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Der erste Kuß.

Dieweil steht, wie in frommer Scheu,
Beim Rößlein drunten Amaranth,
Und streichelt ihm die seidne Mähne.
Das blickt sie an so gut und treu,
Als hätten sie sich längst gekannt,
Und nickt ihr zu, als ob es wähne,
Es hab' sie wohl sein Ritter gern.
»Wie bist du doch ein glücklich Thier!«
Spricht Amaranth in holdem Sinnen,
Und denkt dabei an seinen Herrn;
»Du darfst ihn tragen zum Turnier,
Hilfst ihm des Sieges Kranz gewinnen,
Darfst all dein Leben bei ihm sein,
Nie bangen vor des Scheidens Weh!«
Und schnell pflückt sie am Zwingerrain
Den vollen Arm vom besten Klee,
Und reicht es ihm mit zager Hand;
Dann schmückt sie in bedächt'gem Kosen
Der Stirne zierlich Muschelband
Mit Tannenreis und wilden Rosen; –
Sie kann dem Herrn ja doch nichts geben,
So will sie denn sein Rößlein schmücken.
Und wie durch's enge Pförtlein eben
Sie schlüpfen will zu neuem Pflücken,
Da hört sie's auf der Treppe gehn,
Und zaudernd bleibt auf halbem Gang
Im Hof sie lauschend wieder stehn.
Und horch! Es klirrt wie Sporenklang,
Da weiß sie wohl, weß Tritt es sei,
Und sie erschrickt zum Weinen fast;
Es scheidet ja der liebe Gast,
Und all ihr Traum ist bald vorbei.
Und eh' sie noch den Ritter sieht,
Durch's Einlaßpförtchen sie entflieht,
Und von der Brücke über'n Steg
Eilt sie zum Wald den wilden Weg;
Und schnell am Bächlein in der Schlucht
Hat sie ihr Plätzchen aufgesucht,
Umduftet rings vom weißen Schleh,
Zu weinen dort ihr stumm Ade.
Vom nahen Strauche freudenlos
Bricht sie ein Röslein in den Schoos,
Zerpflückt die Blätter und das Reis,
Und läßt sie, eines nach dem andern,
Auf klarer Fluth, ohn' daß sie's weiß,
Zu Walthers Haus am Neckar wandern.

Und wie so harret Amaranth,
Steht Walther längst in sel'gem Lauschen,
Wo hinter ihr der Fels sich bricht,
Im Dorn versteckt und festgebannt,
Damit die Blätter ja nicht rauschen;
Und sacht mit leuchtendem Gesicht
Ein bräutlich Reis er lose flicht,
Von Primeln und von Ehrenpreis;
Und nun das Kränzlein er vollendet,
Kaum athmend er hinab sich wendet,
Senkt auf den Schleier ihr es leis,
Und schnell mit lauschendem Bedacht
Verschwindet er im Felsenschacht.
Da beugt in ihres Harmes Traum
Sie über von des Ufers Saum
Zu schau'n durch Silberkies und Schaum
Der Rosenblätter leichten Tanz, –
Wie blickt ihr Auge da erschrocken!
Und zitternd fährt sie nach den Locken,
Ob sie nicht trügt der Woge Glanz;
Doch eh' den Kranz vom Haupt sie nimmt,
Auch Walthers Bild im Bächlein schwimmt,
Und liebend ihr entgegen sieht;
Kaum weiß sie, wie ihr da geschieht,
Sie kann das Zauberspiel nicht fassen;
Schnell hat das Köpfchen sie gewendet,
Und Walthers Arm hält sie umbogen;
Sie muß sich von ihm küssen lassen,
So hat sein Auge sie geblendet,
Und wieder ist er ihr entflogen.
Und sie durchbebt ein wonnig Grauen,
Wie nie im Leben ihr geschehen,
Sie traut sich nicht nach ihm zu schauen,
Und möcht' so gern ihn scheiden sehen.
Und das Gesicht zum Kranz gesenkt,
Den eine Thräne heiß getränkt,
Löst, ohne daß sie's weiß, im Schoos
Die Hand das duftige Gewind,
Und Zähr' um Zähre ringt sich los,
Und trauernd denkt das arme Kind:

      »Er hat mich geküßt!
Was zitterst du mein Herze so?
Und bist du nicht so still und froh?
Ist nicht so jung mein Leben noch?
Ist nicht die Welt so schön? – und doch!
      Er hat mich geküßt!«

      »Er hat mich geküßt!
Weiß nicht, ob ich mich freuen soll,
Mein Herz ist ganz von Thränen voll.
Doch wie ich auch nur sinnen mag,
Mir sagt es jeder Herzensschlag:
      Er hat mich geküßt!«

      »Er hat mich geküßt!
O küßt er nur den Mund allein,
Wollt ich ja gerne fröhlich sein.
Sein Kuß bis in das Herz mir drang,
Das ruft mir nun herauf so bang:
      Er hat mich geküßt!«

      »Er hat mich geküßt!
O ging' ich jetzt zum Himmel ein!
O dürft' ich dort sein Engel sein,
Und dürft' ihn schützen vor Gefahr!
Wie selig dächt' ich immerdar:
      Er hat mich geküßt!«



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