Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 3
Friedrich von Raumer

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Zehntes Hauptstück.

Jenen Zeiten der Widerwärtigkeiten und der Trauer folgten itzt bessere, wo manche persönliche Angelegenheit, manches öffentliche Geschäft glücklich zum Ziele geführt wurde.

Der Kaiser hatte seine zweite Gemahlinn Jolante bereits vor dem Antritte des Kreuzzuges verloren, und gedachte sich aufs neue zu vermählen. Hievon wohl unterrichtet, empfahl ihm Papst Gregor die Schwester König Heinrichs III von England, und Friedrich ging um so lieber auf diesen Antrag ein, da er mit dem englischen Königshause hiedurch so nahe verschwägert ward, als die Welfen. Weil er aber weibliche Schönheit viel zu sehr schätzte, als daß er ohne Rücksicht auf dieselbe, aus bloßen Staatsgründen, hätte eine Ehe schließen mögen; so erhielten Peter von Vinea und andere angesehene Personen im November 1234 den Auftrag, sich zunächst hierüber genau zu unterrichten. Sie kamen im Februar 1235 zu London an, erhielten die Erlaubniß, Isabellen im Tower, wo sie in streng jungfräulicher Eingezogenheit lebte, zu besuchen, fanden das einundzwanzigjährige Mädchen von königlicher Schönheit und königlichen Sitten, übergaben ihr den Verlobungsring mit dem lauten Ausruf: »es lebe die Kaiserinn!« und 701 {1235} schlossen den Heirathsvertrag auf folgende Bedingungen abRymer foed. I, 1, 121-126.  Die Urk. lauten auf 1236; wohl nach abweichender Zählungsart. Zehn Jahre früher hatte man Isabellen dem Könige Heinrich als Frau angeboten, aber den Fürsten gefiel der Plan nicht.  Godofr. zu 1225.  Rayn. zu 1235, §. 30. Martene coll. ampliss. II, 1247.: dem Kaiser werden, in bestimmten Fristen, 30,000 Mark des besten Silbers als Heirathsgut ausgezahlt, und im Falle der Versäumniß, noch 10,000 Mark als Strafe. Isabelle erhält außerdem eine ihrem Stande angemessene Ausstattung. Der König und die ersten Stände des Reichs beschwören diesen Vertrag, und der Papst entscheidet hierüber etwa entstehende Streitigkeiten. Seinerseits verspricht dagegen der Kaiser Isabellen mit dem Thale Mazara, mit S. Angelo und andern schönen Besitzungen zu belehnen und ihr, sofern er früher stirbt, frei zu stellen, ob sie diese Besitzungen als Wittwengut annehmen, oder jene 30,000 Mark zurückfordern will.

Nachdem dies alles dem Kaiser mitgetheilt und von ihm gebilligt worden, schickte er eiligst den Erzbischof von Köln und den Herzog von Brabant mit zahlreicher Begleitung nach England, um seine Braut abzuholen. Diese fanden sich überrascht durch die außerordentlichen Vorbereitungen, welche man für die Ausstattung Isabellens getroffen hatte. Ihre Krone war vom feinsten Golde und mit kostbaren Steinen besetzt. Armbänder, Halsbänder, Schmuckkästchen, weibliche Zierrathen jeder Art erregten Bewunderung sowohl durch ihre Schönheit, als durch ihre Anzahl. Alle Gefäße, Becher, Schüsseln und Teller bestanden aus Gold und Silber, und der Werth der Arbeit überwog noch den Werth des Metalls. Sogar der größte Theil des Küchengeschirrs war von Silber. Radulf der Seneschall, und der Bischof von Exeter standen an der Spitze der zahlreichen Begleiter und Begleiterinnen Isabellens. Von allen Seiten versammelten sich Ritter und Geistliche, um die Fürstinn vor ihrer Abreise noch einmal zu begrüßen und 702 {1235} ihren Zug, der bis auf mehre Tausende anwuchs, zu verschönern. Am eilften Mai 1235 bestieg sie das Schiff, und landete nach dreien Tagen am Ausflusse des Rheins; am vierten erreichte sie Antwerpen. Hieher hatte der Kaiser eine zahlreiche Abtheilung seiner Mannen geschickt, theils als Ehrenwache, theils weil er ein Gerücht, daß die Franzosen Isabellen zu rauben gedächten, nicht ganz unberücksichtigt lassen wollte. Aller Orten empfingen die Einwohner ihre künftige Kaiserinn mit der höchsten Auszeichnung, vor allem aber in Köln, der ersten unter den deutschen Städten. An zehntausend Bürger und Jünglinge zogen ihr am 22sten Mai entgegen, in festlichen Kleidern und mit Blumen und anderem Schmucke geziert. Viele ritten auf stattlichen Rossen, schwenkten die Lanzen und führten, geschickt sich wendend, wiederkehrend, treffend, gleichsam ein ununterbrochenes Ritterspiel auf. Noch wunderbarer erschien es, als man prächtige Schiffe auf trockenem Boden dahersegeln sah! Die Thiere, welche sie zogen, waren unter den rings übergehängten seidenen Decken verborgen und in den Schiffen saßen Geistliche, welche unter der Begleitung von OrgelnCum organis bene sonantibus.  Math. Paris 284.  Elwang. chr.  Waverl. ann.  Rich. S. Germ. 1036., anmuthige Gesänge ertönen ließen.

Je näher man Köln kam, desto größer wurde die Menschenmasse, desto lauter die Freudenbezeigungen. Man führte Isabellen durch alle Hauptstraßen und als sie nun, um von den aus Söllern und Balkonen und in den Straßen neugierig Versammelten besser gesehen zu werden, ihren Schleier abnahm und freundlich dankte, da priesen alle ihre Schönheit und Herablassung aufs höchste und weissagten ihr Glück in der Ehe und eine herrliche Nachkommenschaft. In dem Palaste des Erzbischofs, wo Isabelle ihre Wohnung nahm, wurde sie nochmals von jungen Mädchen mit Gesang und mannigfachem Tonspiel empfangen. Sie mischte 703 {1235} sich fröhlich in ihre Reihen, und die ganze Nacht hindurch dauerten Freudenfeste der mannigfachsten Art.

Von dem allen erhielt der Kaiser genaue Berichte, mußte aber, so höchst unangenehm es ihm auch war, seine Braut, um der noch nicht ganz beseitigten Empörung König Heinrichs willen, sechs Wochen in Köln warten lassen. Endlich berief er sie nach Worms und fand, daß nicht nur das Lob ihrer Schönheit vollkommen gerecht sey, sondern auch ihre Sitten, ihr Benehmen, ihre kluge und beredte Unterhaltung den größten Preis verdienten. Am 20sten Julius 1235 wurden beide getraut, und vier Tage lang dauerten die Feste, welche, fast beispiellos, verherrlicht wurden durch die Gegenwart von vier Königen, eilf Herzögen, dreißig Markgrafen und Grafen, und eben so vielen Erzbischöfen und Bischöfen. Namens der deutschen Edelleute und Ritter wurde dem Kaiser und der Kaiserinn eine prächtige Wiege überreicht, deren Decke von Elfenbein, Gold, Muscheln und Perlen so künstlich gearbeitet und gewirkt warFiorillo I, 88–90., daß man sich eben so sehr über die Geschicklichkeit und die Kunst, wie über den Werth verwundern mußte. – Allmählich stieg die übermüthige Lust an Scherzen, Spielen und SchauspielenGodofr. mon., bis der, diesen Dingen keineswegs abgeneigte, Kaiser doch zuletzt die verschwenderischen Geschenke an Schauspieler, oder vielmehr an Gaukler, Kunstreiter und Possenreißer mißbilligen mußte. – Bei dieser Gelegenheit erzählt Matthäus Paris: der Kaiser verschob, nach den Weisungen seiner Sterndeuter, die Vollziehung der Ehe bis gegen Morgen, und sagte dann mit großer Bestimmtheit seiner Gemahlinn: »nimm dich wohl in Acht, denn du hast einen Knaben empfangenMath. Paris 285.  Auch dem Könige von England ließ er dies sagen; der geborne Sohn war aber nicht Heinrich der jüngere, welcher erst den 12ten Februar 1238 zur Welt kam, sondern wahrscheinlich Jordanus, der jung in Ravenna starb.  Rocchus chron. 50.  Pirri Sicilia I, XXX..« Ferner soll Friedrich, nach 704 {1235} Rücksendung der meisten englischen Begleiter und Begleiterinnen, den Hofstaat seiner Gemahlinn fast auf morgenländische Weise eingerichtet und sogar Verschnittene angestellt haben. Seinem Schwager, dem Könige von England, schickte er kostbare Geschenke und blieb lange mit ihm in sehr freundschaftlichen Verhältnissen; doch kamen Plane gegen Frankreich, unzähliger anderer Hindernisse zu geschweigenSiehe darüber Math. Par. 288., schon um deswillen nie zur Ausführung, weil die innern Angelegenheiten Deutschlands, auf welche Friedrich seit so langer Zeit nur aus der Ferne gewirkt hatte, selbst einer gründlichern Anordnung und Feststellung bedurften.

Zu diesem Zwecke berief der Kaiser, bald nach seiner Vermählung, auf den 15ten August 1235 einen Reichstag nach Mainz, welcher auch zahlreicher besucht und in jeder Beziehung wichtiger wurde, als irgend ein anderer, seit dem großen Reichstage, welchen Kaiser Friedrich I im Jahre 1184 ebenfalls in Mainz hieltPfister II. 290.  Meibom. hist. Duc. Brunsv. 203.  Erfurt. chron. S. Petrin.  Salisburg. chron.  Alberic. 556.  Elwang. chr.. Jetzt erschienen 70, oder gar 85 Fürsten und Prälaten, 12,000 Edle und unzähliges Volk. Zu jenen gehörten die Erzbischöfe von Mainz Trier, Köln, Besançon, Magdeburg und Salzburg; die Bischöfe von Bamberg, Regensburg, Konstanz, Augsburg, Straßburg, Basel, Hildesheim, Lüttich, Kambrai, Metz, Toul, Verdun, Utrecht, Münster, Osnabrück, Naumburg, Passau, Eichstädt, Freisingen, Speier, Merseburg u. a. m.; die Äbte von Korvei und Fulda; der Großmeister des deutschen Ordens; die Herzöge von Sachsen, Baiern, Brabant, Kärnthen und Lothringen; die Pfalzgrafen vom Rhein und von Sachsen; die Markgrafen von Meißen, Brandenburg, Baden u. s. w.

Zuvörderst wurde von allen wiederholt beschlossen und bestätigt: da Heinrich der jüngere sich der Krone 705 {1235} unwürdig gezeigt und ihr nach Erkenntniß seines Unrechts selbst entsagt habe; so sey er nach dem Urtheile des Kaisers und aller Stände nicht mehr König, und der ihm geleistete Eid aufgehoben. Hierauf kam wahrscheinlich die Wahl Konrads zum deutschen Könige in Anregung, ward aber wohl erst im Jahre 1237 anerkannt und bestätigtDavon weiter unten zu 1237..

Nicht minder wichtig und schwierig war die Anordnung der Angelegenheiten des welfischen Hauses, wovon hier nochmals und in ungetrenntem Zusammenhange die Rede seyn muß. Nach dem Tode Heinrichs des Löwen theilten dessen drei Söhne, Heinrich, Otto und Wilhelm die väterliche Erbschaft in der Art: daß Heinrich Stade und die Besitzungen in der Gegend von Bremen, Otto Braunschweig, und Wilhelm Lüneburg erhieltMeibom. hist. duc. Brunsv. 204.  Lüneb. chron. Leibn. 175.. Der letzteOrig. guelf. III, 382.  Wilhelm sey so dick gewesen, daß sein Gürtel um drei Personen herumreichte.  Riddagsh. chr. 355. starb im Jahre 1213 und hinterließ von seiner Gemahlinn Helena, der Schwester König Waldemars II von Dänemark, einen neunjährigen Sohn Otto, für welchen erst Kaiser Otto und nach dessen kinderlosem Tode, Pfalzgraf Heinrich die Vormundschaft führte, oder vielmehr alle Besitzungen seiner Brüder und seines Neffen einstweilen für sich in Beschlag nahm. Weil aber des Pfalzgrafen einziger Sohn starb, und ihm keine Hoffnung blieb noch andere zu erzeugen; so betrachtete er seinen Neffen Otto, den jetzt allein noch vorhandenen männlichen Abkömmling Heinrichs des Löwen, als den rechtmäßigen Haupterben des großväterlichen Eigenthums und trat ihm dies im Jahre 1223 nebst der Hauptstadt Braunschweig abOrig. guelf. IV, 10-30.  Albert. Stad.  Bardev. chr. 218.. Desgleichen überließ er ihm alle Güter, welche er in Sachsen von Bischöfen und Kirchen als Lehen inne hatte. Hievon nahm man in jenem Augenblicke, bei der Entfernung des Kaisers und der 706 {1227} Jugend König Heinrichs, von Reichs wegen keine Kenntniß. als aber Pfalzgraf Heinrich im Jahre 1227 starb, so traten Ansprüche mancherlei Art hervor.

Erstens, verlangte der Erzbischof von Bremen, Stade und die umliegenden Lehne, auf den Grund eines im Jahre 1219 mit dem Pfalzgrafen geschlossenen VertragesLünig Reichsarchiv,cont. II, Abth. 4, Abschn. 5, von Bremen, Urk. 16–19.  Tolner 363.  Corner 857., wodurch ihm jene Besitzungen nach dessen Tode zugesprochen waren.

Zweitens, behaupteten die beiden Töchter des Pfalzgrafen, (Irmengard, welche den Markgrafen Heinrich von Baden, und Agnes, welche den Herzog Otto von Baiern geheirathet hatte) daß ihnen, als Abkömmlingen der älteren Linie, das Erbe gebühre, und Otto, der Sohn eines jüngern Bruders, sie höchstens von dem Lehne, keineswegs aber vom Allode ausschließen könne.

Drittens, trat der Kaiser auf, und betrachtete nicht allein manches Lehn als dem Reiche eröffnet; sondern brachte auch, was noch wichtiger war, jene Ansprüche der Markgräfinn und Herzoginn theils durch förmlichen Kauf an sich, theils durch Tausch gegen andere Besitzungen in Schwaben.

Dem allen widersprechend, behauptete Otto von Braunschweig: eine jüngere männliche Linie schließe, selbst bei vollem Eigenthum und Allode, alle ältern weiblichen Linien aus; mithin seyen die Ansprüche seiner Muhmen und des Kaisers völlig ungegründet. Hierauf wollten aber dieser und König Heinrich um so weniger Rücksicht nehmen, da sie sehr wünschten in Sachsen, besonders auf Kosten der Welfen, feste Punkte zu erwerbenSachsenspiegel I, 22–31.  Orig. guelf. IV, 10-40., und da die Töchter nach deutschem Rechte, keineswegs von der Allodialerbschaft ausgeschlossen waren. Den ersten Angriff König Heinrichs (denn es kam hierüber zur offenen Fehde) vereitelte im 707 Jahre 1227 der tapfere Widerstand der Bürger von Braunschweig.

Weit gefährlicher wurden die Verhältnisse für Otto, als er nach der Schlacht von Bornhövet drei Jahre lang gefangen blieb, die meisten seiner Dienstmannen sich unabhängig zu machen suchten und der Erzbischof von Magdeburg nebst dem Bischofe von Halberstadt, wahrscheinlich mit Zustimmung König Heinrichs, in seine Länder einfielen.

Weil ihn aber seine neuen Schwäger, Otto und Johann von Brandenburg, nebst den Bürgern Braunschweigs unterstützten, so ging selbst ein zweiter, in Gesellschaft Ottos von Baiern unternommener Zug ohne Entscheidung vorüber, und das für seine Lösung gegebene Land abgerechnet, verlor Otto der Welfe nichts von seinen Besitzungen. Doch würdigte er die stets über ihm schwebende Gefahr sehr richtigRymer foed. I, 1, 106., und ließ sich deshalb weder durch den Papst Gregor, noch später durch König Heinrich bewegen, irgend etwas wider den Kaiser vorzunehmen. Nur gegen den Erzbischof von Bremen verfocht er seine Ansprüche mit gewaffneter Hand. Jenes verständige Benehmen gewann des Kaisers Vertrauen so sehr, daß er schon im September 1234, nach dem Wunsche mehrer Fürsten, den Patriarchen von AquilejaOrig. guelf. IV, 141. (oder seinen Bruder den Bischof von Bamberg), den König von Böhmen, den Landgrafen von Thüringen, den Markgrafen von Brandenburg und einige Edle als Schiedsrichter über alle Streitpunkte zwischen den Welfen und den Hohenstaufen anerkannte und sich ihrem Spruche unterwarf. Die Unruhen in Deutschland verzögerten indeß den völligen Abschluß, und erst jetzt, auf dem Reichstage in Mainz, übergabOrig. guelf. IV, 3, 49.  Anon Saxo 128.  Rehtmeier chron. 473. Otto dem Kaiser mit gebogenem Knie, Braunschweig, Lüneburg so wie all sein Eigenthum, und 708 {1235} empfing dasselbe sogleich aus dessen Händen als ein Herzogthum und als ein, für Söhne und Töchter erbliches, Reichslehn zurück. Ferner, überließ ihm Friedrich den Reichszehnten in Goslar, und gab seinen Dienstmannen (Ministerialen) alle Rechte der Reichsdienstmannen. Hingegen entsagte Otto nochmals allen Ansprüchen auf die, Heinrich dem Löwen abgenommenen Länder und aller Gerichtsbarkeit über das Bisthum Hildesheim. – Im nächsten Jahre wurden endlich auch die Verhältnisse mit Bremen, wegen der Grafschaft Stade, aufs reine gebracht.

Obgleich also der Kaiser die von Ottos Muhmen erkauften oder ertauschten Ansprüche unmittelbar nicht geltend machteSchöpfl. hist. Zar. Bad. I, 310.  Corner 880.  1226 nahm Otto Stade mit Gewalt.  Wolter 59., ließ er doch seinem treuen Anhänger, dem Markgrafen Hermann von Baden, das meiste von dem, was er ihm dafür zugesichert hatte. Auch lag Friedrichs Hauptvortheil ganz wo anders, nämlich darin: daß endlich einmal durch freien Vertrag (und nicht wie zeither so oft durch Anmaaßung von einer, und durch Gewalt von der andern Seite) die Rechte und Ansprüche der beiden mächtigsten Familien Deutschlands festgestellt wurden.

Und aus diesem Vertilgen alles Streites folgte wiederum: daß der Kaiser Schwaben, Elsaß und seine übrigen Besitzungen und Lehne im südlichen Deutschland ruhig behaupten, fast in Familiengut verwandeln und den alten Grundsatz umgehen konnte, wonach kein Kaiser oder König ein Herzogthum für sich behalten sollte. Ja die gesammten staatsrechtlichen Verhältnisse Deutschlands, welche sich seit vielen Jahren durch bloße Thatsachen und durch eine keineswegs von Gesetzen bekräftigte Entwickelung umgestaltet hatten, gewannen in diesen Jahren, insbesondere durch die Beschlüsse des mainzer Reichstages, eine neue Gestalt und eine auf Jahrhunderte hinaus folgenreiche und darum bald verwünschte, bald gepriesene Richtung. Vor aller 709 weitern Beurtheilung müssen wir erzählen, was festgesetzt wurde.

Der Kaiser gab im Januar 1232 zu Ravenna und im Mai desselben Jahres zu Udine zwei neue Gesetze, wodurch diejenigen zum Theil bestätigt wurden, welche König Heinrich bereits ein Jahr zuvor, ohne genügende Vollmacht zu Worms erlassen hatteSchannat. Worm. Urk. 119–121.  Die Urkunde bei Ried. cod. I, 384 ist vom April 1232 aus Aquileja. Der Abdruck in der Historia diplom. Norimb. II, 64, ist aus Udine vom März 1232.. Ihr Hauptinhalt ist der folgende:

In keiner Stadt dürfen die Bürger aus eigener Macht Genossenschaften, eidliche Verbindungen, Zünfte u. dergl. errichten. Der König wird hiezu die Erlaubniß nicht ohne Befragung des Herrn der Stadt, der Herr der Stadt nicht ohne Befragung des Königs ertheilen. Freibriefe, welche diesem Grundsatze widersprechen, und alle in den Städten ohne Zustimmung der Erzbischöfe und Bischöfe eingesetzte Behörden und Obrigkeiten, sind aufgehoben. – Künftig sollen keine Pfalbürger mehr geduldet, keine eigenen Leute der Fürsten und Prälaten ohne deren Beistimmung in die Städte aufgenommen, kein Geächteter daselbst geschützt, und jedes Gut zurückgegeben werden, welches die Bürger etwa jenen Fürsten und Prälaten entrissen haben. Die Städte dürfen ihre Gerichtsbarkeit nicht eigenmächtig ausdehnen, oder Unverpflichtete mit Gewalt zu ihren öffentlichen Arbeiten und Zwecken beiziehen. Bürger in kaiserlichen Städten, zahlen von ihren, außerhalb dem Stadtgebiete liegenden Gütern, an deren Herrn das Herkömmliche, werden aber von diesen nicht mit neuen und ungebührlichen Abgaben belastet. – Niemand wird gezwungen vor einem andern Gericht, als dem seinigen, zu erscheinen; niemand darf ohne geistliche Beistimmung auf Kirchenlande eine Burg erbauen. Seine Rechte, Freiheiten, Gerichtsbarkeit u. s. w. soll jeder ungestört genießen und insbesondere kein altes Recht 710 {1232} durch neue Zoll- und Münz-Berechtigungen verletzt werden. Kaiserliche Beamte dürfen die eigenen Leute und Vasallen, welche zu ihren Herrn zurückkehren wollen, nicht daran hindern. Ohne Beistimmung des Lehnsherrn wird kein Pfandrecht an Lehngütern bestellt; der Zins in Geld, Wein, Getreide oder andern Dingen, welchen die Bauern übernommen haben, wird erlassen und nicht weiter erhobenCensus - quos rustici constituerint, so soluturos, relaxentur, et ulterius non recipiantur, wenn es anders richtig übersetzt ist..

Diese Bestimmungen wurden in Frankfurt am 11ten Februar 1234 von König Heinrich, kurz vor dem öffentlichen Bruche mit seinem Vater, theils nochmals bestätigt, theils erweitert und festgesetztAlberic. 548.: jeder, dem Gerichtsbarkeit zusteht, selbst der König, soll monatlich vier Gerichtstage halten. Der Fürst, welcher dies unterläßt, zahlt 100 Mark Goldes; der Graf, welcher nicht nach den Rechten der Landschaft urtelt, 100 Mark Silber; und dreimalige Verurtheilung in diese Strafe, zieht den Verlust der Gerichtsbarkeit selbst nach sich. Niemand darf Fehde erheben, ohne vorhergegangene Ankündigung; ja ein Fürst, welcher dem andern Gewalt anthut, ohne vorher Klage zu führenAbsque praecedente querimonia., zahlt 100 Mark Goldes; ein Graf oder ein anderer Edler, 100 Mark Silber. Wer durch vollgültige Zeugen überführt wird, er habe den feierlich zugesicherten Frieden gebrochen, verliert die Hand.

{1235} Hieran reihte sich nun das auf dem Reichstage von Mainz öffentlich bekannt gemachte berühmte Gesetz über den LandfriedenComment. Götting. von 1780 p. 24. Abhandlung von Gatterer.; woraus wir, mit Übergehung des bereits Angeführten, folgendes aufnehmen:

Erstens: empört sich ein Sohn gegen seinen Vater und wird von diesem und zwei unverwerflichen sendbaren 711 Männern jenes Frevels überführt, so verliert er unwiederbringlich sein väterliches und mütterliches Erbe, Lehn und bewegliches Gut. Richtet der Sohn die Empörung auch gegen den Leib des Vaters, oder nimmt er ihn gefangen; so wird er für immer ehr- und rechtlos, und verhältnißmäßige Strafe trifft alle Theilnehmer. Der nächste Verwandte leitet die Anklage für den Gefangenen und schafft die nöthigen Beweise herbei.

Zweitens: alle seit dem Tode Heinrichs VI erhöhte Zölle werden auf den alten Satz ermäßigt; alle seitdem ohne gehörige Erlaubniß angelegte Münzstätten vernichtet. Wer unberechtigt Zoll erhebt, wird wie ein Straßenräuber, wer auf eines andern Namen falsche Münze schlägt, wie ein Falschmünzer bestraft. Eben so darf niemand ohne Reichsvollmacht Geleite geben, oder Geleitsgeld verlangen. Wer aber ungenügendes Geleite giebt, oder Wege und Brücken nicht im Stande hält, oder jemanden zwingt von der Reichsstraße ab, auf andern Nebenwegen zu fahren, verliert nach dreimaligem Vergehen sein Recht und wird außerdem gestraft. – Hehler von Raub und Diebstahl, oder Käufer gestohlner Sachen, geben das erste Mal doppelten Ersatz, und werden das zweite Mal wie Räuber und Diebe behandelt. – Ohne Rechtsspruch gilt keine Pfändung.

Drittens: wer Burgen oder Städte bauen will, muß die Kosten aus eigenen Mitteln bestreiten, und darf dazu weder das Gut seiner Landleute in Anspruch nehmen, noch, bei Strafe des Straßenraubes, Zoll erheben.

Viertens: weltliche und geistliche Gerichte sollen in ihren Kreisen ungestört wirksam bleiben und die Kirchenvögte, bei strenger Strafe, ihrer Pflicht nachkommen. Wer Kirchengut um des Kirchenvogtes (advocati) willen angreift, wird geächtet und ersetzt dreifach den verursachten Schaden.

Fünftens: jede Acht wird öffentlich gesprochen und keiner davon gelöset, bevor er die gesetzlichen Strafen zahlt 712 {1235} und dem Rechte überhaupt Genüge leistet. Wer mit Geächteten Verkehr hat und sie schützt, verfällt in dieselbe Acht. Widersetzen sich die Schuldigen, so bietet man des Königs und des Reiches Macht gegen sie auf, verbrennt ihre Häuser, reißt die Mauern der Städte nieder und erzwingt durch die härtesten Mittel unbedingten Gehorsam.

Sechstens: Nothwehr ausgenommen, soll jeder sein Recht vor dem Richter suchen, bei Verlust aller eigenen Ansprüche und doppeltem Schadenersatze. Mit zweien Zeugen bewiesener Landfriedensbruch zieht die Acht nach sich; war Todschlag damit verbunden, so geht es an Leib und Ehre. Nur wer auf seine Klagen gar kein Recht erhält, mag sich zur Wehre setzen; aber er soll vorher die Fehde offen ansagen und die befriedeten Tage halten.

Siebentens: es soll ein freigeborner Hofrichter angestellt werden und, sofern er seine Pflicht thut, mindestens ein Jahr im Amte bleiben. Er sitzt, – Sonn- und Fest-Tage allein ausgenommen –, täglich zu Gericht und urtelt über alle angebrachten Klagen, nur nicht über Leib, Recht, Gut und Lehn der Fürsten und anderer hoher Vasallen. Hierüber richtet der Kaiser selbst, und von ihm wird überhaupt jede Acht und jede Aufhebung der Acht bestätigt. Dem Hofrichter zur Seite steht ein Schreiber und zwar ein Laie, damit es ihm, im Fall er seine Pflicht nicht erfüllt, an den Leib gehe. Dieser soll aufschreiben: die Klagen, Vorladungen, Urtel, Ächtungen, Berufungen u. dergl., damit das Gericht sich stets ausweisen und sein Verfahren geprüft werden könne.

Viele von diesen Gesetzen erscheinen, insbesondere sofern sie das bürgerliche und peinliche Recht betreffen, als offenbare und unleugbare Besserungen; wogegen die ausgesprochenen oder vorbereiteten Veränderungen des Staatsrechts großentheils hart sind angeklagt worden.

Man sagte nämlich, jedoch nicht sowohl damals als in neuern, durch andere Erfahrungen belehrten oder doch angeregten Zeiten: »die altdeutsche Freiheit, welche leider schon 713 {1235} manchen Stoß bekam, wird dadurch ganz untergraben. Statt eines gleich berechtigten Volkes treten unnatürliche Abstufungen hervor; statt der Landesgemeinden entstehen Herrntage, und der König der Deutschen hat sich in ein bloßes Oberhaupt von Fürsten und Lehnsträgern verwandelt. Und dies nicht einmal zu eigenem Gewinne: vielmehr sind seine Rechte jetzt geringer, als ehemals und müssen, durch die wachsende Unabhängigkeit der Fürsten, von Tag zu Tag abnehmen, bis sich das herrlichste aller Reiche in unbedeutende Inseln kleiner Beherrscher auflösen wird. Die dem Kaiser wegen Erhöhung der geistlichen Rechte bereits oben gemachten Vorwürfe kehren hier in verstärktem Maaße wieder, und ein überaus gewichtiger tritt neu hinzu: er hat nämlich, alles Sinns für Freiheit und für die der Zeit angemessene Entwickelung ermangelnd, das Aufblühen der Städte und des Bürgerstandes gehindert und anstatt mit seiner ganzen Macht, schon des eigenen Vortheils wegen, auf ihre, die ächten Menschenrechte allein vertheidigende Seite zu treten, jene Tyrannei der kleinen, gegen ihn immerdar und nothwendig undankbaren Fürsten und Prälaten unterstützt.« – Zur Widerlegung, oder doch zur Berichtigung dieser Ansicht, läßt sich indeß folgendes anführen:

Eine Vergleichung der Einrichtungen, welche Friedrich für Neapel so folgerecht und umfassend traf, mit denen, welche er in Deutschland gründete oder beförderte, zeigt ihre fast durchgängige Verschiedenheit. Anstatt nun aber hieraus Vorwürfe gegen die eine oder die andere Richtung herzuleiten, oder die nothwendige Verkehrtheit der einen wie der andern Gesetzgebung zu behaupten; offenbart sich unsern Blicken darin gerade die Weisheit des Kaisers. Diese hielt ihn von jener übertriebenen Verehrung des Gleichartigen ab, welche schon so manchen berühmten Mann zu Mißgriffen verführte; sie hielt ihn ab, das Vortreffliche nur in einer, zuletzt immer ganz willkürlichen Form zu erblicken und sich mit einem künstlichen Machen dessen abzuquälen, was sich nur, aus unzähligen Gründen und Veranlassungen, frei entwickeln kann und an jedem Orte anders entwickeln muß. 714 {1235} Hätte er Neapel germanisiren, hätte er Deutschland so wie jenes Reich behandeln wollen, welche Verkehrtheit wäre dies gewesen! – Hievon, – werden aber seine Gegner einwenden –, ist gar nicht die Rede, sondern davon: daß er eben das ächt Deutsche verkannt, und anstatt für dessen Erhaltung, Erneuung und Entwickelung mitzuwirken, nur die eigentlich undeutschen Keime und Bestandtheile hervorgehoben und begünstigt hat. – Diese Behauptung ist zuvörderst insoweit unrichtig, als sie den Kaiser allein, für alles das verantwortlich macht, was man in den öffentlichen Verhältnissen Deutschlands tadelt; während es nicht schwer fallen würde, auch einmal den Beweis zu führen: daß allein die Kirche, oder allein die Stände daran schuld sind. Mithin dürfte, der Wahrheit nach, die etwanige Schuld keinem der Angeklagten ganz aufzulegen, sondern höchstens unter sie zu vertheilen seyn.

So wenig aber der Kaiser alles allein gethan hat, was einige ihm vorwerfen, so wenig hätte er allein alles das thun können, was sie von ihm verlangen. »Er soll die königliche Macht durch Erwerbung größern Grundeigenthums erhöhen:« – aber wem konnte er denn etwas nehmen? und wird nicht der keineswegs ganz ungerechte Versuch, sich in Braunschweig festzusetzen, von allen (im Widerspruche mit sich selbst) als ein Eingriff in fremdes Eigenthum dargestellt? – »Er soll die Macht der Fürsten beschränken:« – aber war es denn irgend möglich, die seit Jahrhunderten abgekommene Ansicht durchzusetzen, daß sie bloße Reichsbeamte wären? – »Er soll die alte allgemeine Reichsfreiheit herstellen:« – als wenn sich ein, durch alle Theile des Staats hindurchziehendes, in alle verflochtenes, mit allen verwachsenes System, plötzlich ohne tödtliche Verletzung herausreißen und zur Seite werfen ließe! Doch wenn es der Kaiser auch gekonnt hätte, er sollte es nicht können.

Die Gleichheit in der altdeutschen Freiheit, war nie ganz unbedingt: wir finden von Anfang an schon Adel und Knechte, jene auf gewisse Weise über, diese unleugbar unter den freien 715 {1235} Männern. Aber selbst die allerdings einst weit bestimmtere Gleichheit der letzten in den Landesgemeinden, welche dem einfachsten Zustande durchaus angemessen erschien, konnte bei allmählicher Entwickelung schlechterdings nicht fortdauern.

Es hatten sich aus dieser einst ununterscheidbar ähnlichen Masse, die verschiedensten Glieder, Organe, Eigenthümlichkeiten entwickelt, und eine Rückführung auf jene erste Form, würde einen gewaltsamen Tod alles desjenigen in sich geschlossen haben, was damals am lebendigsten und gesundesten war. – So wie nun der Adel in mancherlei Abstufungen kräftig übereinander emporwuchs, so ihm gegenüber die Geistlichkeit; und in dieser Stellung lag eben eine Bürgschaft, daß weder das zeitlich Deutsche, noch das zeitlich Kirchliche, Herr über alles und über jede Entwickelung werden könne. Wo freie Bauern den natürlichen Verhältnissen gemäß bleiben konnten, wie in Niedersachsen, blieben sie wenigstens zum großen Theile; und selbst der gedrückteste Hörige war in diesen getadelten Zeiten doch ganz etwas anderes, als der Sklave bei den gerühmten Völkern des Alterthums: er hatte Eigenthum, eine wahre Ehe und eine Kirche, welche zu Gott und zur Zufriedenheit führte und gegen herrische Eingriffe besser schützte, als polizeiliche Verfügungen. Doch wollen wir keineswegs leugnen, daß man für diese niedrigste Menschenklasse, im dreizehnten, wie in allen frühern Jahrhunderten, zu wenig that und eine Verletzung ihrer Rechte viel zu wenig rügte, obgleich diese Rechte in den eben ausgeführten Gesetzen keineswegs ganz übersehen sind. Unbillig scheint es indeß auf jeden Fall, zu verlangen: Friedrich habe im Jahr 1235 durch einen Reichsschluß alle die Übel vertilgen sollen, welche bereits seit Jahrhunderten bestanden und noch Jahrhunderte lang, mehr oder weniger, fortdauerten.

Wichtiger ist der Einwand: die natürliche, nothwendige und heilsame Entwickelung der Bürgerschaften sey durch des Kaisers verkehrte Gesetze aufgehalten worden. Zuvörderst waren diese gar nicht neu, sondern im wesentlichen dieselben, 716 {1235} welche bereits Friedrich I durchzusetzen suchte. Würde man nun diese beiden herrlichen Männer nicht entschuldigen müssen, wenn sie nach den in Italien gemachten Erfahrungen, eine übertriebene Abneigung gegen alle Städte gehabt hätten? Und doch ging ihr Bemühen nur darauf hinaus, daß man in Deutschland nicht wie in der Lombardei verfahre. Fast jede Stadt hatte sich hier zuerst von dem Einflusse ihres Lehnsherrn oder Bischofs frei gemacht, und nächstdem auch den Einfluß des Königs und Kaisers ganz zu vertilgen gesucht; jede war, nach altgriechischer Weise, ein unabhängiger, nur durch willkürlich geschlossene und selten gehaltene Verträge, mit andern Städten in Verbindung tretender Staat. Eine solche, unter dem Scheine erhöhter Selbständigkeit eintretende Vereinzelung, mißbilligte der Kaiser; er glaubte nicht, daß jede, auch die kleinste Stadt reichsunmittelbar seyn könne und solle; er trat, und mit Recht, dem einseitigen, allen Rechts- und Besitz- Stand verletzenden Umsichgreifen einer Partei entgegen. Hingegen fiel es ihm nicht ein, die aus Vertrag und freie Übereinkunft gegründeten Rechte willkürlich zu vernichten, oder neue Verträge über Stadtrechte und Freiheiten zu verbieten; vielmehr zeigt die Geschichte, daß jene unverletzt in Kraft blieben und diese sich auf eine höchst erfreuliche, niemanden beeinträchtigende Weise täglich mehrten. Insbesondere finden wir, daß Friedrich II (so wenig verkannte, oder haßte er die ächte Entwickelung des Bürgerthums) vielen Orten Stadtrechte gab, oder die Rechte der Städte erhöhteDas Nähere in dem fünften Bande.; wir finden, daß diese den hohenstaufischen Kaisern und Königen in Deutschland, selbst in den Zeiten des hinsinkenden Glanzes derselben, unwandelbar treu blieben; mithin über ihr Verhältniß zu denselben ganz anders dachten, als manche spätere Erläuterer jener Gesetze. Wären Adel und Geistlichkeit von den Städten bezwungen und die Bauern in Städter verwandelt worden, wie dies in Italien geschah; 717 {1235} wir hätten, statt des unendlich reichen deutschen Lebens, eine Bürgerdemokratie erhalten, die nicht besser ist als eine polnische Adelsdemokratie, und nothwendig zur Tyrannei, wie diese zur Anarchie, führt. Oder wer will eine Adelsherrschaft ohne Städte, eine geistliche Herrschaft ohne freien Adel; ein, erst alles andere, dann sich zerreibendes und zerrüttendes Bürgerthum, oder einen mächtigen König mit bloßen Dienern, statt mit freien Reichsständen? So hat Natur, Verstand und göttliche Fügung, Deutschland hier, wie öfter, von dem Unheile befreit, womit mancher Wohlmeinende es irrig zu erlösen wähnte.

Nachdem der Kaiser, auf die erzählte Weise, seines Sohnes Empörung gebrochen, alte schwere Streitigkeiten der ersten Häuser verglichen und heilsame Gesetze für die Zukunft gegeben hatte, ließ er zuvörderst am 22sten August 1235 in Mainz einen feierlichen Dankgottesdienst halten; dann gab er, unter freiem Himmel, ein großes Fest. An diesem Freudentage trug er die neu befestigte Krone, unter ehrwürdigen Prälaten, mächtigen Fürsten, muthigen Rittern und zahllosem Volke der Erste und Herrlichste. Freilich ist die Macht und Herrlichkeit späterer Könige (z. B. Ludwigs XIV) für vollkommener gehalten und höher gestellt worden: aber wer kann im Ernst ihre willkürlich aus dem Staube erhobenen und in den Staub getretenen Umgebungen, mit der glanzreichen Hoheit jener Zeiten vergleichen?

Über Freie zu herrschen, ist schon weit mehr, als Knechten zu befehlen: aber unter freien Fürsten anerkannt der erste Fürst, der Lenker und Erhalter des Ganzen zu seyn, und diesem Oberhaupte gegenüber, als Bischof, als Fürst, als Graf, als Ritter, als Bürger, in eigenthümlichen Kreisen frei und unverletzt dazustehen: das mußte eine Hoheit der Gesinnung und eine Thatkraft herbeiführen, wovon man sich bei ganz veränderten Verhältnissen, kaum einen Begriff machen kann. Und zur gänzlichen Auflösung jenes Wunderbaues, zu der langweiligen Jämmerlichkeit mancher neuern Staatseinöden, hat nichts so verderblich beigetragen, als jene, auf 718 {1235} der Oberfläche so glänzende, bei tieferer Betrachtung so unnatürliche Lehre, welche, nach unbedingter Gleichstellung des Verschiedenartigsten, nothwendig zuletzt alle Rechte, der Höchsten wie der Geringsten, mißachten und vertilgen mußte. – Allerdings hatte jene Zeit auch ihre Schattenseite, allerdings zeigten sich auch damals schon mancherlei und bedeutende Mängel: sie gingen jedoch nicht sowohl aus irrigen, allgemeinen Grundsätzen hervor, als aus einzelnen bestimmten Veranlassungen und Umständen, welche eher ein Unglück als ein Unrecht zu nennen waren und zum Theil sogar für ein Glück galten. So bedurfte dieser reichste und mannigfachste Organismus, den je ein Staat gehabt und gezeigt hat, durchaus eines geistreichen, stets aufmerksamen und wirksamen, stets gegenwärtigen Königs; und jene ersten Eigenschaften hatte Friedrich II im höchsten Grade: aber sein Verhältniß zur Kirche und zu Italien stellten Deutschland natürlich sehr in den Hintergrund; wodurch sich die deutschen Fürsten, obgleich bei minder erheblichen Veranlassungen, allmählich gewöhnten, nun auch ihrerseits den König in den Hintergrund zu stellen und als Nebensache zu betrachten. Von dieser leidigen Verirrung kann jedoch erst später gesprochen werden; jetzt bemerken wir, den Faden der Erzählung wieder aufnehmend: daß jener mainzer Landfriede von 1235 das erste Gesetz ist, welches in deutscher Sprache öffentlich bekannt gemacht wurdeGodofr. mon. Liter. Anzeiger, Bd. V, S. 343. Die Nachricht in dem ersten lautet so bestimmt und legt solchen Nachdruck auf das Neue und Ungewöhnliche der Maaßregel, daß negative Gegengründe ihr Gewicht verlieren. Doch mag die Urkunde gleichzeitig, lateinisch und deutsch bekannt gemacht, und in der letzten allmählich manches geändert seyn. Daß der Abschnitt von Empörung eines Sohnes in der deutschen Urkunde voran steht, spricht nicht gegen, sondern bei den damaligen Verhältnissen für ihre Ächtheit, und auch sonst ließe sich wohl noch mehres wider die, im übrigen scharfsinnig durchgeführte, Ansicht Schönemanns (System der Diplomatik I, 300) beibringen. In München befindet sich, wie mir Docen schreibt, der gleichzeitige deutsche Reichsabschluß.; eine Erscheinung, welche allerdings durch die gesammte Entwickelung des Volkes und die hohe 719 {1235} Bildung der Sprache herbeigeführt war, aber gewiß in dem Kaiser, welcher so viel für die italienische Sprache that, aus gleichen Gründen den lebhaftesten Beförderer fand. Entgegengesetzte Überzeugungen hätten, wie wohl anderwärts, diesen Schritt noch lange verzögern können; weshalb manche, welche streng gegen den Inhalt des Gesetzes sprechen, durch die höchst folgenreiche und wichtige Form versöhnt werden könnten.

Nachdem der Kaiser aber auch den Inhalt jenes Gesetzes wider Ungehorsame und Friedensbrecher, ohne Rücksicht auf Stand und WürdeSalisb. chron.  Pappenheim., streng zur Vollziehung gebracht und manches Raubschloß zerstört hatte, hielt er am ersten November einen neuen Reichstag in Augsburg, wo König Wenzeslav III von Böhmen, gegen den Empfang von 10,000 Mark, allen Ansprüchen entsagte, welche er für seine Gemahlinn, die Tochter König Philipps, auf schwäbische Güter machen konnte; ein Anspruch, welcher mit dem oben erwähnten der Töchter Pfalzgraf Heinrichs auf welfische Güter, ganz gleicher Art war. – Den größten Theil des Winters verlebte der Kaiser unter mannigfachen Geschäften in Hagenau.

Hier erschienen die Grafen Raimund Berengar von Provence und Raimund IV von Toulouse und leisteten ihm für ihre Besitzungen den Lehnseid. Jener hatte, obgleich funfzig Jahr alt, die Ritterwürde noch nicht empfangen, weil der Aberglaube obwaltete, daß die Glieder seines Hauses bald nach deren Annahme stürben. Jetzt aber hielten es seine Schwiegersöhne, die Könige von Frankreich und England, für ungebührlich, daß ihr Schwiegervater nicht Ritter sey und vermochten ihn, diese Würde aus den Händen des Kaisers zu empfangenGodofr. mon.. In diesem Augenblicke, wo die größte Ausdehnung seiner Kaisermacht anerkannt, wo er als 720 {1235} die Krone und Blüte aller Ritter verehrt ward; hätte Friedrich II da ahnen können, daß dreiunddreißig Jahre nachher der letzte Zweig seiner männlichen Nachkommen von dem Gemahle der jüngsten Tochter jenes so hoch begünstigten Grafen von Provence, würde aufs Blutgerüst gebracht werden!

Am ersten Mai 1236 fand sich der Kaiser in Marburg ein, zum feierlichen Begräbnisse der heilig gesprochenen ElisabethWürdtwein nova subs. VI, 24, 45.  Rayn. zu 1236, §. 25.  Godofr. mon. zu 1236.  Rohte 1727.  Albert. 558.. Es waren daselbst bereits versammelt: die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Bremen, mehre Bischöfe, der Landgraf Heinrich von Thüringen, dessen Bruder Konrad, die Kinder der heiligen Elisabeth, Hermann und Sophie, viele andere Fürsten und Edele und unzählbares Volk. In prachtvoller Kleidung, die Krone auf dem Haupte, nahte der von den höchsten Geistlichen umgebene Kaiser und hob den Stein vom Grabmale. Dann krönte er die Heilige mit einer kostbaren Krone, ließ sie neu kleiden und schmücken, und in einem schönern Grabmale beisetzen. So ward Elisabeth, welche sich während ihres Lebens, fast tiefer als irgend eine Frau, erniedrigt hatte, nach ihrem Tode jetzt und Jahrhunderte lang aufs höchste geehrt.

Von Marburg wandte sich der Kaiser, überall thätig einwirkend und ordnend, erst nach Koblenz und dem Niederrhein, dann nach dem Elsaß und Schwaben, endlich um den Ausgang des Monats Julius nach Augsburg.

{1230 bis 1235} Hier wartete seiner ein so wichtiges als unangenehmes Geschäft. Nachdem Leopold VII von Österreich am 28sten Julius 1230 in S. Germano gestorben warRich. S. Germ. 1022.  Herm. Altah.  Pappenh.  Neuburg. chr.  Gattula II, 453.  Mellic. chron.  Alberic. 536., verschwuren sich die, nach völliger Unabhängigkeit strebenden Lehn- und Dienst-Männer gegen seinen Sohn Friedrich, beraubten ihn der väterlichen Schätze und verwüsteten das Land nicht minder, als 721 die gleichzeitig einfallenden Böhmen. Allein sie fanden an dem neuen Herzoge, welcher mit Recht den Namen des Streitbaren erhielt, einen Gegner, kräftiger, als sie erwartet hatten, und wurden schon im Jahre 1231 von ihm gezwungen, einen harten Frieden anzunehmen und für dessen Festhaltung Geißeln zu stellen. Aber jener ungerechte Angriff und dieser unerwartet glückliche Ausgang trugen gewiß dazu bei, dem Charakter und den Ansichten Friedrichs eine einseitige, gewaltsame Richtung zu geben, welche ihn zu schweren Fehlern verführte und in harte Unfälle verwickelte. Er war ein Mann von der höchsten Thätigkeit und größten Unerschrockenheit, von unbeschränkter Kriegslust und von rücksichtsloser Freigebigkeit gegen seine Krieger; welche Eigenschaften ihn nicht bloß seinen Nachbaren, sondern auch seinen Unterthanen furchtbar machten. Fast nirgends wußte er Liebe zu erwerben, und die Gerechtigkeit welche er übte, verlor oft ihre ehrenwerthe Natur, weil sie an Grausamkeit gränzte.

Daß der Herzog, nach obigen Erfahrungen, die Geistlichkeit einstweilen schonte und den dritten Stand begünstigte, um den Adel und die Dienstmannschaft auf jede Weise niederdrücken zu können, erscheint als eine nicht unnatürliche Straflust; ja man könnte darin tiefere staatsrechtliche Absichten erblickenAustriac. chr. ap. Pezium I, 685.  Bern. Noric. chr. Austriac. 694.  Haselbach. 719.  Chron. Udalr. Aug.: allein bald nachher erzürnte er alle Unterthanen durch willkürlich aufgelegte Steuern, beleidigte die Geistlichkeit, indem er, unter anderem, an einem bestimmten Tage alle Klosterkassen in seinem Lande erbrechen und eigenes wie fremdes Geld, ohne Rücksicht auf Recht und Bedürfniß, wegnehmen ließ. Mit solcher Willkür verfuhr er gegen die Städte, daß sich die meisten dem Adel anschlossen, und nur Wien und Neustadt ihm treu blieben. Zuletzt ward aber auch die Anhänglichkeit Wiens von ihm verscherzt. Eines Tages nämlich, so wird wenigstens von einigen erzählt, ließ er bekannt machen: die Bürger 722 {1230 bis 1235} möchten, sobald sie die Posaunen hörten, zu Hofe kommen und tanzen. Diese herablassende Einladung ward von vielen gern angenommen, und niemand ahnete des Herzogs geheime Absichten. Kaum aber war Brunhilde von Pottendorf, eine eben so schöne als ehrbare Frau, welche zeither seinen Anträgen und Geschenken widerstanden hatte, hier angekommen, als er sie in sein Gemach führte und zwang, ihm zu Willen zu seyn. Sobald dieser Frevel kund wurde, versammelten sich die Bürger und ließen ihm durch vier ehrbare Rathmänner sagen: »wenn er nicht eiligst die Stadt verlasse, werde er sicherlich große Pein am Leibe erleiden«. Den Ernst dieser Drohung fürchtend, entfloh der Herzog heimlich über die Stadtmauer und begab sich auf sein Schloß StahrenbergSuntheim tabulae claustro Neuburg. 1026.  Hagen chron. 1068.  Arenpeck 1213..

Eben so wenig Mäßigung und Billigkeit bewies er gegen seine nächsten Verwandten. Als Markgraf Heinrich der Erlauchte seine Schwester Konstanze geheirathet hatte, kam er Nachts mit bloßem Schwerte vor ihr Bette und zwang die Unbewaffneten, ihren anerkannten Rechten auf Heirathsgut und Aussteuer zu entsagenDies wird von Kurz I, 428 geleugnet, weil manche Chronisten schweigen: aber dem Kaiser konnte die Klage doch wohl vorgetragen seyn.. Ja er beraubte seine eigene Mutter, Theodora, ihrer Güter, und bedrohte sie mit Gefängniß und körperlichen MißhandlungenPappenheim.  Staindel.  Dresd. chron. zu 1236.  Alber. 556.  Neuburg. chr.; weshalb sie erst zum Könige von Böhmen floh, und dann persönlich bei dem Kaiser Hülfe suchte. Überhaupt wurde der Herzog vor diesem angeklagt von seinen Verwandten, dem Adel, der Geistlichkeit, den Bürgern und den benachbarten Fürsten; und welcher Vergehungen der Kaiser selbst ihn beschuldigte, zeigt dessen Darstellung. »Wir luden ihn«, so heißt es daselbstPeter Vin. III, 5.  Rubeis 721., 723 {1230 bis 1235} »zum Reichstage nach Ravenna, und versprachen ihn mit väterlicher Liebe aufzunehmen: aber er, der Nächstwohnende, verweigerte die Erscheinung, während viele nicht ohne Kosten und Anstrengung aus entfernten Gegenden anlangten. Eben so lehnte er unsere Aufforderung, daß er nach Aquileja kommen möge, auf kindische Weise ab, welches wir indeß dem Leichtsinne seines Alters zuschrieben und uns nach Portenau, seiner eigenen Besitzung, begaben und ihm zutraulich sagen ließen: wenn es ihm beschwerlich erscheine uns in Reichsstädten zu sehen, möge er uns wenigstens hier nicht ausweichen. Auch wollten wir (so viel läge uns an seiner Freundschaft und so gnädige Gesinnungen hegten wir gegen ihn) die gerechte Klage, welche unser Sohn Heinrich wegen des rückständigen Heirathsgutes führePernold zu 1236., beseitigen, ihm 8000 Mark aus unsern Mitteln zu Hülfe auszahlen und schöne Pferde und andere Geschenke geben. Allein weder diese Güte, noch das Zutrauen, welches wir ihm auf unserer Reise nach Deutschland bewiesen, indem wir durch sein Land, durch Steiermark, reiseten, konnte ihn zu Wohlwollen und Gehorsam bewegen; sondern er verlangte bei dieser Gelegenheit, auf ungeziemende Weise, 2000 Mark zu seinem rechtswidrigen Kriege gegen Ungern und BöhmenDer Kaiser (sagt Chron. Erford. Schann. 95) brachte die Aussöhnung mit Böhmen nicht zu Stande, propter insuperabilem arrogantiam et stultitiam ducis., suchte den Papst gegen uns aufzureizen, verband sich mit König Heinrich und den Mailändern, raubte die Geschenke, welche uns der Herzog von Bosnien übersandte, nahm Burgen, welche uns der Vogt von Regensburg vermachte, eigenmächtig in Besitz, erschien nicht auf dem Reichstage in Mainz und beging, aller Warnungen ungeachtet, Frevel der mannigfachsten Art.«

{1236} Aus diesen und den oben bereits entwickelten Gründen wurde der Herzog nochmals nach Augsburg geladen und ihm 724 sicheres Geleit und eine freundliche Aussöhnung mit seinen Feinden, ohne strengen Rechtsgang, versprochen: aber er blieb hier, er blieb auf eine nochmalige, aus Gnaden bewilligte Ladung aus, und ward nunmehr geächtet: »denn er habe die Trefflichkeit seiner Vorfahren abgethan, seine Verwandten verfolgt, die Reichsehre verletzt, den Frieden gebrochen, die Wohlhabenden geängstet, die Armen gedrückt, Willkür für Recht geübt und in anmaaßlicher Thorheit göttliche und menschliche Gebote übertretenSenkenb. sel. jur. IV, 400.  Der kaiserliche Freibrief für Wien von 1237 wiederholt all diese schweren Beschuldigungen. Von Hormayr Gesch. von Wien I, Urk. 50. – Über des Herzogs geheime Unterhandlungen mit unzufriedenen Ungern, daß sie ihn zum König erheben sollten, siehe Engels Gesch. I, 333..« Dem Könige von Böhmen, dem Herzoge von Baiern, und den Bischöfen von Passau und Bamberg übertrug man die Vollziehung der Acht; und bei der allgemeinen Unzufriedenheit der Einwohner mit dem Herzoge, bekamen jene das Land bald in ihre Gewalt und hofften die wenigen Schlösser, welche noch widerstanden, ohne große Mühe einzunehmenGodofr. mon. zu 1236.. Alles, was dem Kaiser in Deutschland zu thun oblag, schien itzt erreicht und beendet; ehe wir ihn aber nach Italien begleiten, müssen in aller Kürze Ereignisse berührt werden, welche in diesen Zeiten an dem nordöstlichen Ende der christlichen Welt vorfielenUmständlicher von ihnen zu sprechen, verbietet nicht der Mangel an Interesse und Eigenthümlichkeit derselben, sondern die Betrachtung, daß sie in die übrige, von uns behandelte Geschichte sehr wenig eingreifen..

Die Preußen, ein Volk lettischen Stammes, lebten seit geraumer Zeit an den Küsten der Ostsee in Verhältnissen, die eben so weit über völlige Wildheit erhaben, als von ächter Bildung entfernt waren. Ihre Kleidung bestand aus Pelzen und aus grobem Wollen- oder Leinen-Zeuge. Gern tranken sie Pferdemilch und aßen PferdefleischBeweise in Dusburg.; 725 wogegen sie erstaunten, daß die Deutschen Gras (Gemüse nämlich und Kräuter) äßen, also, gleich den Thieren, in Wildnissen Nahrung fändenChron ordin. Teuton. 688.. Ihrer Pflicht gegen freundlich aufgenommene Gäste glaubten sie erst genügt zu haben, wenn sich diese mit ihnen im Wettetrinken übernommen hatten. Speere und Lanzen waren ihre ältesten Waffen; Bogen und Armbrust lernten sie, angeblich, erst durch die Deutschen kennen. – Weiber wurden gekauft, wie Mägde gehalten und nicht einmal mit zu Tische gezogen. Die Preußen übten Blutrache, und brachten sich bei großen Unglücksfällen nicht selten um. Reiche ließen sich mit ihren Waffen, Pferden, Sklaven, Mägden, Hunden u. s. w., Geringere mit dem verbrennen und begraben, was zu ihrer Lebensweise gehörte: denn sie glaubten, daß das Leben in einer andern Welt, in derselben Weise wie hier, fortgesetzt werde. Den Willen der Götter erforschten sie bei allen wichtigen Unternehmungen durchs Loos, oder auf andere Weise. Priester hatten also großen Einfluß, und ein Drittheil der Siegesbeute kam gewöhnlich in ihre Hände.

Es gab heilige Haine, welche man nicht zu bebauen, heilige Gewässer, welche man nicht zu fischen wagte. Auch Sonne, Mond, Sterne, Feuer, Gewitter, Thiere (z. B. die Nachteule) u. dergl. waren Gegenstände der Verehrung.

Einzelne Versuche, die Preußen zum Christenthume zu bekehren, hatten keinen, oder nur geringen Erfolg gehabt. Erst seit der Zeit Innocenz des dritten wurden die Bemühungen eifriger und zusammenhangender. Weil aber diese Bekehrungen mit Versuchen des Eroberns verbunden waren, so entstand der lebhafteste Widerstand, und die Preußen bedrängten den Herzog Konrad von Masovien dergestalt, daß er erst die in Liefland entstandenen Schwertbrüder, dann die deutschen Ritter, deren Wirkungskreis im Morgenlande täglich beschränkter wurde, zu Hülfe rief.

Durch die großen Eigenschaften des, bei Kaiser und 726 Päpsten so einflußreichen, Meisters Hermann von Salza, war die Zahl der Ritter und der Reichthum des Ordens ungemein erhöht worden, und auch jetzt ward jener Antrag, nach vorsichtiger Berathung, erst angenommen, als Herzog Konrad große Landstriche abtrat. Um das Jahr 1230 zog Hermann Balk zuerst mit 100 Rittern nach jenen Gegenden. Neue Schenkungen, Freibriefe von Kaisern und Päpsten, Schaaren von Kreuzfahrern kamen den Rittern zu Hülfe. Ihr Heldenmuth und die Ausdauer der Preußen verdient, in dem langen Kampfe, gleich rühmliche Erwähnung; wenn sich aber Grausamkeit auf beiden Seiten, und Eigennutz noch mehr auf der Seite des Ordens zeigte; so verdient dieser, der das Christenthum bringen und christlich verfahren sollte, doppelten Tadel. Doch darf man nicht verkennen, daß die Päpste diesen Übeln stets mit Nachdruck entgegentratenDavon noch einiges im sechsten Bande.  Reg. Greg. IX, Jahr VIII, Urk. 230–232, 290.  Dreger cod. I, Urk. 191., und die Anlegung von Burgen und Städten (z. B. Kulm, Elbing, Königsberg, Heilsberg, Marienwerder u. a.), oder vielmehr die Verbreitung deutschen Sinnes und deutscher Bildung, für diese Länder im ganzen ein großer Gewinn war, und das Christenthum hier, wie überall, mit Recht über das Heidenthum obgesiegt und allmählich, von fremdartigen Mängeln gereinigt, die schönsten Früchte getragen hat. 727

 


 


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