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Drittes Kapitel.
Madara.

Man kann sich unmöglich darüber täuschen, daß die, durch die politischen Verhältnisse hervorgerufene und von Petersburg befohlene schwankende Haltung der Russen in den Donau-Fürstentümern und ihre anfänglich viel zu geringe Machtaufstellung das Schicksal des Donau-Feldzuges herbeigeführt haben. Erst nachdem die Absichten der Westmächte selbst der politischen Naivität klar sein mußten, erhielt am 10. März Fürst Gortschakoff von Petersburg die Weisung, die Offensive gegen das rechte Donauufer zu ergreifen.

Am 20. ging der Oberst Suroff mit einem Detachement von 2000 Mann durch die Donaufurt, zwei Meilen unterhalb Hirsowa, und setzte sich gegen die zum Schutze der Feste errichteten Schanzen in Bewegung. Sein rascher Angriff wurde durch das Feuer von Kanonenbooten unterstützt, mußte aber, da die Türken wütend kämpften, dreimal erneuert werden. Am 21. waren die Schanzen genommen, am 22. begann die Zernierung, am 23. die Belagerung der Zitadelle Hirsowas, und am 30. morgens wurde sie mit Sturm genommen. Am 23. ließ Fürst Gortschakoff, nachdem am 22. bereits ein lebhaftes Feuer auf die bei Matschin errichteten türkischen Verschanzungen vom linken Ufer aus eröffnet worden, eine Pontonbrücke bei Ibraila über die Insel vor Gedschid an das rechte Donauufer schlagen, und setzte mit einem starken Korps über. Die Türken zogen sich nach Matschin zurück. Gleichzeitig schlug General Lüders eine zweite Brücke von Galacz auf das rechte, sumpffreie Ufer zwischen Matschin und Isaktscha und überschritt unter Kanonendonner den Strom mit dem Lublinschen und Samoszkischen Jäger-Regiment und den Infanterie-Regimentern Modlin und Bragasch, nebst Kavallerie und Artillerie. An demselben Tage erzwang auch auf dem vierten Punkte General Uschakoff nach blutigem Kampf den Donauübergang von Ismaël aus, oberhalb Tultscha, und nahm die türkischen Redouten mit Sturm. Am 24. fielen Isaktscha und Tultscha, am 27. Maltschin, und am 30. befanden sich die Russen im Besitze sämtlicher festen Punkte an der Donau unterhalb des alten römischen Trajanswalles, der an dem schmalsten Punkt von der Donau zum Meere führt. Mustapha-Pascha mußte Babadagh aufgeben und sich auf den Trajanswall zurückziehen. Nachdem in den ersten Tagen des April auch die Operationen gegen Silistria von Kalarasch aus begonnen, räumte er vom 6. bis 11. auch Tschernawoda und Karussa, und zog sich auf der Straße nach Basardschick zurück, so daß sich die Russen im vollen Besitz der oberen Dobrudscha befanden.

Kaiser Nikolaus hatte unterdes den Veteran seiner Schlachten, den General-Statthalter von Polen, Feldmarschall Fürsten Paskiewitsch, auf den Kampfplatz beordert. In den ersten Tagen des April traf derselbe in den Fürstentümern ein und nahm die einzelnen Stellungen der russischen Streitkräfte in Augenschein, zunächst vor Kalafat, das General Liprandi jetzt näher zerniert hielt. Aber aus dem Helden von Eriwan war mittlerweile auch ein Diplomat geworden, dem es nicht mehr darum ging, Schlachten zu schlagen, sondern der sich zuvor mit der Frage befaßte, ob sie auch geschlagen werden durften?

Der Allianztraktat zwischen Österreich und Preußen mußte dem ersteren eine drohende Stellung in bezug auf die Fürstentümer geben, und von den diesbezüglichen Verhandlungen, sowie der Verabredung gegen die fortdauernde Okkupation der Fürstentümer hatte natürlich die russische Diplomatie zeitige Kunde, und diese, sowie die Unterdrückung der Aufstände in Czernagora und den türkisch-griechischen Provinzen bewogen ihn, schon am 16. dem General Liprandi Befehl zur Aufgabe der Zernierung Kalafats zu geben und seine Streitkräfte auf das Ufer der die kleine von der großen Walachei trennenden Aluta zurückzuziehen. Sofort wurden die Spitäler aufgehoben und der Belagerungspark in Sicherheit gebracht. Am 23. sammelten sich bereits die Truppen in Krajowa und setzten an mehreren Punkten über die obere Donau, und es kam, namentlich am Schyl, zu blutigen Gefechten, in denen meist die Türken Sieger blieben. Am 16. hatte ein bedeutendes russisches Streifkorps die Donau bei Oltenitza passiert, wurde aber gleichfalls durch die Bajonettangriffe der Türken zurückgeworfen. Auch in der Dobrudscha war es zu harten Kämpfen gekommen: General Lüders wurde in einem Gefecht bei Tschernawoda am 20. nach einem sechsstündigen Kampf geschlagen und verlor an 500 Tote, 250 Gefangene und 15 Kanonen. Doch mußten die Sieger vor der anrückenden Hauptkolonne der Russen wieder weichen. An der oberen Donau schlug Sali-Pascha die Gegner bei Turnul und Nikopoli, Suliman-Pascha erstürmte Radowan, so daß Ende des Monats die Türken Herren des größten Teils der kleinen Walachei waren.

Am 27. April war Fürst Paskiewitsch in Kalarasch eingetroffen, und die Bewegungen zur Zernierung von Silistria, in der letzten Hälfte des Aprils von General Schilder begonnen, konzentrierten sich. Nachdem die Verbindung zwischen Kalarasch und den Donau-Inseln hergestellt war, beschossen die Russen die türkischen Uferbatterien und die türkische Flotille von Silistria. Der Sirdar Mussa-Pascha beeilte sich, Verstärkungen von Schumla dorthin zu werfen, und ein Teil der Korps aus Kalafat und Widdin wurde zum Ersatz herangezogen. Am 3., 4. und 5. waren bereits Truppen der Westmächte in Varna eingetroffen ... Nachdem wir hiermit die Kriegsereignisse im allgemeinen bis zum Mai nachgetragen, nehmen wir den Faden unserer Erzählung wieder auf.

*

Es war in der ersten Hälfte des köstlichen lieblichen Mai, von dessen Wonnen wir Nordländer gewöhnlich nichts erfahren, als in einer rauhen, wilden Gegend am Passe von Ternowo auf der Höhe des Gebirges um ein Feuer eine bunte Gesellschaft lagerte, wie sie die wilden Verhältnisse des Gebirges und der Zeit zusammengeführt, – eine Anzahl Männer und zwei Frauen, letztere hinter dem Kreis der Männer mit einem jungen Mohren an den Resten des Mahles beschäftigt, das ihre Herren und Gebieter eben gehalten.

Acht oder neun der wilden Gestalten, die um das Feuer saßen, behaglich den Schibuk im Mund und von Zeit zu Zeit die Rakihflasche im Kreise umhergehen lassend, gehörten offenbar, ihrer Kleidung und Bewaffnung nach, zu den freien Bewohnern der Berge, jenen kühnen und unermüdlichen Feinden der Türken, den Heiducken, mit den weißen, wollenen Röcken und dem in zwei lange Flechten geteilten Haar des Hinterkopfes. Um so mehr fiel zwischen ihnen, und augenscheinlich ihnen befreundet, die Gestalt eines greisen Moslems auf, in blauen, weiten Halbbeinkleidern und roten Strümpfen, blauer Ärmeljacke und einer hohen, oben breiten weißen Mütze, mit dem langen roten Sack. Wer vor dem Juni 1826 Konstantinopel besucht, kannte die Tracht sehr wohl, – es war die der Janitscharen, der alten gefürchteten Krieger des Reiches. Zur Seite des Buluk-Baschis oder Kapitäns der Heiducken saßen zwei Europäer, Doktor Welland, der Arzt des Lazaretts von Widdin, und ein französischer Genieoffizier, Kapitän Depuis, aus der Begleitung des Seraskiers, der in letzter Zeit wieder nach Kalafat gekommen war, um die Verschanzungen gegen die vorrückenden Russen zu verstärken ... Beide waren, bei dem Rückzug der Russen von Kalafat und der Auflösung der dortigen türkischen Stellung, auf dem Marsch nach der ersten Bestimmung des Arztes, nach Silistria, begriffen und hatten den Weg durch die Gebirge auf Schumla eingeschlagen. Ihre heutige Tagereise hatte jedoch bereits am Nachmittag ein unerwartetes Ziel gefunden, denn der Saptieh, jene Sorte türkischer Spitzbuben von Gendarmen, die als bewaffnete Wachen und Wegführer den Reisenden von Station zu Station begleiten, gewöhnlich aber, wenn ihnen nicht ein größerer Vorteil durch die Ehrlichkeit in Aussicht steht, mit den Räubern des Gebirges zur Plünderung ihrer Schutzbefohlenen in bestem Einvernehmen stehen, hatte sie auf Nebenwege geführt: eine Sache, die bei dem Zustande der Straßen in der Türkei leicht genug ist, und beim Erscheinen eines kleines Trupps von Heiducken spurlos verlassen. Ein Widerstand der beiden Männer und ihrer zwei Diener gegen die wilden Söhne des Gebirges hätte nur nutzlos ihr Leben gefährdet, und so machten sie sich bereits auf eine vollständige Ausplünderung gefaßt, als zu des Arztes Verwunderung der Mohrenknabe Nursah den Anführer der Heiducken anrief und nach einer kurzen Besprechung in türkischer Sprache zu seinem Herrn führte ... »Du bist der fränkische Hekim-Baschi, der in der Lokanda des Slawaken Alexo zu Widdin gewohnt hat?« fragte der Kapitano. – »Ja. Kennst du mich?« – »Ich habe dich oft gesehen, wo du mich nicht sahst, und weiß, daß du ein Bulgare und unser Freund bist. Ich bin Michael Miloje, der Schwiegersohn des Handscha Gawra vor dem Tore Widdins, und weiß, daß du der Mutter meines Weibes beigestanden in schwerer Krankheit und für den Handscha gesprochen hast bei dem Vali von Widdin. Sei mir gegrüßt, Bruder, du und die deinen, ihr seid sicher unter dem Schutze Milojes und werdet seine Gastfreundschaft nicht verschmähen.«

Obschon der Arzt sich des Heiducken nicht erinnerte, war die unerwartete Umwandlung desselben in einen Freund doch viel zu willkommen, um sie nicht mit beiden Händen zu ergreifen.

Die kleine Karawane wandte sich unter Führung Milojes, auf ungebahntem Wege zwischen Felsen und Gestrüpp nach der Höhe der Berge und kam nach einem Marsche von etwa einer Stunde auf dem prächtigen Felsenhang an, auf dem die Schar ihr fliegendes Lager aufgeschlagen hatte, und von wo sie in einzelnen Streiftrupps die jetzt sehr belebte Straße durch die Pässe belästigte. Da fast alle Mitglieder der Gesellschaft auf solchen Streifereien nach der Niederung entfernt waren, fanden sie unter den von Strauchwerk, Fellen und Stangen flüchtig errichteten Hütten nur Marutza, jetzt die Frau des Führers nach der kühnen Entführung, und das Weib eines andern Heiducken, nebst dem oben beschriebenen alten Janitscharen und einem andern Manne ... Alsbald wurden Anstalten zum Mahle gemacht, das aus dem unvermeidlichen Nationalgericht, geronnener saurer Milch, und der Hälfte eines in einer Grube zwischen Steinen gerösteten Schafes bestand.

Dem Doktor Welland gegenüber saß ein Mann im mittleren Alter, dessen keckes, mit mehr als einer Narbe bedecktes Gesicht von dem abenteuerlichen Leben zeugte, das er geführt, und den die Fremden bei ihrer Ankunft im Lager dort und im Gespräch mit dem alten Janitscharen gefunden hatten. Er sprach fertig Italienisch und seine Reden zeigten, daß er weit in der Welt umhergekommen. Auf sein Befragen erfuhr der Doktor, daß er einer jener Kiradschias sei, gewöhnlich geborene Bulgaren, die als Agenten, Hausierer oder Spediteure der Großhändler alle Provinzen durchstreifen und bis nach Syrien, ja bis zum Kaukasus hin Waren an bestimmte Handlungshäuser befördern und von da auf ihren kleinen Balkan-Pferden und Kamelen neue Ladung mitbringen, häufig auch Hausiergeschäfte auf eigene Hand machen.

Paswan, der Kiradschia, war seit einer Woche bei der Bande des Michael Miloje, und seine Vertraulichkeit mit allen Mitgliedern zeigte, daß er hier ein häufiger, sein wohlgefülltes Gepäck, daß er ein willkommener Gast sei. Er wollte am andern Morgen zugleich mit den Fremden aufbrechen und diese bis Schumla begleiten, und erzählte jetzt bei dem Keff Türkisches dolce farniente. um das Feuer von seinen Wanderschaften. Ein zufälliges Lüften seiner Kopfbedeckung hatte den Fremden gezeigt, daß er sein linkes Ohr eingebüßt, und der Blick danach war den scharfen Augen des Kiradschias nicht entgangen ... »Ihr müßt nicht denken, ich sei auf eine schlimme Weise darum gekommen,« sagte er. »Es ist ein Andenken an diese Berge und meine Knabenzeit. Ich hab's bei einer Bärenjagd eingebüßt. Ein grimmer Petz hat's mir mit seiner Tatze abgehauen.« – »Der lose Mund der Weiber hat dir also mit Unrecht nachgesagt,« meinte Miloje, indem er gleichmütig den Schibuk aus dem Munde nahm, »daß es die Moslems dir in Konstantinopel abgeschnitten, weil du ihnen falsches Gewicht verkauft!« – »Fluch über sie!« murrte der Kiradschia ärgerlich, indem er nach dem Handjar in seinem Gürtel faßte. »Ich wollte, es wagte es ein Mann, um ihm die Lästerzunge auszureißen.« Die ganze Gesellschaft, mit Ausnahme des alten Janitscharen, lachte bei dem listigen Augenzwinkern des Anführers.

»Wallah!« sagte der Janitschar, »was hilft es zu klagen, du bist noch gut weggekommen – dich hat's bloß ein Ohr, mich aber fast das Leben gekostet. Wer kann gegen sein Kismet? Da sitze ich nun auf meine alten Tage als Länderbesitzer, der auch ein Haus in Konstantinopel hatte, und rauche mit den Djaurs!« – »Erzähle uns, Effendi,« bat der französische Kapitän. »Meinst du dein Entweichen aus der Niedermetzelung der Janitscharen? – Ich wünschte schon lange den Hergang zu erfahren.« – »Mashallah,« entgegnete der alte Türke melancholisch, »was ich euch erzählen will, Fremdlinge, regt eine Wunde in meinen Eingeweiden auf, die das Alter und fast dreißig Sommer nicht haben schließen können. Allah sende ihm Unglück, der dies getan – es liegt Staub auf dem Grabe des Großherrn Mahmud und die Inglis und Franken wären nimmer nach Stambul gekommen, wenn die heiligen Ortas Unterabteilung der Janitscharen. nicht vertilgt worden aus dem Strahl der Sonne! – Der Prophet zürnt mit den Gläubigen und hat ihr Land in die Hände der Dschaurs gegeben ... Wißt ihr, wer mit euch spricht, Fremdlinge? Melek-Ibrahim, Leutnant der Zagrandschis von der 64. Orta des heiligen Stambul ... Ich hatte ein Weib genommen und zwei tscherkessische Sklavinnen, denn mein Einkommen war reichlich und der Hauptmann mein Freund. Wir wohnten in einem eigenen Hause in Cassim Pascha Vorstadt Konstantinopels. und nur im Sommer zog ich alljährlich nach dem Balkan auf mein Gut, das ich von Selim, meinem Bruder, geerbt im Elajet Widdin. Mein Weib und die Sklavinnen vertrugen sich anscheinend gut bis auf kleine Zänkereien, denn ich führte kräftig den weißen Stab und litt es nicht, daß die Frauen mir in den Bart lachten. Zwei Kinder erfreuten mein Herz, ein Knabe und ein Mädchen, die mir beide meine Lieblingssklavin geboren, denn mein Weib war unfruchtbaren Leibes. Irene, die Mutter meiner Kinder, war schön wie die guten Geister, die den Gläubigen umschweben. Ihr Antlitz war wie die Mandelblüte und ihre Lippen glichen den roten Granaten. Aber schwarze Wolken zogen auf am Himmel der Janitscharen, und das Antlitz des Großherrn verdunkelte sich gegen seine tapfersten Kinder vor den Einflüsterungen falscher Franken. Man nahm uns unsere Rechte und wollte uns zwingen, zu fechten gleich den Christen. Der Bluttrinker hatte die Order gegeben, und die Topschis Artilleristen. geschaffen, die unsere Feinde und Neider waren von Anfang an. Es kam damals viel Unheil über uns, denn alles sollte anders werden, als die Väter hinterlassen.

»Ich wohnte, wie gesagt, im eigenen Haus, wie viele meiner Brüder, und nicht in der Kaserne unseres Korps. Aber täglich war ich bei meiner Abteilung, zu sehen, was vorging. Es war im Jahre 1264 der Hedjira Jahr 1826 der christlichen Zeitrechnung. als der Bluttrinker die neuen Krieger schuf, die man Askeri-Muhammedije nannte. Wir sollten unsere Kaserne hergeben oder alle darin wohnen, keine Reiskuchen mehr vor den Toren des Diwans erhalten, und andere Führer haben, als die wir selbst erwählt. Der Aga war ein Verräter, ohne daß wir es wußten, und er hatte uns dem Hunkiar längst verkauft, bevor wir es ahnten. Aber der Kjetchuda-Bey Zweiter Befehlshaber. Mohammed und sein Kul-Kjetchuda Oberleutnant. waren treu und standen zu uns mit ihrem Blut. Es war am Abend des 13. Juni, als ich, zu meiner Kaserne vor dem Tore von Pera kommend, das nach Therapia führt, die kupfernen Kessel ausgehängt und die Männer des Buluk in wilder Aufregung fand. Ein Befehl war verkündet worden, worin uns Hussein-Aga befahl, die Waffen, die wir schon längst nicht mehr tragen durften in den Straßen Stambuls, ins Arsenal abzuliefern. Da zerrissen wir unsere Jacken und schwuren, daß wir die Unterdrückung nicht länger dulden wollten. In allen Kasernen Konstantinopels waren die Janitscharen diese Nacht versammelt. Als der große Halbmond der Aya-Sophia gerötet war vom ersten Sonnenstrahl, waren die Straßen von mehr als zwanzigtausend Janitscharen gefüllt. Dann erhob sich eine Stimme aus der Menge und rief uns auf, zum Palast des Hussein-Aga zu ziehen, der uns verraten, und von ihm unsere Rechte zu fordern. Der Palast lag unfern des Turmes der Feuerwächter, und wir zogen dahin und zerstörten ihn, bis er der Erde gleich war. Dann nahmen wir den Weg gegen das Serail und lagerten vom Horn bis zur goldenen Pforte, Gerechtigkeit von dem Großherrn fordernd.

Wir waren die Herren von Konstantinopel, aber wir waren Kinder in unserm Willen und Staub vor dem Hauch der Verräter. Die Boten des Sultans verkündeten uns, daß alle Beschwerden untersucht und abgeholfen werden sollten, wenn wir uns in die Kasernen zurückziehen und dort verhandeln wollten. Wir glaubten den Versicherungen und gingen, obschon viele von uns ein bedenkliches Gesicht machten, denn wir wußten, daß unsere Feinde bereit standen, und die Schiffe des Kapudan hatten sich vor die Stadt gelegt. Dennoch gehorchten wir dem Befehl. Fluch dem Teufel, der uns blendete! es war unser Verderben. Das Schicksal wollte unsern Untergang. Boten des Großherrn kamen zu uns und redeten mit uns, Bismillah! Einer so und der andere anders: alles Wind, was von ihren Lippen kam. Sie sollten uns nur hinhalten, bis die Mörder bereit waren: sie brachten uns einen Sack voll Lügen und auf dem Grunde war der Tod.

Auf dem Atmeidan hatte der Sultan indes die geheiligte Fahne des Propheten erhoben gegen die Janitscharen, und das Volk glaubte der Verleumdung, daß wir heimliche Christen seien, und war gegen uns. In großen Haufen zogen sie heran, an ihrer Spitze die Topschis mit ihren Kanonen, und der Scheik ül Islam schleuderte den grimmigsten Fluch gegen unsere Häupter. Zu spät sahen wir ein, daß wir Toren gewesen, und da beschlossen wir, wenigstens als Männer zu sterben. Durch die Straßen Stambuls floß das Blut in roten Strömen und auf dem Atmeidan, der so oft unsere Spiele gesehen, lagen die Leichen der Tapferen hoch übereinander, und das Volk spie sie an und verunreinigte die Gräber ihrer Väter ... Inshallah! es war um die Stunde, da der Imam am Abend den Azan vom Minaret singen soll, – aber es dachte niemand der heiligen Pflicht – als die Würger sich gegen uns kehrten. Wir hatten selbst das große Tor verrammelt und hielten uns in den Gemächern und auf dem Hof, als sie vier Kanonen herbeiführten und vor dem Tor aufstellten. Schande, Schande, es waren ihrer viele, und sie umgaben das ganze Hans in einer langen Reihe ... Wir hatten zwar Waffen, Pistolen in unsern Gürteln und die Flinte auf unserm Nacken – aber das Pulver hatte man längst aus den Kasernen geholt und es blieben uns nur wenige Schüsse zur Verteidigung des Lebens ... Man forderte uns auf, einzeln herauszukommen und die Waffen abzulegen. Viele von uns glaubten ihnen und gingen hinaus, aber als sie entwaffnet unter ihnen standen, fielen die Geschützleute über sie her und schnitten ihnen die Köpfe ab ... Da beschlossen wir zu sterben – tausend tapfere Krieger, tausend Männer von Kraft und Mut! Wir schlugen auf die Becken und häuften Kot auf die Gräber ihrer Väter. Darauf befahl Hussein-Aga, der Verräter, der selbst herbeigekommen, Feuer anzulegen an die Kaserne des Buluk ... An vier Seiten wurde das Feuer gehäuft, und die rote Flamme stieg in die Höhe, wie grimmig wir auch gegen die Mordbrenner kämpften. Viele versuchten, aus den Fenstern zu entkommen, aber die Kugeln und Bajonette unserer wachsamen Feinde töteten sie. Immer unerträglicher wurde die Hitze, und der Qualm und die Flammen füllten jeden Raum. Gar viele Tapfere gingen im Feuer in des Propheten Schoß ... Dann räumten wir selbst die halbverbrannten Balken fort, mit denen wir das Tor verrammelt, und öffneten weit die Pforte. Ein dichter Haufe von Kriegern ergoß sich hinaus, um den Weg mit dem Säbel in der Faust sich zu bahnen. Dreimal versuchten wir es, dreimal warf der Strom der Kartätschen aus ihren Geschützen den Strom der Menschen zurück, und hohe Wälle von Leichen türmten sich vor dem Tore. Die Mörder wollten uns nicht lebendig, und während die Mauern umher brannten, sandten fort und fort die Kanonen ihren eisernen Hagel durch das Tor und die züngelnden Flammen. Berghoch lagen die Leichen umher, und der Gestank der verbrennenden Leiber und die Hitze waren fürchterlich. –

Was soll ich noch sagen? Wir waren unser an zwanzig, die sich im Schutz einer Mauer im Innern des Hofes zusammengefunden, viele, darunter auch ich, zu Pferde, wie wir in die Kaserne gekommen. Wir beschlossen, fechtend zu sterben, oder uns durch die Feinde zu schlagen, und als das Feuer der Kanonen einen Augenblick schwieg, brachen wir durch ein Seitentor über Leichenhaufen und Trümmer hervor. Rauch und Qualm umgab uns und ein Meer von Blut, von blitzenden Säbeln, von Bajonetten und pfeifenden Kugeln um mich her, – was kann ich sagen? als ich wieder von mir selbst wußte, jagte ich über die Felder von Demetri mit einer tiefen Wunde in der Schulter, ohne Mütze und Waffen, und um mich war Nacht, nur in der Ferne erhellt durch die Feuerströme gen Himmel, in denen der Großherr die alten Stützen seines Reiches verbrannte. Auf dem Campo zwischen den weißen Gräbern stürzte mein Pferd, ein treues Tier, das mich aus der Gefahr getragen hatte. Ich setzte den Weg zu Fuß fort nach meinem Hause – und es war mein Glück, daß Angst und Furcht noch alle Türen und alle Fenster verschlossen hielt. Der Morgenstern begann bereits zu erlöschen, als ich in die Nähe meiner Wohnung kam, aber ich war so schwach, daß ich auf einen Stein niederfiel. In der Ferne hörte ich wilden Lärm durch die Straßen, und meine Eingeweide erzitterten. Da stand plötzlich ein Mann vor mir und rief meinen Namen. Ich wußte, daß ich verloren, und beugte mein Haupt zum Todesstreich. Aber eine freundliche Hand half mir empor und zog mich fort. Es war Paswan, der Kiradschia, der jetzt an meiner Seite sitzt. Sein Haar war damals schwarz, seine Haut jung und glatt, und obschon er ein Dschaur war, hatte er doch das Herz eines Gläubigen.«

Der greise Janitschar unterbrach seine Erzählung und nickte freundlich mit dem Haupt nach dem Genannten. Dann fuhr er fort: »Zwei Jahre vorher hatte das Kismet es gewollt, daß ich dem Kiradschia begegnete und ihn aus der Hand schlimmer Albanesen befreite, die seine Waren in Beschlag genommen und ihn töten wollten um eines Zankes halber. Seitdem waren wir Freunde geblieben und er kam zu mir, so oft seine Geschäfte ihn nach Stambul führten. – »Unglücklicher, wo willst du hin!« fragte mich mein Freund, »weißt du nicht, daß Tod dir lauert auf jedem Schritt?« – »So will ich Abschied nehmen von den Meinen und sterben. Der Zorn des Würgers ist über uns.« – »Komm,« sagte Paswan, »ich werde dich retten. Man wird die Häuser aller Janitscharen durchspähen, und dein und der Deinen Verderben wäre sicher. Ich war bereits an deinem Hause, um dich zu warnen, und will dir jetzt helfen, da Gott dich bewahrt.« – Er verband, so gut es ging, an der einsamen Stelle, an der wir uns befanden, meine Wunde, hüllte mich in seinen Mantel und setzte mir seine Mütze auf. So führte er mich in die engen Gassen des Griechenquartiers bis zu dem Schuppen eines Handelsfreundes. Dort verbarg er mich zwischen Ballen und Koffern ...

Es war ein böser Tag, den ich da zubrachte, und wohl zehnmal wollte ich mich hinausstürzen, um das Verderben meiner Brüder zu teilen, das noch immer, gleich einem schwarzen Engel, seine Flügel über Stambul breitete. Ich hörte, wie die Würgerscharen die Häuser erbrachen, um die versteckten Brüder aufzusuchen, und das Geschrei der Weiber und Kinder. An diesen drei Tagen, denn ich blieb zwei Tage und zwei Nächte in meinem Versteck, waren achtzehntausend Brüder im Kampf umgekommen und hingerichtet worden. Der Scheik ül Islam hatte durch einen Fetwa den Fluch auf unser Geschlecht geworfen. Zweimal erschien Paswan in meinem leichten Versteck, aus dem er ohne Gefahr mich doch nicht fortführen konnte, wusch meine Wunden und brachte mir Nahrung. Mein Herz dürstete aber nur nach Kunde von den Meinen. Endlich am dritten Morgen, kam er, und sein Auge war trübe, sein Antlitz bleich. – »Freund Ibrahim,« sagte er zu mir, »die Stunde ist da, wo du zeigen mußt, daß du ein Mann bist. Zieh diese Kleider an, färbe deine Arme und dein Gesicht mit dieser Schwärze und laß mich deinen Bart abschneiden. Die Soldaten des Großherrn halten scharfe Wache, und ein Zucken deines Auges kann mich verderben, wenn du nicht genau meine Worte erfüllst.« – »Aber meine Frauen und meine Kinder! Ich schwöre bei meinem Bart, daß ich Stambul nicht verlassen will, wenn ich nicht zuvor mein Haus wiedergesehen.« – »Wenn du bei den Kesseln gelobst,« entgegnete Paswan, »daß du damit zufrieden sein und erst weiter forschen willst, wenn wir Stambul im Rücken haben, soll dein Verlangen erfüllt werden.« – Ich gelobte und litt geduldig die Schmach, daß der Christ meinen Bart abschor und mir die Kleidung eines schwarzen Sklaven anlegte. Dann führte er mich heraus aus meinem Versteck und bis zu einem entfernten Hofe, in dem zwei beladene Pferde standen, nebst zwei anderen für uns bestimmt. Wir schwangen uns in die Sättel und ritten auf die Straße ... Es war ein schlimmer Anblick für mich. Auf den Plätzen, über die wir kamen, sah ich überall die abgeschlagenen Köpfe meiner Brüder aufgesteckt und hörte die Verwünschungen des betrogenen Volkes gegen uns. Meine Eingeweide zitterten, als mein Freund zur Straße einbog, die zu meinem Hause führte. Ein Blick von ihm mahnte mich zur Vorsicht, aber obschon ich ein Mann war und in Schlachten geprüft, schrumpfte mein Herz zusammen, als ich von ferne vieles Volk um die Stätte versammelt sah, da mein Haus gestanden hatte. Denn meine Augen suchten vergeblich nach ihm, es war von der Erde vertilgt und nur eine Brandstätte noch, von der der Dampf empor qualmte. Zwischen den rauchenden Trümmern stand auf einer Stange eine Tafel mit den Worten: »Melek Ibrahim, der Oda-Baschi der verfluchten Janitscharen, ist verflucht mit allen seines Geschlechts!« Inshallah! das Unglück war über mir. Erst als wir die süßen Gewässer hinter uns hatten und auf der Straße von Edrene davonritten, die wir bald wieder ins Land hinein verließen, um aller Verfolgung zu entgehen, erzählte mir der Bulgare von dem Schicksal der Meinen. Die Khanum, die ich an meinem Herzen gehabt, mein rechtmäßiges Weib, war der Teufel gewesen, der mein Glück zerstört hatte. Schon lange hatte sie still in der Brust, ohne daß ich es bemerkt, Eifersucht und Haß getragen gegen die griechische Sklavin, die mir zwei Kinder geboren, und als die Verfolgung der Janitscharen begann und sie wußte, daß sie nichts von mir zu fürchten hatte, war sie davongegangen und hatte mich angeklagt als heimlichen Christen und die Würger selbst in mein Haus geführt. Die Mutter meiner Kinder hatten die Henker als Sklavin verkauft, meine Diener waren verjagt und meine Kinder verschwunden, verkauft vielleicht auf einem fernen Sklavenmarkt, trotz des Propheten Gebot, und keiner wußte ein Wort von ihnen zu sagen, ich war ein entblätterter Stamm.

Was soll ich sagen? – mein Schicksal ist besiegelt. Mein Retter führte mich sicher durch den Balkan, und ich fand Schutz bei Mollah-Pascha, dem Vali von Widdin, der den Janitscharen heimlich Freund war und gegen die Neuerungen des Großherrn kämpfte. Aber der Würger meines Stammes selbst kam ins Land, Hussein ward vom Sultan zum Dank für die Vernichtung meiner Brüder zum Pascha von Widdin gemacht, und ich mußte nochmals fliehen vor meinem grimmigsten Feinde. Wiederum war es Paswan, der mir die Kunde der Gefahr brachte und mich zu seinen Verwandten ins Gebirge brachte. Mein Schicksal wollte es, ich habe mit ihnen gefochten gegen die Krieger des Großherrn, bis ich alt und das geworden bin, was Ihr von mir sehet. Ich werde bald eingehen zum Paradiese des Propheten, denn siebenzig Winter lagern auf meinem Haupte; aber, wenn ich ihrer noch siebenhundert lebte, das Herz Ibrahims, des Janitscharen, würde dankbar bleiben für Paswan, den Bulgaren.«

Der alte Janitschar schwieg melancholisch und dampfte große Wolken aus seinem Tschibuk. Er war vielleicht der einzige, der noch übrig geblieben von jener so furchtbaren Schar, dem Schrecken Europas. Sein Freund, der Kiradschia, noch im kräftigen Mannesalter und wohl fünfzehn Jahre jünger als er, reichte ihm die Rakihschale. – »Es war dein Kismet, Freund Ibrahim, – wer kann es ändern?« – »Und hast du auch später keine Kunde erhalten, was aus deinem verräterischen Weibe und den Kindern geworden ist?« fragte teilnehmend der Arzt. – »Allah bilir – Gott allein weiß es. Ich habe vernommen, daß vor einiger Zeit ein altes Weib in Madara gestorben ist, deren nachgelassene Habe die Zeichen des 64. Zuges der Janitscharen und den Namen Ibrahim trägt. Paswan wird nachforschen, wenn er morgen mit euch in Madara übernachtet.« – »Das Ziel unserer nächsten Tagesreise ist das berühmte Dorf Madara?« fragte der französische Kapitän. – »So ist es. Es liegt abwegs im Gebirge, aber Ihr werdet sicherer reisen in meiner Begleitung,« sagte der Kiradschia. – »Ei, Ventre bleu!« lachte Depuis, »ich würde auch einen stärkern Umweg nicht scheuen, um das berühmte Amazonennest zu besuchen. Sie kennen seine Geschichte, Doktor?« – »Ich bin nicht so glücklich.« – »Dann rüsten Sie sich, Doktor, und schicken Sie vorläufig alle Prüderie und Keuschheit zum Henker. Madara ist das Paradies der türkischen Frauen in dieser Welt und die Opferstätte der Männer. Es ist der einzige Ort in der ganzen Türkei, wo die Frauen Frauen sein dürfen und lieben, wen sie wollen, ohne gleich fürchten zu müssen, dafür gesackt oder geköpft zu werden. Madara ist das Kappadocien der alten Amazonen und die Wlaskaburg der böhmischen Mägde, ein Weiberstaat im kleinen. Hierhin flüchten sich alle Frauen und Mädchen aus der ganzen Türkei, die irgend einem grimmigen Vater oder Manne entlaufen sind. Wenn sie die Grenze dieses kleinen Reiches überschritten haben, sind sie freie Bürgerinnen desselben bis zu ihrem dreißigsten Jahre. Kein Mensch, selbst der Sultan nicht, darf sie zurückfordern, aber ebensowenig dürfen sie vor jener Zeit freiwillig das Asyl wieder verlassen. Mit ihrem dreißigsten Jahre hört die Zeit des Vergnügens und der Freiheit auf; die älteren müssen, wollen sie den Ort nicht verlassen, dann die Geschäfte der Dienerinnen versehen und für ihre jüngeren Schwestern putzen, waschen, kochen, braten und backen, säen und ernten, was weiß ich! Kurz, so viel ist sicher, daß es junge Schönheiten und alte Weiber zur Genüge in Madara gibt!« – »Und sind die Männer ganz daraus verbannt?« – »Ei, mit nichten! Das ist eben das Vortreffliche an der Sache. Man munkelt darüber höchst seltsame Geschichten, die meine Neugier aufs äußerste gespannt haben. Ventre bleu! Man wird mich beneiden in der ganzen französischen Armee, wenn ich eine Nacht wirklich und wahrhaftig in Madara zugebracht habe. Effendi Paswan, Ihr, zernarbtes Spitzbubengesicht, wißt gewiß mehr von den Geheimnissen des Amazonendorfes zu erzählen. Heraus damit!« Der Kiradschia lächelte ... »Als ich noch jünger war,« sagte er, »führte mein Weg mich wohl öfter dahin, ich will es nicht leugnen. Ich war gern gesehen unter den Frauen und bin es noch, denn ich bringe ihnen Seide von Brussa, Stickereien von Konstantinopel, die Wohlgerüche von Edreneh und die Leckereien von Chios. Nicht jeder darf über die Grenze der Frauen, aber wer mit einem Freunde kommt und ein freier Mann ist, ist ihnen willkommen.« – »Aber die Bedingungen? die Bedingungen des Eintritts, Alter?« forschte eifrig der Kapitän. – »Was soll ich sagen – Ihr werdet es selbst schauen. Wer eintritt in Madara, muß sich den Gesetzen des Dorfes fügen – Ihr seid beide noch jung und werdet schwerlich ein Nachtlager auf dem Grase der Berge vorziehen. Doch ist es nötig, daß wir das unsre halten, denn wir müssen aufbrechen, ehe die Sonne die Gipfel der Berge rötet. Schlaft wohl, Franken!«

Er hüllte sich in eine große wollene Decke und stützte sein Haupt auf eines seiner Warenpakete. Wenige Minuten darauf war er in tiefem Schlaf, indes Ibrahim, der greise Janitschar, unverändert an seiner Seite sitzen blieb und Wolke auf Wolke hinaus in die Luft qualmte ... Miloje, der Capitano der Schar, lud gleichfalls seine beiden unfreiwilligen Gastfreunde ein, die Ruhe zu suchen, und führte sie nach einer der leichten Hütten, die er ihnen allein zu ihrer freilich sehr geringen Bequemlichkeit überließ. Bald war das Feuer erloschen und heilige Stille um die Schläfer her, nur unterbrochen von den plätschernden Wellen des Gebirgsbaches oder dem Schrei eines Nachtvogels. – – –

Mit dem ersten Morgengrauen weckte der Kiradschia seine Reisegefährten. Ehe sie ihre Hütte verließen, hatte er bereits seine zwei Packpferde mit ihrer Last versehen, und Nursah und die Heiducken hatten die Pferde gesattelt. Paswan drängte zum Aufbruch; das Frühstück, aus Kaffee und hartem Brot bestehend, war bald verzehrt, und nach wenigen Augenblicken saßen sie im Sattel. Miloje begleitete sie zurück bis in die Nähe der großen Straße, dann schied er mit herzlichem Händedruck. Kurze Zeit darauf verließ ihr Führer sie wieder und schlug einen kaum erkennbaren Seitenweg ein. Doch schien er mit der Gegend auf das genaueste vertraut, denn die wilden Pfade, die er wählte, waren, wenn auch mühsam, doch gangbar für die Pferde. Unter allerhand Gesprächen kamen sie vorwärts, und als die Sonne sich zu neigen begann und die türkische Tagesrechnung ihrem Ende nahte, sagte der Führer ihnen, daß sie nahe am Ziele seien.

Obschon die wilde, oft Grausen erregende Natur des Hochgebirges, rauhe Felsenmassen, abwechselnd mit üppig grünen Matten, seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, war es doch dem Arzt nicht unbemerkt geblieben, daß sein Diener Nursah wieder während des ganzen Tages ein unruhiges, seltsam befangenes Wesen zeigte. Bald ritt er träumerisch dahin, in tiefe Gedanken versunken, bald drängte er sich hastig und auffallend an seinen Herrn und seine Blicke hingen ausdrucksvoll und doch mit einer gewissen Scheu an ihm ... Sie hatten den Gipfel des Balkans überstiegen und befanden sich bereits – wenn auch im Hochgebirge, auf den südlichen Abhängen desselben, die schon von den milden Winden des Ägäischen Meeres bestrichen werden und auf denen die Rose, der Wein, die Myrte und die Feige in üppiger Fruchtbarkeit gedeihen. Zwischen rauhen Felsenmassen öffnete sich plötzlich ein weites Gebirgstal mit aller üppigen Vegetation der tiefer liegenden Landschaft Zagora. Von hohen Bergen umschlossen und geschützt vor den rauhen Stürmen des Hochgebirges, lag es da in seiner grünen Pracht, die Prärie mit ihrem mannshohen Grase, üppige Getreidefelder von Myrten und Feigenhecken eingehegt, an den Platanen und Eichen die Ranken des Weins emporstrebend, weite Gärten von Rosen und wohlriechenden Kräutern, ein Hauch wollüstigen Duftes und lieblicher Schönheit über dem ganzen Eden: Madara! die Kolonie der türkischen Frauen, jenes so selten erreichte Zauberland der Reisenden im Balkan!

Von der Höhe, wo sie hielten, konnten sie das aus zahlreichen, im Grünen versteckten und zierlich gebauten Häusern bestehende Dorf und die seltsamen Bewohnerinnen in Gruppen versammelt sehen – in dem klaren Gebirgsstrom ihre Abendwaschungen verrichtend, auf munteren Pferden umherjagend durch das Tal, oder durch die Felder schweifend, Kränze windend von duftenden Blumen – alle bunten Trachten des Orients, wallende, farbige Gewänder, die Schönheit unverhüllt prangend im Strahl des Lichts ... Reizendes Madara! Oase im Frauen- und Liebesleben des Orients!

Sie lenkten ihre Pferde zum Tal, bezaubert von dem wunderlieblichen Anblick; aber schon waren auch sie bemerkt, und die Gruppen der Frauen und Mädchen in der Tiefe begannen sich zu sammeln. An den Trümmern eines Turmes, der weit über das Tal ragte, sprengte ihnen eine Gruppe Frauen entgegen, Frauen, die, obschon teilweise noch schön und frisch, doch offenbar schon jenen Wendepunkt überschritten hatten, den die Erzählung des Kiradschia von ungezügelter Freiheit zum Leben der Arbeit und der Mühen des kleinen seltsamen Staates angegeben hatte. Ihre Hand führte keck den Zügel, die Flinte hing am hohen Sattel, im Shawl, der die Hüften umschlang, steckten blanke Feuerwaffen. Schon von ferne ertönte ihr Haltruf ... Als sie näher heran kamen, ritt ihnen Paswan, der Kiradschia, entgegen, und kaum, daß sie ihn erkannt, erhob sich gellendes Freudengeschrei in die blaue Mailuft, denn wo in öden Ländern wäre der wandernde Kaufmann nicht willkommen, der Kunde bringt von dem Leben draußen hinter den Bergen oder den Wäldern, der Putz und Zier, Schmuck und all jene hundert Gegenstände mit sich führt, die Frauenaugen lieben und bewundern ... »Seid gegrüßt, Kiradschia Paswan, du und deine Gefährten,« sagte die Führerin des Zuges. »Mögen sie eintreten in Madaras geheiligte Grenzen und Brot mit uns brechen, wenn sie unseren Gesetzen sich fügen wollen. Sage uns, ob deine Freunde freigeborene Männer sind, die allein Anspruch haben auf die Rechte unserer Gäste?« – »Sie sind es, o Khanum, bis auf einen armen nubischen Sklaven.« – »Möge er zur Bedienung seines Herrn mit ihm gehen! Die Weiber von Madara werden ihm ihren Leib, aber nicht ihr Brot verweigern. Deine Freunde sind bereit, unser Gesetz zu erfüllen?«

Der Kiradschia blickte sich nach seinen Reisegefährten lächelnd um ... »So seid uns willkommen, und möge euer Eingang gesegnet sein!« ... Sie schoß ihre Flinte in die Luft ab und wandte ihr Roß; ihre Gefährtinnen folgten dem Beispiel, und alle jagten den Abhang hinab, während die Fremden langsam folgten, mit gespannter Aufmerksamkeit auf das nun kommende Schauspiel. Bald darauf verkündete ihnen lautes Freudengeschrei, wie die Wächterinnen des Tales dessen Bewohnerinnen wahrscheinlich die frohe Nachricht gebracht, daß ein Kiradschia mit seinen Waren komme, sie zu besuchen; denn von allen Seiten sah man die Frauen zu dem Eingang des Dorfes eilen.

Als die Reisenden um ein dichtes Gebüsch bogen, das ihnen einige Zeit die Aussicht auf das Dorf benommen hatte, kam ihnen von dessen Eingang her ein seltsamer, überraschender Zug entgegen, eine Anzahl junger und schöner Frauen oder Mädchen, einige das Tamburin oder Becken schlagend, andere aus zierlich geflochtenen Körben mit Rosen den Weg bestreuend und alle ein bulgarisches Lied singend, das mit seinen eigentümlichen melancholischen Klängen sie willkommen hieß. Sie umringten die Pferde der Reisenden und, Blumenkränze durch ihre Zügel schlingend, führten sie die Gäste im Triumph bis in die Mitte ihres merkwürdigen Dorfes, die einen freien Platz bildete. Es kam dem Arzt ganz eigentümlich vor, sich hier von mehr als drei bis vierhundert schönen Frauen umgeben zu sehen, die sie umdrängten, alle durcheinander schnatternd, alle ihn mit offenen Blicken musternd, unverhüllt durch den häßlichen Yaschmak, ihren Putz und ihre Schönheit zur Schau tragend, beweglich, froh und frei, statt der trübseligen bewachten Gestalten, die er seit Jahresfrist fast allein zu schauen bekommen hatte.

Es schien zur Aufnahme der Fremden eine Anzahl zierlicher Wohnungen in dieser seltsamen Republik in Bereitschaft gehalten zu werden, denn der Kiradschia, der Arzt und der Kapitän, sowie dessen Diener, wurden jeder zunächst in ein abgesondertes Häuschen geführt, um davon Besitz zu nehmen, und dann eingeladen, ein türkisches Bad zu nehmen, in dem alte Frauen sie bedienten. Als sie, von dem Bade nach dem langen Ritt gestärkt, wieder auf dem Platz erschienen, waren Teppiche für sie ausgebreitet, und während der Kiradschia seinen Warenballen öffnete und dessen Inhalt vor den funkelnden Augen der Menge enthüllte, die Waren und Geschmeide Hand in Hand gingen und der Kauf- oder Tauschhandel geschlossen wurde, umgaben andere Frauen den Arzt und den Offizier, ihnen Kaffee, Sherbet und Früchte vorsetzend, die Nargilehs in Brand haltend und sie mit tausend neugierigen Fragen bestürmend. Zugleich wurden von den älteren Frauen Anstalten für die Abendmahlzeit gemacht. Jeder Franke gilt im Orient für einen Hekim-Baschi oder Arzt, und als der Kiradschia verraten hatte, daß der eine seiner Begleiter ein berühmter Doktor der Armee sei, wurde der Sturm der Fragen, die für allerlei eingebildete Übel Heilmittel verlangten, immer größer, teilte sich aber komischerweise auf den Kapitän und den Arzt, denn da beide militärische Kleidung trugen, schien es den schönen Hilfesuchenden ziemlich gleich, welcher von ihnen der rechte sei.

Der Schlag auf ein großes Becken verschaffte ihnen endlich Ruhe, indem er den Beginn der Abendmahlzeit verkündete; und die schönen Bewohnerinnen des seltsamen Dorfes lagerten sich in Gruppen und Kreisen um die Gäste, während alte Frauen, die allein das Gesicht in türkischer Weise verhüllt trugen, die Platten und Schüsseln mit Pillaw und gekochtem und gewürztem Geflügel oder die mit gehacktem Fleisch gefüllten Gurken herbeitrugen. Die zierlichen, oft eben nicht allzu reinen Finger der Schönen fielen nach türkischer Sitte alsbald über die Gerichte her, und für einige Zeit herrschte Stille in der sonst so lebendigen und lauten Gesellschaft, da die ewig beweglichen Zungen und Lippen mit der Mahlzeit beschäftigt waren ... Die Fremden, reichlich und mit dem Besten bedient, ließen es sich gleichfalls schmecken, und Welland beobachtete mit Vergnügen, wie der martialische Kapitän von zwei schönen, ihm rechts und links sitzenden Frauen, deren offene Kleidung seine lüsternen Augen in Bewegung hielt, gleich einem sybaritischen Pascha sich füttern ließ.

Als die Mahlzeit beendet war und man wieder Pfeifen und Kaffee zur Hand nahm, wobei der Kreis der Frauen den Männern Gesellschaft leistete, begann der Tanz. Aus den Reihen um sie her traten blumengeschmückte schöne Mädchen hervor, faßten einander an weißen Tüchern an und tanzten den Rundtanz um die in der Mitte stehende Koryphäa oder Vortänzerin, indem sie in türkischer, griechischer und bulgarischer Sprache improvisierte Lieder sangen und andere das Tamburin oder eine kleine Trommel dazu schlugen. Dann ergriff eine oder die andere die Guzla, lagerte sich im Kreise ihrer Gefährtinnen und sang in monotonem Deklamieren ein Gedicht voll Sehnsucht und Liebe, voll Schwermut und wollüstigem Hauch, in das der Schlag der Nachtigall einstimmte, die aus den Wipfeln der überall einzeln oder in Gruppen durch das Tal verstreuten Kastanienbäume, Eichen und Cypressen ihre lockenden Töne flötete. Die Rosen hauchten ihren Duft durch die würzige Abendluft, leuchtende kleine Käfer funkelten durch die Gebüsche und schwebten umher gleich beflügelten Sternen. Dazu klang das heitere Lachen silberner, jugendlicher Frauenstimmen aus den zahlreichen Gruppen und Kreisen auf dem großen Platz, leichte Gestalten eilten umher, bald dem eintönigen Vortrag einer Massaldschi oder Märchenerzählerin lauschend, bald eintretend in die Kreise der Tanzenden, oder neugierig sich herandrängend an jene, die sich um die Fremden gebildet hatten.

An der Tür des bescheidenen, aber zierlichen Hauses, das dem Deutschen zum Aufenthalt bestimmt worden, stand der schwarze Knabe Nursah und schaute eifrig nach der Gruppe um seinen Herrn.

Seine Augen leuchteten mit einer gewissen Angst und Glut, – die Blume, die sein Herr zog, – das Jauchzen der Frauen, wenn er, was zweimal geschah, die richtige getroffen, schien wie ein scharfer Stahl durch sein Herz zu dringen, so zuckte die ganze Gestalt zusammen, und die kleine Hand preßte fest in der ihren die welke des alten Weibes, das neben ihm stand und mit Luchsaugen die Vorgänge beobachtete, und bald anregende, bald beruhigende Worte dem Mohrenknaben ins Ohr flüsterte. Dazu klimperten die Finger der Alten lustig und gierig in ihrer Tasche und der helle scharfe Klang verriet die Goldstücke.

Immer lustiger, immer munterer wurden die Kreise auf dem Platz; bacchantisch raseten die Frauen, durch die schwarze Nacht summten leuchtend die glühenden, lüsternen Käfer, aus dem Platanengipfel schlug die Nachtigall girrende, verlangende Töne, das Tamburin klang zum lustigen Tanze, die Düfte der Rosen, der Myrten und der hundert würzigen Kräuter verdichteten die Luft – die bunten Papierlaternen, die den Gruppen geleuchtet, verloschen – der Kiradschia war in sein Haus gegangen; – mit zwei Mädchen im Arm, dem Kind eines Paschas und dem jungen entwichenen Weib eines alten Griechen, jubelte der Kapitän und brüllte französische Opernarien und lockere Grisettenlieder, – stiller und stiller wurde es auf dem weiten Platz, – auf den ausgebreiteten Teppichen, in ihre Decken und Schleier gehüllt, lagerten die Amazonen von Madara oder legten ihr Haupt in den Gemächern und den Tschardaks auf den weichen Polstern oder dem harten Holze zur Ruhe – stiller und stiller wurde es ringsum – nur einzelne verhüllte Gestalten nahten in der duftigen, warmen, üppigen Mailuft den vier Häuschen, die den Fremden zur Wohnung angewiesen waren ... O Madara! süßes, phantastisches Madara, poetische Oase im Schmutz des Orients!

Lange schon hatte der Deutsche sich in sein Gemach zurückgezogen und ausgekleidet auf die weichen Kissen geworfen, die sein Lager bildeten. Er hatte es kaum bemerkt, wie sorgfältig die Jalousien geschlossen waren, wie tiefes Dunkel um ihn herrschte, als er die Lampe ausgelöscht ... Er wußte, was folgen würde, er kannte jetzt die Gesetze und Gebräuche der seltsamen Republik, und er war kein prüder Joseph, der sich den Sitten und Gebräuchen des Landes entzog. Durch seine Adern rollte feurig und kräftig das unverdorbene Blut, die Phantasie malte ihm süße, köstliche Bilder des Naturgenusses, und vor ihm gaukelten die dunklen, feurigen, mandelförmigen Augen, die schmachtend in die seinen gesehen, die Reize, die zum ersten Male ihm unverhüllt erschienen waren.

Leise Schritte schlürften heran, ein Flüstern vor der Tür ward laut, dann hörte er, wie der Besuch die klappernden Pantoffel als Zeichen der Anwesenheit vor der Tür stehen ließ und hereinschlüpfte in das geheimnisvolle Gemach ... Die Tür ward verschlossen, alles dichte Finsternis, dichtes Geheimnis ringsum ... Ein betäubender Rosenduft erfüllte die Luft des Gemachs – ihm war, als hörte er das wogende Atmen eines Busens, den sehnsüchtigen und dennoch ängstlichen Seufzer, der über halbgeöffnete Lippen quoll.

Er hatte sich halb aufgerichtet auf dem Lager – seine Pulse wogten fieberisch! Sein halb erstickter Ruf verkündete seine Erregung, – im nächsten Augenblick warf sich ein voller, weicher, warmer, üppiger Körper an seine Brust, zärtliche Arme umfingen ihn, heißer Odem mischte sich mit dem seinen und glühende trunkene Lippen preßten ihm den Mund. Dazwischen klang es wie leises Weinen und ängstliches Schluchzen. Aber der Sturm der Leidenschaft der erregten Sinne ließ ihn nichts achten und hören, als deren glühende Befriedigung; Brust an Brust, Lippe auf Lippe sanken sie in die Kissen.

Er verwünschte das Dunkel der Nacht, das ihn hinderte, die leuchtenden Augen, die süßen Züge zu sehen, aber er wußte, daß sie jung und schön war, denn nur Jugend und Schönheit tragen den Hauch und Duft der Liebe. Voll glühender Zärtlichkeit umschlangen ihn ihre Arme, und dennoch fühlte er, wie er sie in den seinen hielt, daß sie zitterte in Scham und Angst ... So vergingen die Stunden – wie Minuten flogen sie ihm dahin. Zweimal im Laufe der Nacht hörte er, wie draußen an der Tür Schritte trippelten, Stimmen flüsterten, erst leise, dann erregt und zornig, dann wieder beruhigt, und sich verloren im geheimnisvollen Schweigen der Nacht, und jedesmal fühlte er, wie das Weib in seinem Arme heftiger zu zittern begann, wie ihre Brust sich in ängstlicheren Atemzügen hob und das Gesicht sich furchtsam an seiner Brust barg, wie sie ihn umschlang, gleich als wolle und könne sie nicht von ihm fort und ihn einer anderen überlassen ... Mit Schmeichelworten suchte er sie zu beruhigen, und als ihr Mund in türkischer Sprache ihm zuflüsterte, daß sie ihn liebe, daß diese Nacht ihr höchstes Glück sei, daß sie seiner gedenken werde immer und ewig, so lange sie lebe: da war es ihm, als wehten ihn bekannte Klänge an, als öffne sich ein lange verschlossener Schrein in seinem Herzen, als sei ihm diese Liebe und Wonne, die wie die Rose sich entfaltet im wollüstigen Hauch der warmen Abendsonne, entsprossen aus dem Sturm der Sinne, aus den unsichtbaren, mystischen Reizen der dunklen Nacht, – etwas längst Vertrautes und Bekanntes und Empfundenes ...

»Wer bist du, seltsames Wesen?« fragte der Deutsche in diesem seligen Rausch, »das mir Liebe so zärtlich beteuert, und mir dennoch erst vor wenigen Stunden zum erstenmal begegnet im Leben? hat dich mein Auge nicht einmal unterschieden im Kreise deiner Gefährtinnen und würde ich dich nicht wiederkennen, wenn der Morgenstrahl mir deine Züge verriete! und dennoch weckst du ein Gefühl in mir, wie es der ruhige, verständige Mann, über die Jahre der Leidenschaft hinaus, noch nie empfunden?« – »Sage mir,« flüsterte die Stimme, »bist du glücklich, o Franke, an meinem Herzen?« – »Ich bin es – aber ...« – »Forschest du dem milden Hauch der Abendluft nach, der dein Gesicht kühlt? Kannst du den Duft schauen, der deine Sinne erfreut?« – »Wohl! wohl! ... und dennoch sehne ich mich, dir ins Auge zu sehen, deine Züge in mein Herz zu prägen für immer.«

Sie antwortete nicht ... »Nimm diesen Ring, Mädchen,« sagte er, indem er einen einfachen Granatreif von seinem Finger zog und an den ihren steckte, »er ist ein Geschenk meiner Schwester und mir lieb. Ich möchte, daß, wenn ich fern von dir bin, du dich meiner erinnern mögest, wie ich es tun werde.« Er fühlte, wie sie die Hand emporhob und den Ring an ihre Lippen drückte, und er zog sie an seine Brust ... Lange vorher, ehe das erste Morgengrauen durch die Jalousien des Gemaches schimmerte, lag er in tiefem, festem Schlafe ... Als der Ruf des Kiradschia ihn später aus wilden, aber süßen Träumen weckte, streckte sein Arm sich vergeblich nach der Gefährtin der wonnigen Nacht aus – sein Lager – das Gemach war leer.

Er sprang empor – sollte denn alles ein Traum gewesen sein? Unmöglich – er war in Madara – dort auf den Kissen noch der Eindruck des Hauptes der seltsamen Geliebten, – er kannte jetzt die Rechte der Republik, er wußte, daß eine Frau bei ihm gewesen ... Die Mahnung des Kiradschia hieß ihn sich beeilen; er rief nach Nursah, seinem Diener, aber erst auf wiederholten Ruf erschien dieser, und es war, als scheute sich der sonst so zutrauliche, auf jeden Wink merkende Knabe vor seinem Herrn ...

Bald saßen sie auf; Kapitän Depuis mit seinem Diener kam von dem Hause her, wo er die Nacht zugebracht. Sein Aussehen war schlaff und matt und zeugte von den Schwelgereien der Nacht; sein Faunenblick traf den deutschen Arzt und jagte diesem das Blut in das Männerantlitz. Aber man hatte wenig Zeit zur Verständigung – der Kiradschia drängte zur Abreise, denn sie mußten am nächsten Tage Schumla zu erreichen suchen, und aus den Hütten und Häusern des seltsamen Dorfes strömten bereits wieder die heiteren Bewohnerinnen zusammen und umgaben mit jubelndem Morgengruß die Reisenden. Vergeblich schaute der Arzt nach irgend einem Erkennungszeichen seines nächtlichen Besuches sich in der Menge um. Überall schöne, heitere, neckische Gesichter, aber nirgends ein seiner Frage begegnender Ausdruck, nirgends ein Bild, das zu dem seiner aufgeregten Phantasie paßte. Zu fragen scheute er sich, denn er fürchtete den Spott des Offiziers und des Kiradschias, und so mußte er denn mit ungestillter Neugier sich ihnen zur Abreise anschließen.

Ein ähnlicher Zug, wie der, welcher sie empfangen, geleitete sie bis zum Ausgang des Tales, wo das Gebiet des seltsamen Weiberstaates endigte, und die Reisenden schieden hier, nachdem sie die Begleitung nach ihren Mitteln reichlich beschenkt hatten. Die Frauen schossen wiederum ihre Pistolen und Flinten in die Luft und jagten davon ... »Nun, Doktor,« sagte lustig der Kapitän, als sie einen Augenblick auf der Höhe des Bergpasses hielten und zurückschauten auf das ferne Tal, »was denken Sie von unserm Abenteuer? und wie haben ihnen die Gebräuche der höchst ehren- und achtungswerten Republik gefallen?« – »Gut für Ihre orientalischen Hilfstruppen, Kapitän, daß es nur ein Madara in der Türkei gibt. Sie könnten sonst ihr Kapua finden, nach Ihrer eigenen Miene zu urteilen.« – »Pah! es sind wahre Teufelsweiber; eine Pariser Grisette ist eine Vestalin dagegen. Aber sorgen Sie sich nicht, Doktor, unsere Soldaten werden aus den wohlverbarrikadierten Harems unserer werten Bundesgenossen Madaras genug zu machen verstehen, trotz aller Tagesbefehle des Marschalls. Tausend Donnerwetter, ich denke mir ein Regiment unserer Jäger oder Zuaven in unser eben verlassenes Nachtquartier einmarschieren. He, Monsieur Kiradschia, alter Sünder – wie ist's Euch ergangen in dieser Nacht?« – »Hast du etwas erfahren in betreff des Auftrages deines Freundes, des Janitscharen-Batschis?« fügte der Arzt der Frage des andern hinzu.

»Wenig genug, Signori,« sagte der Führer, »und dennoch hat uns das Gerücht nicht getäuscht. Das alte Weib, von dem wir hörten, daß es in Madara gestorben, muß in der Tat das verräterische Weib Melek-Ibrahims, meines Freundes, gewesen sein. Sie war seit länger als zwanzig Jahren in Madara und muß mich oft dort gesehen haben, wenn ich sie auch nicht wiedererkannte; denn der Oda-Baschi hielt streng das Geheimnis seines Haremliks, und ich habe sein Weib nur in dichtem Schleier geschaut.« – »Woher schließt du dies alles?« – »Höre weiter, Signor. Das Weib hatte einen bösen Ruf, selbst in Madara, und war zänkisch und boshaft. Die jungen Frauen fürchteten sie wie den Teufel. Sie war schwer erkrankt und mochte ihr Ende fühlen, obschon sie zwanzig Jahre weniger zählt, als Melek-Ibrahim, ihr Mann. Ich weiß nicht, ob sie je erfahren hat, daß er gerettet wurde aus dem Gemetzel zu Konstantinopel, aber ich vermute es jetzt, daß sie Kunde bekommen von unseren späteren Nachforschungen und deshalb sich nach Madara geflüchtet hat. Als der Tod ihr auf der Zunge saß, hat sie einen Schreiber aus der Nachbarschaft kommen und ihn einen Brief schreiben lassen. Diesen und ein Paket hat sie den Ältesten des Dorfes übergeben, die sie mir aushändigen sollten, wenn ich wieder nach Madara käme. Also ist es geschehen.« – »Zum Donner! die Sache wird ja ordentlich romantisch. Und was enthält der Brief, Freund Kiradschia?« – »Allah bilihr – Gott weiß, wie die Moslems sagen,« entgegnete der Alte; »ich habe ihn noch nicht geöffnet; es hat Zeit, bis unsere Pferde Rast halten in der Mittagsstunde. Die Botschaft eines Unheils kommt immer noch früh genug, und was kann ein altes Weib anders bringen als Schlimmes!« Mit diesem Trost mußten seine beiden Gefährten sich begnügen bis zu der festgesetzten Zeit. Als sie in der brennenden Mittagssonne im Schatten riesiger Kastanienbäume an einer Quelle die Pferde fütterten, und im Grase ausruhend, ihr einfaches Mahl verzehrten, öffnete der Kiradschia sein in ein Lammfell eingebundenes Paket. Es enthielt außer dem erwähnten Briefe ein Kästchen von jener Art, wie sie in Konstantinopel so vorzüglich gemacht werden. Der Schlüssel lag im Briefe, dieser aber lautete:

»An Paswan, den Kiradschia, einen Bulgaren und in Ewigkeit verfluchten Christen!

Vernimm meine Worte, o Paswan, der du ein Freund meines Mannes warst und ihn, wie ich vor Jahren gehört habe, gerettet hast vor dem Zorne des Padischah und der Vernichtung der verfluchten Janitscharen. Auf dein Haupt komme es! Ich weiß nicht, ob der Höllensohn noch lebt, aber ich glaube es nicht, und setze dich darum zu meinem Erben ein, statt jener alten Weiber, die mich schlecht behandelt haben, und die nun bloß behalten mögen, was wertlos ist. Ich habe Melek-Ibrahim, den Oda-Baschi, gehaßt und dies mit Recht, denn er hat mir viel Übles getan, und die schlechte Sklavin war über mir in seinem Hause, bloß weil sie ihm Kinder geboren hat. Wallah! war ich nicht seine rechtmäßige Freude? Er hat meine Rache empfunden. Nun aber will der Prophet, daß man Böses gut mache vor seinem Tode, und ich habe mich dazu entschlossen, da Eblis, der schlimme Engel, hinter mir sitzt. Ich habe den Kindern meines Gatten Übles getan, aber das Schicksal wollte es so. Sie sind verkauft worden als Sklaven: Jussuf, der Knabe, der zehn Sommer zählte, auf ein maltesisches Schiff, das die Rosalbe hieß, und ich weiß nicht, wo er geblieben ist. Aber der Wille Allahs kann dich ihn finden lassen, und ich sage dir, daß er ein Kennzeichen hat, die Anfangsbuchstaben des Namens seines Vaters auf der Schulter eingezeichnet mit einer Nadel und eingerieben mit Pulver und Salz, daß sie fortwachsen mit seinem Leben. Das Mädchen, Zuleika, zählte vier Jahre, und ich hörte, daß sie gestorben sei. Was aus ihrer Mutter geworden ist, weiß ich nicht, – Fluch über sie und die Gräber ihrer Eltern! Aber die Habe, die ich mitgenommen, gehörte nach dem Gesetz den Kindern meines Mannes, und so gebe ich sie dir, o Kiradschia, von dessen Redlichkeit die Leute großes erzählen, obgleich du ein Dschaur bist, damit du sie dem Knaben wiedererstattest, wenn er sich finden sollte. Gott ist groß und in seiner Hand ruht alles. Ist deine Mühe vergeblich, so sieh das Erbe als das deine an. Besser in den Händen eines Dschaurs als dieser tollen Weiber, deren Dienerin ich geworden bin. Allah beschütze dich und gebe mir ein gutes Ende! Am fünften Tage des Monats Zilkadé, im Jahre 1269 (1. Juli 1853) Unterschrieben von Zulmah, der Frau des Melek-Ibrahim.«

In dem Kästchen lagen wertvolles Geschmeide in Menge, Rosenkränze und Amuletts, nebst einer nicht unbedeutenden Anzahl Goldstücke ... »Beim Henker!« sagte der Kapitän, »ich möchte der Erbe der alten Verräterin sein. Schade, daß meine Abkunft auf der Mairie registriert ist! Was wollt Ihr nun tun in der Sache, würdiger Kiradschia?« – »Was ich tun will, Signor Capitano?« fragte erstaunt der Bulgare. »Was kann ich anders tun, als meinem Freunde Ibrahim sein Eigentum zustellen? Es kann Sonnenstrahlen werfen auf die Tage seines Alters. Mögen die Märtyrer mir beistehen, daß ich ihm von seinem Sohne einst Kunde bringen kann!« – »Das möchte etwas schwer werden, alter Freund, nach achtundzwanzig Jahren und in dieser Völkerwanderung dreier Weltteile? Wer weiß, an welchem Galgen der Bursche längst hängt, oder wo er gespießt worden. Ich rate dir, mach dir keine vergebliche Mühe und Kosten, sie sind weggeworfen.« – »Wie Gott will,« sagte der Kiradschia treuherzig und fromm. »Die Wege der Heiligen sind wunderbar und ich werde sein Erbe bewahren. Laßt uns aufbrechen, Freunde!«

Nach wenigen Augenblicken waren sie in den Sätteln und auf dem Wege nach Schumla. Hinter dem sinnenden Gebieter ritt der Knabe Nursah, und sein Auge hing mit seltsamem, fast zärtlichem Ausdruck an der Gestalt seines Herrn.


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