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Der Aufschub.

Es läßt dem Sänger keine Ruh';
Schon fällt die Sonne brennend hell
Auf seine schlichte Lagerstell',
Und noch sank ihm kein Auge zu.
Da ist er plötzlich aufgesprungen,
Legt hastig das Gewand sich an;
Rasch hat er's Fenster aufgethan,
Und bis zum Leib hinausgeschwungen
Er lange durst'ge Züge thut
Aus der durchwürzten Lüfte Fluth,
Und bleibt im Fensterbogen stehn.
Ihm wird so weit und weich zu Muth,
Wie ihm seit Jahren nicht geschehn;
Er könnte jetzt kein Vöglein morden.
Ihm däucht, als sei ihm über Nacht
Das eigne Herz zum Walde worden,
Voll grüner frischer Blätterpracht.
Die hohen Eichen rauschen drinnen
Dem Frühling ihren vollen Gruß,
Und hellen Klangs um ihren Fuß
Der Minnelieder Bronnen rinnen.
Und das hat Walthers Aug' gethan!
Es sah die ganze Nacht ihn an,
Und ob er in den Wald geblickt,
Ob in der Wolken dunkeln Saum,
Und ob er im Gedankentraum
Auf seine Pfühle hingenickt, –
Den einen Blick er immer sah.
Bald winkt er ihm aus dunkler Fern'
Zu sich hinauf als heller Stern;
Bald war er wieder ganz ihm nah',
Als sänk' er ihm in's Herz hinein.
Er fühlte drin von seinem Schein
Sich's blühend regen und sich dehnen,
Wie in dem Frühling Wald und Flur;
Und wie er aus dem Träumen fuhr,
Da glaubt er fast, er hab' noch Thränen.

So sinnt er stumm in's Waldesrauschen,
Dem Herzschlag der Natur zu lauschen.
Sein Geist schwingt sich, ein kühner Aar,
Hoch in die Lüfte morgenklar,
Ob seinem Herzen sich zu sonnen;
Da plötzlich trifft mit einem Mal
Des alten Hasses Blitzesstrahl
Den Aar, die Eichen und die Bronnen,
Und blutend sinket sein Gefieder
Auf dürrversengte Haide nieder.
Und finster er vom Fenster tritt,
Wallt durch's Gemach in schwerem Schritt,
Da sieht er an der Wand, umglüht
Vom ersten jungen Sonnenstreifen,
Das Saitenspiel Herrn Walthers hängen,
Und nach der Laute muß er greifen,
Wie er sich auch dagegen müht;
So fühlt er eine Macht sich drängen.
Er nimmt sie zaubernd von der Wand,
Er schlingt um sich ihr seidnes Band;
Da wird es ihm um's Herz so warm,
Als sei's ein weicher Frauenarm;
Und wie die lang entwöhnte Hand
Sich in den alten Klängen findet,
Und eine Weise, altbekannt,
Verzagt der Lippe sich entwindet,
Ist plötzlich er zum Stuhl gesunken,
Vom Zauberquell des Sanges trunken. –

Und er löset und bindet
Die wechselnden Töne
Durch scherzende Fehde
Zu siegender Schöne;
Und es schwillt und es schwindet
Die klingende Rede,
Wie zürnendes Wetter
In fallenden Klüften,
Wie Lerchengeschmetter
In sonnigen Lüften;
Und der jubelnde Klang
Stirbt zitternd bang;
Es gleitet die Weise,
Ein segelnder Schwan,
Durch glattes Geleise
Zur Bucht heran –
Und die Lieder, die todten,
Versöhnende Geister,
Der Liebe Boten,
Umgaukeln den Meister;
Und kosend sie halten
Das Haupt ihm umfangen,
Und glätten die Falten
Auf Stirn und Wangen,
Und waschen den Schnee
Ihm aus dem Haar,
Und machen vom Weh
Das Aug' ihm klar,
Und ziehn aus seinem Herzen den Dorn.
Und draußen, da sieht er zur alten Pracht
Erstanden sein Schloß.
Hell sprudelt der Born
Aus marmornem Schacht.
Und er schauet zu Roß
Durch die blühenden Auen
Von Rittern und Frauen
Den prunkenden Troß;
Und es ordnet im Saal
Sein Weib das Mahl;
Mit Geschirr und Pokal
Die Diener springen;
Vom Söller erklingen
Schalmeyen und Horn;
Schon lärmt auf der Treppe
Der gastliche Hauf;
Es klirret der Sporn,
Es rauschet die Schleppe,
Die Thür geht auf, –

Und herein zu ihm, bereit zum Ritt,
Stumm mit Helm und Schwert Herr Walther tritt.

Da starrt der Sänger groß ihn an,
Ob er nicht sei ein Zauberwahn.
Und mit der Laute in der Linken
Zu Walther mählig hingebogen,
Hat in den Stuhl er ihn gezogen,
Und an das Herz muß er ihm sinken
Zu langem, mächtigem Umfassen.
In's Aug' ihm eine Zähre bricht,
Und flehend fast er zu ihm spricht:
»Du darfst so schnell mich nicht verlassen!«



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