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Sängers Gebet.

Wie heimlich ist's im Sängerhaus!
Der Herbstesnebel hüllt es ein;
Am Eichentisch vom Abendschmaus
Steht noch der Krug mit Neckarwein.
Der Brand hell flackert im Kamin;
Dran sitzt bei Walther Amaranth,
Er legt die Hand in ihre Hand,
Sie lehnt ihr Haupt an seines hin;
Der Vater sitzt zu ihrer Seit',
Und schlägt Herrn Walthers Saitenspiel,
Und singt der goldnen Lieder viel
Aus alter, reicher Sängerzeit;
Sie sehn mit stummem Dank ihn an.
Bei jedem Liede, das er singt,
Auch eine andre Knospe springt,
Draus sich ein Röslein aufgethan
Im Liebesfrühling ihrer Seelen;
Und von des einst'gen Bundes Tagen
Möcht' Eins so viel dem Andern sagen,
Doch ihrem Glück die Worte fehlen;
Und nur ein tiefbeseligt Blicken,
Ein Händedruck, ein lächelnd Nicken,
Und wohl auch eine große Zähre
Erzählt von ihrer Liebe Mähre.
Doch sieh'! Wie glüht so leuchtend jetzt
Des Sängers dunkles Augenpaar!
Von Thränen wird es hell benetzt,
An's Herz drückt enger er die Laute.
Wie schlägt er sie so reich und klar!
Und wie verzückt sein Haupt sich hebt,
Als ob er in den Himmel schaute;
Und seine Stimme zitternd bebt,
Bald ernst und bang wie Herbsteswind,
Und bald wie Frühlingssäuseln lind,
Drein süße weiche Klagen klingen,
Und trauter sich die Zwei umschlingen:

»Du, der du bist der Geister Hort!
Was hab' ich Großes noch gethan,
Daß du mir gabst des Liedes Wort?
Ich habe keinen Theil daran.
   O Herr! Wie säng' ich ohne dich?«

»Für all' die Stunden, da mein Lied
Mich auf in deinen Himmel trug,
Für all' die Luft, die mir's beschied,
Wie kann ich danken dir genug?
   O Herr! Wie säng' ich ohne dich?«

»Ein einzig Wort aus deinem Mund,
Und ewig hin ist all mein Sang,
Wie voll auch sei mein Herzensgrund,
Wie ich auch spannt der Harfe Strang!
   O Herr! Wie säng' ich ohne dich?«

»Ich trag' die Lieb' in voller Brust,
Ich seh' die Welt im Frühlingslicht,
Werd' fast erdrückt von Liedeslust,
Doch ach! Ich find' die Worte nicht.
   O Herr! Wie säng' ich ohne dich?«

»Und wieder nur ein einzig Wort,
Und auch mein Herz ist liebesleer.
Die Lieb' geht mit dem Frühling fort,
Ich hab' nicht Freud', nicht Trauer mehr.
   O Herr! Wie säng' ich ohne dich?«

»Nimm drum den eiteln Stolz von mir,
Laß mir nicht kommen Neid und Haß!
Gieb mir der Demuth Sängerzier,
Laß singen mich ohn' Unterlaß:
   O Herr! Wie säng' ich ohne dich?«

»Mein Lied ertön' nur dir zur Ehr'!
Du gabst es mir, es ist ja dein;
Und sing' auf Erden ich nicht mehr,
Laß mich auch dort dein Sänger sein!
   Du Herr des Klangs erhöre mich!«



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