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Der Gast.

I.

Es klagt die Wildniß, sie athmet schwer,
Sie freut nicht Blühn, nicht Singen mehr.
Was war sie des Tages blühende Braut?
Was stahl sich verlockend sein Schmeichellaut
In ihres Herzens innerste Tiefen?
Was sprengte sein Aug' ihr knospendes Reis,
Drin ihre geheimsten Gedanken schliefen?
Was sang ihr Mund ihm jauchzenden Preis?
Was schmückte sie sich so wunderbar
Mit duftigem Sammt den minnigen Leib?
Mit Perlen das Haar?
Und gab sich ihm ganz zu eigen?
Ist sie nun doch ein betrogen Weib!
Verspottet all' die bräutliche Pracht!
Statt sternenklarer Liebesnacht
Ob ihrem Haupte schwarz die Wolken steigen.
Die Vögel huschen ängstlich in's Nest,
Es halten die Blätter sich schauernd fest;
Die Zweige sich ächzend zusammendrücken,
Die Wipfel wollen sich niederbücken;
Es möchten die Dolden zur Knospe kehren,
Am klagenden Strauche zittern die Beeren;
Zur Tanne windet die Birke bleich
Den schwankenden Leib und fleht sie um Schutz;
Daneben erwartet voll Stolz und Trutz
Die Eiche stumm des Wetters Streich.
Die Halme sich an die Rosen klammern;
Sie drückt ihr Haupt in den dornigen Schleh.
Des Waldes lang verhaltnes Weh'
Bricht los in der Lüfte Seufzen und Jammern.
Und drüben am Graben,
Beim Weidenbaum,
Da sitzen die Raben
Und putzen den Flaum,
Und krächzend sie schwanken,
Wie schwarze Gedanken,
Im Schadengelüste
Hinauf an der Wolken finstre Brüste,
Das Wetter zu werben
Zu Frühlings Verderben;
Sind sie vom Frühling ja doch verachtet!
Und wo sie erspähen,
Die neidischen Krähen,
Das letzte Blau noch licht und frei,
Drauf fliegen sie los mit jauchzendem Schrei,
Bis alles in finsterm Graus umnachtet.
Und die Windsbraut erwacht mit zornigem Heulen,
Und peitschet die Wipfel zu brausenden Wogen,
Zerknicket wie Lilien die fichtenen Säulen;
Drein kömmt es wie feurige Schwerter geflogen;
Es steht die Wildniß, ein blendender Tag,
Voll schauriger Pracht.
Und wieder ist's Nacht,
Und ein Schlag –
Als stürzte der Himmel in Trümmer zusammen;
Tief unten im Thale rauschen die Flammen;
Berstend die Schleußen des Sturms sich erschließen,
Zischend in Güssen die Wasser schießen. –

Und im Hof in sichrer Hut
Vor des Wetters grimmer Wuth,
Eingenickt von Hast und Mühen,
Fest im Schlaf der Sänger ruht.
Tief sein Haupt im Stuhle liegt;
Friedlich spielt der Ampel Glühen
Ihm um Wangen und um Locken.
Treu an seinen Schoos geschmiegt
Zu ihm auf die Rüde blickt;
Ihm zur Seite mit dem Rocken
Sitzet traut sein Töchterlein,
Läßt die Spindel gar geschickt
Heimlich schwirren in dem Kreise;
Und sie schreckt in ihrem Fleiße
Nicht des Sturmes wilde Weise,
Nicht des Regens schwere Tropfen,
Die mit Macht an's Fenster klopfen,
Denn die Lieb' verläßt sie nimmer.
Zaubert ihr die finstern Wände
Rings zum blühenden Gelände,
Klärt der Ampel armen Schimmer
Ihrem Aug' zum Strahl der Sonne,
Schafft der Decke kaltes Grau
Ihr zum warmen Himmelsblau,
Schenkt ihr ihre reichste Wonne,
Die ihr eigen ist hienieden,
Schenkt ihr ihren tiefsten Frieden.
Da erklingt das Ave fern
Durch die sturmeslaute Nacht;
Heiter, wie der Abendstern,
Bei dem Gruß ihr Auge lacht;
Doch in all der Seligkeit,
Wie auch jauchzet ihre Seele,
Mahnt sie's, daß noch Eins ihr fehle,
Eins das alle Freuden weiht,
Eins des Friedens treu'ste Hut –
Ihres Heilands Leib und Blut.

Und ihr stockt im Drehn der Faden,
Vollends aus die Spindel schwirrt.
Ihrem Geist erscheint der Gnaden
Göttlicher, barmherz'ger Wirth;
Und sie neigt ihr Angesicht
Bis zum letzten Glockenschlag:
»Herr ich komme!« leis sie spricht,
»Morgen ist ja Feiertag!«

Horch! Klopft es nicht drunten am Thor
Wie Schwertesstreich an's eiserne Schloß?
Und wiehert nicht hell durch's Wetter ein Roß?
Sie fährt erschrocken vom Beten empor,
Und schleicht an's Fenster, und öffnet es sacht,
Und späht hinaus in die schwarze Nacht.
Es pocht ihr Herz, und zitternd sie lauscht.
Still ist's. Der Wind durch die Tannen rauscht.
Da ruft es wieder herauf mit Macht.
Sie schaut zum Vater – soll sie ihn wecken?
Er schläft, wie selten, so süß und tief.
Sie sinnt eine Weile – und wieder es rief.
Da grollt sie sich selbst ob dem kindischen Schrecken –
Was zögert zum guten Werke sie lang?
Sie hat die Leuchte rasch erfaßt,
Eilt durch den Hof zum Thoresgang,
Dem Wandrer zu bieten Schutz und Rast,
Und wen's auch sei, zu wärmen und laben.
Wohl klopft ihr Herz, doch ist ihr nicht bang.
Was soll sie auch zu fürchten haben? –


II.

Der Riegel klirrt, die Angel knarrt;
Kalt und durchnäßt von Wind und Regen,
Das Roß am Zaum, ein Reiter harrt,
Und tritt in's Thor ihr schnell entgegen.
Ha! Was geschah dir Amaranth?
Dein Antlitz bleicht, dein Auge starrt!
Das licht entsinkt der matten Hand,
Ihr bricht das Knie, sie wankt, sie fällt;
Im Sinken schnell ein Arm sie hält,
Und sie umfängt ein feucht Gewand.
Herr Walther steht ein Bild von Stein;
Gebannet ist ihm Hand und Fuß
Vom abentheuerlichen Gruß;
Er weckt mit Müh' der Leuchte Schein,
Und hält sie, kaum sich recht bewußt,
In ihr gebleichtes Angesicht.
»Du armes Kind!« er liebreich spricht,
»Daß ich dich so erschrecken mußt'!«

Sein Rößlein selbst senkt ganz betroffen
Den schlanken Hals zu ihr hernieder.
Doch sieh'! Ihr Herz hebt an zu schlagen,
Die Wimper zuckt, ihr Aug' ist offen,
Das Leben webt im Antlitz wieder.
Er beugt sich über sie mit Zagen,
Und wie so Aug' in Auge blickt,
Wie Beider Seele da erschrickt,
Und keine weiß, wie ihr gethan! –
So sehn zwei Rosen bang sich an,
Die in der Knospen grüner Nacht
Lang von einander schon gesonnen,
Und nun vom selben Strahl umsponnen
In einer Stund' zum Blühn erwacht.

Und zitternd sie sich ihm entwindet,
Und nimmt das licht ihm aus der Hand;
Dieweil noch ganz geblendet bindet
Er stumm sein Rößlein an die Wand.
Sie weiß nicht, was sie reden soll,
Das Herz von süßem Grauen voll,
Und winkt ihm stumm ihr nachzukommen,
Voll holder Schaam die reine Wange;
Und wunderbar, wie nie, beklommen
Folgt er vom Hof zum Treppengange.

Die Rüde droben im Gemach
Den Sporn schon auf der Treppe hört,
Springt auf, und bellt den Sänger wach;
Der fährt aus tiefem Traum gestört
Mit finsterm Aug' vom Stuhl empor,
Nimmt schnell das Ampellicht zur Hand,
Und spähend mit der Rüde tritt
Er in die dunkle Halle vor;
Und Amaranth vom Treppenrand
Beflügelt vor dem Gast den Schritt,
Da sie im bleichen Ampelstrahl
So kalt des Vaters Antlitz schaut,
Reicht ihm die Hand, küßt ihn zumal,
Und sagt ihm ruhevoll und traut:
»Ich hab' dir einen Gast gebracht,
Der sich im Sturm zu uns verirrt;
Ich hab' als Gast ihm aufgemacht,
Nach Gastesrecht sei du sein Wirth!«
Und hold neigt sie sich zu dem Gast,
Der ob dem Willkomm zagend fast
An dem Portal der Halle steht;
Und wieder wendet sie sich bang,
Und stumm um freundlichen Empfang
Ihr Kindesblick den Vater fleht.
Doch um des Vaters Angesicht
Sich tiefer noch die Falten legen;
»Ein Gast!« er finster zu sich spricht,
»Ein Gast war meines Weibes Buhle.«
Und doch, er tritt ihm stumm entgegen,
Und führt ihn bei der Hand zum Stuhle.

Da athmet sie nochmal so leicht,
Wie er die Hand ihm dargereicht,
Und ohne lang sich zu besinnen,
Holt sie vom Schreine weiches Linnen,
Und Hausgewand, bequem und warm,
Und eilet in geschäft'ger Hast
Zum Thurmgemach mit vollem Arm,
Macht dort die Ruhestatt bereit,
Und denkt nur drauf, daß ja dem Gast
Nicht fehle die Bequemlichkeit.
Und kaum das liebe Werk vollbracht,
Ist sie schon wieder auf der Stiege,
Des Ritters Rößlein zu versorgen;
Sie hat es eilig losgemacht,
Und führt es in den Stall zur Ziege;
Die muß ihm heute Futter borgen,
Und neben ihr ein Lager gönnen:
Denn seines Herren Gastesruh'
Kömmt auch dem treuen Rößlein zu;
Sie hätt' nicht eher schlafen können.
Drauf holt vom Keller sie den Wein,
Und eilt hinauf zum Küchenschrein,
Und späht besorgt in jedem Fach,
Was ihr wohl fromm' zum kargen Schmaus,
Und legt's auf Zinn gar zierlich aus,
Und trägt's mit Bechern in's Gemach.
Drauf zu Herrn Walther im Bedienen
Spricht sie verzagt mit trauten Mienen:
»Ihr müßt die Tafel heut verschmerzen,
Ich tisch' Euch auf, was überblieb;
Nehmt eben freundlich mit fürlieb,
Mein Mahl ist arm, doch kömmt's von Herzen.
Doch eh' ihr Euch am Wein mög laben,
Kommt erst zum Thurm, wenn's Euch genehm!
In trocknem Kleid macht Euch's bequem,
Ihr mögt's zur Ruh' wohl nöthig haben,
Da Ihr solch stürm'schen Ritt gethan!«
Herr Walther sieht sie nickend an,
Und hat zum Gang sich aufgemacht;
Dem Vater, stumm im alten Harm,
Sagt küssend sie besorgt gut Nacht,
Wirft noch den Mantel über'n Arm,
Der triefend an dem Stuhl gehangen;
Und da zum Thurme sie gegangen,
Und Walthern an's Gemach geführt,
Sie noch am Heerd die Kohlen schürt,
Und wirft darüber flackernd Reis;
Hängt mit Bedacht den Mantel dran,
Und geht zum Schlaf, wie nie sie's weiß.
Weißt du, Wer ihr es angethan? –



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