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Auf einem Rohrdiwan mit schlechten Polstern lag Doktor Welland ausruhend von den Strapazen und Mühen der Nacht, die er – es war mehrere Tage nach dem blutigen Ausfall – an der Seite der Kranken und Verwundeten zugebracht. Nursah, der schwarze Knabe, schaute durch den gehobenen Vorhang herein, ob sein Gebieter wach sei, und als er sich davon überzeugt, kam er näher und legte demütig einen klein zusammengefalteten und schwarz gesiegelten Brief vor ihm nieder, der statt der Adresse den bloßen Namen des Arztes trug. – »Jussuf fand ihn am Morgen auf der Schwelle der Tür.« – Der Doktor betrachtete das Blatt, das offenbar keine dienstliche Mitteilung enthielt, von allen Seiten, wie wir wohl zu tun pflegen bei Briefen, von denen wir nicht wissen woher? obschon das Öffnen uns jedes Nachdenken leicht ersparen würde, und sagte: »Ich sah deinen Bruder gestern in Gesellschaft eines Menschen, der jetzt der Diener des Engländers zu sein scheint, welcher mich neulich mit seinem Landsmann besuchte. Ich müßte mich sehr irren oder wir haben beide den Mann schon in Widdin gesehen bei Handlungen, die keineswegs für seinen Charakter sprechen. Warne deinen Bruder.« – »Er hat dem Italiener bei dem Sturm auf Arab-Tabia das Leben gerettet und Signor Lucia beweist ihm seitdem große Dankbarkeit.« – »In dem Auge des Mannes liegt Tücke und Verbrechen – ich wiederhole es, warne deinen Bruder.«
Ein leichtes, kaum bemerkbares Lächeln flog über das dunkle Gesicht des jungen Dieners, als er sich verbeugte und zurückzog, während Welland den Brief erbrach. Der Brief war von dem Kapitän Meyendorf geschrieben und lautete: »Bei unserer Begegnung im Sturm der Schlacht erst erfuhr ich mit Gewißheit, daß mein Befreier aus der türkischen Gefangenschaft zu Widdin in Silistria weilt. Nur wenige Augenblicke blieben mir heute, da ich wieder im Stabe des Fürsten bin und die Folgen des Ausfalls noch alle Kräfte in Anspruch nehmen, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich Ihr Schuldner bin. Erhöhen Sie diese Verpflichtung, indem Sie mir Weiteres mitteilen und jede Nachricht über den Gegenstand geben, der uns beide verbindet, – es ist für mich von Wert, das Geringste zu erfahren. Wie schwierig auch der Verkehr sein mag, ich werde Mittel finden, ihn zu unterhalten, und wenn Ihnen eine Person den Namen nennt, der unsere Losung ist, können Sie ihr sicher jede Botschaft auftragen. Leben Sie wohl und möge der Himmel Sie schützen. Ihr Alexander von Meyendorf.«
Der Arzt las den Brief mit einer tiefen Rührung, des traurigen Schicksals jenes wackeren edlen Kriegers gedenkend, der auf der Seite der Feinde stand und für den er doch soviel Teilnahme empfunden. Er steckte das Blatt zu sich und beschloß, noch genauere Nachforschungen anzustellen, wie es in seine Wohnung gekommen, da es offenbar bewies, daß die Russen ihre Spione in der belagerten Festung hielten ... Der Eintritt der Kapitäne Grach und Morton, wiederum begleitet von Sir Maubridge, machte seinem Nachdenken ein Ende.
»Wir haben uns nur wenige Augenblicke seit der Nacht des Ausfalls und dem großen Sturm gesehen, den die Russen tags darauf unternahmen ... Wie gehts mit Ihren Verwundeten und Kranken, Doktor?« – »Es ist mir lieb, Sie zu sehen,« entgegnete der Arzt, »und ich bitte um Ihre Unterstützung beim Pascha. Ich bin mit meinem Kollegen darüber einig, daß für unsere Rettung ein Waffenstillstand von einigen Stunden unbedingt notwendig ist, wenn nicht der Typhus, ja noch Schlimmeres, alles verschlingen soll.« – »Wie meinen Sie das?« fragte der Kapitän. – »Sie selbst müssen die Verpestung der Luft durch die zahllosen Leichen von Tieren und Menschen empfunden haben, die um die Forts aus den zwei letzten Stürmen und den täglichen kleinen Gefechten liegen geblieben sind. Ich habe alles mögliche getan, um im Innern der Stadt die sofortige Beerdigung aller unserer Leichen durchzusetzen, aber – hier haben wir nicht die Hilfe der Hunde, wie in Konstantinopel. Die Hitze ist im Steigen, und es entwickeln sich auch in der Festung Miasmen, die mit dem Pesthauch von außen vereint, zehnfach tödlicher wirken müssen als alle feindlichen Batterien. Die Cholera ist bereits stark im Zunehmen!« – » Goddam!« meinte der englische Offizier, »es ist eine verteufelte Aussicht, wie ein Hund zu sterben.« – »Aber die Russen,« warf der Baronet ein, »haben denselben Nachteil wie wir.« – »Darauf eben gründe ich meinen Vorschlag. Unsere Kanonen verhindern sie, ihre zurückgelassenen Leichen zu begraben. Ein vorgeschlagener Waffenstillstand zu diesem Zweck wird als eine Noblesse unsererseits angesehen werden und ihnen sehr willkommen sein. Wir aber ziehen den besten Vorteil davon.«
Der Kapitän hatte aufmerksam und nachdenkend zugehört ... »Sie haben recht, Doktor, und wir werden Ihren Vorschlag ernstlich bei dem Pascha unterstützen. Es wird am besten sein, wenn Sie ihn sofort und in unserer Gesellschaft anbringen. Mussa hat mir außerdem einen Auftrag an Sie gegeben. Ich glaube, der Knabe, der uns am Sonntag die letzten Nachrichten und Depeschen aus Schumla in die Festung schmuggelte, befindet sich bei Ihnen.« – »So ist es.« – »Master Welland,« sagte spöttisch der Baronet, »scheint eine ganze orientalische Familie in seiner Begleitung zu haben.« – »Ich besitze einen einzigen Diener, Sir,« entgegnete der Arzt ruhig, »der hier seinen Bruder gefunden hat. Über beide bin ich meinen Vorgesetzten jede Auskunft zu geben bereit. Was den Knaben anbetrifft, so ist er das Vermächtnis eines treuen, aber mißleiteten Mannes an einen teuren Freund. Daher kenne ich ihn.« – »Etwa des Räubers Jan Katarchi für Herrn Caraiskakis?«
Kapitän Grach unterbrach ihn unwillig ... »Was geht das uns an, Sir! Wollen Sie hier im Orient den Stammbaum eines jeden prüfen, ehe Sie mit ihm verkehren, so möchten Sie seltsame Geschichten zu hören bekommen. Hier ist die Frage, ob Sie den Burschen für geschickt genug zur Ausführung eines Auftrags halten, und ob er ihn übernehmen will?« – »Das erstere beantwortet sein Hiersein; das zweite ist leicht zu entscheiden, indem wir ihn rufen.« – »Nehmen Sie ihn mit, Doktor, und begleiten Sie uns zum Pascha. Es handelt sich darum, Briefe nach Schumla zu bringen und Nachricht von dort zu holen über die beabsichtigten Bewegungen zu unserm Ersatz, damit wir vielleicht eine unterstützende Diversion aus der Festung machen können.«
Mauro wurde gerufen, und der Arzt begleitete mit ihm die Offiziere, um den Kommandanten aufzusuchen. Sie fanden ihn auf der nämlichen, zu einer Art Paradeplatz der Truppen dienenden Stelle, auf der wir ihm zuerst begegnet sind. Das Bombardement der Stadt hatte den ganzen Vormittag gedauert; Mussa-Pascha war nicht von den Wällen weggekommen, denn allerhand Anordnungen beschäftigten ihn dort; Hussein-Aga und die beiden französischen Offiziere waren wieder in seiner Begleitung; der Knabe wurde sogleich dem Pascha vorgestellt ... »Bismillah,« sagte Mussa, »der Bursche sieht aus, als trüge er die ganze Welt in seinem Augenwinkel. Getraust du dich, sicher nach Schumla zu kommen, ohne den Moskows in die Hände zu fallen, wenn ich dir zwanzig goldene Ghazis verspreche und ebensoviel bei der Rückkehr?« – »Ich bin ein Kind, Hoheit – die Moskows achten nicht auf mich.« – »Das ist eben der Grund, weshalb wir dich wählen. Wie heißest, du, Knabe?« – »Mauro.« – »Du bist im Glauben an den heiligen Koran erzogen? Wer sind deine Eltern?« – »Möge dein Schatten lang sein, Hoheit, und der Ruhm deiner Tapferkeit über dem des Sirdars. Ich bin ein Grieche von Geburt, habe aber seit meiner Jugend keine Eltern mehr und diene den Muselmännern.«
Der Pascha fühlte sich durch das Kompliment zu geschmeichelt, um Mißtrauen zu zeigen ... »Sprich zu einem Griechen von Gold, und er verkauft seine Seele! Dieser Knabe wird zuverlässig sein, er hat bereits seine Probe abgelegt, und es ist gefährlich, einen anderen Boten zu schicken. Geh' mit Selim, meinem Diwan-Effendi; er wird dir die Briefe einhändigen und die Hälfte des Geldes, denn es ist notwendig, daß du, ohne weiter mit jemand in der Stadt zu verkehren, die Wälle verlässest. Es fehlt den Moskows leider nicht an Spionen in Silistria, und unsere besten Unternehmungen werden oft vereitelt. Selim wird dich dem Offizier des südlichen Turmes Yania übergeben, und Allah möge deine Augen, deine Ohren und deine Füße stärken, damit du den Feinden glücklich entkommst.«
Der Knabe wurde auf den Wink des Paschas fortgeführt, nachdem er demütig seinen Rock berührt und die Hand des Arztes geküßt hatte. Kapitän Grach machte hierauf den Kommandanten mit den schweren Besorgnissen der europäischen Ärzte und dem Vorschlage des Doktors Welland bekannt. Alle in der Umgebung des Paschas befindlichen europäischen Offiziere stimmten sofort den erhobenen Bedenken bei. Nur Hussein-Aga machte einige Einwendungen ... »Bei meiner Seele,« sagte er, »diese Dschaurs werden sich einbilden, wenn sie die weiße Fahne auf unseren Wällen sehen, wir dächten an Übergabe.« – »Desto bitterer werden sie sich getäuscht finden,« widerlegte ihn der Kapitän. »Ich dächte, die Russen hätten die Kraft deines Armes und die Unbezwinglichkeit deines Mutes bei dem letzten Ausfall genug kennen gelernt, tapferer Aga, um zur Genüge zu wissen, was sie zu hoffen haben.« – »Du hast recht, Jüs-Baschi Hauptmann. Grach,« entschied der Pascha, »und dein Rat ist immer weise gewesen, wie dein Mut groß. Ich habe noch heute Gutes von dir geschrieben an den Sirdar. Wir wollen die Fahne des Waffenstillstandes aufstecken auf dem Turm der Zitadelle und einen Unterhändler senden in das Lager der Moskows. Wen rätst du zu wählen?«
Der Pascha hatte – während die Zwischenreden unter den türkischen Militärs und die Instruktionen des kleinen Spions in türkischer Sprache geführt worden – bei der die europäischen Offiziere interessierenden Frage sich wieder des Französischen bedient und war daher allen verständlich gewesen. Der Baronet, der der ganzen Verhandlung aufmerksam gefolgt war, nahm die Gelegenheit wahr, eine Bemerkung zu machen, die er offenbar schon lange anzubringen wünschte ... »Vielleicht würde Doktor Welland selbst der beste Bote der Vermittelung sein, da er, wie ich von Kapitän Morton vernommen, besondere Freunde unter den russischen Offizieren zählt.« – Aller Augen wandten sich bei der unerwarteten, einer Anklage ähnlichen Bemerkung auf den deutschen Arzt, der in der Tat, von der Bosheit des Gegners überrascht, einige Augenblicke verlegen und unsicher blieb. Das Gefühl, wie nötig es sei, keinen unwürdigen Verdacht aufkommen zu lassen, gab ihm indes die Fassung zurück, und er erwiderte ruhig und fest, dem Angreifer ins Auge schauend: »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen, Sir, und was überhaupt das Bekümmern um meine Person und meine Angelegenheiten bedeuten soll?« – »Der Baronet,« sagte scharf Kapitän Morton, »scheint auf die zufällige Äußerung von mir hinzudeuten, daß in dem Augenblick, als Sie, mein Freund, bei dem Ausfall am Sonntag so aufopfernd uns ins Kampfgewühl folgten und wir in großer Gefahr waren, von einer Abteilung Donischer Kosaken niedergemacht oder gefangen zu werden, ein russischer Offizier unser beider Entkommen ermöglichte, weil er in Ihnen wahrscheinlich einen Bekannten früherer Zeit wiedersah, ebenso wie wir selbst uns schon im früheren Leben getroffen haben.« – »So ist es, Sir, und ich glaube nicht nötig zu haben, mich darüber zu verantworten.«
Der Zuaven-Kolonel hatte mit sichtlichem Unwillen der Wendung des Gespräches zugehört ... »Das ist eine Sache, die sich von selbst versteht und die einzig wir Offiziere zu beurteilen haben,« fügte er mit unverhehlter Verachtung gegen den versteckten Ankläger bei, und indem er dem Arzt die Hand reichte. »Ich habe Gelegenheit gehabt, diesen Herrn, trotz meiner erst kurzen Anwesenheit, in seiner Pflichterfüllung zu beobachten, und möchte wünschen, daß die türkische und die verbündete Armee viele Männer seiner Ehrenhaftigkeit in ihren Reihen besäße. Ich selbst zähle viele liebe Bekannte in der feindlichen Armee und werde mit Vergnügen auch auf dem Schlachtfelde die Erinnerung früherer Zeiten anerkennen.«
Doktor Welland verbeugte sich erfreut gegen ihn. – »Ich danke Ihnen, mein Herr; Sie haben mir nur Gerechtigkeit widerfahren lassen.« – »Der Vorschlag war überhaupt unpassend,« bemerkte Kapitän Grach, während sich der Baronet mit einer hochmütig höhnischen Miene, als verachte er die Kritik seines Benehmens, zurückzog, »da zu der Sendung nur ein Offizier verwendet werden kann. Die Sache ist jedoch dringend, Hoheit, und du wirst gut tun, sofort die nötigen Befehle zu geben.« – »Laß die Fahne ausstecken, und du, Hussein-Aga, sende zwei Offiziere ab an die Posten der Moskows. Mashallah! Wir möchten gern, wie es tapferen Soldaten ziemt, im Kampfe gegen unsere Feinde und auf den siegreich behaupteten Wällen sterben, nicht auf dem Krankenlager an der scheußlichen Pest.«
Der Ruf des Muezzims vom Minarett: »La Illa illa Allah, we Muhammed Resul Allah!« Es gibt keinen Gott als Allah, und Muhammed ist sein Prophet. unterbrach seine Worte. Der streng seine religiösen Pflichten ausübende Pascha wandte sich sofort gegen die Moschee. »Der Azam ruft uns zum Assar Das dritte oder Nachmittagsgebet.. Laßt uns das Heiligtum betreten und Allah und dem Propheten danken, daß sie uns bisher den Sieg gegeben. Möge Azraël, der Engel des Todes, uns ...«
Der Tapfere sprach die Worte nicht aus; durch die Luft über ihnen knisterte und zischte es, und es krachte nieder mit gewaltigem Schlage tief in den Erdboden ... »Eine Bombe! Nieder mit allen!« – Kapitän Grach rief's, indem er sich zu Boden warf und alle – bis auf den ziemlich starken und etwas unbeholfenen Pascha – seinem Beispiele folgten oder wenigstens zur Seite sprangen. Fast in demselben Augenblick, als die Bombe den Boden berührte, platzte sie auch schon, und die Eisenstücke sprühten rings umher. Doktor Welland war der erste wieder empor, und sein Auge fiel sogleich auf den unglücklichen Kommandanten. Der Brave stand aufrecht, wankte aber wie ein Mann, der einen harten Stoß erhalten, und seine beiden Hände preßten sich auf die linke Seite und den Leib, während zwischen den Fingern hindurch ein Strom dunklen Blutes hervorquoll. Der Arzt sprang auf ihn zu und umfaßte ihn. Im Augenblick waren auch Kapitän Grach und die anderen Offiziere ihm zur Seite ... »Um Gottes willen, Hoheit – bist du schwer getroffen?« – Der Pascha machte einige Versuche zu sprechen ... Blut quoll mit jedem Atemzuge über seine Lippen. – »Es ist mein Kismet! – Der Tag des Todes ist gekommen – mögen Munkir und Nekir Die Folterengel, die den Begrabenen befragen. gnädig mit mir verfahren! – Freunde, gebt mir die Kiblah!« Richtung nach Mekka.
Mehrere der türkischen Offiziere hoben ihn empor und trugen ihn in die Vorhalle der Moschee, wo sie ihn an einen Pfeiler lehnten, mit dem Antlitz gen Mekka. Der Arzt war eifrig um ihn beschäftigt und untersuchte die schreckliche Wunde. – »Ist Hoffnung vorhanden?« – Der Kapitän fragte es auf deutsch – Doktor Welland antwortete in derselben, dem Sterbenden unverständlichen Sprache. – »Keine,« sagte er hastig, »in wenigen Augenblicken steht er vor dem allmächtigen Richter. Das Eisenstück hat die Lebensarterien getroffen und steckt noch in seiner Seite. Jeder Versuch, es zu beseitigen, würde ihm nur unnützen Schmerz machen.«
Alle standen bestürzt und stumm um den sterbenden Kommandanten, der mühsam atmete, aber bei voller Besinnung blieb ... »Der Padischah hat mir diese Stadt anvertraut,« sprach er, kaum noch verständlich; »aber Gott bestimmt es anders. Hussein-Aga, dir übergebe ich den Schlüssel des Tores. Verteidige ihn wie deinen Bart und achte auf den Rat dieser Franken! Möge der Prophet Eurer Tapferkeit den Sieg geben!« Der Arzt, der neben ihm kniete und seinen Puls mit den Fingern bewachte, winkte den Umstehenden mit den Augen. Hussein-Aga legte ihm seinen Rosenkranz zwischen die Hände, und einige Augenblicke hörte man zwischen dem entfernten Donner der Kanonen und dem Krachen der einschlagenden Kugeln keinen Laut, als die röchelnden und immer kürzer werdenden Atemzüge, mit jenem schauerlichen Gegurgel in der Kehle, das bei Bluterstickung den Tod verkündet. Dann quoll ein schwarzer Strom aus dem Munde, die kräftige Gestalt des Paschas zuckte zusammen und streckte sich – der tapfere Krieger hatte geendet. – »Er ist zum Barzakh Nach dem Koran der Zustand zwischen dem Tode und der Auferstehung. eingegangen,« sagte Hussein-Aga ernst, »die Mizam Die Wage, auf der die Taten der Guten und Bösen gewogen werden. des Barmherzigen wird seine Taten wägen und ihm das Dschennet Das Paradies. der siebenten Himmel öffnen. Bei Eblis, dem finstern Geiste, wir wollen seinen Schatten rächen mit dem Tode von tausend Moslems!« – »Möge der Sieg dich begleiten, Bey! Du bist unser Kommandant nach dem Willen des Toten, und der Sirdar wird sicher deine Tapferkeit ehren.« – Die türkischen Offiziere machten dem neuen Befehlshaber ihren demütigen Gruß.
*
Den russischen Generalen war der Antrag eines Waffenstillstandes zur Beerdigung der Leichen nur willkommen gewesen, da ihre Truppen noch mehr als die Türken von dem Miasma litten und die Krankheiten bereits in ihren Reihen wüteten. Die weiße Fahne, die auf den Bastionen Silistrias wehte, ließ die Nachricht von der Übergabe der Festung die Runde durch Europa machen, aber schon am andern Tage – am 3. Juni – nachdem beide Teile ihre Toten begraben hatten und auch der Kommandant von Silistria seine Ruhestätte unter den so tapfer verteidigten Wällen gefunden, entbrannte der Kampf aufs neue und mit verdoppelter Energie. Die Russen unternahmen an diesem Tage einen allgemeinen Sturm und griffen die Forts an, während ihre Flottille die Stadt bombardierte. Der Kampf war mörderisch, aber ohne Erfolg für die Angreifer. Gegen Abend war es diesen zwar gelungen, eine Mine unter der ersten Batterie von Arab-Tabia herzustellen, aber die Kapitäne Depuis und Grach hatten rechtzeitig eine Gegenmine geschlagen, und diese sprengte an 400 Mann der Angriffs-Kolonne in die Luft, als diese auf das Sprengen einer Bresche harrten. In der durch die unerwartete Explosion entstandenen Verwirrung machten die Türken einen Ausfall und zerstörten die naheliegenden Schanzen. Von diesem Tage an ruhten kurze Zeit die Sturmangriffe, und es begann der furchtbare Krieg unter der Erde, jener Krieg mit der Bussole und dem Spaten, der Krieg der lebendig Begrabenen – der »Bergleute des Blutes und des Todes!«
Das war der unheimliche, gespenstische Kampf, zu dem man wie zum Orkus aus dem hellen Sonnenlicht hinabstieg, und in dem General Schilder, der gespenstische Seher der Zukunft, ein Meister war ... Die Russen drängten Tag um Tag, Stunde vor Stunde ihre Laufgräben vorwärts gegen die schwer bedrohte Stadt, und in der Heimlichkeit, in dem Schutz der aufgeworfenen Erde wühlte General Schilder gleich dem Maulwurf seine Gänge gegen die Wälle und Bastionen ... Trotz der verdoppelten Tätigkeit seiner Verteidiger konnte man sich dennoch nicht verhehlen, daß die Fortschritte der Belagerung, wenn auch langsam, doch jeden Tag bemerklicher wurden. Es war bereits mehrfach zwischen den Minierern und Gegenminierern zum erbitterten unterirdischen Gefecht gekommen. Was aber der fortwährende Kartätschen- und Granatenhagel der Türken bei Tage niederwarf, zeigte sich am andern Morgen wieder aufgebaut ... Am 7. und 8. Juni hatten kleine Ausfälle und Gefechte mit wechselndem Glück stattgefunden. Der 9. Juni war ein blutiger Tag gewesen. Nachdem des Morgens eine Mine gegen zwei der Wasserforts gesprengt worden, versuchten die Russen die Breschen zu nehmen, wurden aber mit bedeutendem Verlust von den neuen Hilfstruppen, denen es, 3000 Mann stark unter Rifat-Pascha, am Tage nach Mussas Tode gelungen war, von Rasgrad her sich in die Festung zu werfen, zurückgeschlagen. Zu gleicher Zeit machte Fürst Paskiewitsch selbst mit einer bedeutenden Truppenzahl – 31 Bataillonen Infanterie, 32 Schwadronen Kavallerie und 8 Sotnien Kosaken mit 12 Feldbatterien – eine große Rekognoszierung um alle Befestigungen bis zu dem Flecken Kalopetra auf der südöstlichen Seite. Hier stieß die Kolonne auf türkische Kavallerie aus der Festung und warf sie in das Fort Abdul-Medschid zurück, das nunmehr ein heftiges Feuer eröffnete. Eine matte Kugel, die zu den Füßen des Fürsten von Warschau niederfiel und sein Pferd zu Boden riß, fügte ihm selbst eine Kontusion an der rechten Hüfte zu. Der Feldmarschall achtete jedoch nicht darauf und blieb bis zum Ende der Kanonade zu Pferde. Aber schon bei seiner Rückkehr ins Lager hatte er bedeutende Schmerzen gefühlt und war nur mit Anstrengung bis Kalarasch gekommen. Dort hatte der Leibarzt ihm erklärt, daß die Kontusion zwar nicht gefährlich sei, ihn aber mehrere Wochen hindern werde, zu Pferde zu steigen. Während der Arzt fortfuhr, lindernde und frische Umschläge auf die verletzte Stelle zu legen, hatte der Fürst sich bereits zu wichtigen Geschäften gewendet. Außer dem Arzt und dem Stabschef, General-Major Wranken, befanden sich der eben auf die Nachricht von der Verletzung eingetroffene Fürst Gortschakoff und General-Leutnant Chruleff mit einem dritten Offizier im Gemach. Letzterer, am Ruhebette stehend, hatte dem Fürsten eine Depesche überreicht, mit deren Durchsicht er eben beschäftigt war, und so sehr der alte Krieger und Staatsmann auch Herr seiner Mienen sein mochte, so war es doch allen Anwesenden ersichtlich, daß der Inhalt des Briefes, dessen grünes Kuvert und Siegel ein Handschreiben des Kaisers zeigten, von großer Wichtigkeit sein mußte und einen tiefen Eindruck auf den Fürsten machte. Er faltete endlich das Papier langsam zusammen, steckte es wieder in das Kuvert und schien einige Augenblicke in schweren Gedanken verloren. Dann – sich ihnen entziehend – wandte er sich zuerst zu dem Arzt: »Kann ich deiner Hilfe auf einige Stunden entbehren, lieber Tschetukin?« – »Ich fürchte, nein, Durchlaucht – muß ich Sie jetzt verlassen, so kann ich für die Folgen nicht stehen – die Kontusion ist vernachlässigt und die Geschwulst bereits eingetreten.« – »Und wenn ich dich gewähren lasse, in welcher Zeit bin ich fähig, das Lager zu verlassen?« – »Ich verlange nur für morgen Ruhe, Durchlaucht – zu Wagen sollen dann Ihre Bewegungen unbehindert sein.« – »Gut, Staatsrat – ich kenne dich und weiß, daß ich mich auf deine Verschwiegenheit verlassen kann. Kümmere dich nicht um uns und fahre fort mit deinen Mitteln, da die Erhaltung dieses alten Körpers in den nächsten Tagen vielleicht unserm Herrn, dem Kaiser, noch einigermaßen nützlich sein mag. Wir sind sämtlich hier treue, bewährte Söhne des heiligen Rußlands, und ich kann daher ungescheut sprechen, wie es die ernsten und schweren Umstände erfordern. Nimm Platz, Schebesky, und du, Wranken; wir haben eine ernste und lange Beratung vor uns; Ihre Ankunft, Fürst, hat mir erspart, Sie rufen zu lassen. Der Tag hat wichtige Nachrichten gebracht.« – »Auch ich habe dergleichen, Durchlaucht.« – »Gut. Einer nach dem andern. Hast du vielleicht auch Nachricht von dem Gesandten aus Wien?« – »Mein Bruder benachrichtigt mich von dem Ausgang der Zusammenkunft des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen in Tetschen.« – »Verdammnis über die österreichische Dankbarkeit! – ich wollte, wir hätten Ungarn den Rebellen gelassen. – Es ist, wie ich gefürchtet, Österreich wird in die Donau-Fürstentümer einrücken und hat sich den Rücken gedeckt durch das Garantie-Kartell mit Preußen.« – »Es sind Differenzen entstanden zwischen den beiden Herrschern über die Auslegung des Kartells.« – »Ich weiß, ich weiß, – aber der Nutzen ist nur passiv. Preußen hält das Wiener Gelüst in Schranken, aber nur, wenn wir auf unserm eigenen Gebiete stehen. Österreich kann nicht offen operieren, aber sein Druck zwingt uns nicht zurück. Dennoch ist das nicht das Schlimmste. Ich habe heute wichtige Berichte über die Zusammenkunft in Varna erhalten.« – »Die Rapporte unserer Agenten über den Kriegsrat am 19. Juni liegen seit acht Tagen vor.« – »Das ist es eben, Fürst, was uns getäuscht hat. Die Halunken taugen nichts, – Marschall Arnaud und Lord Raglan wissen sehr wohl, daß sie von unseren Spionen umgeben sind, und daß, was mit den Türken beraten wird, in der kürzesten Zeit uns bekannt ist. Ich sage dir, Fürst, deine Agenten in Schumla sind Dummköpfe und haben nur erfahren, was alle Welt weiß. Wie lautet doch der Bericht?«
Fürst Gortschakoff, einigermaßen pikiert, nahm aus seinem Taschenbuche ein Papier und entfaltete es: »Hier ist die Abschrift der Chiffern: Der Zusammenkunft am 19. Juni in Varna wohnten der Marschall St.-Arnaud, Lord Raglan, Omer-Pascha, die Admirale Dundas und Hamelin und der Kriegsminister Riza-Pascha bei. Das Resultat war, daß Herrn von Saint-Arnaud die Leitung der Kriegsoperationen sämtlicher am Kriegsschauplatz aufgestellten Streitkräfte übertragen worden ist. Der Muschir erstattete über die Lage Silistrias Bericht, und der Ersatz wurde beschlossen. Die beiden Generale sind vollständig auf die Pläne Omers eingegangen; die Dampfboote mit den Ordres nach Skutari und Gallipoli sind abgegangen, um einen Aufbruch in Masse anzuordnen.«
»Sind das alle Ihre Meldungen, Fürst?« – »Bis auf die neuen Meldungen über die Ersatzoperationen, die ich eben empfangen und später vorzutragen die Ehre haben werde, ja.« – Der alte Feldherr lächelte ... »Sei nicht ärgerlich, Kamerad, deine Nachrichten sind gut, aber ich habe wichtigere. Nach der Rückkehr der Generale nach Varna hat eine zweite Beratung, aber diesmal ohne die Türken, auf dem französischen Flaggschiff stattgefunden, und die Expedition gegen Sebastopol ist beschlossen worden.«
Ein leises Lächeln, gedämpft durch die Ehrfurcht vor dem greisen Haupte des Fürsten-Statthalters, ging durch den kleinen Kreis der Generale, doch blieb es von jenem nicht unbemerkt ... »Du hast unrecht, Fürst, und glaubst, weil du ein Artillerist bist, daß es eine Unmöglichkeit sei, die furchtbaren Batterien von Sebastopol zu überwinden. Ich bin kein Seemann und weiß nicht, was Schiffe gegen Granitwälle ausrichten können, aber ich sage dir, ich wünschte, Fürst Menschikoff verließe sich nicht allzu sehr darauf, – ich kenne diese Franzosen; sie werden irgend ein Auskunftsmittel finden, ihren Zweck zu erreichen.« – »Darf ich Näheres von den Nachrichten Eurer Durchlaucht erfahren?« fragte einlenkend der Zweitkommandierende. – »Der Versuch gegen Sebastopol ist ausdrücklich beschlossen, aber man wird mindestens zwei Monate mit den Vorbereitungen zubringen. Diese sollen möglichst geheim betrieben und die Truppen in Varna unter dem Anschein konzentriert werden, zum Entsatz von Silistria zu dienen. Die Aufgabe aber bleibt dem Muschir selbst überlassen. Die Übertragung des Gesamtoberbefehls an Herrn von Saint-Arnaud ist eine leere Komödie und Omer-Pascha durchaus nicht gesonnen, sich unterzuordnen. Er trifft umfassende Anstalten zum Entsatz durch seine Truppen.« – »Das letztere stimmt mit meinen Nachrichten überein. Sie können Ihrem Berichterstatter vollkommen trauen, Durchlaucht?« – »Er hält sich bereits zwei Monate in Varna auf und ist mir von Bodinianoff in Konstantinopel, als volles Vertrauen verdienend, empfohlen. Er ist ein Bruder des Führers der Griechen im Epirus, Caraiskakis ...« – »Ich kenne den Namen und habe bereits selbst Beweise seines Eifers für die russische Sache erhalten. Ich glaube, daß auch unsere Verbindungen in Silistria unter seinem Einfluß stehen.« – »Ehe wir zu einem Resultat kommen, sage mir deine Nachrichten.« – »Der Knabe,« berichtete der Fürst, »der am 28. die Nachricht von dem Ausfall an Selwan und später die Depeschen Mussa-Paschas an den Muschir uns zur Durchsicht brachte, ist aus Schumla diesen Abend zurückgekehrt.« – »Hat man ihn wieder als Boten benutzt?« fragte hastig der Feldmarschall. – »Man scheint blindes Vertrauen in ihn zu setzen und nichts von der Eröffnung der Depeschen gemerkt zu haben. Hier sind die neuen.«
Er legte mehrere Briefe auf den Tisch. Die Siegel waren durch das gewöhnliche Mittel heißer Dämpfe nach Abformung des Petschafts in Staniol geöffnet. – »Der Inhalt, Fürst?« – »Hier ist der Auszug: Der Muschir bestätigt Hussein-Bey im Kommando, setzt ihm jedoch Rifaat-Pascha als ältern Offizier zur Seite. Ein vollständiger Plan des Entsatzes durch eine kombinierte Truppenbewegung und einen Ausfall der Garnison ist für den 13. und 14. Juni bestimmt. Said-Pascha in Rustschuk hat 30 000 Mann zum Aufbruch bereit, und Iskender-Bey von Widdin, der den Angriff von dieser Seite leiten soll, ist bereits über Nikopolis eingetroffen. Zugleich wird Giurgewo angegriffen werden. Im Hafen von Rustschuk liegen zwei türkische Dampfschiffe und an achtzig Boote bereit, um die Expedition zu unterstützen. Der Muschir selbst wird mit Mehemed-Pascha von Schumla her in zwei Kolonnen eine Diversion unternehmen. Sein rechter Flügel lehnt sich an die Anhöhe von Taiban-Dereh, – seine linke Flanke an die Dristra, das Zentrum steht bereits bei Crekli an der Straße von Schumla nach Silistria.« – »Wer führt die Vorhut, und wie stark ist der Muschir?« unterbrach der Feldmarschall. – »Der Renegat Czaikowski mit den sogenannten türkischen Kosaken. Die Depesche gibt die Stärke des Südkorps auf 70 000 Mann an, also mit Said-Pascha an Hunderttausend. Am 13. Juni soll das gemeinsame Vorrücken beginnen; am 14. werden die Korps in der Nähe von Silistria stehen und früh am 15. angreifen, indem Hussein-Pascha zugleich auf drei Stellen an den Wasserforts, aus dem Babadagh- und Abdul-Medjid-Tore einen Ausfall machen soll.« – »Wie stark sind wir in diesem Augenblick hier?« – »Mit Pawloff nur 64 000 Mann. Wir haben vor Silistria bereits über 6000 gelassen.«
Das Gespräch, das bisher allein zwischen den beiden Führern gepflogen worden, verstummte jetzt ganz, – der greise Feldmarschall war in ernste Betrachtungen versunken, und seine Hand faßte unwillkürlich zweimal nach dem Briefe des Kaisers ... »Wir müssen zu einem Entschluß kommen. Rekapitulieren wir die Sachlage. Auf der einen Seite Bessarabien und die Krim über kurz oder lang bedroht; – unsere Stellung in der großen Walachei nicht länger haltbar – kaum noch in der Moldau; – Silistria fast noch ebenso fest wie bei Beginn der Belagerung, und ein starkes Entsatzkorps in der Nähe. Die Truppen kaum genügend, den Gegnern die Spitze zu bieten, – an einen Übergang über den Balkan nicht mehr zu denken und keinerlei Vorteil im längeren Beharren auf dieser Seite der Donau. Wägen Sie selbst ab, meine Herren!« – »Schebesky kommt von dort. Er kann uns den besten Bescheid geben.«
Der angerufene General zuckte die Achseln ... »Ich glaube, man hält dort die Donau-Besetzung jetzt selbst für einen Fehler. Man hätte am Bosporus stehen oder innerhalb der russischen Grenzen bleiben müssen.« – »Sehr wahr. Aber wir dürfen Silistria nicht aufgeben ohne des Kaisers ausdrücklichen Befehl,« sagte ziemlich heftig General Chruleff. – Der Feldmarschall nickte ihm zu und zog dann langsam den Brief seines kaiserlichen Herrn aus dem Kuvert ... »Wollen Sie des Kaisers eigene Worte hören?« – Alle schwiegen ehrfurchtsvoll ... »Hast du, Fürst Iwan Fedorowitsch,« las der Feldmarschall, »bei Empfang dieses Briefes die Festung Silistria genommen, so wollen wir Gott und den Heiligen für diesen Sieg Rußlands danken. Weht der Halbmond noch auf ihren Mauern, so will ich dir überlassen, was du für das beste zu tun hältst. Bedenke jedoch, daß Rußlands Ehre nur in Rußland selbst liegt. Ich wiederhole die Vollmacht, die ich dir bei der Übernahme des Kommandos erteilt habe.« – Der Fürst-Statthalter schwieg; General Chruleff war der einzige, welcher eine rasche Antwort hatte: »Wir können unmöglich von hier gehen, ohne wenigstens noch einen Schlag versucht zu haben.« – Der alte Fürst lächelte ... »Nein, tapferer Chruleff,« sagte er freundlich, »das sollst du auch nicht. Ich sehe, daß wir einig sind über die Notwendigkeit des Rückzuges, doch darf er natürlich nicht übereilt werden. Es gilt zunächst, die Kombination des Muschirs zu vereiteln.« »Wir haben die Depeschen in unserer Hand.« – »Ganz recht, aber ich halte es für zweckmäßiger und weiser, sie richtig in die Hand des neuen Kommandanten gelangen zu lassen, um nicht sein Mißtrauen wachzurufen. Es handelt sich bloß darum, Zwiespalt und Verwirrung in ihre Beschlüsse zu bringen.« – »Man könnte das Datum um zehn Tage ändern,« sagte General Schebesky kaltblütig.
Der Fürst von Warschau lächelte fein ... »Das war meine Meinung; im Kriege ist jede List erlaubt. Sobald dies mit der nötigen Vorsicht geschehen, womöglich noch diese Nacht, Fürst, laß den Boten nach Silistria laufen, triff aber Anstalten, daß wir genau von allen Vorgängen in der Stadt unterrichtet bleiben. Ich bin entschlossen, wie ich in Warschau beabsichtigte, mein Hauptquartier nach Jassy zu verlegen. Es ist der geeignetste Punkt – 32 Meilen von Silistria, 20 von Kamienecz und 22 von Odessa – wir übersehen da das Feld. Du, Fürst Gortschakoff, übernimmst von diesem Augenblick an wieder den Oberbefehl der moldau-walachischen Truppen. Laß morgen das Bombardement gegen die Festung von den Inselbatterien wieder beginnen, fange aber an, dein anderes schweres Geschütz auf das linke Ufer zu bringen. Schilder muß so weit fertig sein, daß am 13. Juni ein Versuch gegen die Zitadelle gemacht werden kann. Beordere Pawloff, von Tuturkai aus sich dem Zuzug von Rustschuk entgegenzuwerfen, indes Chruleff den Renegaten Mehemed und den Muschir angreift. Dadurch wird der ganze Operationsplan der Gegner zerstört, und wir können abwarten, was sich mit der Festung noch beginnen läßt.«
»Ich werde die Befehle noch diese Nacht erteilen. Ich höre, Lüders befindet sich auf dem Wege der Besserung?« – »So ist es. Gott und den Heiligen sei Dank; dafür werden wir den braven Orloff verlieren. Ich bedauere seinen Vater, meinen alten Freund!« – »Verdammt, Doktor, ich glaube, die Schmerzen nehmen wieder zu!« – »Wenn Euer Durchlaucht sich nicht sofort einige Ruhe gönnen, stehe ich für nichts, am wenigsten für die Möglichkeit, abzureisen.«
Die Generale verabschiedeten sich.
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Es war am Morgen des 14. Juni, an einem Dienstage. – In der seit zwei Tagen durch ein unaufhörliches Bombardement schwer bedrängten Festung erwartete die Besatzung jeden Augenblick einen Sturmangriff der Russen, sobald die Minen des Generals Schilder ihr Werk getan, deren bereits einige von den Russen in den letzten Tagen gesprengt worden, ohne daß sie jedoch mehr als leicht wiederherstellbare Mauer- und Erdrisse verursacht hatten. Jedermann wußte, daß sie hauptsächlich gegen das Tor Abdul-Medjid gerichtet sein mußten, und daß hier die Entscheidung des Tages und des Schicksals der Stadt lag. Die Kapitäne Grach und Depuis und selbst der alte Chef des Geniewesens, Mehemed-Bey, so weit seine Fähigkeiten reichten, waren indes nicht müßig gewesen, und der Spaten unter der Erde arbeitete rüstig an geheimen, furchtbaren Gängen, bestimmt, die eindringenden Feinde in die Luft zu schleudern. Schon zweimal waren unter der Erde die feindlichen Mineurs aufeinander gestoßen; Sprengen der Minen war das einzige, wovor die türkischen Soldaten, zum Teil aus ihrem bewußten Ungeschick, zurückbebten, während der passive Gehorsam der Russen darin bekannt war. Hussein-Aga oder, wie er jetzt bereits hieß, Hussein-Pascha, und sein Gefährte im Kommando, der Ferik Rifaat, hatten am Tage vorher für den Morgen des 13. Juni – auch ohne Kunde von den Demonstrationen der Ersatzkorps zu haben, – einen allgemeinen Ausfall beschlossen, und die Truppen standen daher, kampfgerüstet, innerhalb der Wälle und Tore.
Eine finstre, undurchdringliche Nacht füllte wieder den etwa drei Fuß breiten, langen, winkeligen Gang, der aus dem Souterrain der Bastion von Arab-Tabia unter dem Graben gegen den äußern Wall führte und dort in einer Kammer von etwa zehn Fuß Quadrat und Manneshöhe endigte. Die schwarze Finsternis dieser Kammer wurde gebrochen durch das matte Licht einer sorgfältig verwahrten Laterne von dickem Glase, die auf dem Fußboden am Eingang des Ganges stand und ihren Schein auf mehrere an den feuchten Seitenwänden aufgestellte Fässer mit aufgeschlagenen Deckeln und auf zwei Männergestalten warf, die in der Mitte des engen Raumes in der gewöhnlichen türkischen Stellung auf dem Boden kauerten. Ein starker Zündsack lief von einer der Öffnungen zu der andern. Am Eingang der Erdkammer hing an einem in die Seitenwand gestoßenen Querholz eine große Klingel, von deren Griffe sich eine Schnur in den dunklen Gang hinein verlor.
Die beiden Männer – zu jenen Freiwilligen gehörig, die sich in der türkischen Armee zum Dienste an den Minen melden, wofür der Türke keine Eignung hat – waren die Wächter der Mine, – in der Tiefe des einmündenden Ganges, um die Ecke des Winkels biegend, verlor sich der letzte Lichtschein einer Laterne, – Kapitän Grach hatte mit seiner Ordonnanz eben die Minengänge nochmals revidiert – aber ihr Schein fiel auf die beiden Gesichter, wie sie manchmal in seinem Dunstkreis sich vorwärts beugten – auf das dunkle Antlitz des Mohren Jussuf mit den großen, gelbweißen Augen, die er in tiefem Sinnen auf den zweiten gerichtet hielt, seinen neuen Freund und fast unzertrennlichen Gefährten – Santa Lucia, den ehemaligen korsischen Banditen ... Kapitän Grach hatte sie in einer Unterhaltung gestört, die sie alsbald wieder aufgriffen, nachdem sie sicher sein konnten, nicht mehr gehört zu werden.
»Der Hekim-Baschi vermißt seit zwei Tagen einen wichtigen Brief,« sagte langsam der Mohr; »mashallah! er glaubt, daß du ihn gestohlen habest, während du bei ihm warst, denn er hat mich und meinen Bruder gewarnt vor dir. Doch der Prophet weiß, ich kann nicht von dir lassen, und darum bin ich mit dir in dieser Höhle der Schrecken, wo Eblis herrscht, der Fürst der Finsternis.« – Der Korse lachte ... » Barbuasso! bekommen wir nicht glänzendes, schönes Gold dafür, daß wir den gefährlichen Posten übernommen haben, der nur Gefahr droht den Feigen und Ungeschickten; ich hatte jedoch noch eine andere Ursache, dir den Posten vorzuschlagen.« Er griff in seinen Gürtel, zog einen ledernen Beutel heraus und öffnete ihn im Licht der Laterne ... »Kennst und liebst du das?« – Der Beutel enthielt etwa 30 bis 40 Goldstücke ... »Bismillah! Kamerad – wie kamst du dazu?«
»Höre mich an, Jussuf,« sagte der andere, indem er den Beutel wieder einsteckte. »Du sollst halb Part haben und noch mehr als dies. Antworte mir aufrichtig bei deinem Propheten: Hältst du große Stücke auf den Hekim-Baschi, du und dein Bruder?« – »Was soll ich sagen, Freund – es ist so und es ist anders. Nursah, mein Bruder, ißt sein Brot; aber er ist ein Franke, ein Dschaur. Was geht ein Ungläubiger mich an?« – Der Korse sah den schlauen, beobachtenden Blick nicht, den sein Gefährte bei den Worten auf ihn schoß ... » Per Bacco! das ist recht; ich konnte es mir denken, es ist wahr, ich habe den Brief.« – »Wallah! ich dachte es mir! Ein Brief ist ein Brief und eine Erfindung des Teufels. Ich spucke auf alle Briefe und Leute, die sie schreiben. Was tust du mit dem Brief?« – »Ei zum Teufel! Mir selbst ist wenig an ihm gelegen, aber desto mehr, wie es scheint, dem Engländer, der die Ehre hat, mich jetzt als eine Art Leibdiener und Khawaß in seinen Diensten zu haben!« – »Dem Inglis?« – »Ja. Ich will dir etwas sagen – der Hekim-Baschi ist ein Spion der Russen, er verkehrt mit ihnen und sendet ihnen die Botschaft aus der Festung.« – Er sah den dunklen, blutigen Blick nicht, der auf ihn schoß ... »Ich weiß nicht, ob du mit zu dem Komplott gehörst,« fuhr der Korse ruhig fort, »aber ich möchte es fast glauben. Du weißt, was einem Verräter nach dem Kriegsgesetz droht?« – »Inshallah! Ich weiß es! Aber du wirst nicht von hier gehen, um es weiter zu erzählen.« – »Narr! Laß deinen Handjar ruhig im Gürtel stecken. Ich fürchte dich nicht; hätte ich nicht eine gute Absicht mit dir, so wäre ich mit dir nicht hierher gegangen und hätte dir jetzt nicht offen meinen Verdacht oder vielmehr meine Gewißheit ins Gesicht gesagt.« – »Was konnte ich tun? – ich bin ein armer Sklave und meine Haut ist schwarz.« – »Und doch bin ich dir Dank schuldig, denn du hast mein Leben gerettet vor dem verfluchten Russen und sollst sehen, daß Santa Lucia kein undankbarer Schuft ist. Rücke heran und höre!« – »Meine Ohren sind offen.« – »Mein Herr haßt den deinen – das warum geht uns nichts an, ich weiß es auch nicht. Kurz und gut, er sinnt auf sein Verderben oder will ihn wenigstens in seine Gewalt bekommen, um irgend einen Zweck von ihm zu erpressen. Am Tage, da der Zufall gerade dich zu meinem Lebensretter gemacht hat« – er unterbrach sich und beugte sich horchend nach vorn. »Was ist das für ein Geräusch – mir ist, als hörte ich es neben uns?« – »Du irrst, Freund – vielleicht ein Posten, der über die Mine geht. Fahre fort, in des Propheten Namen.« – »Also an diesem Tage hatte mein Herr den Doktor zufällig hier wiedergefunden, und als er hörte, daß du, mein gütiger Pfleger in jenen ersten beiden bösen Tagen, im Dienst seines Feindes ständest oder doch unter seinem Dache wohntest, gab er mir den Auftrag, mich an dich zu machen.«
Die Zähne des Mohren glänzten weiß zwischen den dicken Lippen hervor ... »Ich weiß nicht, woher er Hekim-Baschi gleich im Verdacht eines Verkehrs mit den Russen hatte, aber genug, er hatte ihn und ich hätte nicht Santa Lucia heißen müssen, wenn ich nicht, ehe acht Tage vergangen, gewußt hätte, daß sein Verdacht Wahrheit sei. Der Brief ist in seinen Händen.« – »Wah! Was ist ein Brief! Der Hekim-Baschi hat Freunde!« – »Ich sage dir, er und ihr alle seid in unseren Händen. Meinst du, wir würden es bei einem einzigen Beweise gelassen haben? – Der türkische oder griechische Knabe, den dein Herr zu seinen Botschaften gebraucht, ist in unserer Gewalt; wir fingen ihn gestern Abend auf, als er im Wall umherschlich. Der Bursche kam geduldig, als ich ihn rief, und merkte nichts eher, als bis ich ihn in meinen Händen hatte, aus denen kein Entrinnen ist. Wir haben die Briefe, die er bei sich trug, gefunden.«
Der Mohr war bei der Nachricht erschrocken zusammengefahren, hatte sich aber bald gefaßt ... »Und was habt Ihr mit dem Knaben gemacht?« – »Wir haben ihn eingesperrt in des Beisähdis Benennung vornehmer Engländer. Wohnung.« – »Es ist ein Unglück – aber was kann ich dafür? Was gedenkst du mit uns zu tun?« – »Hab ich dir nicht gesagt, daß du nichts zu fürchten hast? Der Beisähdih hat mich beauftragt, mit dir zu sprechen. Der Junge wird festgehalten, bis es der Lord für nötig hält, die Anzeige zu machen. Bis dahin beobachtest du den Hekim-Baschi genau und teilst mir alles mit, was er tut und treibt; dann treten ich und du als Zeuge gegen ihn auf. Nursah, dein Bruder, erhält des Doktors Habe, und wir einen reichen, goldenen Lohn von meinem Herrn. Er kennt mich und weiß, daß er sein Versprechen halten muß. Jetzt rede und sage deinen Entschluß.«
Schon seit einiger Zeit hatte der Mohr wiederholt den Kopf vorgebeugt und, während er mit dem einen Ohr der Rede des würdigen Genossen zu lauschen schien, angestrengt nach der andern Seite hin gehorcht. Jetzt machte er eine Bewegung mit der Hand, wie um dem andern Schweigen zu gebieten, und warf sich lang auf den Boden, das Ohr auf die Erde pressend ... »Was hast du? – Demonio! jetzt hör ich auch ...« – Jussuf war bereits wieder auf den Füßen ... »Bismillah!« rief er; »ich glaube, die Moskows arbeiten neben uns. Überzeuge dich selbst, o Freund.«
Der Bandit schlich zu der Wand, aus deren Richtung, entfernt und undeutlich und nur durch den dumpfen Widerhall des Erdbodens hörbar, ein einförmiges Geräusch dröhnte. Er kniete auf dem Boden nieder, weit vorgebogen und den Kopf horchend unten an die Erdwand gedrückt, das andere Ohr mit der Hand hohl bedeckend, wie man zu tun pflegt bei Anstrengung der Gehörnerven. In dieser Stellung konnte er nicht sehen, was hinter ihm vorging ... »Höre genau, Freund!« – »Zum Teufel! – schweig!«
Hinter ihm stand, wie lauschend, gleichfalls gebückt, die Gestalt des schwarzen Kuriers, aber seine Rechte hatte leise den Handjar aus dem Gürtelshawl gezogen und hielt die graue mattglänzende Klinge hinter dem Rücken verborgen ... »Die Moskows sind ...« hub der Bandit an – » Marzocco! was tust du?« – Er wollte emporspringen, doch es war zu spät. Der Mohr hatte ihn mit der Linken im Genick gefaßt und drückte seinen Kopf zu Boden, während seine Rechte rasch und gewandt mit der Schärfe des Handjars anscheinend nur einen leichten Schnitt über die ihm zugekehrte innere Seite der Beine seines Gefährten führte. Dann ließ er ihn los und sprang zurück, zugleich den neben der Laterne liegenden Handjar des Verwundeten aufhebend und die Waffe in den Gang schleudernd.
Der Bandit, der nur eine geringe Verletzung empfunden hatte, wollte sich wütend erheben und auf den verräterischen Freund werfen. »Hund von einem Neger! Du mußt sterben!« – Aber die Beine versagten ihm den Dienst, er fiel kraftlos zusammen, gleich als wären die Füße ihm am Knie amputiert – der Handjar des Mohren hatte mit einem Schnitt die vier Kniemuskeln, welche innerhalb des Knies Schenkel und Bein verbinden, durchschnitten: der Bandit war unheilbar in einem Augenblick zum machtlosen Krüppel geworden, und die Wahrheit durchfuhr bei dem zweiten vergeblichen Versuch seine schwarze Seele ... » Manigoldo! Schuft von einem Scharfrichter. Noch habe ich meine Arme, um dich zur Hölle zu senden!« Er griff nach seinen Pistolen in seinem Gürtel, ließ aber die Hand alsbald mit einem wilden Fluch kraftlos sinken: es fiel ihm ein, daß nach strengem Verbot niemand Schußwaffen in die Minengänge mitnehmen durfte und auch schon aus eigener Besorgnis nicht mitnahm.
Der Mohr hatte die Bewegung gesehen und lachte spöttisch ... »Warum hast du mir das getan, schwarzer Teufel, nachdem du selbst mir das Leben gerettet?« – »Bana bak, ai gusum! – Schau mich an, du Licht meiner Augen! – öffne den Brunnen deiner Gedanken und du wirst es wissen,« sagte höhnisch der Schwarze ... »Du hast ein schlechtes Gedächtnis, mein Freund Lucia, mich aber hat Allah mit einem vortrefflichen gesegnet. Es ist Zeit, daß wir unsere Rechnung abschließen; denn Eblis, der Engel des Unheils, könnte uns die Moskows auf den Hals schicken und mich um meine Rache betrügen.« – »Komm mir nicht zu nahe, Schurke! – Zu Hilfe, Kameraden!«
Der Mohr machte eine verächtliche Bewegung, die das Nutzlose des Rufs an menschliche Hilfe zeigen sollte, dann zog er aus der langen Seidenbinde um seine Hüften eine dort verborgene starke Schnur und warf sich damit auf sein Opfer ... Es erfolgte ein langer, heftiger Kampf, bei dem keiner der Kämpfenden einen Laut hören ließ. Der Korse wehrte sich verzweifelt und mit riesiger Kraft. Aber der Blutverlust, der Schmerz seiner Wunden und die Unbehilflichkeit, in die er durch dieselben versetzt worden, setzten ihn bald in Nachteil ... er fühlte seine Brust und Arme von der verhängnisvollen Binde zusammengeschnürt und war in wenig Minuten eine hilflose, fast regungslose Masse, die wie ein Stück Holz am Boden lag ... »Schwarzer Teufel – sprich – was habe ich dir getan? – was willst du von mir?« keuchte der Korse. – »Was du mir getan, Brüderchen?« fragte langsam der Kurier. »Bei den sieben Toren des Paradieses, du sollst es hören. Zuerst aber will ich mir die Freiheit nehmen, deine Taschen zu untersuchen. Bei der Reise, die du nun bald in Gesellschaft jener Moskows antreten wirst, deren Nähe du hörst, bedarfst du keines Gepäcks.«
Jussuf begann ruhig die Taschen und den Leibbund des Hilflosen zu plündern; und als er das Gold und mehrere Schlüssel, die er bei dem Banditen gefunden, zu sich gesteckt hatte, setzte er sich ruhig neben ihn ... Dann begann er höhnisch: »Wenn du bei guter Laune bist, Effendi Lucia, so laß uns plaudern. Es bleiben uns nur noch einige Minuten. Besinnst du dich auf einen Abend im Monat Schewal und auf ein kleines Geschäft, das du an einem schwarzen Mann auf der Straße nach Silistria verrichtetest, dem du hundert Zechinen und einen Brief stahlst? Briefstehlen scheinst du zu lieben!«
Kalter Schweiß begann die Stirn des gefesselten Banditen zu bedecken: er begriff, daß er einem mitleidslosen Rächer in die Hand gefallen ... »Du – der Kurier – wo hatte ich meine Augen!« – »Was weiß ich! Allah hat mir bess're gegeben ... Als du meinen wunden Körper zur Schlucht von Tschekmedsche trugst und in die blauen Wellen des Meeres versenktest, traf mein Auge dein Antlitz und, hätte ich Abrahams Alter erreicht, das Antlitz würde ich nimmer vergessen haben.« – »Erbarmen, Jussuf – ich habe Gold – viel Gold – – Erbarmen, Erbarmen! ich will alles tun, was du willst – will den Engländer töten, wenn er die Papiere nicht herausgibt oder dem Doktor Schlimmes tun will.« – »Narr! Du bist zu nichts mehr gut, selbst nicht zu deinem Handwerk, dem Meuchelmorden. Du bist ein Kloß Erde und wirst Erde werden. Wisse, daß der Hekim-Baschi, den du verderben wolltest, mir die Wunden heilte, die du mir geschlagen ... Wisse weiter, daß er nicht einmal Schuld und Ahnung hat von dem Verrat an den Moskows, selbst hier warst du auf falschen Wegen, und Allah wird mir die Mittel geben, das gut zu machen, was du böse gemacht.« –
Man hörte in der Pause, die Jussuf seinen Worten folgen ließ, jetzt dumpf und deutlich das Arbeiten, Hacken und Schaufeln zur Seite der Minenkammer in einiger Entfernung ... »Die Moskows sind uns nahe – kaum zehn Schritt breit Erde trennen sie von uns – du wirst in ihrer Gesellschaft zur Hölle fahren, verräterischer Christ!« – »Verfluchter! Die Moskows werden mich retten! Zu Hilfe!« Er begann mit aller Kraft seiner Lunge zu schreien, doch im Nu hatte sich der Mohr auf ihn geworfen und preßte ihm ein Tuch in den Mund ... »Tor – du beraubst dich selbst des Trostes, dein letztes Gebet sprechen zu können!«
Er lauschte – die Arbeit der Russen schien für einige Augenblicke eingestellt, sie hatten den gewaltigen Ruf vielleicht als dumpfen Klang zu sich dringen hören und horchten. – Als alles stumm blieb, setzten sie bald die Arbeit fort ... Mit fast aus den Höhlen dringenden Augen folgte der machtlose Bösewicht den Vorrichtungen, die sein Todfeind jetzt begann, der eines der Pulverfässer in die Öffnung des Ganges schleppte und dort aufstellte, dann den Banditen in die Mitte des Raumes zog und dort achtlos hinwarf, mit dem Gesicht dem Eingange zugekehrt, die Laterne hob, seinem Opfer ins Gesicht leuchtend, dann vor sein grinsendes Antlitz hielt, gleich als wolle er dem andern seine Züge für die letzten Augenblicke noch schreckensvoll einprägen ... dann sorgfältig das Licht aus der Laterne nahm, es mit den Fingern putzte und endlich in den Gang zurücktrat vor das Pulverfaß, sorgfältig die Flamme mit der Hand umhüllte und die Wachskerze in das Pulver steckte – langsam, tiefer und tiefer – bis die Flamme kaum noch einen Zoll von der Pulverschicht entfernt war ... Dann richtete er sich behutsam wieder auf, hob wie zum Abschied den Finger in die Dunkelheit empor ... rief leise: »Gedenke Jussufs des Kuriers und der Straße von Silistria!« – und verschwand gebückt und schleichend, jeden Luftzug vermeidend, im Dunkel des Ganges.
Mit ihm sank des Korsen letzte Hoffnung. Der Mörder, der reuelos das Blut so vieler vergossen, saß jetzt, halb aufgerichtet – in dem eigenen Grabe, in der Gewißheit des Todes, dessen Nähe auch der verhärtetsten Seele alles in anderm Lichte zeigt ... Seine Augen hafteten stier auf dem brennenden Licht. Mit Todesangst beachtete er jede Bewegung der Flamme, wenn sie ein Luftzug aus dem Minengang zur Seite trieb ... Leben! nur leben! ... und wenn auch nur als jämmerlicher Krüppel! – – Er versuchte, sich dem Pulverfaß näher zu wälzen, sich aufzurichten – vergeblich, die zerrissenen Sehnen hielten ihn am Boden gefesselt. Dann kam es ihm in den Sinn, daß jede Bewegung das Licht erschüttern und umfallen machen könne, daß seine Hände gefesselt seien, daß sein Mund durch den Knebel verschlossen sei ... Seine Anstrengungen, die Bande der Arme zu zerreißen, waren furchtbar. Plötzlich traf ein Laut sein Ohr – die Klingel am Eingang war in Bewegung gesetzt, sie schellte – – – Heilige Jungfrau, Mutter des allsühnenden, allvergebenden Heilands, er war gerettet, – Menschen waren nahe – – – Nein – die Schwingungen des Glöckchens verhallten – kein Laut ließ sich hören! Mit teuflischer Bosheit hatte der Mohr beim Austritt aus dem Minengange die Schnur in Bewegung gesetzt, durch die den Wachen im Innern der Erde die Befehle signalisiert werden ... Der erste Zug der Schnur bedeutete: »Fertig zum Zünden!« – Der Unglückliche fühlte den schneidenden Hohn – ein Hauch konnte das furchtbare, immer tiefer und tiefer brennende Licht verlöschen, und er war gerettet! aber dieser Hauch war eine Unmöglichkeit für ihn ... Nochmals verdoppelte er seine Anstrengungen, die Arme, die Hände, die Zunge loszuringen – das Blut schien ihm aus den Augen dringen zu wollen vor der gewaltigen Anspannung aller Nerven! – Vergeblich! ... Da versuchte er zu beten! zum erstenmal vielleicht wieder seit seiner Kindheit – seit jener Zeit, da er den schwarzen Lockenkopf in den Schoß der Mutter gelegt, da sie ihn zum Kirchlein geführt auf der Felsenhöhe von Capo Calvi, von wo der Blick des Kindes hinausschweifte über das blaue, sonnige, liebliche Meer, über Fels und Tal. – –
Und er sollte Meer und Tal und Fels nie wieder schauen? ... Um ihn schwarze Finsternis – das Grab – das ewige furchtbare Grab! – Die Gebete seiner Seele wurden zu Lästerungen – entsetzliche Bilder tanzten und tauchten aus der Finsternis um ihn her – Und lauter und lauter schallte durch die dicke Erdwand die Arbeit der russischen Minierer zu ihm herüber. Ihm deuchte, er könne schon die einzelnen Stöße der Spaten, das Murmeln der Stimmen, das Kommando der Ingenieure vernehmen. – Ein Blick auf die Kerze – er hatte sie nie aus dem Auge gelassen – belehrte ihn, daß jede Hoffnung vergeblich sei – kaum linienbreit noch schwebte die Flamme über dem Pulver.
Da begannen bleiche, drohende Gestalten vor ihm sich zu erheben, die er so lange zurückgedrängt; die blassen Toten von Ajaccio – die geschändeten Mädchen und gemordeten Greise aus den Schreckenstagen Roms – Paduani in der Straße von Pera – das schreckensbleiche Gesicht, die starren Augen des armen Dieners in der Villa zu Hietzing vor den Toren Wiens – auch dessen Augen allein hatten Sprache, auch dessen Zunge fesselte der Knebel. – Jahre der Angst und der Furcht vor dem Ewigen lagen in den wenigen Minuten, die seit dem Verschwinden des Mohren erst vergangen, und doch so kurz, so kurz, so kurz waren ...
Näher und näher dröhnten die Spatenstiche der Russen – er hörte es deutlich, sie hatten die Richtung nach ihm eingeschlagen, von dem dumpfen Klang der Höhlung geleitet – er hörte das versuchende Pochen – deutlich den Befehl des Offiziers – kaum wenige Fußbreit noch – – Allbarmherziger Gott – Rettung – Rettung – Da – da – Es knisterte an der Flamme des Lichts – es zischte – ein, zwei Körner sprühten – und – – – –
Mit der fahlen Bleiche, die die schwarze Farbe annimmt, durch die der grelle Sonnenstrahl des Äquators die Wesen jener glühenden Länder gezeichnet hat, stürzte Jussuf, der Kurier Mariams, mit hastigem Schritt aus den Gewölben der Bastion, die zu den Minen führten ... Er sah das goldne Mittagslicht, den blauen Himmel über sich – der Sonne Strahl blendete sein Auge, das aus der Nacht des Grabes kam ... »Der On-Baschi – der On-Baschi – wo ist er?« – Man trug ihn halb den Kapitänen entgegen, die auf die Meldung eilig herbeikamen ... »Fasse dich, Mann! – Was ist geschehen? – wo ist dein Gefährte?«
Der Mohr stand vor den Offizieren, deren Kreis sich mit jedem Moment vermehrte; er hatte alle seine Fassung wiedererhalten ... »Die Moskows, o Aga, sind in der Nähe der Minenkammer, wir hörten deutlich ihr Arbeiten – vielleicht keine zehn Ellen uns zur Seite –« Kapitän Grach eilte nach der Kehle der Bastion ... »Ich will mich überzeugen!« Der Mohr aber warf sich ihm in den Weg ... »Wallah! es ist zu spät – mein Kamerad wird zünden, sobald er die Russen nahe genug hält, – er muß jeden Augenblick zur Stelle sein; ich eilte davon, es zu verkünden.« – »Das Glück ist für uns,« rief der französische Kapitän, dem rasch die Worte übersetzt worden. »Eilen Sie zu Hussein-Pascha, Herr Kamerad, damit er die Truppen zum Ausfall bereit hält. An die Geschütze, meine Herren, und fertig zum Feuern!« Er sprang die Böschung hinauf, auf die Wälle der Bastion – Kapitän Grach war davongeeilt.
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Durch die vorderste Linie der gegen Arab-Tabia vorgeschobenen Trancheen kam mit seinem Adjutanten der greise Chef des russischen Geniewesens. Sein kaltgraues, aufmerksames Auge prüfte genau jede Linie, die Höhe der Brustwehr, die Anlage der Embrasüren, die Arbeiten zum Aufstellen der Kanonen, die Richtung der fertigen Geschütze, die bereits in vollem Feuer gegen die Bastionen waren. Zugleich aber machte er eine plötzliche, unheimliche Bewegung, wandte das weiße Haupt zurück, gleich als wolle er jemand sehen, der ihm folgte, und schien, ins Leere starrend, auf Worte zu horchen, die nicht gesprochen wurden ... An der Kehle der Sappe rief er den kommandierenden Offizier ... »Leutnant Potemkin! welche Nachricht von den Minierern?« – »Kapitän Ochalski hat vor fünf Minuten melden lassen, daß er das Bett des Grabens bis zur Mitte erreicht hat. Man beginnt das Pulver hinabzuschaffen.« – »Gut! Sobald die Sache beendigt, schnellen Rapport! Er findet mich an der zweiten Mine gegen die Citadelle.« Er brach plötzlich ab und wandte sich hastig um, als sähe er jemand hinter sich stehen. »Zum Henker! Kann ich des Kaisers heute denn gar nicht los werden? Gespenster passen nicht zum Dienst! – Was winkt der Schatten fortwährend mir und raunt mir ins Ohr, als ob ich nicht wüßte, daß heut der Dreizehnte! – Der Fürst läßt mir melden, Leutnant, daß in einer Stunde die zum Sturm bestimmten Truppen in die Linien rücken werden. Vergessen Sie die Botschaft an Ochalski nicht, daß ich schleunigen Rapport haben muß; – ich hoffe, ehe die Sonne sinkt, dort drüben die Fahne mit dem Adler flattern zu sehen!« Er wandte sich, um nach den Pferden zurückzukehren, die in einiger Entfernung ihm langsam nachgeführt wurden. Aber er hatte kaum zwei Schritte getan, als die Erde unter ihm zu rollen begann wie bei Erdbeben – dann erfolgte ein gewaltiger Stoß, der ihn und alle in der Nähe Befindlichen zu Boden warf; – die Erde schien sich zwischen der Sappe und der letzten Batterie zu öffnen und hoch in die Luft zu erheben; ein ohrzerreißender Knall – ein dichter Regen von Erde und Steinen, menschlichen Leibern und Gliedern füllte fast minutenlang alles rings umher, Geschützstücke selbst flogen weit über die Trancheen hinaus und fielen zerschmetternd nieder – die Wände der Laufgräben waren weithin eingestürzt, die Sappe war ein hohler Krater!
Ein Jammerruf – ein wildes, schmerzliches Gewimmer drang aus den dicken Pulver- und Staubwolken, die ringsum fast wie dichte Nacht die Luft füllten ...
Der junge Artillerie-Offizier, der den General zurückgeleitet, war erst wenige Schritte wieder entfernt und der erste, der – wunderbar allen Verletzungen entgangen – aus der Erde der Brustwehr, die ihn überschüttet, sich emporraffte ... »Exzellenz, wo sind Sie? Sind Sie verwundet?« – Er sprang durch den Dampf und Rauch nach der Stelle zu. Der General stand bereits aufrecht, bleich, aber ruhig ... »Die Gräber öffnen sich und bringen die Toten zurück – mein kaiserlicher Herr und Freund – ich seh' dich licht und hehr aus den Wolken der Finsternis daher schreiten – sprich – ist die Stunde deines Dieners gekommen?« – »Um der Heiligen willen, Exzellenz, fassen Sie sich!« – Der junge Mann wagte es, seinen Arm zu ergreifen – »ein unglücklicher Zufall muß die Mine Ochalski zu früh gesprengt haben.«
Der Name des einem gräßlichen Schicksal erlegenen Offiziers führte den greisen General in die Wirklichkeit zurück ... »Hinauf auf die Brüstung! Du hast junge Augen – was siehst du?« ... Der junge Mann stand schon oben; ein Adjutant des Generals folgte ihm ... »Das Fort ist unbeschädigt – ich sehe nichts von unseren Arbeitern – alles scheint verschüttet – der Dampf –«
»Herunter, Bursche! – nicht unsere Mine ist es; die Türken haben eine gegen uns gesprengt, und wir werden gleich mehr von ihnen hören.« Eine Kartätschensalve, die von der Bastion über das Glacis daher prasselte, bestätigte die Befürchtung des Generals ... »Die Pferde! die Pferde! Die Tölpel vor dem Abdul-Medjid sind töricht genug, ihre Mine zu sprengen in dem Glauben, daß ich hier das Signal gegeben. Verdammt sei der Tag!« – Er eilte mit jugendlicher Kraft zurück über die Trümmer und Erdstürze, welche die Trancheen füllten, bis zu der Stelle, wo die Pferde zurückgelassen worden. – »Gott geleite Sie, General!« – »Narr! Deine Batterie ist Atom – hierher zu mir; es ist keine Schande für den Krieger, in solchem Falle sich zu retten!«
Noch ehe sie die Pferde erreichten, gellte bereits der Allahruf der Türken, den Ausfall verkündend. – Die Pferde waren glücklich verschont geblieben – der General stieg mit Potemkins Hilfe auf das seine und jagte querfeldein davon, den russischen Werken vor der Citadelle Abdul-Medschid zu. Er hatte den Hut verloren, sein langes graues Haar flatterte im Winde ... Wer eines Rosses habhaft geworden, folgte ihm ... Ein Hagel von Kugeln peitschte über die offene Fläche, mehrere Reiter stürzten – das Pferd des Generals ward von einer Paßkugel am Hinterteil getroffen und schleuderte, zusammenbrechend, den alten Offizier weit von sich, daß er zum zweiten Male niederstürzte. An vier Stellen brachen die Ausfallskolonnen der Türken aus den drei Forts – die ägyptischen Truppen – Kavallerie – im hellen Sonnenstrahl blitzten die hochgeschwungenen Waffen des anstürmenden Geschwaders. Aber schon war der junge Artillerie-Offizier, dem es geglückt, in der Verwirrung eines der Pferde zu nehmen, an der Seite des Generals, sprang aus dem Sattel und half ihm hinein. – »Vorwärts, Väterchen; was ist an einem Leutnant gelegen! Erhalte du dich dem Kaiser!« Er sprang neben dem Pferde des Generals her, der aufs neue den russischen Schanzen zu galoppierte; da überschlugen sich plötzlich Roß und Reiter – eine Kanonenkugel hatte des alten Offiziers linkes Bein dicht unterm Knie zerschmettert. – – »Kaiser Alexander – Kaiser Alexander –!«
Wieder stand im Nu der junge Leutnant neben ihm, den Säbel in der Faust, bereit, in seiner Verteidigung das Leben zu lassen – kaum tausend Schritt weit jagte türkische Kavallerie bereits daher – aber sie warf sich zum Glück rechts hin gegen die Trancheen – Offiziere sammelten sich auf Potemkins Ruf um den verwundeten General – von der naheliegenden Schanze eilte ein Kommando herbei – im Augenblick war er von der Last des schlagenden Pferdes befreit und auf mehrere Gewehre gelegt, auf denen die Soldaten ihn laufend zurücktrugen aus dem blutigen Gemetzel, das sich auf allen Punkten der langen Linie entspann.
Der Erfolg des Ausfalls übertraf alle Erwartungen, denn die Russen, in keiner Weise auf den Angriff vorbereitet und den ihren auf die vorhergehende Sprengung von Breschen basierend, wurden vollständig überrascht und bis hinter ihre ersten Linien zurückgeworfen. Das Donauufer entlang der Festung fiel in die Hände der Belagerten. Auf der Ost- und Südostseite wurde der größte Teil der Belagerungsarbeiten der Russen zerstört, mehrere Fahnen und eine Mörser-Batterie blieben in den Händen der Türken, die dritte Mine, die nach der voreiligen Sprengung der gegen das Abdul-Medjid-Fort noch übrig blieb, wurde verschüttet – die Belagerung mußte aufs neue begonnen werden. Tausend Tote ließen die Russen in den zerstörten Laufgräben – der Verlust der Türken war nur wenig geringer, denn heldenmütig hatten in ihren Werken sich die Posten gewehrt, ehe die Hilfe herbeikam ...
Schon beim Beginn des Kampfes hatte Jussuf, der Mohr, sich eilig und still aus dem Fort entfernt, und während die Schlacht tobte, eilte er mit beschwingtem Fuß durch die engen Straßen, bis er an der Hofmauer des Hauses anhielt, das, wie er wußte, der Engländer Maubridge bewohnte. Mit Hilfe der Schlüssel, die er dem Todfeind abgenommen, der jetzt bereits vor dem ewigen Richter und Rächer stand, gelangte er leicht in das Innere, wo jetzt nur ein altes, ängstlich dem Bombardement lauschendes Weib zugegen war, und dieses, durch sein grimmiges Aussehen und die Todesdrohung erschreckend, führte ihn bald in die einsame, wohlverwahrte Kammer, wo er den Knaben Mauro eingesperrt fand. Er nahm ihn an der Hand und führte seine Beute glücklich davon ... durch die zum Ausfall geöffneten Tore die Straße nach Schumla hin ...
General Schilder ward noch im Lager amputiert und dann nach Kalarasch gebracht. Aber der Brand trat in die Wunde; es mußte eine zweite Amputation am Oberschenkel vorgenommen werden; doch auch diese rettete den greisen Krieger nicht. Seine Stunde war am 13. gekommen, wie das Traumbild seines verewigten Kaisers ihm verkündet: – er starb am 23. in den Armen des jungen Artillerie-Offiziers, der ihn vor der türkischen Gefangenschaft gerettet und den er nicht wieder von seiner Seite ließ.
Angesichts der in die Donaufürstentümer einrückenden österreichischen Heermassen erfolgte der Rückzug der Russen über den Pruth. Dies war das Endspiel im ersten Akte des großen orientalischen Dramas.
An zehntausend Tote ließen die Russen allein vor Silistria zurück, darunter sechs Generale und fünf Obersten. Der Donaufeldzug hatte Rußland mit den furchtbaren Verheerungen, die durch Krankheiten angerichtet worden, an achtzigtausend Menschen gekostet.