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Drittes Kapitel.
Lagerbilder: die Engländer.

Mit dem Orkan am 14. November hatten die furchtbaren Leiden der englischen Armee vor Sebastopol begonnen. Der wolkenbruchartige Regen hatte dazu die ganze Gegend von Balaclawa bis zur Front in einen Sumpf verwandelt, und die Verwüstungen, die er angerichtet, waren über alle Beschreibung. Von sämtlichen ohnehin äußerst schlecht konstruierten Zelten blieben nur drei im ganzen Lager stehen, – der Sturm war so heftig, daß er ganze Gefährte umwarf, Tische und Balken fortschleuderte, daß sich die Menschen am Boden festhalten mußten, um nicht fortgerissen zu werden, und daß die Soldaten verzweifelt danach riefen, zum Sturm gegen die russischen Batterien geführt zu werden, weil sie wenigstens durch die Kartätschen umkommen wollten und nicht durch den Orkan. Die fliegenden Lazarette, welche die mehr als jämmerliche Sanitätsverwaltung in Zelten eingerichtet hatte, wurden in den ersten Stunden schon zerstört, der Sturm brach die Stützen, riß die Zeltdecken fort und die Kranken wälzten sich in dem fußhohen Schlamm, überströmt von dem Regen. Gegen Mittag war Schneegestöber eingetreten, und die Berge ringsum waren bald in eine weiße Decke gehüllt. Viele Soldaten fand man am Morgen vor Kälte und Nässe umgekommen. Mitten in der Nacht, während aller Schrecken der Natur, überbrüllte eine furchtbare Kanonade von den Batterien Sebastopols die Wut des Sturmes, und die Bomben zischten und prasselten in weiten Bogen durch die zürnenden Lüfte.

Aber die schwersten Folgen des Orkans kamen erst nach. Während in der Kamiesch-Bucht, dem französischen Ausschiffungspunkt, unter der Kriegs- und Transportmarine die größte Ordnung herrschte, war in Balaclawa eine Verwirrung und Willkür, wie sie keine Feder beschreiben kann. Eine große Anzahl von Transportschiffen, mit Lebensmitteln, Fourage und Lagerbedürfnissen belastet, hatte auf Befehl draußen vor dem Hafen auf einem felsigen Meeresgrund von 35-40 Faden Tiefe vor Anker gehen müssen, von 1200 Fuß hohen Felsen umgeben, obgleich es bekannt war, daß die Reede in dieser Jahreszeit heftigen Stürmen ausgesetzt ist. Bei dem Orkan gingen diese Schiffe mit vielen Mannschaften elendiglich unter, sie zerschellten an den fürchterlichen Klippen, deren Anblick allein schon das Herz des kühnsten Seemanns mit Entsetzen füllen kann. Dadurch entstand Mangel an Lebensmitteln und Fourage.

In der Nacht zum 28. November war überdies die Cholera ausgebrochen und ihre Verheerungen steigerten sich von Tag zu Tag. Schon zu Anfang Dezember starben im englischen Lager durchschnittlich täglich 80 bis 90 Menschen. Außerdem wüteten der Skorbut und böse Fieber. Von den 20 Schiffsleutnants der Marinebrigade konnten am 1. Dezember nur noch fünf Dienste tun. –

Es war am Nachmittag des 13. Januar. – Die vor den englischen Linien gegen den Malachoff angelegten Schützengruben waren mit Scharfschützen von verschiedenen Regimentern besetzt. Jede der Gruben, mehr als 100 Schritte vor den äußersten Linien, faßte 10 Mann inkl. eines Offiziers und war für beide Parteien eine der gefährlichsten Waffen. Sie bildeten förmlich vorgeschobene Redouten, verlorene Posten, allnächtlich den Angriffen des Feindes ausgesetzt, aus denen aber während des Tages durch die Lücken der den Rand umgebenden Erdsäcke ein scharfes Büchsenfeuer auf alles unterhalten wurde, was sich außerhalb des Schutzes der Wälle oder der Laufgräben sehen ließ. Wer den Kopf über die Brüstung neugierig erhob, konnte sicher sein, im nächsten Augenblick ein halbes Dutzend Kugeln um seine Ohren pfeifen zu hören, wenn er sie überhaupt noch hören konnte. Die Mannschaften in den Laufgräben wurden nur alle 24 Stunden abgelöst und die Schwäche der englischen Armee war bereits so groß, daß die Soldaten wöchentlich drei- bis viermal diesen anstrengenden Dienst hatten. Ebenso erfolgte die Ablösung in den Gruben nur alle 24 Stunden und jedesmal bei Nacht, da während des Tageslichts die Batterien des Feindes das Terrain nach allen Richtungen bestrichen.

Wir führen den Leser in das Innere einer solchen Grube, um ihm eine Probe zu geben von den furchtbaren Schrecken, welche die englische Armee nicht dezimierten, sondern bereits fast vernichtet hatten ... Ein Offizier vom 95. Regiment, der uns bereits bekannt ist, jetzt infolge der Inkerman-Schlacht Kapitän Stuart, befand sich in der mittleren Grube. Außer ihm waren ein Fähnrich und sieben Mann darin, – der zehnte fehlte, man hatte seine Leiche vor einer Stunde über den kleinen Erdwall geworfen, der die gefährliche Stellung gegen den Feind hin decken sollte ... In dem engen Raume herrschten Elend und Not in vollem Maße. Es gehörte ein scharfes Auge dazu, die britischen Offiziere von ihren Untergebenen zu unterscheiden. Eine rote Uniform war fast nur noch bei den fortwährend eintreffenden und dennoch die Lücken nur spärlich füllenden Ersatzmannschaften zu erblicken, und bald genug war ihr Glanz in Schlamm und Kot verschwunden. Der junge Mann, der neben dem Kapitän auf einem Stein kauerte, die Füße bis über die Knöchel in dem Schlamm und Schneewasser, das den Boden der Grube bedeckte, trug freilich noch eine solche unter dem Soldatenmantel, aber eine alte Pelzmütze von tatarischer Form, die ihm sein entfernter Verwandter Stuart geliehen, hüllte bereits den Kopf ein. Darunter sah ein feines, aristokratisches Gesicht hervor; der arme Bursche, der neue Fähnrich der Kompagnie, der O'Malleys Stelle eingenommen, war der jüngere Sohn eines englischen Peers und im Glanze des Reichtums erzogen, bis ihn der Familienbrauch mit 50 Pfund Zuschuß hinausstieß in die Welt und alles für ihn getan zu haben glaubte, indem er ihm eine Offiziersstelle in einem Infanterie-Regiment kaufte. Fähnrich Ellisdale wer erst vor sechs Tagen mit den letzten Ersatzmannschaften eingetroffen, und sein Traum von Ruhm und Ehre war in der kurzen Frist bereits kläglich zusammengeschmolzen.

Sein älterer Vetter, in dessen Kompagnie er glücklicherweise gekommen, war als bewährter Soldat besser geschützt gegen die Kälte und Nässe. Hohe Matrosenstiefel, damals ein sehr gesuchter Artikel und in Balaclawa mit dem fünffachen Preise bezahlt, reichten bis über die Mitte der Schenkel. Ein tatarischer zerrissener Pelz, starrend von Schmutz und Fett, von dem übergeschnallten Säbelgurt zusammengehalten, bildete die Hauptbekleidung, während die Mütze mit einem dicken roten Tuch umwunden war. Ähnlich waren die meisten Soldaten bekleidet, – Flicken von allen möglichen Farben und Stoffen zierten als Ausbesserung Jacken und Beinkleider, – drei von den armen Teufeln aber hatten ein jämmerliches zerrissenes Schuhzeug, und die Lappen und Binden, mit denen sie ihre Knöchel und Füße umwunden, waren nur geringer Schutz gegen die Feuchtigkeit und Kälte.

Aber noch nicht genug dieses Elends – auch Krankheit und Schmerz herrschten in der schrecklichen Höhle. Der eine der Soldaten litt fürchterlich an der roten Ruhr, einem andern hatte eine russische Büchsenkugel den linken Arm zerschmettert, als er unvorsichtiger Weise beim Zielen ihn über die Deckung hinausgestreckt. An wundärztliche Hilfe war nicht zu denken, bevor die Ablösung in der Nacht erfolgt war. Der Kapitän hatte den armen Menschen, so gut es gehen wollte, verbunden, aber das schmerzliche Stöhnen des Mannes unterbrach oft das Gespräch der andern, das mit der Gleichgültigkeit geführt wurde, zu welcher die unbeschreiblichen Beschwerden bereits gegen die Leiden des Nächsten fast jedes Herz verhärtet. An der einen Ecke der Brustwehr, den Kopf hinter derselben verborgen und das Minié-Gewehr durch eine Öffnung im Anschlag, stand der Soldat, an welchem die Reihe des Postens war, während an der andern, kaum sechs Fuß entfernten Seite Mick, der Irländer, der wackere und heitere Diener des früheren Führers der Kompagnie, die Spähwache hielt nach dem Artilleriefeuer der Russen.

Kapitän Stuart führte die Aufsicht über die drei Schützengruben, die vor diesem Punkt der englischen Linien angelegt waren, und hatte ein kurzes Schneegestöber um Mittag benutzt, um, auf dem Bauche fortkriechend, von seinem Standpunkt in der mittelsten die zur rechten Seite zu besuchen. Das rasche Aufhören des Schnees und das scharfe Feuer des Feindes fesselten ihn jetzt darin.

»So haben Sie also Cavendish gesehen, Ellisdale,« sagte er, die kurze Pfeife aus dem Munde nehmend und im Gespräch fortfahrend; »wie geht es dem Burschen?« – »Um vieles besser, als da Sie ihn selbst besuchten, Vetter. Die Wunde in der Brust ist geschlossen, das russische Bajonett hat keinen der edlen Teile verletzt, und er hofft, in höchstens vier Wochen wieder beim Regiment zu sein.« – »Beim Regiment? er wird sich verteufelt wundern, was davon noch übrig ist. Mickey und ich und drei oder vier andere sind so ziemlich alles, was Inkerman, die Cholera und die Kälte von der Kompagnie im Dienst gelassen haben, die in jener höllischen Redoute unter dem tapfern Armstrong focht.« – »O Akushla, mein Liebling,« warf Mickey ein, »es ist brav von Ihnen, Kapitän, wenn Sie auch nur ein Schotte sind, daß Sie so gut sprechen von meinem seligen Herrn. Ich habe mir immer Vorwürfe gemacht, daß ich ihn um vier Schillinge betrog bei dem Verkauf der Rumflasche in jener gesegneten Nacht.«

»Ich sah, wie du ihn aus dem Kampfe trugst, Bursche, und das wiegt manche deiner Sünden auf,« sagte gutmütig der Offizier. »Es ist mir lieb, daß Cavendish davonkommt, da ich jetzt nicht mehr auf seinen Tod zu warten brauche, um meinen Rang zu erhalten; außerdem kann der Bursche uns jetzt seine famose Tigergeschichte zu Ende erzählen. Aber wie gesagt, er wird sich wundern, obschon es dem 96. nicht allein so gegangen. Das 63. Regiment hatte gestern noch sieben Mann diensttüchtig und Goldies 46er noch 30. Die schottischen Garde-Füsiliere, die 1562 Mann stark nach der Krim kamen, zählen jetzt, einschließlich der Offiziersbedienten und Korporale, noch 210 Mann – und in den meisten Brigaden steht es ebenso.« – »Es sind 12 Regimenter seit vierzehn Tagen eingetroffen, drei von Korfu, eins aus Aden, drei von Malta, das 17., 39. und 89. von Gibraltar und zwei aus England, Sir,« sagte ein Korporal, »ich hörte es gestern in Balaclawa, als ich mit dem Fähnrich dort war.« – »Ja, aber sie werden kaum ausreichen, den Ausfall der Divisionen zu ergänzen. Der Lord hat, nach dem vorgestrigen Tagesbefehl, ihre Zahl ohnehin schon auf vier, außer den leichten, reduzieren müssen. Doch erzählen Sie mir, Lionel, wie es Ihnen in Balaclawa ergangen ist. Der Major beklagt sich, daß Sie kaum ein Drittel des Proviants mitgebracht.« – »Eine Kugel aus der dritten Schießscharte!« schrie Mickey dazwischen. »Muscha – sie zielten wahrhaftig hierher!« – »Rechts oder links vorbei, Bill,« sagte der eine zu seinem Nachbar, »es gilt eine Pfeife Tabak!« – »Geradeaus über den Kopf!« rief ein anderer ... In demselben Augenblick duckten sich Mick und der wachthabende Schütze in die Grube nieder und zugleich überschüttete die in den niedern Erdwall einschlagende und über ihre Köpfe hin rikochettierende Vollkugel die ganze Gesellschaft mit einer Menge Erde und Schlamm. – » Damned! – Du hast wahrhaftig Glück,« sagte ruhig der Verlierende, »es ist wirklich meine letzte Pfeife.« – »Sie stehen in der Blendung so dicht wie die Sperlinge,« schrie der Irländer, schon wieder auf seinem Posten; »schieß, Jenkins, mein Junge! Eine Kugel für den Burschen, der so toll wie ein Märzhase auf der Brüstung steht.«

Der Schuß krachte bereits. Mick, als er den russischen Offizier fallen sah, hob sich mit halbem Leibe über den Grubenrand und schwang jubelnd die Mütze. Aber sogleich riß eine Kugel aus dem nächsten russischen Versteck sie ihm aus der Hand, als Lektion für die Unvorsichtigkeit. Zugleich brachte von der andern Seite her ein ziemlich derber Rippenstoß des Kapitäns, verbunden mit einer wenig verbindlichen Verwünschung, ihn zur Ruhe. Beschämt und ziemlich trübselig betrachtete der Irländer seine Hand ... »Heiliger Patrik,« sagte er ärgerlich; »eine so schöne Kappe! Ich habe sie Leutnant Egerton vom Haupt genommen, als er am letzten gesegneten Freitag im Laufgraben von einer Bombe zerrissen wurde und hätte sie mein lebelang tragen können. Das hat man davon, wenn man sich darüber freut, daß so ein russischer Spitzbube an einer ehrlichen Kugel stirbt, statt an seinen verdammten Fiebern zu krepieren!« Die andern lachten ihn aus, während der Kranke in seinem Winkel noch jämmerlicher stöhnte, und Mick kratzte sich in den Haaren, deren dicke Wirrnis ihm ziemlich die verlorene Kopfbedeckung ersetzte.

Stuart wiederholte seine Frage nach Balaclawa, hauptsächlich um den jungen Mann, dessen Körper- und Seelenkräfte sichtbar unterlagen, von seinem Brüten abzuziehen ... »Der Teufel hole das Nest, das eine wahre Hölle ist, und den Weg dahin,« sagte der Angeredete, »der nichts als ein Sumpf ist, in den mich Ihr elender Gaul nicht weniger als dreimal warf, daß ich von oben bis unten mit einer faustdicken Kruste bedeckt war. Gott! wenn mich Cousine Ella oder auch nur die Gräfin, meine Mutter, in dem Anzuge gesehen hätte – sie wären des Todes geworden. Pferdeleichen am Rande dieses Tümpels alle zwanzig Schritt weit. Viele Tiere so erschöpft, daß sie unterwegs zu Boden fallen und die Rationen, welche sie schleppen, vollends ungenießbar werden.« – » Goddam!« warf der Kapitän ein, »es fallen täglich an fünfzig Stück; es sollen keine dreihundert dienstbare Pferde mehr im ganzen Lager sein!« – »Menschen wateten und stolperten durch diesen Schlamm uns entgegen, oder setzten sich mit furchtbaren Flüchen auf einen hervorragenden Stein, Bilder von Schmutz und unaussprechlichem Jammer. Siechtum und Entbehrung fast in allen Gesichtern – manche der unglücklichen Soldaten sah ich, bei denen die Krankheit eben zum Ausbruch gekommen, in ihren Leiden am Rande des Weges sich winden – ohne Hilfe, denn jeder denkt hier nur an sich selbst, dazwischen eine Eskorte, mit dem halb durchweichten Schiffszwieback beladen, der hier fast die einzige Nahrung scheint; – die Männer, die man eher für Straßenräuber nach ihrem Aussehen halten sollte als für britische Offiziere, auf einem rattenschwänzigen Pony, mit Reihen von Zwiebeln oder einem Sack Kartoffeln und ranzigen Würsten behängt, vorn auf dem Sattel ein Paar magere Hühner oder ein Stück Salzfleisch – über das alles ein Regen, der bis auf das Mark der Knochen erkältet und nur aufhört, um sich in stechenden Hagel zu verwandeln.«

»Ich weiß es, der Weg ist furchtbar!« meinte der Kapitän; »es war schon im Dezember unmöglich, nachdem man seine Ausbesserung versäumt, die Hütten für das Lager herauf zu transportieren. Alles Gefährt wurde ohnehin damals für die Kanonen und die Munition in Beschlag genommen, statt Magazine im Lager anzulegen, und man bekümmerte sich den Teufel darum, was aus den Soldaten wurde. Der Lord sitzt in seiner warmen Hütte wochenlang beim Schachspiel und denkt nicht daran, durch die Laufgräben zu kriechen, wie Canrobert tun soll. Sie wollen eine Eisenbahn bauen, wie ich höre, aber sie wird fertig werden, wenn die Armee erfroren und verhungert ist. Doch erzählen Sie von Balaclawa und wie es kam, daß Sie so wenig zurückbrachten.«

Der Fähnrich schauerte. – »Mir ist so unwohl – die Kälte dringt mir ordentlich ans Herz. Wenn ich nur einen einzigen Schluck Rum hätte!« – Der Kapitän schüttelte vergeblich seine Flasche – »Ich gab den letzten Tropfen an Mac-Mahon, den kranken Sergeanten, der dort in der Grube links mit sechs anderen liegt. Warum brachten Sie uns nicht wenigstens ein Fäßchen von dem schlechten Kommissariatszeug?«

»Wir hatten drei Faß bei uns, und ich trug selbst eins mit an der Stange,« klagte der junge Offizier, »da ein betrunkener Matrose Ihr Pferd gestohlen und damit auf und davon galoppiert war. Den Korporal hatte ich nach dem Matrosenlager geschickt, weil mir gesagt worden, daß alle verschwundenen Pferde dort anzutreffen seien. Wir legten es einen Augenblick nieder, um Hilfe zu holen, als die Achse an der Karre brach, auf der die Brotsäcke und die anderen Fässer lagen; ich sprach die Zuaven darum an, die an der Marschlinie Wache halten. Der Teufel hole sie! – wie das Rudel Aasgeier, die rings herum auf den toten Pferden und Ochsen saßen, fielen sie über die Karre her, im Nu waren die Brotsäcke zerschnitten, die Zwiebeln gestohlen, die Fässer aufgeschlagen und der Rum verteilt. Nur das Fäßchen, das ich selbst für die Kompagnie mitgeschleppt und auf das ich mich zum Schutz setzte, konnte ich retten. Nicht einmal das Holz an der Karre ließen sie uns; diese Halunken meinten spöttisch, sie brauchten es, um den Grog dabei zu kochen, mit dem sie auf unsere Gesundheit trinken wollten.«

»Ja, ja – es sind prächtige Kerle, unsere Freunde, die Zuaven – immer lustig, gesund und wohlgenährt, ob von Katzenfleisch oder von englischem Speck, ist ihnen gleich. Aber verteufelte Spitzbuben sind die Burschen. General Bosquet lieh uns neulich ein halbes Regiment von ihnen und 500 Pferde und Maultiere, um Munition und Mundvorrat herbeizuschaffen, und wahrhaftig! die Sacrés arbeiteten wie die Bären trotz aller Tollheiten. A propos – haben Sie schon gehört, Vetter, wie wir um 200 Maultiere gekommen sind, die wir in Varna gelassen und mit dem »Jason« erwarteten?« – »Nein, es ist mir auch gleich, da sie doch nicht da sind und wir ihre Stelle vertreten müssen.« – »Hören Sie zu, mein guter Gesell, es wird Sie wenigstens zerstreuen. Man muß sagen, unsere Verbündeten, die Türken, haben eine eigentümliche Art, ihre Rechnungen zu schließen. Der »Jason« brachte also am 30. nur 100 Pferde und Maultiere, von denen mehr als die Hälfte schon wieder den Hunden und Geiern zur Nahrung dienten, und einen dicken Türken, unter dessen Obhut sie in Varna zurückgelassen worden. Als er auf das Kommissariat kam, trugen zwei Männer einen großen Sack ihm nach. »Von den Dreihundert, die du mir anvertraut,« sagte der würdige Sohn Mohammeds, »sind zweihundert gefallen. Da hast du den Beweis; zähle nach!« – Dazu schütteten die Männer den Sack aus, und 400 Pferde- und Eselsohren lagen vor dem erstaunten Ober-Kommissar. Ich hätte das lange Gesicht sehen mögen! Aber ich wette, der »Mashallah« hatte uns über unsere eigenen Ohren gehauen und in Varna die von allem krepierten Vieh für einige Piaster zusammengekauft.« – » Stop, Kapitän! Der whistling Dick kommt!«

Der »pfeifende Dick« war der Beiname, den die englischen Soldaten den kolossalen Kugeln von 18 Zoll im Durchmesser gegeben hatten, die 18 Pfund Pulver enthielten und aus einem bestimmten Mörser von einem Floß im Binnenhafen geschleudert wurden. Sie hatten bei ihrem Niederstürzen eine Kraft von wohl 500 Zentnern und verbreiteten Tod und Verstümmelung rings um sich her. – Man hörte deutlich das Pfeifen der Bombe, wie sie näher kam, ihr Aufschmettern in den Boden und dann ihr Zerplatzen. Alle in der Schützengrube hatten sich unwillkürlich so tief wie möglich niedergebeugt ... »Der Henker hole das Ungetüm! wo es hinschlägt, da wächst kein Gras mehr. Fahren Sie fort, Vetter, in Ihrem Berichte! Sie werden sich doch wenigstens das Rumfaß nicht unterm Leibe haben wegstehlen lassen? Dennoch sitzen wir hier im Trockenen.« – »An Versuchen dazu fehlte es nicht, – indes zeigte ich den Burschen meinen Revolver, und später kam ein französischer Offizier dazu, bei dessen Anblick sie verschwanden, als hätte die Erde sie aufgenommen. Als ich aber ins Lager kam und meinen Unfall rapportierte, meinte Oberst Yea, es sei billig, daß unser Bataillon den Verlust trüge, und konfiszierte das Faß zur Teilung unter die beiden andern.« – »Das ist fatal und gegen den alten Burschen läßt sich keine Einrede wagen. Seit man ihn für Alma und Inkerman schmählicherweise bei der Beförderung übergangen, obschon er der Klügste und Tapferste in der ganzen Armee war, ist ohnehin kein Auskommen mit ihm. Wie fanden Sie es in Balaclawa selbst?«

»Setzen Sie Dantes Aufschrift zur Hölle darüber, und Sie behandeln das Nest noch unverantwortlich gut. Keine Worte können seinen Schmutz, seine Gräuel, seine Hospitäler, die Begräbnisstätten, die toten und sterbenden Türken, die vollgedrängten Gassen, die stinkenden Schuppen, die ganze säuische Umgebung und den Verfall beschreiben. Alle von Pest und Seuche entworfenen Schilderungen, von der Bibel an bis zu Boccaccio, Defoë und Moltke, erreichen noch lange nicht die einzelnen Bilder von Seuche und Tod, die man auf einem einzigen Gange durch Balaclawa dutzendweise sieht. Die sterbenden Türken haben jedes Gäßchen und jede Straße zu einer Kloake gemacht, und die schrecklichsten Formen des menschlichen Jammers, die in der ersten Stunde das Herz erschüttern, lassen einen bald gleichgültig, da man ihnen auf jedem Schritt begegnet. Ich hob die Bastdecke, die vor dem Torweg einer elenden Hütte hing, in welcher ich Jammer und Stöhnen und Gebete zum Propheten hörte, und sah auf einer Stelle und in einem Augenblick eine Anhäufung von Leiden und Greueln, die mein ganzes Leben lang meine Träume vergiften wird. Die Leichen lagen noch auf derselben Stelle, wo die Unglücklichen gestorben waren, mitten unter den Lebenden, und die letzteren boten einen über alle Vorstellungen der Phantasie gehenden Anblick. Die gewöhnlichsten Einrichtungen eines Hospitals fehlen, der Gestank ist entsetzlich – die faule Luft findet nur durch die Ritzen in Wänden und Dächern Abzug, durch die der Regen und Wind seinen freien Einzug hält, und so weit ich beobachten konnte, sterben diese Menschen hier, ohne daß man den geringsten Versuch macht, sie zu retten.«

»Sie waren in unserm eigenen Lazarett – wie fanden Sie es dort?« – »Nicht besser als in den fliegenden Baracken, die man zu gleichem Zweck im Lager hält. Ich sprach mit Cavendish darüber, die Ärzte sind Dummköpfe oder reichen nicht aus.« – »Wir kennen das. An der Alma fanden sich Chirurgen, die in ihrem Leben noch keine Arterie unterbunden hatten und einen armen Teufel als unheilbar verbluten ließen, der einfach in den Arm geschossen war.« – »Die Luft ist auch hier verpestet,« erzählte der Fähnrich weiter; »nicht einmal hinreichend Stroh war vorhanden und die Kommissäre weigerten sich, neue Verband- und Medizinalvorräte herauszugeben, obschon ein Transportschiff im Hafen sie an Bord hatte, bloß weil das Sanitätsdepartement in London noch keine Order dazu gegeben hat.« – »Verdammt sei das schändliche System in unserer Armee!« meinte der Schotte. »Diese Legion von Protokollen und Schreibereien lastet wie ein Fluch auf uns. Da haben wir das Zeughaus-Departement, das Sanitäts-Departement, das Komissariats-Departement und das eigentliche Militär-Departement, und alle diese Departements haben ihre eigenen Chefs und keines bekümmert sich um das andere, sondern geht seinen Schlendrian fort.« Diese Schilderung Retcliffes deckt sich mit der berühmten »Vom Amte der Umschweife« im Charles Dickens'schen Romane »Klein Dorrit« – von ihr ist bekannt, daß Graf Moltke sie im Feldlager vor Paris las. – Der Dickens-Roman »Klein Dorrit« ist in der neuen Gesamtausgabe von Charles Dickens' Werken bei A. Weichert-Berlin erschienen und in allen Buchhandlungen und Bücherverkaufsstellen käuflich.

»In der Tat geht es toll und verrückt her auf den Werften, wenn man diese Kotberge so nennen mag. Kapitän Keen von den Ingenieuren hat 4000 Tons Bretter und Balken zum Hüttenbauen nach Balaclawa gebracht, aber er kann niemand finden, der sie übernimmt oder aus den Schiffen ausladet. Unterdes erfrieren unsere Soldaten unter freiem Himmel oder den leichten Zelten. Ein Teil der Vorräte an Winterkleidern ist mit dem »Prince« auf der Reede untergegangen, ein Schiff mit Winterkleidern für die Offiziere, wie ich hörte, bei Konstantinopel verbrannt. Dennoch wäre immer noch genug vorhanden, wenn man es nur verteilen wollte. Man hat wochenlang offene Lichterschiffe mit warmen Überröcken und Handschuhen für die Mannschaften im Hafen allem Regen und Schnee preisgegeben, und als man die Sachen ans Land brachte, wollte niemand sie in Empfang nehmen, ohne durch Befehl ermächtigt zu sein.«

Der Erzähler, dem die Bewohner des traurigen Aufenthalts mit Ingrimm lauschten, machte unwillkürlich eine Pause und preßte die Hände gegen den Leib. Sein Gesicht verzerrte sich und er wand sich einige Augenblicke in heftigem Schmerz, der jedoch zum Glück bald wieder vorüber zu gehen schien, denn er faßte sich gewaltsam und fuhr fort: »Ich selbst sah auf dem Werft im Regen und Schnee neben den aufgetürmten Kugeln und Bomben Berge von warmen Filzstiefeln, Röcken und andern Kleidungsstücken, von Brot und Salzfleisch, und hundert anderen Dingen. Eine Schildwache stand dabei und man sagte mir, daß sie dort seit zehn Stunden lagerten, während wir hier – keine Stunde davon – Not an allem haben.« – »Und erzählten Sie dies dem Obersten Yea?« – »Ich sagte ihm alles, und er schwor, wenn er binnen drei Tagen nicht Proviant und Kleidungsstücke habe, wolle er mit den Schotten nach Balaclawa marschieren und mit dem Bajonett sich das Seine holen.« – »Bei der Distel von Schottland! er ist der Mann, Wort zu halten.« – »Die Sterblichkeit unter den Türken in Balaclawa und auch unter unsern Leuten ist furchtbar, man trägt die geschwollenen Leichen halb nackend während aller Stunden des Tages durch die Straßen und scharrt sie wenige Zoll tief in große Gruben am Abhang des Hügels – ich sah ihrer in wenigen Stunden mehr als siebenzig vorüberbringen. Sturm und Regen spülen die leichte Erddecke bald herab, und die anwesenden Gebeine der Toten ragen aus den Hügelseiten und verbreiten ein neues Miasma, und nicht bloß während der Nacht halten die Geier und wilden Hunde hier –« er unterbrach seine Rede mit einem schmerzlichen Aufschrei und preßte beide Hände fest auf den Leib.

»Was ist Ihnen, Lionel? – halten Sie sich wacker, mein armer Bursche! wir haben ja nur noch wenige Stunden in diesem Höllennest auszuharren.« – Der junge Mann wand sich im bittern Leiden. – »Ich werde die furchtbare Krankheit bekommen,« stöhnte er, »man wird mich in jene schrecklichen Lazarette bringen, und das ist mein Tod. O, wenn ich nur etwas Warmes erhalten könnte! einen einzigen Becher heißen Kaffees! – es könnte mich retten.«

Sein Verwandter sah ratlos umher. – »Wir haben wohl Kaffee bei uns, aber nicht einen Holzspan, wir müßten denn unsere Büchsenschäfte verbrennen. Armer Junge, das war kein Land für Sie! und solche Burschen schicken sie uns dutzendweis.« – Der Irländer hatte mit Teilnahme die Not seiner Offiziere gesehen ... »Muscha,« sagte er, »das Ding da schaut aus wie eine Axt von einem der Kerle mit den langen Bärten, und das da drüben ist, wenn ich richtige Augen mit auf die Welt gebracht habe, ein umgehauener Baum oder ein Balken von den Schanzgräben. Holz woll'n wir schon kriegen, Sir, wenn nur der Kapitän einen Augenblick meinen Posten einem andern zuteilen will.« Damit begann er, sein Gewehr zurücklassend, bereits über den Rand der Grube zu klettern ... Kapitän Stuart wollte ihn zurückhalten. – »Kerl, du bist rasend! Du bist durchlöchert wie ein Sieb, ehe du zwanzig Schritt zurückgelegt hast!« – Aber Mickey war bereits aus der Grube und wackelte langsam, ohne seine Pfeife ausgehen zu lassen, auf den Baum zu, nachdem er mit einer – unbeschreiblichen Gebärde nach den russischen Schanzen hin seine Verachtung aller Gefahr ausgedrückt hatte ... »Lassen Sie ihn gewähren, Sir,« sagte der Korporal; »es ist ohnehin zu spät und ich habe oft gesehen, daß Tollheit und Übermut am besten gegen die Kugeln fest machen. Wir wollen lieber die Leute auf den Wällen und in den Gräben im Auge behalten.«

In der Tat erwies es sich so, wie der alte Soldat prophezeit hatte. Des tollen Irländers Übermut war sein bester Schutz, denn während er gemächlich begann, einen Vorrat von Spänen abzuhauen, schienen die Russen zuerst ganz erstaunt über dies kalte Blut. Bald jedoch knatterte ein heftiger bleierner Platzregen um den seltsamen Holzhacker her, der aber noch ganz ruhig eine Zeitlang weiterarbeitete. Die Russen, dadurch noch wütender gemacht, feuerten nun um so leidenschaftlicher, und sogar dreimal mit einer Kanone, deren Vollkugel kaum zwölf Schritt zur Seite über die Ebene schlug, ohne daß sich Mick deshalb im geringsten beeilte. Offenbar rettete ihn nur die Leidenschaftlichkeit der Feinde, die sie nicht zum ruhigen Zielen kommen ließ, außerdem aber unterhielten die besten Schützen der seinen und der nächsten Grube, sobald man den kühnen Streich des Mannes bemerkt, ein scharfes Feuer auf alles, was sich vom Feinde blicken ließ, und Kapitän Stuart schoß selbst einen der Kanoniere in der Schießscharte nieder, aus der man die Kanone auf den Irländer gerichtet. Dennoch schützte ihn eben nur der Zufall, während seit diesem bald in der ganzen Armee bekannten Vorgang seine Kameraden den Irländer als kugelfest verschworen.

Der Verwegene sah sich endlich die abgehackten Späne an, schien zu überlegen, ob es genug seien, kauerte dann nieder und sammelte das Holz in seinen großen Feld-Mantel, latschte zurück durch die ununterbrochenen Salven und sprang unversehrt mit seinem Schatze wieder herab, nachdem er den Russen noch mit der Faust gedroht hatte. Man sah's ihm an, er hatte in seiner echt völkischen Sorglosigkeit keine Vorstellung davon, welcher Gefahr er sich ausgesetzt hatte, denn kaum, daß er im Schutz der Grube sich befand, traf eine vierte Kanonenkugel des Feindes, der jetzt die Richtung gefunden, den Stamm und zerschmetterte ihn.

In einem kleinen Feldkessel wurde das Feuer angemacht, da der Boden zu naß war, um zur Unterlage zu dienen, und eine große zinnerne, längst geleerte Feldflasche diente dazu, mit dem Schneewasser starken Kaffee zu bereiten, wovon jeder nach wiederholten Auflagen seinen Anteil bekam, denn Mickey war fürsorglich gewesen und hatte auch an »etwas Warmes« für sich gedacht. Die Leiden des jungen Offiziers linderten sich, obschon häufig Fieberschauer durch seine ohnehin vor Kälte bebenden Glieder fuhren; dagegen starb bald darauf unter schrecklichen Konvulsionen der Soldat, den die Ruhr überfallen. Man hob die Leiche zu seinem Kameraden über den Grubenrand. – Die Schrecknisse und Gefahren der kleinen Besatzung in der Schützengrube sollten mit diesem zweiten Todesfall jedoch noch nicht ihr Ende erreicht haben, obschon bereits der Abend hereinzubrechen begann. Die Russen feuerten jetzt häufig mit Kartätschen über die Fläche, teils um Wagnisse, wie das vorhergegangene, unmöglich zu machen, teils um den Rückzug aus den Schützengruben zu verhindern. Dazwischen zischten von Zeit zu Zeit Bomben über ihren Köpfen und schlugen mehrmals unfern von ihnen in den Boden, sich dort im Zerspringen ein trichterförmiges Loch wühlend ... Kapitän Stuart sah nach seiner Uhr. – »Ich muß Sie verlassen, Vetter,« sagte er, »und auf alle Gefahr versuchen, die Grube links zu erreichen, um von dort die Signale für die ganze Linie steigen zu lassen, denn verschiedene Anzeichen beweisen mir, daß die Feinde sich bereit machen, bei eintretender Dunkelheit einen Ausfall zu wagen, Und wir müssen auf unserer Hut sein. Halten Sie –« er vollendete nicht, denn das Krachen einer einschlagenden großen Bombe unterbrach ihn, und ein gellender Angst- und Hilferuf übertönte selbst den Donner der Geschütze ... »Heiliger Patrik – es ist der pfeifende Dick!« – »Wo – wo? – die Kugel muß in die Trancheen – gefallen sein!« – »Nein, nein – da links – sehen Sie – die Grube – unsere Kameraden!«

Die Männer hatten sich bereits über den Rand der ihrigen erhoben, unbekümmert um die Gefahr; – in der Richtung, in der die mittlere Schützengrube lag, wirbelte eine Erd- und Dampfwolke in die Höhe – im Dämmerlicht glaubten sie eine menschliche Gestalt zu schauen, die auf den Rand der Grube emporsprang, zweimal mit den Armen wild durch die Luft schlug, im nächsten Augenblick aber in einem aufzischenden Feuerstrahl verschwand – sie meinten die zerrissenen Glieder umherfliegen zu sehen – ein Krachen – ein Prasseln, einzelne Eisenstücke der springenden Bombe flogen durch die Luft – dann war alles bis auf die Rauchwolke über dem unglücklichen Platz verschwunden, und nur ein vereinzeltes Feuer der Geschütze aus den russischen und englischen Batterien unterbrach in regelmäßigen Intervallen die furchtbare Stille.

Die Männer in der Grube waren zurückgetaumelt bei dem Anblick, dessen Schrecken durch die Blitzesschnelle und Undeutlichkeit noch vergrößert worden waren ... Der Kapitän hatte die Augen mit der Hand bedeckt. – »Der Allmächtige sei ihren Seelen gnädig! – sieben wackere Burschen, wie sie die Küsten Englands nur jemals in Kampf und Tod gesandt, sind in einem und demselben Augenblick zur Ewigkeit abberufen.« – »Wie, Kapitän,« sagte der Fähnrich, »sie sollten alle getötet sein? Vielleicht sind einzelne nur verwundet –« – »Die Bombe muß mitten unter sie geschlagen sein, selbst der Mann, der sich trotz des Luftdrucks zu retten versuchte, mußte zu Atomen zerrissen werden. Das Schreckliche kommt glücklicherweise nur selten vor, aber der traurige Fall vor uns ist nicht der einzige und wird nicht der einzige bleiben. Lassen Sie uns ein Vaterunser beten als gute Christen für Sergeant M'Mohan und seine Tapferen, und dann leben Sie wohl, denn die Russen haben eine Pause gemacht mit ihren höllischen Kartätschen, und ich muß sie benutzen. – In zwei Stunden werden Sie abgelöst, wenn wir dann noch am Leben sind.«

Es war finster geworden während der letzten Szene und Kapitän Stuart schien im Schutz der Dunkelheit glücklich auf seinem Stationsposten angekommen zu sein, denn etwa eine halbe Stunde nach seiner Entfernung, die er, größtenteils auf dem Boden fortkriechend, bewirkt hatte, sah man von dort eine blaue Leuchtkugel emporsteigen, als Zeichen für die Laufgrabenwachen, auf ihrer Hut zu sein. Die Russen schienen jedoch an nichts weniger zu denken, als an einen Überfall. Das Feuer war nach und nach schwächer geworden und hatte endlich ganz aufgehört. Der Wind hatte sich nach Süden gewendet und es trat Tauwetter ein. Von den Tschernaja-Höhen und der Nordseite der Festung leuchteten große Wachtfeuer, – die öffentlichen Gebäude in der belagerten Stadt schienen illuminiert, selbst in den Batterien sah man Lichtreihen hin- und herziehen, und jetzt klang durch die eingetretene Stille majestätisch von der Stadt her, wie in jener Nacht vor Inkerman, das volle Geläut aller Glocken, das die Bewohner und die Besatzung zur Wladimir-Kathedrale und den andern Kirchen der Stadt rief. Die Engländer wußten sich anfangs die Erscheinung nicht zu erklären, bis der Fähnrich sich erinnerte, daß der gregorianische Kalender um zwölf Tage zurückdatierte und die Russen erst am heutigen Tage ihr Neujahr feierten.

Der Schein der Freudenfeuer machte einen traurigen Eindruck auf die armen, halbverhungerten und erfrorenen Teufel in den britischen Laufgräben und vorgeschobenen Posten, und sie harrten mürrisch, und nur selten ein Wort wechselnd, von Krankheit und Gefahren zum Tode erschöpft, der Ablösung, die nun bald im Schutze der Nacht kommen mußte. In der Tat hörte man, als die Zeit herannahte, Tritte – und das krieggewohnte Ohr des Korporals wollte darin nicht den Schritt der Patrouillen, sondern das kompakte Marschieren einer großen Masse erkennen ... Der Fähnrich hatte erst bei dem eingetretenen Tauwetter empfunden, daß einer seiner Füße erfroren war und nur mit Mühe bewegt werden konnte. – Mick, der Irländer, spähte für ihn am Rande der Grube.

»So wahr ich im Fegefeuer schwitzen werde, wenn mich nicht irgend eine Seele herausbetet,« sagte der sorglose Bursche, »Ihr habt unrecht, Korporal. Ich höre deutlich das Kommando von den Laufgräben her kommen, und meine Ohren sind groß genug, um soeben ein gesegnetes Goddam zu verstehen.« – »Dann kommt Freund und Feind zugleich,« flüsterte der alte Soldat, »denn von der Bastion her naht eine dunkle Reihe, und ich höre ihren Tritt! – Feuer, Kameraden, daß wir die Unsern warnen –!« er schoß sein Gewehr in die Nacht hinein ab. Ein donnerndes »Urrah« antwortete dem Schuß und verkündete, daß er recht gehabt hatte. Dann stürmte unter wildem Kampfruf eine breite, festgeschlossene Reihe über die Fläche daher und gegen die Grube und die erste Linie. – – – – – – – – – – – – – – –


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