkeit der Beisitzer des Gerichts gegen ein Menschenleben gescheitert war, aber bei dem vollen Bewußtsein seiner Unschuld blieb er doch gerecht genug, anzuerkennen, daß die Beweise gegen ihn schwer und erdrückend gewesen. Sein Leben rollte Bild auf Bild an ihm vorüber, – die Kinderjahre im Hause des Vaters, auf dem Straßenpflaster der preußischen Residenz – die Universitätsjahre, der Eintritt in das wogende, unverstandene politische Leben, Not und Leichtsinn, Kummer und Stolz in Paris – die drückenden Fesseln des politischen Bundes, – die farbenhellen Bilder des Orients, Ruhe und Kampf, Jammergeschrei und pulsierendes Leben, Blut neben Gold – Schlacht und Seuche – und jene Nacht! jene Nacht Mit ihren geheimnisvollen Rätseln und Freuden – – » Fare well!«

Die Riegel an seiner Tür rasselten, durch die geöffnete trat eine Gestalt, in den Militärmantel gehüllt, herein und blieb vor ihm stehen. Langsam entfernte sich die bergende Hülle, – der Baronet, Edward Maubridge, stand vor dem Verurteilten. Sein Gesicht war bleich, sein Auge entschlossen. – »Sie hier? – was wollen Sie? – Sie haben Ihr Werk vollendet.« – »Hören Sie mich,« sagte der Baronet, »hören Sie mich ruhig an, wie es dem Mann zum Manne ziemt. Dann fassen Sie Ihren Entschluß.«

Er hielt einen Augenblick inne, dann fuhr er, als habe er diesen Auftritt, jede Silbe seiner Erklärung, durch seinen Entschluß festgestellt, ruhig fort: »Das Schicksal hat uns zusammengeführt, die wir der Wege verschiedene wandelten. Es warf Sie in den meinen, als Gefährten eines Mannes, den ich hätte lieben können und den ich hassen und verfolgen mußte, und diesem Haß sind auch Sie zum Opfer gefallen. – Ich bin ein Engländer, – das heißt hartnäckig und stolz. Die Frauen sind meine Leidenschaft oder meine Schwäche. Ich sah in Smyrna die Schwester Ihres Freundes, Diona, und liebte sie. Bei dem Normannen-Blut meiner Väter! ich liebte sie! Nur die teuflische Einflüsterung des Schurken von Konsul in Smyrna ließ das Recht mich in Händen behalten, die Gültigkeit unserer Ehe je nach meinem Willen anzuerkennen oder zu verweigern. Bei Gott! hätten nur ihre Augen gesprochen, das Kind unter ihrem Herzen, mein besseres Ich hätte gesiegt und ich sie nach England geführt als meine Gattin.« – »Wozu mir das, einem Sterbenden?« – »Sie werden es sogleich erfahren, Sir. Als Sie mit dem Banditen Janos in unser Asyl einbrachen und Diona mir nahmen, fühlte ich erst recht die Stärke meiner Liebe; als Ihr Freund auf dem Verdeck des »Niger« mir jedoch die Rechte seiner Schwester abtrotzen wollte, da stieg der Teufel meines Trotzes und Stolzes in voller Stärke in mir empor, und es begann ein Kampf zwischen mir und ihm, der vielleicht nur mit unserm Leben endet. Ein freundliches Wort hätte am Grabe des Achill, als ich die Pistole gegen ihn hob, wahrscheinlich unser aller Schicksal gewendet.« – »Das Wort auszusprechen, Sir, war an Ihnen.« – »Es ist möglich, – ich will nicht streiten darüber, es geschah nicht und der Kampf war begonnen. Sie wissen wahrscheinlich, daß mein Weib auf der See bei Geburt ihres Kindes starb, daß ich als Gefangener nach Sebastopol geführt wurde, daß Ihr Freund mich von meinem Kinde trennte und geschworen hat, es mir nie zurückzugeben. Schwur gegen Schwur, ich muß meinen Sohn haben und setze mein Leben daran. Caraiskakis war in meinen Händen, er wurde mir entrissen und ich glaubte ihn bei einer Szene des Aufstandes im Fanar von Konstantinopel erschlagen.« – »Ich wiederhole die Frage, – wozu mir das, einem Sterbenden?« – »Sie waren der Freund, der Vertraute des Mannes, den ich verfolgte. Sie wußten vielleicht um das gegen alle meine Spione wohlverwahrte Geheimnis des Kindes. Ihre Spur führte nach Silistria und ich ging dahin. Dort erhielt mein Verdacht die Bestätigung, daß Dionas Bruder, mein Gegner, am Leben, denn mit dem Briefe des Russen, den Ihnen mein Diener stahl, fiel ein solcher jenes Mannes in meine Hände: Er ist in Varna.« – »Es ist möglich.« – »Es ist gewiß; ich weiß es, aber es ist all meinen Anstrengungen unmöglich gewesen, ihn aufzufinden. Sie kennen seinen Aufenthalt. Ihr Verrat in Silistria in Verbindung mit Ihrem Freunde ...«

Der Gefangene legte die Hand auf den Arm des Baronets ... »Halten Sie ein, Sir, und tun Sie einem Sterbenden nicht ein Unrecht. Sie wissen, daß ich unschuldig bin, daß von dem politischen Fanatismus des Mannes, den ich Freund nannte, mein Name, mein Diener gemißbraucht sind zu der entehrenden Spionage, daß ich selbst aber keinen Teil daran habe.« – »Ich weiß nicht, ob Sie unschuldig sind oder schuldig,« sagte der Brite heftig, »die Beweise sind gegen Sie und Sie sind auf mein Zeugnis verurteilt, das ich gegeben, wie ich es als Mann verantworten kann. Jedenfalls hat Sie Ihr Freund in diese Lage gebracht, und Sie haben keine Rücksicht mehr auf ihn zu nehmen. Ihr Leben, Sir, Ihre Rettung liegt dagegen in meinen Händen.« – »Wie das?« – »Ich habe die Mittel, Sie noch in dieser Stunde aus Varna zu führen. Antworten Sie mir als Mann von Ehre: kennen Sie den Aufenthalt meines Kindes?« – »Ich weiß nur, daß er in der Krim von seinem Oheim zurückgelassen worden ist, nichts mehr.« – »Sie kennen den Aufenthalt des Herrn Caraiskakis hier in Varna? – Sir, es gilt Ihr Leben.« – »Ich glaube ihn zu kennen.« – »Wenn ich Sie aus diesem Kerker noch in dieser Stunde befreie, wollen Sie mich und einige der Meinen zu ihm führen, daß ich mich seiner Person bemächtigen kann? – Merken Sie wohl, ich will ihn nur zwingen, mein Kind mir auszuliefern, und Goddam! diesmal soll er mir nicht entrinnen. In dem Augenblick, wo er mir seinen Besitz abtritt, soll er frei sein.« – »Sir, ich bin kein Verräter – außerdem, ich kann mein Leben nicht durch die Flucht retten.« – »Sie sind ein Tor! Er hat Sie betrogen und zum Werkzeug seiner Zwecke gemacht, wie Sie sagen, – er selbst hat das Band der Freundschaft, des Vertrauens gebrochen ...« – »Er ist hier, es einzulösen!« sagte eine leidenschaftliche Stimme, »du aber, doppelter Feind und Verräter, nimm deinen Lohn!«

In der Tür stand der Armenier, seine Augen funkelten ... »Caraiskakis – Goddam, er selbst – ich verhafte Sie!« ... Gleich dem Tiger sprang der verkleidete Grieche auf ihn zu, das Messer blitzte in seiner Hand und sein Stoß warf den Baronet zu Boden ... » Hell and damnation – zu Hilfe ...« Sein Blut überströmte den Boden, mit der Linken hielt Caraiskakis seinem Opfer den Mund zu ... »Rasch, Nikolas, rasch – das Bündel mit den Kleidern.« – »Was haben Sie getan, Gregor!?«

Der Arzt kniete bei dem Verwundeten und beschäftigte sich mit ihm. Der starke Blutverlust hatte den Baronet bereits ohnmächtig gemacht ... »Bei der Panagia, Freund! eilen Sie, wir haben keinen Augenblick zu verlieren – legen Sie diese Kleider an! Nikolas, bewache die Tür!« – »Lassen Sie mich, Herr – ich besudle meine Ehre nicht mit einer schimpflichen Flucht.« – »Um aller Heiligen willen, – Freund, – Bruder, keinen falschen Stolz! Ich habe mein Leben gewagt, Sie zu retten – Sie müssen entfliehen!«

Der Deutsche achtete nicht auf ihn – er zerriß sein Tuch, um die Wunde des Engländers zu verbinden ... Plötzlich erhob sich in der Ferne ein furchtbares Geheul, das immer höher und höher schwoll – Trommeln wirbelten, Signalhörner bliesen, ganz Varna mit seinen Heermassen schien aus dem Schlaf der Nacht zu erwachen ... »Jangin-war! – Jangin-War!« Es ist Feuer.

Der Feuerruf scholl in zehn Sprachen durch die Nacht, durch alle Straßen Varnas – im Konak wurde es lebendig, Menschen liefen umher, Geschrei, Fragen – »Um des Himmels willen, ich beschwöre Sie, Welland, werfen Sie die Kleider über und fliehen Sie mit uns – jeder Augenblick ist Verderben.« ... Der Deutsche erhob sich, der Verband war angelegt. – »Entfernen Sie sich, Caraiskakis,« sagte er streng. »Die Bande, die uns verknüpften, hat Ihr Trug zerrissen. Ich entschuldige Sie mit dem Fanatismus für Ihr Vaterland und vergebe Ihnen meinen Tod. Aber ich bin ein Preuße, Herr, und das graue Haupt meines Vaters werde ich nicht beschimpfen, indem ich durch feige Flucht die Anklage des Spionenhandwerks bestätige.« – »Ewiger Gott – – hören Sie mich ...« – »Gehen Sie – sichern Sie sich selbst, oder ich rufe um Hilfe. Gehen Sie und lassen Sie mich versuchen, dieses Opfer Ihrer Tat zu retten.«

Er beugte sich gleichgültig gegen die Beschwörungen des früheren Freundes, wieder zu dem Verwundeten und begann mit der Sorgfalt des Arztes seinen Puls zu prüfen und die Wunde näher zu untersuchen, während draußen durch die Straßen der Stadt immer lauter der Feuerruf hallte, die Trommelwirbel schlugen, die Kommandoworte der hin und her jagenden Offiziere ertönten ... Durch die dunklen Gänge des Konaks rannten die Khawassen und Diener des Paschas, die Wachen heulten ihr Feuerjo! die Pferde bäumten und rasten – der ganze weite Konak war auf den Beinen.

In der Tür der Gefangenenzelle erschien das bleiche Gesicht Vassilis, mahnend an die Flucht; Nikolas stürzte herein und riß mit Gewalt den Bruder fort – »Das Vaterland gilt mehr als ein Leben, und sei es das kostbarste!« – So schleppte er ihn davon, denn aus allen Türen stürzten Menschen, die Stimme Sali-Paschas rief nach den Wachen, die treulose Nedela schrie jetzt Hilfe und Mord, Lichter erhellten die Vorplätze, über die Höfe goß die Feuersbrunst, deren Glutwolken man hoch in den Himmel wirbeln sah, Tageshelle. Eine unbeschreibliche Verwirrung herrschte hier, und Menschen und Pferde drängten durcheinander. Mitten im äußern Hofe sah Nikolas Grivas mit einem Blicke die Wölfin von Skadar auf dem schwarzen Roß halten und Befehle erteilen, ihre Arnauten um sich sammelnd ... Einen Moment glaubte der junge Grieche sich von dem Auge der Rächerin gestreift und tauchte unter in dem Gewühl von Menschen; im nächsten waren sie außerhalb des Tores des Konaks und in dem Strome, der sich nach der nahen Stätte der Feuersbrunst ergoß. Das Gedränge, der Lärm war wahrhaft fürchterlich. Die anrückenden Kompagnien der Pioniere und Sappeure mußten sich mit Hieben ihrer Axtstiele Bahn brechen. Wer unter die Füße getreten wurde, war verloren, ein jämmerlicher Tod wartete seiner. Araber, Franzosen, Engländer, Türken – zehn Nationen bunt durcheinander. Einzelne Griechen suchten sich eilig durch die Menge zu winden und zu entfliehen, denn schon hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Griechen die Feuersbrunst angestiftet hätten, und daß mehrere beim Anzünden des Magazins ergriffen worden seien ...

Unfern des Konaks, wo die Straße zum sogenannten Korso und den Seetoren sich wendet, drückte Gregor dem Bruder die Hand. – »Fort mit dir und erreiche das Schiff. Du weißt, wohin du mir Nachricht zu geben hast. Die Heiligen schützen dich!« Er warf sich – während Nikolas seinen Weg verfolgte – in die Lücke, die das rücksichtslose Dahersprengen mehrerer Generale in die Menschenmauer riß, und gelangte so zu dem Platze, auf dem die Feuersbrunst wütete.

Marschall Saint-Arnaud mit dem Prinzen, den Generalen Bosquet und Espinasse und einem zahlreichen Stabe hielt mitten im Gedränge und erteilte seine Befehle, während um den englischen Oberbefehlshaber erst wenige Offiziere versammelt waren, da die meisten Truppen der Briten weit außerhalb der Festungswerke lagerten. Lord Raglan wandte alle Aufmerksamkeit der Rettung der Magazine zu, das Werk der Menschenliebe seinen Alliierten überlassend ... Plötzlich brach ein Geheul wilden Frohlockens aus, alles übertäubend, als jubelte eine Legion von Teufeln durch die Luft. » Les incendiaires! les incendiaires!« und wie ein Sturmwind flog die Nachricht über die Menge, daß in den Hütten am Magazin eine Bande der dahin geflüchteten Brandstifter, Griechen, entdeckt und ergriffen worden sei ... Das Getümmel wurde fürchterlich, unbeschreiblich ... »Zum Marschall! zum Marschall! Ins Feuer mit ihnen!« heulte der Ruf ... Mit Kolbenstößen, ja, mit Bajonettstichen mußte die starke Eskorte, die die Gefangenen umgab, sich Bahn brechen durch die Menge und die Unglücklichen verteidigen.

Tausend Hände waren gegen sie erhoben, tausend wutflammende Gesichter umdrängten sie, ihnen hundertfachen Tod drohend. Einige der Gefangenen – es waren ihrer sechs – mußten von Soldaten der Wache geschleppt werden, denn die ersten Mißhandlungen der wütenden Franzosen hatten sie des Gebrauchs ihrer Glieder beraubt oder betäubt. – Einer dagegen, das bleiche Gesicht mit Blutstropfen überperlt, die aus einer Stirnwunde flossen, ging fest und aufrecht; seine Hände waren mit einer Offiziersschärpe auf den Rücken geschnürt ... Ein Blick genügte für Gregor Caraiskakis – er erkannte Geurgios, den Fanarioten. Hinter den Gefangenen, den bloßen Degen in der Hand, den Offizier der Eskorte unterstützend, schritt der Kapitän Depuis, an seinem Arme hing ein schwarzer Knabe, ängstlich sich zusammenschmiegend, – Nursah, der Diener des verurteilten Arztes, und an seiner Seite Paswan, der Kiradschia.

Der Blick auf Geurgios und Nursah hatte dem Führer des Hoffnungsbundes alle drohende Gefahr enthüllt; dennoch konnte er sich nicht entschließen, nach dem Schlupfwinkel zu eilen, wo die griechische Verschwörung das Netz ihrer Fäden konzentriert hatte, um zu sehen, ob hier noch ihre wichtigen Papiere zu retten seien; außer der Mauer von tobenden Menschen fesselte ihn das Interesse an dem Bundesbruder ... Sein Zaudern sollte jedoch bald und schrecklich entschieden werden ... Kaum zehn Schritte noch von dem Marschall entfernt, brach plötzlich, durch die finsteren Blicke des Fanarioten voll Haß und Todesverachtung gereizt, eine Woge von Menschen, heulend, brüllend, durch die Eskorte und riß den Unglücklichen aus ihren Reihen. Vergeblich waren alle Anstrengungen der Offiziere und Soldaten, ihn wieder zu befreien. Man vernahm kein Kommando mehr. Selbst die Befehle des Marschalls blieben unbeachtet in dem wütenden Geschrei: »Zum Feuer! zum Feuer!« – Minutenlang sah man in der Glut der noch immer hoch in die Luft schlagenden Lohe den Körper des Fanarioten über den Köpfen der Menge, wie er von Hand zu Hand weiter gelangt wurde; dann verschwand er einen Augenblick, um im nächsten wieder zu erscheinen, hoch durch die Luft geschleudert, hinein in den kochenden Herd von Flammen ... Ein einziger gellender Schrei – dann folgte lautlose Stille über dem ganzen Platze ...

»Fällt das Bajonett! Nieder mit jedem, der sich an den Gefangenen vergreift. – In das Pascha-Konak mit ihnen zum Verhör!« – Des Marschalls eigenes Kommando klang weithin über die Menge, das Klirren der Gewehre verkündete, wie die Reihen sich um die Bedrohten schlossen; von drüben her antwortete das Krachen der letzten einstürzenden Balken und Wände; der Marschall, einem der Generale das Kommando übergebend, wandte sein Pferd, gefolgt von seiner ganzen Umgebung ... Gregor Caraiskakis, in die Menge gekeilt, hatte stumm den Tod des Bundesbruders mitangesehen. Im Augenblick, da Bewegung und Luft in die Masse kamen, verschwand er im Gedränge.

*

Es war gegen 11 Uhr gewesen, als die Schar von Caraiskakis und Geurgios mit den verschworenen Griechen das Haus verlassen hatte, das ihnen zum Hauptschlupfwinkel diente, weil es ziemlich unbemerkt lag mitten im Griechenquartier und mehrere Ausgänge hatte. Da alle Hände gebraucht wurden für die Ausführung ihrer Beschlüsse, blieb die Bewachung des Sklaven Nursah einem alten Griechen überlassen ... Nursah aber hatte sich müde geweint; er lag auf den Matten und schlief. Caraiskakis selbst hatte die Tür des Gemaches von außen verschlossen.

Kaum eine Viertelstunde war vergangen, kein Geräusch mehr war im Hause zu hören, und so richtete der schwarze Knabe sich von seinem Lager empor, schlich auf den Zehen an die Tür und die Jalousieen und horchte hinaus. Da alles ruhig blieb, öffnete er behend und leise die letzteren und blickte hinaus. Das Gemach lag eine Treppe hoch, und das Fenster war von einem Vorsprung des Hauses beschattet. Mit der Schnelligkeit einer Katze hatte Nursah die leichten Decken, die sein Lager bildeten, zerrissen und aneinander geknüpft und an den Jalousieen befestigt. Dann ließ er sich an ihnen hinabgleiten und gelangte glücklich in den Hof und Garten, dessen Mauer er überstieg ... In dem Gäßchen angelangt, das die Mauer begrenzte, blieb er einige Augenblicke stehen, um einen Entschluß zu fassen. Er wußte, daß Eile nottat, wollte er seinen Herrn retten, denn er hatte bei der Rückkehr der beiden Caraiskakis an der Tür gelauscht und, obschon er das Neugriechische nur sehr mangelhaft verstand, doch erfahren, daß ihr Herr zum Tode verurteilt war und am nächsten Morgen erschossen werden sollte. Ebenso wußte er, daß Gregor einen Versuch zu seiner Rettung machen wollte, indem er die Magazine in Brand setzte. Schon als nach der Verhaftung des Arztes der junge Mohr zu dem Freunde seines Herrn geflohen war, hatte er ganz bestimmt erklärt, daß er sich lieber opfern und ein offenes Geständnis über die Art und Weise, wie er in Silistria den Spion gemacht, ablegen wollte, ehe er seinen Herrn in Gefahr ließe. Caraiskakis hatte ihn zwar durch die Versicherung beruhigt, daß eine solche nicht vorliege und der Arzt höchstens eine kurze Haft zu bestehen habe, da ihm nichts erwiesen werden könne; aber er hatte es doch seitdem für nötig gehalten, den Knaben nicht mehr aus dem Hause und auch dort unter Aufsicht zu lassen ... Das erregte Mißtrauen hatte den Mohren jedoch wachsam gemacht, und einige Worte des Bruders beim Abschied hatten seine Aufmerksamkeit erhöht. So gelang es ihm, die Wahrheit zu entdecken.

Im Augenblick stand auch sein Entschluß fest, daß er sich nicht auf die Mittel der Griechen verlassen könne, sondern, koste es sein Leben, selbst alles aufbieten wollte, den Herrn, den er mit einer seltsamen Hingebung liebte, zu befreien, zu retten ... Jetzt stand er, um diesen Entschluß auszuführen, von seinen Hütern befreit, in der Straße, aber zugleich fiel auch die Schwierigkeit seines Unternehmens ihm auf die Seele. Er wußte, daß nur wenige Stunden noch zwischen jetzt und dem Tode lagen, und kannte nicht einmal die Namen der Richter seines Herrn, an die er sich zu wenden hatte. Ebenso fiel ihm die Unmöglichkeit bei, jetzt in der Nacht bis zu einem der Befehlshaber zu gelangen, wenn dies für den armen schwarzen Knaben überhaupt möglich war.

Er gedachte, wie wenig man sich hier um ein Menschenleben kümmerte ... Der Name des Kapitäns fiel ihm bei, der ihr Reisegefährte gewesen auf dem Wege durch den Balkan nach Silistria. Er war ein gutmütiger, lustiger Mann und hatte oft mit dem jungen Mohren launig geradebrecht ... Aber wo ihn finden unter den tausenden? – war er überhaupt noch in Silistria? – wie ihn suchen, da er nicht einmal der fremden Sprache dieser Krieger mächtig war? Er war hastig immer vorwärts geschritten und so in die belebteren Stadtteile gekommen, wo die Schenkhäuser und Restaurants noch immer geöffnet waren und die Ab- und Zugehenden Erholung von den Beschwerden und dem Lärm des Tages boten.

Trostlos sah der Knabe sich um und dann hinauf zu den Sternen. Er wußte ein großes Geheimnis, das vielleicht Hunderten das Leben retten konnte, und wollte es verkaufen für das eines einzigen, aber wem konnte er es bieten? ... Der Himmel selbst schien ihm Antwort zu geben auf sein Flehen. Indem er an dem Tschardak des » Restaurant des Officiers« vorüberschlich, hörte er eine bekannte Stimme – – ein Mann mit einem Diener, der ein Pack trug, kam die Stufen herunter, er hörte, wie er diesem den Auftrag gab, die Pakete nach der Karawanserai zu tragen und die Maultiere fertig zu halten für den Aufbruch mit dem ersten Sonnenstrahl.

Der Mann war Paswan, der Kiradschia ... Mit einem Freudenrufe sprang der Knabe auf ihn zu – er verstand seine und der Fremden Sprache – er konnte helfen ... Nursah faßte seine Hand, seine Worte überstürzten sich anfangs so, daß der Händler ihn nicht zu verstehen mochte, bis er ihn in den Lichtstrahl aus einem der offenen Fenster zog und erkannte ... »Armer Bursche,« sagte er mitleidig, »das traurige Schicksal deines Herrn hat dich wahrscheinlich auf die Straße geworfen und ohne Nahrung und Obdach gelassen. Du kannst mich begleiten, bis sich etwas Besseres für dich finden wird. Heute abend noch hörte ich vom Kapitän Depuis, dem Franken, daß er morgen erschossen wird.« – »Der Kapitän? – Wo ist er? – wo verließest du ihn?« – »Vor wenig Augenblicken dort im Kaffeehause. So lustig er sonst ist, so sehr geht ihm das Schicksal des Hekim-Baschi nahe, und daß er, trotz aller Bemühungen, es nicht zu wenden vermochte.«

Der Knabe warf sich ihm zu Füßen ... »Bei dem Christus, den er mich erkennen gelehrt, o Paswan, habe Erbarmen mit mir! Ich, ich vermag ihn zu retten. Ich kann seine Unschuld entdecken, ich kann diese Franken hier retten vor großem Unglück. Habe Mitleid mit ihm und laß mich mit dem Kapitän sprechen!« – Der Kiradschia war erstaunt, doch er war ein Mann von gutem Herzen und versprach, den Wunsch des Knaben zu erfüllen. Er hieß ihn warten und ging zurück in das Kaffeehaus ... Bald kam er wieder mit dem französischen Kapitän ... »Frage ihn,« sagte hastig der Knabe, »ob er meinen Herrn retten kann, wenn ich beweise, daß er nichts von dem Verrat in Silistria gewußt, und daß ich allein die Nachrichten an die Moskows gegeben und die Boten gesandt habe?«

Der Kiradschia wiederholte die Worte des Mohren auf französisch, aber der Kapitän schüttelte traurig den Kopf ... »Es wird wenig helfen, und der Beweis wird dir schwer sein. Der Spruch des Kriegsgerichts ist gefällt, und jeder Aufschub der Vollstreckung selbst der Empfehlung des Prinzen von dem Pascha abgeschlagen. Du würdest dich unnötig selbst in Gefahr bringen, wackrer Bursche, denn ich glaube, daß dein Vorgeben bloß ein freiwilliges Opfer deiner Treue ist.« – Nursah hatte mit glühenden Augen an dem Munde des Offiziers gehangen und aus seinen Bewegungen die Antwort gelesen ... Er faßte krampfhaft den Arm des Kiradschias ... »Frage ihn,« sagte er mit glühendem Gesicht, und er bediente sich der Lingua franka, gleich als wolle er den Kiradschia möglichst an einer Verheimlichung seiner Worte hindern, »frage ihn, ob sie ihn freigeben wollen, wenn ich ihnen ein wichtiges Geheimnis entdecke, eine Verschwörung, noch diese Nacht die Stadt in Flammen zu setzen?«

Der Kiradschia blickte erschrocken auf den Knaben; der Kapitän jedoch, der einzelne Worte verstanden hatte, war aufmerksam geworden, und so wiederholte jener wörtlich die Frage ... » Diantre! Ist dies Wahrheit, oder lügst du, Bursche?« – Der Mohr hatte den Zweifel auf seinen Lippen gelesen ... »Bei der heiligen Mutter Gottes, an die ich glaube! bei den Gräbern meiner Eltern!« beteuerte er. – »Rührt euch beide nicht von der Stelle!« befahl der Kapitän, »ich weiß, du verstehst Italienisch. Im Augenblick bin ich wieder bei euch!« – Er sprang zurück in das Kaffeehaus. Wenige Momente nachher kam er zurück mit einem Offizier. – »Erzähle diesem Herrn, was du weißt; er spricht Italienisch.«

Nursah berichtete mit fliegenden Worten, ohne den Zusammenhang mit der Rettung Wellands zu erwähnen, daß die Griechen um Mitternacht die Magazine der Franken in Brand stecken wollten. Von dem Lazarett hatte er selbst nur Ungewisses verstanden ... Kapitän Depuis hielt bereits die Uhr in der Hand, während ihm sein Kamerad die Nachricht übersetzte. Einige Worte genügten den Offizieren, um sich über die nötigen Schritte zu verständigen. Während der zweite in das Kaffeehaus zurückeilte, um Lärm zu machen und Meldung nach allen Seiten zu senden, zog Kapitän Depuis den Degen ... »Du weißt den nächsten Weg zu dem Magazin?« fragte er den Kiradschia. – »Ja, Herr!« – »Vorwärts denn und rasch, ihr beide weicht nicht von meiner Seite! Ist es, wie du sagst, und kommen wir zeitig genug, so bürge ich dir für sein Leben.«

Halb rennend verfolgten sie den Weg. Dem Unteroffizier einer Patrouille, die ihnen begegnete, befahl der Kapitän, sich ihnen anzuschließen, – so, in vollem Lauf zuletzt, betraten sie den Platz und eilten nach der dunklen Masse des Gebäudes. Plötzlich strauchelte der Kapitän ... » Morbleu! hier liegt ein Mensch!« – Er bückte sich, ihn zu fassen, zog aber schnell die Hand zurück. – »Es ist die Schildwache, sie ist ermordet!« – In demselben Augenblicke schoß eine Flammengarbe empor, indes das Lazarett an der andern Seite des Platzes in Feuer stand. In dem hellen Schein, der sich weithin ergoß, huschten einzelne dunkle Gestalten an den Mauern und zwischen den Baracken hin ... »Höll' und Teufel! Die Mordbrenner haben das Lazarett angesteckt. Dort fliehen sie! hinter ihnen drein!«

Der Kiradschia hielt ihn zurück ... »Das Magazin! das Magazin!« – Ein Blick belehrte den Franzosen, daß auch hier das bübische Werk im Gange sei: zwei, drei Flämmchen schlugen aus den Dächern eines angebauten Häuschens ... Der Flintenschuß eines Soldaten knallte hinter einer jener dunklen Gestalten drein, die an ihm vorüberhuschen wollte; mit geschwungenem Degen sprang der Kapitän auf eine zweite los, indem er dem Unteroffizier zuschrie, die Ausgänge des Platzes zu besetzen ... Zugleich rollten entfernte Trommelschläge durch die Straße und fanden bald ihr hundertfältiges Echo. Menschen kamen in vollem Lauf herbei. Mit jedem Augenblicke mehrte sich ihre Zahl.

Der Verfolgte war dem Kapitän unter der Hand verschwunden. Während der Hilferuf Nursahs und des Kiradschias bald Menschen genug herbeiführte, um für die Rettung des Magazins zu wirken, forschte der Kapitän nach den Mordbrennern, da er überzeugt war, daß sie noch irgendwo in der Nähe verborgen sein müßten ... Geurgios und fünf seiner Gefährten, von den Franzosen überrascht, hatten sich in eine der Baracken geflüchtet, gewiß, in dem folgenden Gedränge zu entkommen. Die Aufmerksamkeit des Kapitäns verhinderte ihren Plan ... Auf Befehl des Marschalls waren die Gefangenen nach dem Pascha-Konak, als dem nächsten sich eignenden Platze, gebracht worden, der sofort wieder von französischen Wachen besetzt wurde, indem man ohne weiteres die albanesischen und kurdischen Freischaren hinausjagte und die aus dem Lazarett geretteten Franken hier einquartierte. Obschon das türkische Regiment in der von den Alliierten besetzten Stadt eine Null geworden, machte der Marschall doch Sali-Pascha die bittersten Vorwürfe über die schlechte Polizei, die er übe, und dieser hütete sich daher wohl, von dem Vorfall im eigenen Hause zu sprechen, um so mehr als er ihn zu seinen besonderen Zwecken auszubeuten suchte.

Als nämlich durch das Geschrei Nausikaas oder Nedelas – das sie erst erhob, nachdem sie die beiden Griechen hatte entfliehen sehen, und durch den Feuerlärm der Pascha herbeigeführt worden, hatte die Schlaue ihm allerlei Lügen von dem plötzlichen Erscheinen bewaffneter Männer bei ihr erzählt, um sich gegen ihn und den Baronet sicher zu stellen, ohne jedoch ihre Bekanntschaft mit Caraiskakis zu verraten, und die Aufmerksamkeit nach dem Gemach des Gefangenen gelenkt. Man fand die Tür von diesem selbst geschlossen und den Arzt noch immer mit dem Baronet beschäftigt ... In dem Audienzzimmer des Paschas war sofort ein Kriegsgericht gebildet worden, das die gefangenen Mordbrenner verhörte ... Adjutanten eilten hin und her, den Oberbefehlshabern ihren Rapport zu bringen, der Konak schien plötzlich zum Hauptquartier geworden.

Die Tatsachen lagen so klar, daß das Verhör der fünf Griechen nur kurz war. Das Zeugnis des Kapitäns bekundete, daß man sie in der Nähe des Arsenals und der ermordeten Schildwache und noch verschiedenes Material zur Brandstiftung in ihren Taschen gefunden hatte; während Nursah aussagte, daß der Plan verabredet worden sei. Vier der Angeklagten leugneten auch weder die Absicht noch die Tat, weigerten sich aber entschieden, ihre Freunde und Helfer und deren Verstecke zu verraten. Nur einer, von der wütenden Menge übel zugerichtet, bezeichnete das Haus, worin die Führer sich aufzuhalten pflegten. Vergebens hatte Nursah während seiner kurzen Aussage versucht, auf die Unschuld seines Herrn zurückzukommen; der Vorsitzende des Kriegsgerichts, nur mit der Feststellung des vorliegenden Verbrechens beschäftigt, verwies alles Weitere auf später – oder an das türkische Gericht, das den Arzt verurteilt hatte. Während das Kriegsgericht zur Fällung des Urteils sich zurückzog, war Kapitän Depuis mit einem türkischen Offizier kommandiert worden, mit Hilfe Nursahs den Schlupfwinkel der Griechen aufzusuchen und zu durchforschen. Als das Kommando sich auf den Weg machte, begann die helle Nacht des Orients sich in die Klarheit jener wunderbaren Morgenröte zu verwandeln, die Meer und Land mit ihren Farbentinten überschüttet ... Beim Licht des Tages gelang es Nursah, sich leichter zu orientieren und das Haus, aus dem er entflohen, zu finden. Eine unsägliche Angst spannte all seine Geisteskräfte, beflügelte seine Schritte ... Das Haus war leer – Gregor Caraiskakis und die übrigen Verschworenen hatten Zeit gehabt, es zu räumen und alles mitzunehmen, was ihnen Gefahr bringen konnte ... Die sorgfältigste Durchsuchung ergab keine Spur; und indem sie das Haus besetzt ließen, kehrten die Offiziere mit der Meldung zurück ... Aber die durch die Straßen ziehenden Kolonnen verzögerten ihren Weg – die Sonne war aufgegangen und warf ihre klaren Strahlen über Stadt und Meer.

Je näher sie dem Konak kamen, desto größere Angst durchbebte das Herz des jungen Mohren; sein flehender Blick wandte sich jeden Augenblick vorwurfsvoll auf den Kapitän, der ihm das Leben seines Herrn versprochen, und der ihn vergebens in seiner ihm unverständlichen Sprache zu beruhigen versuchte ... Schon auf dem Wege hatte sie das Gerücht erreicht, daß die Griechen zum Tode verurteilt worden und auf Befehl des Marschalls sofort auf dem Glacis der Festung erschossen werden sollten, um die Erbitterung der Soldaten zu beruhigen ... Ein wildes, tumultuarisches Geschrei voll bitterer Verwünschungen verkündete ihnen, als sie näher kamen, daß die Verurteilten bereits ihren Todesweg angetreten ... Als sie den Eingang des Konaks erreichten, kam ihnen eine Gruppe englischer Matrosen entgegen, die eine Krankensänfte trugen; daneben ging ein alter englischer Schiffskapitän, von Zeit zu Zeit sorgsam nach dem Kranken sehend. Mehrere türkische Diener begleiteten den Zug und machten Platz für ihn.

Der Offizier war der Kapitän des »Niger«, der Kranke, den er an Bord transportieren ließ, Edward Maubridge ...

Nach der Feuersbrunst in der Nacht war der Kapitän mit andern Offizieren zur Stadt gekommen und hatte den Baronet aufgesucht. Er fand ihn unter den Händen des Arztes, der die letzten Stunden seines Lebens mit einem Werke der Menschenfreundlichkeit füllte. Dieser gab ihm die Versicherung, daß für das Leben des Baronets unter der Hand eines kundigen Chirurgen nichts zu fürchten sei, indem der Stoß des Dolches keine Lebensarterien verletzt und nur starken Blutverlust zur Folge gehabt hätte, der den Kranken auch größtenteils bewußtlos ließ. Da zugleich der Befehl des Marschalls bekannt wurde, daß alle entbehrlichen Räume des Konaks sofort zum Lazarett an Stelle des abgebrannten Gebäudes eingerichtet und benutzt werden sollten, beschloß Kapitän Warburne, den Verwundeten an Bord zu bringen und ihm dort die nötige Pflege zu widmen.

Kapitän Depuis hatte mit seiner Begleitung den Eingang des Konaks erreicht und ließ hier Nursah im Schutze einer Wache zurück, um seine Meldung zu machen und zugleich nochmals für den Arzt zu sprechen und des jungen Mohren Eingeständnis vorzulegen. Aber er traf weder den Marschall noch den Prinzen mehr im Konak. Dem Zurückkehrenden stürzte Nursah entgegen, den Kiradschia mit sich fortziehend. Die wilden, verzweifelten Bewegungen des Knaben zeigten ihm zugleich, daß etwas Ungewöhnliches vorgegangen ... »Was ist geschehen? – rasch! denn wir müssen eilen, den Befehl zum Aufschub der Exekution zu erhalten, die um 6 Uhr vollstreckt werden soll.« – »Es ist zu spät!« jammerte Paswan, »alle Mühe ist vergebens, der Pascha hat die Gelegenheit benutzt, das Urteil an dem Hekim-Baschi zugleich mit den Griechen vollstrecken zu lassen. Ich sah den Unglücklichen vorüberkommen.« – » Diantre!« fluchte der Kapitän, »sie können noch keine fünf Minuten Vorsprung haben, – wir holen sie ein! Ha – die Hilfe sendet uns Gott!«

Ein Reitertrupp kam die verhältnismäßig leere Straße herauf: General Espinasse mit seinem Stabe, der die Expedition nach der Dobrudscha kommandierte. Der Kapitän sprang an sein Pferd und salutierte ... » Monsieur le Général, retten Sie die verpfändete Ehre eines französischen Offiziers!« – Der General hielt einen Augenblick an. – »Was wünschen Sie, Kapitän?«

Mit fliegenden Worten, während er neben dem Pferde des Generals herging, berichtete der Offizier die Vorgänge, das Wort, das er dem Knaben verpfändet für die Entdeckung des Komplotts, die Geständnisse und die Selbstanklage desselben in bezug auf die Spionage in Silistria; endlich den tückischen Streich des Paschas, der die Stunde der Exekution früher angesetzt hätte ... Der General sann einige Augenblicke ... »Ich habe von dem Verurteilten gehört, und daß man Zweifel an seiner Schuld hegte. Aber die Sache betraf die Herren Türken ganz allein und ging uns nichts an. Jetzt steht es anders. Sie verpfändeten Ihr Wort im Namen des Kommandierenden, und das muß gehalten werden, wenn es noch Zeit ist. Wo soll die Hinrichtung vollstreckt werden?« – »Auf dem Glacis am Tor von Baltschick, auf Ihrem Wege, Exzellenz.« – »Vorwärts, meine Herren! Sehen Sie zu, wie Sie nachkommen, Kapitän! Lassen Sie aber den jungen Spion nicht von der Seite, damit wir die Sache später untersuchen können.«

Der General setzte sein Pferd in Trab. Nursah lief neben ihm her, der Kapitän folgte, so gut es ging. Als sie am Tore ankamen, knallte eben eine Salve ... »Rechts, rechts, Herr!« schrie Kiradschia, der mit dem angstkeuchenden Knaben neben den Pferden herrannte, »das waren die Griechen! – ich sehe das türkische Kommando dort!« – Der General sprengte im Galopp nach dem bezeichneten Orte durch die platzmachende Menge, die der Exekution der Mordbrenner beigewohnt, an dem französischen Kommando vorüber, das um die Leichen der fünf Erschossenen aufmarschiert war – sein weißes Tuch winkte nach einer entfernteren Gruppe – –

Dort stand aufrecht am grünen Wall neben einer offenen Grube ein Mann, bleich, aber fest und mutig – – Zehn Schritte von ihm traten eben zwölf türkische Nizams an. Die Kolben ihrer Gewehre rasselten auf den Boden ... So rasch der General geritten – Nursah, der schwarze Knabe, war dennoch früher zur Stelle als er, und stürzte sich zwischen die Soldaten und seinen Herrn, diesen umklammernd und mit seinem Leibe schützend ... »Rettung, Herr! Rettung! Du wirst leben!« – Aber der Arzt stieß ihn verächtlich von sich ... »Ich mag keiner Gnade ein ehrloses Leben verdanken. Jüs-Baschi, kommt zu Ende!« –

Vor diesem aber hielt bereits der General ... »Sprecht Ihr Französisch, Herr?« – »Du sagst es, Exzellenz.« – »Was wollt Ihr mit dem Mann da tun?« – »Inshallah! Wie Gott will! Er soll erschossen werden. Er ist ein Spion und das Kriegsgericht hat ihn verurteilt.« – »Dummheiten!« sagte der General. »Wir können unsere Ärzte besser gebrauchen, als sie von euch Türken erschießen zu lassen. Der Mann ist unschuldig und außerdem – packt euch zum Teufel!«

Der Jüs-Baschi glotzte ihn groß an ... »O meine Seele! Was soll ich sagen – der Mann, Exzellenz, ist mir vom Pascha übergeben und ich muß ihn erschießen lassen.« – Der General wandte sich kaltblütig zu seiner Suite, die eben herankam ... »Montaigne, reiten Sie nach dem Tore zurück, das, wie ich sehe, eben das erste Regiment verläßt. Beordern Sie eine Kompagnie hierher und lassen Sie den Platz mit dem Bajonett räumen, wenn diese schmutzigen Schufte sich bis dahin nicht aus dem Staube gemacht haben.« – Ohne sich weiter um den erschrockenen Moslem zu kümmern, ritt er zu dem Verurteilten, der staunend die unerwartete Szene mit angehört hatte ... »Sie sind frei, Herr,« sagte der General freundlich, »aber es wird gut sein, wenn Sie für einige Zeit ohne Zögern Varna verlassen. Doktor Maineville von den dritten Zuaven ist erkrankt und zurückgeblieben. Sie werden den türkischen Dienst quittieren und seine Stelle einnehmen.«

Der Übergang von dem Gefühle des sichern Todes zum frischen, gesicherten Leben war zu plötzlich, zu überraschend, um nicht selbst das kräftigste Herz zu erschüttern. Einige Augenblicke wankte der Arzt wie ein Betäubter, unter dem Schlage, dann raffte er sich auf und streckte beide Hände nach dem General aus ... »Exzellenz – täuschen Sie einen Unglücklichen nicht – mein Name ist beschimpft, meine Ehre verloren! Ich bin als Spion verurteilt!« – »Ich weiß, ich weiß,« sagte ungeduldig der General. »Wir wollen das später in Ordnung bringen. Ihre Rettung danken Sie dem Kapitän hier und dem Geständnis dieses schwarzen Burschen da, der, wie ich höre, die ganze Spionage geleitet hat.« – Der Mohrenknabe sah aus den Augen und Gebärden, daß von ihm die Rede war. Er umfaßte demütig die Füße seines Herrn. – »O Vergebung, Effendi! Du, dem ich so viel verdanke, dein Zorn wäre bitterer als der Tod.« – Aber der Arzt stieß ihn empört und heftig von sich, daß er weithin zu Boden taumelte ... »Verräter! Du hast meine Liebe und Güte mit Verrat deines Herrn gelohnt, – geh' aus meinen Augen, für immer, Bube!« – »Nehmen Sie eines meiner Handpferde, Doktor, bis wir zur Kolonne kommen,« befahl der General; »und Sie, Kapitän Depuis, nehmen den schwarzen Burschen da mit zurück und übergeben ihn dem Platzkommandanten zur weitern Untersuchung. Und nun, meine Herren, vorwärts, denn wir müssen die Verspätung einholen.« – Der Arzt saß bereits im Sattel des Pferdes, das ein Reitknecht ihm zugeführt hatte. Depuis und der Kiradschia waren mit dem schwarzen Knaben beschäftigt, den die Hand des deutschen Arztes von sich geschleudert und der, betäubt, mit blutender Stirn, am Boden lag. – Der mitleidige Offizier hatte ihm Jacke und Tuch geöffnet und versuchte, ihn zum Leben zurückzubringen. Plötzlich sprang er erstaunt empor ... »Ein Weib, Exzellenz, – es ist ein Weib!«

Der General blickte schlau und lächelnd bald auf den Arzt, bald auf die Gruppe. Es konnte kein Zweifel sein – die Gestalt, die schwer atmend und eben erwachend vor ihnen lag, gehörte einem Weibe. Der volle, üppige Busen in seiner Ebenholzschwärze quoll aus dem zerrissenen Obergewand den Blicken entgegen. Eine Schnur schlang sich um den festen, kräftigen Hals und schien auf der wogenden Brust etwas Glänzendes, gleich einem Ringe, zu halten. –

» Parbleu!« sagte spöttisch der General, »das Abenteuer wird immer interessanter. Doch Weiber, Kapitän, haben stets das Privilegium des Verrats, und deshalb lassen Sie die schwarze Schöne laufen, sobald sie wieder zu sich gekommen. Galopp, meine Herren!«

Davon sprengte die Kavalkade. Einen Blick nur hatte der Arzt auf das ohnmächtige Mädchen geworfen und dieser eine Blick ihm das Rätsel gelöst, das in dem Knaben ihm schon beim ersten Begegnen bekannte Züge gezeigt hatte ... Nursah – Nursädih!


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