Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.
Varna.

Wenn der Schiffer aus dem Bosporus an den felsigen, seltsam schroff geformten Westküsten des Pontus Euxinus mit günstigem Winde hinaufstreift, an der Stätte des alten Apollonia vorüber, wo jetzt das Dorf St. Nicol seine Fischerhütten ausgestreut, gelangt er mit dem milden Hauch des Südens zu einem breiten, schönen Golf, der sich so weit hineinstreckt ins Land, daß die Flotten der Welt hier stattlich, wenn auch eben nicht sehr sicher vor Anker liegen könnten. Der Golf wird von dem Ausfluß des Dewno-Sees ins Meer gebildet. Im Süden begrenzen ihn die Felsen des Galata-Vorgebirges. Die Nordseite steigt in leichter Hebung plateauförmig bis an den Fuß des mächtigen Hämus, dessen breiter Kamm mit unzähligen Ausläufen vom Schwarzen Meere bis zu den Felsenwänden der Adria die bulgarischen und slavischen Provinzen der Türkei durchschneidet. Zwischen dem Gebirge und dem Golfe, seine Wälle und Mauern unmittelbar in die blauen Wellen des letzteren tauchend, liegt Varna, das Odessus der Alten ... Stets ein wichtiger militärischer Vorposten Konstantinopels in den seit 140 Jahren andauernden russisch-türkischen Kriegen, war Stadt und Festung, nachdem ihre Wälle bei der letzten Eroberung durch Diebitsch und bei dem Bombardement durch Admiral Greigh im Jahre 1828 zerstört worden, in Schmutz und Unbedeutenheit versunken, bis plötzlich die rollenden Donner des orientalischen Krieges mit einem Zauberschlag sie zu einem wichtigsten Stapel- und Sammelplatz zuerst der türkischen Donau-Armee, dann selbst der westmächtlichen Expeditionskorps machten. Vom April bis zum Ende August 1854 war das sonst kaum 16 000 Einwohner zählende Varna eine Weltstadt, in der sich drei Weltteile – Europa, Asien und Afrika – ihr kriegerisches Rendezvous gegeben hatten. Zu Anfang April trafen die Generale Canrobert, Bouat und Espinasse in Gallipoli ein, dem ersten Sammelpunkt der anglo-französischen Armee. Der Marschall St. Arnaud, der am 22. April mit einer Proklamation in Marseille den Oberbefehl übernommen, folgte im Mai; Prinz Napoleon, der Vetter und präsumtive Thronerbe des Kaisers, hatte sich, mit einem Divisions-Kommando betraut, am 1. April eingeschifft, war nach Beseitigung der über die Ausweisung der Griechen zwischen dem französischen Gesandten und der Pforte entstandenen Differenzen in Konstantinopel eingetroffen und hatte den Palast von Defterdar-Burnu bezogen. Von englischer Seite folgten im März Lord Raglan, der britische Oberbefehlshaber, und der Herzog von Cambridge, dem vom Sultan das Palais Tschiragan eingeräumt wurde. In der Mitte des April standen bereits 40 000 Mann englisch-französischer Truppen auf türkischem Boden. Mitte April begannen die ersten Translokationen der Truppen nach Scutari, Adrianopel und Varna. Durch die strategischen Operationen der Russen gegen die Dobrudscha und Silistria beunruhigt, sahen die Alliierten ein, daß sie zum Schutz Konstantinopels eine Position einnehmen müßten, um das bereits ziemlich lau gewordene Vertrauen der Türken zu stärken, und Varna wurde als Operationsbasis für alle weiteren Zwecke gewählt. Anfang Mai trafen dort englische Sappeurs und Mineurs ein und steckten ein Lager am Südende der Bucht ab. Am 18. kamen Marschall St. Arnaud und Lord Raglan in Varna an. Die Feldherren begleiteten Omer-Pascha nach Schumla, und in der am Bord des »Agamemnon«, des Flaggenschiffs des Vizeadmirals Sir Edmond Lyons, nach ihrer Rückkehr gehaltenen Beratung wurde zuerst, auf die Instruktion des Kaisers, die Expedition nach der Krim beraten und beschlossen.

Tiefes Geheimnis sollte diesen Beschluß begleiten, dennoch war er bald den gewandten griechischen Spionen kein Geheimnis mehr. Freilich hatten sie das Schicksal Kassandras, die auch bei der modernen Iliade nicht fehlen sollte, – die Russen glaubten sich sicher und Sebastopol uneinnehmbar – von der Seeseite. Eine Belagerung zu Lande hielt man für eine Unmöglichkeit. Im Juni trafen die erste und dritte Division der französischen Hilfsarmee, die Divisionen Canrobert und Prinz Napoleon, zur See in Varna ein. Die Divisionen Bosquet und Forey (die zweite und vierte) folgten auf dem Landwege über Adrianopel. Mitte Juli standen mit den Türken und Ägyptern ungefähr 100 000 Mann in Varna. Die Engländer hatten ein festes Lager bei Dewno an der Straße nach Schumla und auf der Südseite des Golfes bezogen, die Ägypter und Baschi-Bozuks lagerten neben den Zuaven auf dem Campo und das Hauptkorps der Franzosen hinter dem alten Wall der Festung.

Ein Treiben, wie die bewegteste Phantasie es nicht zu malen vermag, herrschte am Nachmittag des 20. Juli in den Straßen, Gassen und Gäßchen von Varna und auf dem Spiegel des Golfes. Eine starke Eskadre der ankernden Kriegsschiffe machte sich offenbar fertig, in See zu gehen, und nahm Munition und Wasser ein. Am Dewno-Kai wimmelte es von Matrosen, Soldaten und türkischen Lastträgern, Pferden, Kamelen und Maultieren. Bergehoch waren hier die Munition, die Tornister, die Brotsäcke aufgetürmt. Angebundenes Schlachtvieh brüllte und blökte, betrunkene Matrosen standen und lagen überall im Wege, jeden mit Grobheiten traktierend, der in ihre Nähe kam, schreiende Griechen, plaudernde militärische Flaneurs, marschierende Kolonnen, Araber und Lasttiere aller Art. In den Straßen, die zum Staunen der gläubigen, über solche Neuerungen die Augen zu den sieben Himmeln des Propheten schlagenden Muselmänner von den Franzosen rasch mit Namen und Nummern versehen worden, war die Bewegung und das Gedränge nicht minder groß. Der Spahi mit seinem abenteuerlichen afrikanischen Kostüm und dem wehenden Mantel, der Araber mit seinem schmutzigen Burnus, den nackten Beinen und dem gelben, durch einen Strick um den Kopf befestigten Tuch; die englischen Uniformen, rot mit blauen Pantalons, den steifen, erstickenden Halsbinden und den hohen Bärenmützen, die Franzosen mit den leichten Kaskets, die sie auf Befehl des Marschalls schon in Gallipoli gegen die schweren Tschakos vertauscht hatten, auf den Kopf gestellte Engländer, blau oben, rot unten; der Gamin der Armee: der Zuave mit den weiten, türkischen, roten Pantalons, dem koketten Jäckchen und bloßen Halse und dem langen, blauen Schweif am großen Feß; Marketenderinnen in ihrer kecken, zierlichen Tracht; griechische Kaufleute und bulgarische Ochsentreiber mit den quietschenden, knarrenden Wagen; Stabsoffiziere zu Pferde; die irregulären Ägypter in ihren Hosen und Jacken von gelb, rot oder weiß gestreiftem Kattun, die wie ein wandelnder Bettüberzug aussahen; Juden und Maultiere, Jäger von Vincennes und Bergschotten, faule Moslems, die Hände auf dem Rücken, den langen Tschibuk hinter sich her schleifend; Baschi-Bozuks in ihrer malerisch-wilden Tracht; Matrosen in den Rinnsteinen, lachende Midshipmen, Mohren, Araber, Europäer, Nord- und Südländer, der Hut neben dem Turban, der Helm neben der braunen bulgarischen Pelzkappe, Filz und Seide, Gold, Tuch, Silber, blinkende Waffen, Pferde, Esel, Kamele, zwanzig Sprachen durcheinander – das war das Babylon von Varna! – das war Varna im Sommer 54, und Sacristi! Marschall Saint-Arnaud mit seinen pomphaften Proklamationen von künftigen Siegen oder Nimmer-Heimkehr hielt verdammt wenig Ordnung in diesem Chaos!

Im Tschardak des » Restaurant des officiers«, wie sich pomphaft mit langen Buchstaben eine der schnell etablierten Garküchen in der großen Korsostraße nannte, drängte es sich von ab- und zugehenden Offizieren aller Waffengattungen. Ebenso im Innern, wo vor ziemlich schmutzigen, rings umher laufenden Rohrbänken Tische standen, die mit französischem Luxus gedeckt und von zwei gewandten Garçons bedient waren, wenn auch die Speisekarte fast so mangelhaft wie die Speisen selbst blieb.

Die Unterhaltung flog von Tafel zu Tafel und jeder der Neueingetretenen gab ungeniert seinen Teil dazu. Eine laute, lärmende Gesellschaft saß in der Mitte des Zimmers ... »Erzählen Sie, Ducru. Also ein Kleeblatt von Jeanne d'Arcs in Konstantinopel, und wir werden sie hier sehen?« – »Wie heißen sie? Wer ist die dritte? das Journal de Constantinople spricht ja Wunderdinge von ihr.« – »Von der Gräfin Zamoyska haben Sie bereits gehört. Parbleu – vor zwanzig Jahren mochte sie passieren, jetzt ist sie in der Zeit, wo das Totgeschossenwerden ein Glück für sie sein könnte.« – »Lassen Sie das den Kapitän Wisimski nicht hören, Vantourin, er war in Galizien einer ihrer alten Kurmacher.« – »Bah – sie ist eine aufblühende Rosenknospe gegen den Drachen, die Prinzessin Kirajia Dscheladulha, eine alte kurdische Hexe, die mit 200 Spitzbuben vom Ararat gekommen ist und sich berufen glaubt, das Reich Mahomeds zu retten. Sie trägt nicht einmal einen Schleier, so sicher ist sie ihrer Tugend, und sitzt auf dem Pferde wie ein Affe.« – »Aber die dritte – sie soll jung und schön sein, und Gott verdamm meine Augen, wie unsere lieben Alliierten zu sagen pflegen, wir leiden hier abscheulichen Mangel an Damen.«

Der junge Sousleutnant kräuselte sich schwermütig dabei den Bart. – »Sie können ebensogut einer mit Kartätschen geladenen Batterie in die Mündungen sehen, Villard,« lachte der Erzähler, »als in die Augen dieses kleinen Teufels, das einzige, was aus der Umhüllung des widerlichen Yaschmaks zu sehen ist.« – »Aber woher weiß man da, daß sie jung und schön ist?« – »Alle Welt in Konstantinopel sagt es. Sie war erst acht Tage vorher mit ihren hundertundfünfzig Arnauten eingetroffen. Sie soll die Tochter eines verstorbenen Paschas sein und sehr reich, denn sie erhält ihre Schar aus eigenen Mitteln.« – »Ihr Name?« – »Sie nennt sich bloß die Rächerin!« – »Bah! eine Komödiennärrin! Und sie kommt hierher?« – »So hörte ich.« – »Da ist der Adjutant. Willkommen, Bertholin ... was Neues?« – Der Briefsack ist mit dem »Roland« angekommen, der die dritten von den Zuaven gebracht hat. Hier, einige Briefe für Sie.« – »Geben Sie her.« – »Mir den Charivari!« – »Eine Nummer des Moniteurs – will niemand?« – »Ah bah – wir lesen der offiziellen Albernheiten genug in den Proklamationen des Marschalls.« – » A propos – ist es wahr, daß eine Order wegen den Brunnenvergiftungen erlassen ist? Das Wasser ist so verteufelt schlecht, daß man wahrhaftig daran glauben sollte.« – »Drum trinken Sie auch nur Bordeaux, Kommandant.«

Der ziemlich korpulente Bataillonschef faßte sich an die rote Nase. – » Diantre, er ist nur so abscheulich teuer in diesem verfluchten Nest!« – »Hat jemand von Ihnen den Kapitän de la Tremouille gesehen?« fragte der Adjutant, »hier ist ein Brief für ihn.« – »Er ist heute morgen an der Cholera gestorben,« sagte eine Baßstimme vom Nebentisch. »Leutnant Walton machte ihm Platz im Lazarett.« – » Peste – diese Lazarette, man bekommt das Fieber, wenn man daran denkt.« – »Neuigkeiten von Paris? Leblanc, ich beschwöre Sie, was sagt man im Foyer der Oper?«

An den Krieg, an den bevorstehenden Feldzug dachte kein Mensch ... »Es ist allerdings der Befehl gegeben,« erzählte der Adjutant, »daß kein Grieche oder Türke sich den Brunnen im Innern der Stadt nähern darf. Schildwachen sind ausgestellt und haben Ordre, in der Nacht auf jeden zu feuern, der nicht zu den Truppen gehört. Man hat in dem einen an der kleinen Moschee Choleraleichen gefunden.« – »Pfui! Mir wird übel werden, wenn ich noch einmal Wasser ansehe.« – »Der Moniteur dementiert die Nachricht, der Marschall sei zum Generalissimus ernannt. Omer-Pascha soll in Konstantinopel seine Demission für diesen Fall verlangt haben.« – » Bêtes! – diese türkischen Dickköpfe begreifen nicht einmal die Ehre, unter den Adlern der großen Nation zu fechten!«

In der Ecke des Gemaches, an einem kleinen runden Tische saß der Kolonel Vikomte de Méricourt mit einem Offizier in Husarenuniform bei einer Flasche Bordeaux. Der Kolonel führte sichtlich zerstreut das Gespräch, seine Miene war ernst und nachdenkend und seine Blicke musterten häufig forschend die Eintretenden, gleich als erwarte er jemand ... »Graf Branicki,« erzählte der Husarenoffizier, »reist morgen nach Konstantinopel ab, um mit dem nächsten Dampfer nach Marseille zu gehen. Der Prinz sendet ihn, um dem Bericht des Marschalls das Paroli zu biegen.« – »Ich hörte von den neuen Zwistigkeiten, aber nicht den Grund, Sazé.« – »Bah, Freund,« lachte der frühere Flaneur, »was wollen Sie noch für einen Grund? Seit der Marschall Konstantinopel betreten, zankten sie sich. Der Empfang des Sultans mag ein solcher Grund gewesen sein. Der Prinz ist bequem und der Marschall chikaniert ihn.« – »Aber die Veranlassung der neuen Szene?« – »Der Prinz nahm sich Bosquets an bei einem Widerspruch, und es soll zu sehr anzüglichen Worten gekommen sein. Er kam mit rotem Kopf zurück und ließ selbst das Diner stehen, was bei ihm viel sagen will. Er schloß sich sofort mit dem Grafen ein, und die Reise desselben ist das Resultat.« – »Haben Sie etwas über den heutigen Kriegsrat gehört?« – »Er kann erst jetzt zu Ende sein – offenbar die Expedition von Canrobert und Sir George Brown. Ich fürchtete schon, man hätte Sie mitkommandiert.« – »Es gehen nur reguläre Truppen; aber die geringe Zahl ist auffallend.« – »Zwölftausend Mann – Regimenter der Division Bosquet und Engländer.« – »Damit kann man unmöglich einen Angriff gegen Sebastopol wagen!« – »Alle Welt sagt's – es ist ein lautes Geheimnis.« –

» Bon jour, Kommandant!« grüßte ein hinzutretender Ingenieur-Kapitän. » Diantre! ich habe heute morgen Ihre orientalischen Spahis exerzieren sehen, wie der Marschall unsere metamorphosierten Bozuks benennt, und ich muß Ihnen das Kompliment machen, Sie haben Merkwürdiges in den zwei Wochen geleistet.« – »Der Mann, der Ihnen bei Arab-Tabia die Mine gesprengt, Kapitän Depuis, ist einer meiner besten Unteroffiziere oder On-Baschis, wie es heißt. Ich verdanke seinem Eifer viel.« – »Ich erinnere mich: ein Mohr – sein Gefährte verunglückte in der Mine. Das ist eine schwarze Krähe unter den Geiern ... Sie werden des Gesindels genug haben füsilieren lassen, ehe sie gehorchen lernten.« – »Sie erinnern mich mit dem Worte an ein trauriges Thema – haben Sie von dem deutschen Arzt gehört?« – »Doktor Welland – mein Reisegefährte von Widdin? – was ist's mit ihm – an der Cholera gestorben? ich hörte eben von Santerre aus dem Bureau des Oberstabsarztes, daß wir täglich an fünfzig Tote zählen.« – »Die Engländer fünfzig Prozent mehr,« warf ein Kapitän der Artillerie ein, der dicht daneben ein Huhn verspeiste. »Eine Schlacht mit den Russen könnte kaum so aufräumen, wie wir in der letzten Woche dezimiert worden sind.« – »Schlimmer, als das, Depuis – Sie scheinen also nicht zu wissen, daß in diesem Augenblick Kriegsgericht über ihn gehalten wird?« – » Fichtre! Warum? ich komme vor einer halben Stunde erst von Baltschik, wo ich fünf Gurken mit Hammelfüllsel gefressen.« – »Eine unglückliche Denunziation – man behauptet, er habe in Silistria mit dem Feinde korrespondiert; es sollen Briefe mit seiner Adresse aufgefangen sein.« – »Das wäre ja sakrisch! Ich kann es kaum glauben.« – »Ich auch nicht ... ich sah den Mann in seiner Pflichterfüllung und lernte ihn achten. Aber ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen verbündet sich gegen ihn.« – »Wer bildet das Kriegsgericht?« – »Leider die Türken ... Er steht in türkischem Dienst. Es sind zwar ein französischer und ein englischer Beisitzer zugezogen auf Bestimmung des Marschalls, sonst aber blieb alles Sali-Pascha überlassen, und dieser ist ein eingefleischter Türke.« – »Wer bestimmte den französischen Offizier?« – »Bosquet. Ich bat ihn persönlich, mich zu kommandieren, da ich in Silistria gewesen. Aber er schien seltsamerweise ein Vorurteil gegen den Angeklagten zu haben, denn als er sein Notizbuch nachgesehen, schlug er es rund ab.« – »Kennen Sie die politische Gesinnung des Deutschen?« – »Wieso?« – »Der General, so heißt es, ist Republikaner.« – »Das sind auch andere, aber der Arzt ist zu unbedeutend, um irgend politische Antipathien auf sich gezogen zu haben. Ich weiß es nicht, wie. – Endlich, Kapitän Morton!«

Der Engländer, dem dieser Zuruf galt, und dem wir in Silistria begegnet sind, war hastig in das Haus getreten und hatte sich suchend umgeschaut. Sein Blick war finster, sein Gesicht zeigte deutlich Aufregung. Er trat hastig zu dem Tisch ... »Nun, Herr Kamerad – welche Nachricht?« – »Er ist verurteilt und soll Morgen früh erschossen werden.« Er stürzte ein Glas Rheinwein hinunter. » Goddam! mein eigenes Zeugnis hat den Ausschlag gegeben.« – »Ich bitte, erzählen Sie!« – »Verdammt! daß ich es sagen muß, aber wir haben dem Doktor den Ankläger selbst zugeführt ... Sie erinnern sich meines Landsmannes, des Baronet Maubridge, Vikomte, der aus einer mir unbekannten Ursache den Mann verfolgt und denunziert hat. Er hat Briefe übergeben, die unzweifelhaft beweisen, daß eine verräterische Verbindung aus Silistria mit den Russen unterhalten und der Feind vielfach von dem Zustande der Festung und den beabsichtigten Ausfällen unterrichtet worden ist.« – »Aber das ist doch kein Beweis, daß der Doktor darum gewußt hat. Daß es an Spionen in Silistria nicht fehlte, ist eine bekannte Tatsache.« – »Der Baronet behauptet, daß er die Briefe am Abend des 13., – Sie erinnern sich der Minensprengung am andern Tag und des großen Ausfalles, bei dem General Schilder fiel – selbst dem Knaben abgenommen habe, der für Mussa-Pascha mehrfach Spionendienste verrichtete. Der Knabe ist entflohen oder befreit worden, – aber Sie wissen, daß er sich während der Anwesenheit in der Festung bei Welland aufhielt.« – »Spione dienen häufig beiden Parteien,« bemerkte Depuis. – »Der Hauptbeweis ist leider der Brief, der an den Doktor selbst gerichtet und von einem Offizier aus dem Stabe Gortschakoffs unterzeichnet ist. Er spricht ganz klar von einer frühern Befreiung des Schreibers aus türkischer Gefangenschaft durch den Arzt, von einem fortbestehenden Einverständnis, und der Angeklagte hat ihn anerkennen müssen.« – »Der Unglückliche!« – »Er weigert jede nähere Auslassung über das Verhältnis, in welchem er zu dem Schreiber steht, beteuert aber mit seinem Ehrenwort, daß er nie eine seine Pflicht verletzende Mitteilung gemacht und daß der Brief auf unbekanntem Wege ihm zugegangen und durch seinen Diener auf der Schwelle seiner Wohnung gefunden worden sei.« – »Hat man den Diener gefragt?« – »Der junge Mohrenknabe ist seit der Verhaftung seines Herrn verschwunden und nicht aufzufinden. Es wurde leider durch Zeugen bewiesen, daß der Doktor nach seiner Ankunft von Silistria in Varna mit Griechen verkehrt hat, die in gegründetem Verdacht der Verräterei stehen und von der Polizei des Paschas verfolgt werden.« – »Aber Ihre eigene Aussage, Kapitän?« – »Sie erinnern sich des Wortwechsels mit meinem Landsmann kurz vorher, ehe Mussa-Pascha fiel. Ich mußte zugeben, daß bei dem nächtlichen Ausfall am 28. Mai, als ich Kiriki-Pascha aus dem Getümmel brachte und die Russen uns überfielen, ein feindlicher Offizier, derselbe, der den Brief geschrieben, den Doktor und mich aus den Händen seiner eigenen Leute befreite und entkommen ließ.«

»So wäre der Unglückliche wirklich verloren – ich weiß nicht, es sträubt sich ein Gefühl in meinem Innern, an seinen Verrat zu glauben.« – »Dasselbe ist bei mir der Fall. Ich schulde ihm eine Freundlichkeit von Paris, die Rettung in jener Nacht und es ärgert mich, daß ich seinem Feinde selbst die Gelegenheit geboten. Ich habe dem Baronet meine Erklärung gemacht und erwarte seine Botschaft.« – »Ich stehe in jeder Beziehung zu Diensten. Wohin hat man den Doktor gebracht?« – »Er wird im Hause Sali-Paschas gefangen gehalten, nahe an dem großen Magazin. Man hat mir den Zutritt verweigert.« – »Wäre Canrobert nur hier! er ist aber bereits nach Baltschik aufgebrochen. Vor allem müssen wir Aufschub der Vollstreckung erlangen. Eilen Sie beide zu Ihren Freunden. Ich werde den Prinzen für den Unglücklichen zu interessieren suchen.«

»Zum Henker, Kommandant,« sagte eine Stimme neben ihnen, »ich suche Sie seit einer Stunde. Ordre im Dienst!« – »Zu Ihren Diensten, Kapitän Marcell!« – »Soll mich freuen, Kommandant, denn ich habe gern brave Kameraden neben mir. Aber sputen Sie sich, unsere Brigade ist die erste. Wir sollen dem Prinzen um zwei Etappen voraus sein, und Oberst Bourbaki mit seinen Zuaven ist schon aufgebrochen. Sie wissen, der tolle Afrikaner duldet keine Verspätung. Au revoir unterwegs, Kamerad!«

Der Vikomte hatte unterdes die Ordre gelesen ... »Heiliger Gott! – ich muß in einer Stunde mit meinen Spahis auf dem Marsch sein. Der Ärmste! – Doch halt, halt, Sazé! Sie müssen meine Stelle vertreten und dem Prinzen die Bitte vortragen – es gilt ein Menschenleben.« – »Ich bin zu Ihrer Verfügung und werde tun, was ich vermag.« – »Kommen Sie eilig, Kapitän Morton und Depuis begleiten uns; ich muß meine Befehle geben und unterwegs hören Sie das Weitere.«

Der Leser erinnert sich, daß der Vikomte am Morgen jenes Tages, an welchem er den Besuch der Fürstin Iwanowna empfing, seinen Abschied eingereicht hatte und daß dieser durch das Verschwinden des jungen Fürsten unnötig gemacht worden war. Bei Beginn des Krieges hatte er um seine Versetzung aus dem Stabe des Kaisers zur aktiven Armee gebeten und war zum Kommandanten des zweiten Bataillons des dritten Zuaven-Regiments ernannt worden. Verschiedene Kommandos beim Einschiffen der Truppen, nach Silistria und zuletzt zur Organisation der Baschi-Bozuks durch die Generale Yussuf und Beatson, hatten jedoch bis jetzt seinen Eintritt in das Regiment verhindert, und er begrüßte es nun zum erstenmal auf türkischem Boden ... Die Stabsmusik voran, das Trommlerkorps seinen Marsch schlagend, Gamins von den Straßen der Hauptstadt, denen selbst das freie Leben in der Vorstadt Saint-Antoine noch zu ruhig gewesen und die, den Eltern und Lehrherren davon gegangen, jetzt dem Stabe des bärtigen, riesigen Tambourmajors folgten. Hinter der Musik die vier Marketenderinnen des Bataillons: drei junge frische Frauen mit kecker Grisettenmiene, und eine ältere, den Feß der Zuaven auf dem braunen, kurzgeschnittenen Haar, blanke Tressen auf dem koketten, blauen Jäckchen, das lose um die Brust saß, und um den kurzen Rock von gleicher Farbe, unter dem die roten Beinkleider hervorbauschten, – jede das bekannte Fäßchen auf dem Rücken, die Freudenspenderin der Soldaten! Und hinter den kecken Dirnen, die so oft im blutigen Schlachtgewühl zwischen Pulverdampf und dem Pfeifen der Kugeln ihren Freunden den letzten Labetrunk gereicht, der Oberst des Regiments mit seinen Adjutanten zu Pferde, die Offiziere, die lange Reihe bärtiger, lustiger Gestalten in der kecken Nonchalance der französischen Marschhaltung, den Feß hinten auf das Ohr geschoben, das Gewehr leicht im Arm, den hellblauen Shawl mit unbeschreiblichem Aplomp um die Hüften geschlungen, an der Seite Schersack und Proviantbeutel, auf dem Rücken den Tornister, auf dem, mindestens einmal in jedem Zuge, die berühmte Katze kauerte, Mademoiselle Minette, der Liebling und Vorkletterer der Kompagnie, der bissige, boshafte, wachsame kleine Teufel, der die Kabylen auf 500 Schritt zu wittern verstand!

Der Vikomte sprang an das Pferd des Obersten, ihn zu begrüßen ... »Willkommen, Kommandant! Ich habe Ihr Bataillon offen gehalten und Sie können eintreten, sobald es morgen mir folgt. Du Moulin führt es unterdes.« – »Nichts wäre mir lieber, Oberst,« berichtete eilig der Offizier, »aber ich bin noch kommandiert zu General Yussuf und seinen türkischen Spahis, und in einer Stunde marschieren wir nach der Dobrudscha.« – »Fatal! vielleicht, daß wir Ihnen folgen müssen. Auf Wiedersehen also vor den Russen, Méricourt!«

Dieser trat zurück ... » Bon jour, Commandant! Avez-vous oublié la petite vivandière de Marseille!« 'n Tag, Kommandant! Die kleine Marseiller Marketenderin haben Sie doch nicht vergessen? fragte eine freundliche Stimme neben ihm. – »Nini Bourdon?« – »Freilich, mon Commandant. Also doch meinen Namen behalten? Freut mich! Mein Bruder marschiert in der zweiten Kompagnie.« – »Und der arme Irre, dein Vetter?« »Er bewacht mein Gepäck im Nachtrab. Au revoir, Monsieur – ich muß in meine Reihe.«

Sie sprang davon. Der Vikomte mit seinen drei Gefährten eilte weiter ... »Merken Sie auf, Sazé, das war die Marketenderin, von der ich Ihnen sprach. Der Mensch, der eine so seltsame Ähnlichkeit mit Fürst Iwan hat, folgt ihr, wie sie sagt. Auf meine Ehre, dort ist er – blicken Sie hin, der blasse Bursche da auf dem Maultier, ein zweites führend.« – »Wahrhaftig! die Ähnlichkeit ist erschreckend.« – »Die Zeit drängt. Lassen Sie uns eilen.« – »Einen Augenblick noch,« bat Depuis. »Ich höre soeben, daß eine Abteilung Tunesen und die beiden Amazonen folgen, die in Konstantinopel mit ihren Freischaren Aufsehn gemacht haben.« – »So leben Sie wohl! der Dienst ruft mich. Sie wissen, was zu tun ist, und der Himmel möge Ihren Schritten Erfolg geben.«

Der Vikomte drängte davon durch den Menschenstrom, den die Neuigkeit von der Ankunft der Freischar herbeizog. Die anderen drei verweilten, um das Schauspiel zu sehen und den Zug vorüber zu lassen; – zunächst die Mohren von Tunis, die ersten Hilfstruppen, die der Bey gesandt, und deren man sich in Konstantinopel so bald wie möglich entledigt hatte: wilde Gestalten, Mordlust und Zügellosigkeit in den gelben Augen, auf den schwarzen, braunen und gelben Gesichtern: eine Horde, die die Hölle selbst losgelassen zu haben schien. – Dann das wilde Spiel der Zinke und der Trommel, eine gedrängte Schar prächtig ausgestatteter Reiter in der bunten albanesischen Tracht, die lange Flinte auf dem Rücken oder die Lanze in der Faust, kühne, stolze Gesichter. Und zwischen den bunten Albanesen die finsterblickenden, dunklen Söhne des Ararat: die Kurden, bronzefarbene Gesichter und Körper, eine rote Jacke, welche die sehnigen Arme fast bloß ließ, dunkle Beinkleider bis zum Knie, die hohe Mütze von schwarzem Lammsfell auf dem Kopf, den dunklen Filzmantel um die Schultern, mit Flinte, Yatagan und Lanze bewaffnet.

Vor diesem gemischten, seltsamen Haufen zog eine Gruppe her, die aus drei Personen bestand und die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, die sich bei den Franzosen sofort in mancherlei spöttischen Zurufen kundgab ... Die Mitte nahm, auf einem Kamel reitend, ein alter, schmutziger Derwisch ein, in grauer Kutte mit nackten Beinen, nach der näselnden Manier der Orientalen Sprüche aus dem Koran laut hersagend, während er die Kugeln seines Rosenkranzes mit rapider Schnelligkeit durch seine Finger gleiten ließ. Ihm zur Linken ritt die kurdische Prinzessin, deren Fanatismus die Prophezeiung von einer Jungfrau, die das türkische Reich und den Islam erretten werde, in Umlauf gesetzt hatte. Aber die Jungfrau war zur runzligen alten Jungfer geworden, und ihre etwas bucklige Figur und der ziemlich komische Aufzug, in dem sie auf ihrem Pferde saß, wie auch ihr unverhülltes grundhäßliches Gesicht, das sie trug, rief bei den europäischen Soldaten johlendes Gelächter wach ... Sie mochte bereits einige fünfzig Jahre zählen, war klein und mager und nie ohne ihren Adjutanten, den alten, schmutzigen Derwisch, zu sehen ... Ein höheres Interesse fesselte die Zuschauer an die dritte Figur der Gruppe, die geheimnisvolle Reiterin, von der Kapitän Ducru erzählt. Ihre Figur war schlank und ebenmäßig, saß fest und sicher im Sattel, nicht hockend und plump, wie die türkischen Frauen gewöhnlich zu reiten pflegen. Ein Yaschmak von feiner schwarzer Spitzengaze verhüllte zwar ihr Gesicht nach muselmännischer Sitte, doch bewies der sichtbare Teil der Nase und Stirn und das feuersprühende, dämonisch dunkle Auge, daß die Fremde jung und schön sein mußte. Sie führte mit sicherer Hand das feurige arabische Roß, das sie ritt; ein halb offenes Oberkleid von braunem Tuch mit dunklem Pelz besetzt und weite Beinkleider, von gleichfarbiger Seide bis auf die zierlichen Knöchel herabfallend, bildeten ihren Anzug. Ein reich verzierter Säbel hing an ihrer Seite, Pistolen waren in ihrem breiten Shawlgürtel ... An der Seite des Pferdes schritt, unbekümmert um das Menschengewühl, ein großer Molosserhund ... »Die Rächerin! die Rächerin!« so murmelte die Menge. Dann dröhnte ihr ein stürmisches Hurra! entgegen; sie aber blieb gleichgiltig, bis es auf einmal schien, als durchzuckte sie ein elektrischer Funke ... Dem Araberroß die Sporen in die Flanken pressend, daß es hoch aufbäumte, setzte sie mit einem Sprung auf die Menschenmauer zu, daß dieselbe entsetzt auseinander stob ... Dicht vor zwei Armeniern, die, in ihre weiten, schwarzen Talare gehüllt, das Barett tief in die von dunklen Bärten halb verdeckten Gesichter gedrückt, zuschauend unter der Menge standen, hielt das Roß mit seiner wilden Amazone. Mit einem seltsamen Gemisch von Entsetzen und Aufregung blickte der jüngere zu ihr empor, während der ältere ihn fortzuziehen suchte. Nur einen Augenblick dauerte die Szene. Das Weib auf dem Pferde hob wie warnend die Hand und sagte langsam und deutlich: »Die Reihe ist an dir, hüte dich, Nikolas Caraiskakis!« Im nächsten Augenblick schon lenkte sie ruhig zurück in die Reihe und ritt weiter, gleich als sei nichts geschehen und als habe ihr Roß nur durch Zufall gescheut; und der Menschenstrom schloß sich alsbald wieder um sie her ...

Die Hand des älteren Armeniers zog den andern, den seine Verkleidung nicht vorm Erkanntwerden geschützt hatte, mit sich fort aus dem Gedränge in die nächste Quergasse, durch einen kaum mannsbreiten Durchgang, und weiter, bis sie in die Griechenstadt und zu der halbverfallenen Mauer eines Hofes kamen. Auf ein eigentümliches Klopfen wurde die Tür von innen geöffnet, und beide traten in den engen Hof, aus dem sie durch einen langen Gang in das von der Straße gleichfalls durch Mauer und Tor abgesonderte Vorderhaus gelangten. In einem Gemach zu ebener Erde, das an den Fenstern stark vergittert war, hielt endlich der ältere an und wandte sich zu dem Manne, der ihm geöffnet ... »Rufe Geurgios, und wer sonst von den Brüdern im Hause ist.« – Dann, während der Diener sich entfernte, wandte er sich an seinen Gefährten. – »Das Weib erkannte dich trotz der Verkleidung. Wer ist sie?« – »Fatinitza – die Wölfin von Skadar – die Tochter Selim-Beys, des verstorbenen Paschas von Skadar.« – »Ich habe von dem Knaben Mauro manches gehört von dem Charakter dieser Frau und deinem Verhältnis zu ihr, während dein Mund gegen den eigenen Bruder verschlossen blieb. Du hast sie zu fürchten?« – »Sie hat mir Verderben geschworen – in der Kula von Protopapas.« – »Sie möge ihre Macht probieren, – ehe die Sonne aufgeht über den Golf, wirst du auf den Wellen des Mavri-Thalassah schwimmen. Neugriechische Benennung des Schwarzen Meeres.

Er legte das Barett, die falsche Haartour mit den langgewickelten dunklen Locken und den Bart ab, – es war Gregor Caraiskakis, der mit dem Bruder gesprochen ... Zugleich traten Geurgios der Fanariot und zwei andere Griechen in das Zimmer mit dem Knaben Mauro. – »Ist Nursah in seinem Gemach?« – »Der Bursche hängt mit Fanatismus an seinem Herrn und hat gedroht, alles zu verraten, ehe er ihn in Gefahr ließe. Die Nachricht, daß der Doktor verurteilt ist und morgen erschossen werden soll, muß ihm verborgen bleiben.«

Es klang wie ein leiser Schrei durch das Gemach, und Caraiskakis blickte sich um, aber es war nichts ... »Die Zeit des Handelns ist für uns gekommen. Höhere und wichtigere Interessen haben mich gezwungen, den Freund in die Gefahr zu bringen, die ihn jetzt bedroht. Fluch diesem Inglis, der ihn und uns verraten! Meine Pflicht ist es jetzt, ihn zu retten und sei es mit meinem Blute.« – »Was gedenkst du zu tun?« fragte Geurgios. – »Zuerst die Interessen unseres Glaubens und unseres Vaterlandes. Ich bringe schlimme Botschaft: Hadji Petros ist von Fuad, Zeinel-Pascha und Abdi geschlagen worden. Der General stand mit 4000 tapferen Hellenen bei Kalambaka, – Zacco und Katarachia deckten die uneinnehmbaren Pässe von Syrakos. Da sandten die Franken ihre Kommissare zu Zacco, und der Verräter gab ihren Lockungen und Versprechungen nach und räumte die Schanzen. Am andern Tage standen die Moslems vor Kalambaka. Hadji verteidigte es mit viertausend Getreuen fünf Stunden lang gegen elftausend, – kaum daß er, verwundet, selbst dem Gemetzel entkam. Sechshundert Christenköpfe schickten die Paschas auf Pferden nach Larissa. Das Kreuz ist in Thessalien gefallen, wie es im Epirus fiel!« – »Und der König? – die Königin?« – »Sie liegen in den Banden der Franzosen und Engländer. Ihre Soldaten stehen im Piräus, ihre Schiffe kreuzen vor unsern Häfen und durchsuchen unsere Fahrzeuge. Spiro Milios ist arretiert und nach Napolis gebracht, weil er dem Schurken Kalergis und den fränkischen Schergen nicht Rechenschaft geben wollte, woher das Geld ihm gekommen, mit dem er unsere Brüder besoldet. Kalergis und Maurokordato rütteln am Thron, die Macht ist in ihren Händen, unsere Freunde werden in den Kerker geworfen, der britische und der französische Gesandte gebieten an der Akropolis.« – »Christen gegen Christen! Fluch ihnen, die uns bei Navarin geködert, nachdem unsere eigene Kraft die Fesseln gebrochen hatte.«

Ein trauriges Schweigen folgte den Mitteilungen. Gregor nahm zuerst wieder das Wort: »Das Unglück darf uns nicht entmutigen, – wir sind Kinder des Schmerzes und mit dem Kampf gegen die Tyrannei großgesäugt. Unsere Hoffnung richtet sich nach Norden, und ob Ströme von Blut fließen, die Söhne der Hetärie, die Kinder der Elpis werden nicht ermüden in dem Kampf. In dem heutigen Kriegsrat unserer Bedrücker – denn der Franzose und der Engländer sind jetzt so gut der Feind unsers Volkes und Glaubens wie der Moslem selbst – ist Wichtiges beschlossen worden. General Espinasse mit drei Divisionen wird einen Zug nach der Dobrudscha unternehmen. Die Führer sind außer ihm der Araber Yussuf, General Bosquet, und der Prinz selbst. General Lüders muß sofort durch einen Boten benachrichtigt werden, denn ein Teil der Truppen ist bereits auf dem Marsch.« – »Die Flotte segelt morgen ab, 12 Linienschiffe und 6 Fregatten. Sie wird in Baltschik anlegen, um den General Canrobert und Sir George Brown einzuschiffen.« – »Aber das Geheimnis ihrer Bestimmung – so gilt es wirklich Sebastopol? und der Fürst, der sich auf uns verlassen, hat keine Nachricht?!«

Gregor nahm die Hand seines Bruders: »Er wird sie ihm bringen und so zugleich die Stadt verlassen, in der die Ankunft eines Dämons in Frauengestalt ihm Verderben droht. Die Flotte ist nicht, obschon dies allgemein verbreitet wird, zu einer Expedition gegen Sebastopol oder Balaklava bestimmt, sondern wird nur eine Rekognoszierung des Ufers vornehmen und die russischen Schiffe herauszulocken suchen, indem man sich den Anschein gibt, in Balaklava landen zu wollen. Sie geht an die Küsten von Colchis mit Munition und Waffen für die Bergbewohner.« – »Wie wird dein Bruder nach Sebastopol gelangen?« – »Die smyrniotische Felucke »Maria« liegt auf der Reede mit englischer Ladung für Batum, bereit, jeden Augenblick in See zu gehen. Kapitän Feliko hat bis diesen Abend gezögert, die Pässe zu holen. Er wird bis Mitternacht in der Stadt verweilen – Nikolas kennt den Ort, wo er uns erwarten wird; er und der deutsche Arzt werden ihn in der Kleidung von Galiandschis begleiten. Die Felucke wird vierundzwanzig Stunden vor der Flotte das Kap Aya passieren. Nikolas versteht mit einem Boote umzugehen und wird mit einem solchen die Küste erreichen.« – »Der Weg ist sicher,« meinte Geurgios. »Welche Aussicht hast du, den Franken zu retten?« – »Der Schlag, den wir erst in drei Tagen zu führen gedachten, muß schon in dieser Nacht erfolgen. Vor Mitternacht muß das französische Arsenal und das große Lazarett in Flammen stehen, und möge diese Brandfackel das Verderben des Halbmonds und seiner Freunde beleuchten.« – »Aber die Unseren sind noch nicht bereit – die Brander nicht fertig.« – »Wir haben sechs Stunden Zeit, darin läßt sich der Untergang von ganz Varna bereiten. Ich will es an allen Ecken anzünden, ehe ich zugebe, daß der Freund ihr Opfer wird.« – »Und dein Plan, ihn aus dem Konak des Paschas zu befreien?«« – »Wir wissen durch Vaso – Vassili, wie er im Dienst des Paschas heißt, – daß er in demselben Seitenflügel des Hofes gefangen gehalten wird, den der Inglese mit dem griechischen Mädchen bewohnt. Wir werden Eingang finden zu ihnen, ich und mein Bruder; das wie und warum kümmert euch nicht; es ist eine Rechnung unter mir und dem Briten. Wenn die Flammen des Arsenals emporschlagen, wird der Konak lebendig werden und alles zu dem nahen Feuer strömen. In der Verwirrung wird es uns leicht sein, den Gefangenen zu befreien und bis in die Khandschia am Hafen zu bringen, in der uns der Kapitano erwartet. Die Tore der Wasserseite bleiben wegen der Flotte die ganze Nacht geöffnet. – Ist Jussuf, der Mohr, hier gewesen?« – »Vor kaum einer halben Stunde, um Abschied zu nehmen von dem Bruder. Die türkischen Spahis, wie diese Franken die Räuberschar genannt haben, verlassen die Stadt.« – »Ich weiß es – und nun an unsere Geschäfte. Die Heiligen mögen uns schützen!«


 << zurück weiter >>