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Mutterliebe.

Wer wandelt dort im Abendlicht
Im Garten hin am Rosenbeet?
Bleich ist das edle Angesicht,
Im Winde leis der Schleier weht;
Ein hohes, trauernd Frauenbild,
Des Schlosses Herrin ernst und mild.
Sie wallt am weißen Fliederhag,
Und hört nicht drin den Finkenschlag;
Sie geht vorbei am Epheuhang,
Hört nicht des Fischers Nachtgesang,
Der, gleitend durch das schwanke Ried,
Im leichten Nachen heimwärts zieht;
Sie sieht nicht, wie des Himmels Glühn
Zum Schimmer leiht der Rosen Schein,
Die in der Dämmrung bleicher blühn.
Ihr Herz ist trauernd und allein;
Statt grünen Maies, hell und lind,
Schlich trüber Herbst sich bei ihr ein,
Und all ihr Denken ist ihr Kind.

»Mein Herz hat auch wohl einen Garten,
Von Mutterliebe treu bebaut;
Ich kann nur liebend seiner warten,
Den Segen hab' ich Gott vertraut.«

»Viel Blumen sind darin entsprossen,
So duftig und so rein und licht;
Doch wieviel Thränen sie begossen,
Das ahnt die junge Blume nicht.«

»Ich pflege sie an meinem Herzen,
Wenn auch ihr Dorn es manchmal sticht,
Die Mutter will's ja gern verschmerzen,
Die Mutterliebe zürnet nicht.«

»Und alle Blätter, alle Blüthen
Durchforscht mein Auge Tag für Tag,
Auf daß bei meinem treuen Hüten
Auch nicht ein Hälmlein leiden mag.«

»Da hat ein Stengel sich gebogen,
Dort ist ein Kelch von Gift bethaut,
Dort ist der Farbe Duft entflogen,
Da schlinget sich ein schädlich Kraut; –«

»So muß die Mutter immer pflegen,
Und die Geduld ihr nimmer bricht;
Sie hofft getreu auf Gottes Segen,
Die Mutterlieb' ermüdet nicht.«

»Doch ach! Mein Lieben und mein Warten,
Mein Freuen all – bald ist's dahin!
Sie rauben dir ja deinen Garten,
O du verwaiste Gärtnerin!

»Wie mancher Blume Haupt wird sinken,
Vom Sturme draußen hingebleicht!
Wie mancher Kelch vom Thaue trinken,
Den ihm ein giftiger Abend reicht!«

»Ich will zu Gott mein Auge wenden,
Gethan ist meine Mutterpflicht.
Mein Garten steht in seinen Händen,
Die Mutterliebe zweifelt nicht.«

Verklommen ist des Himmels Gluth,
Vom Strome steigt der weiße Hauch,
Es regt sich nicht ein Blatt am Strauch,
Der Finke schweigt, der Fischer ruht.
Sie blickt zum Himmel lang empor,
Wo Stern um Stern sich stiehlt hervor;
Da löst sich leis des Herzens Last.
Sie hört die große Thräne fast
Zum Thau des Laubes niederfallen,
Und wallt hinauf die dunkeln Hallen,
Wo ihr aus offner Kammerthür
Von dunkler Wand so licht herfür
Das Kreuz von Alabaster winkt.
Voll Sehnsucht sie zum Betstuhl sinkt.
Horch! Vom Hollunderstrauch herauf
Die Nachtigall! Der Mond geht auf.



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