Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 3
Friedrich von Raumer

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Sechstes Hauptstück.

Seit zwölf Jahren hatte kein deutscher König die freiheitsliebenden Städte Italiens beschränken können; und auf die höflichen Schreiben Ottos, wie auf die Gesandten PhilippsReg. imp. 57.  Ep. VII, 228; VIII, 83., nahmen sie nur Rücksicht, sofern es ihnen bequem, oder als Vorwand für eigene Zwecke diensam erschien. Aber so wenig die günstige Zeit nach dem konstanzer Frieden von ihnen gebührend benutzt wurde, so wenig diese Jahre völliger Unabhängigkeit. Der vom Papste Innocenz veranlaßte toskanische Bund blieb auf halbem Wege stehn; und anstatt daß die lombardischen Städte eine ihnen dringend nothwendige Verfassung hätten gründen, ausbilden und befestigen sollen, fiel ihr Bund so gänzlich auseinander, daß die Häupter desselben unvermögend waren, auch nur das Geringste zum allgemeinen Besten durchzusetzen. Keine Stadt fühlte sich als Glied eines größern Ganzen, keine wollte einsehn, daß, bei allem Werthe vereinzelter Thätigkeit und Tüchtigkeit, doch die Bürgschaft des Daseyns und Wachsthums hauptsächlich von dem Anschließen an die übrigen abhänge, und Kriegsmuth und Freiheitslust ohne Ordnung, Zucht und Mäßigung, nothwendig zuletzt zerstörend wirke. Daher galt Trotz und Haß für Seelenstärke, eifersüchtiger Argwohn für besonnene Klugheit, habsüchtiges 150 Umsichgreifen für Handhabung löblicher Ansprüche, friedliches Nachgeben für kleinliche Schwäche, und ein Inbegriff von unzähligen Freveln für gerechte Strafe oder erlaubte Nothwehr. Daher, – und nicht etwa aus hinreichend erheblichen Ursachen –, entstanden die unzähligen, trotz ihrer Kleinheit doch immer wild verwüstenden Fehden zwischen den einzelnen StädtenSicardi chron. 618.  Roland Pat. I, 8.  Memor. Reg. 1079.  Galv. Flamma c. 240.  Murat. Antiq. It. IV, 360, 373, 383, 421.  Bon. hist. misc.  Villani V, 34.  Malespini 100.  Tonduzzi 233.  Verci Ecel. I, 295.  Zagata 21., zwischen Mailand und Cremona, Verona und Mantua, Padua und Vicenza, Reggio und Modena, Ravenna und Ferrara, Florenz und Siena, Venedig und Bologna, Bologna und Mantua und Gonzaga und Pistoja und Faenza u. s. w. In diesen Kriegen opferte man die schönsten körperlichen und geistigen Kräfte nutzlos auf, und die Behandlung war unter den Stammgenossen so grausam, daß man z. B. die Gefangenen nicht bloß mißhandelte, sondern oft ermordeteBeispiele und Beweise in den Kriegsalterthümern..

Wie sollte man sich auch bis zur Billigkeit gegen Stammgenossen erheben, da in den einzelnen Städten selbst die Mitbürger untereinander zerfielenMalvec. 897.  Bonon. hist. misc., sich haßten, bannten, verfolgten, ermordeten? Der Bruder Albert von Mantua, welcher predigend im Jahre 1207 Oberitalien durchzog, hatte allein in Imola 27 und in Ferrara 45 Mordthaten zu sühnen! Eines strengen Herrschers bedurften solche Zeiten; denn die milden Weisungen der Kirche fanden keinen EingangInnoc. ep. VI, 41, 45, 83; VII, 174, 175; X, 86, 101; XII, 55., man hatte selten Achtung vor ihrem Gesetz und Herkommen. Gebannte wurden als Oberhäupter der Städte angestellt, Geistliche besteuert, vor weltliche Gerichte gefordert und zu weltlichen Gemeindediensten angehalten, 151 Bischöfe vertriebenInnoc. ep. II, 27.  Monaldeschi 37., ja der Bischof von Belluno und ein päpstlicher Bevollmächtigter sogar umgebracht. – Während aber die Städte gegen Feinde und Mitbürger, gegen Geistliche und Adel jedes billige Maaß überschrittenDenina XI, 177., wuchsen unbemerkt in ihrer Mitte schon die Zwingherrn empor, welche für jeden Frevel bittere Strafe nehmen sollten. Und diese Geschlechter, die Salinguerra, Romano, Montikuli, Doara, Palavicini, u. s. w., gingen wiederum durch ihre eigenen Frevel oder die allgemeine Noth und Verwirrung schnell zu Grunde, und nur das Haus Este hielt sich in dem wilden Strome der Zeiten länger aufrecht. Die vielen Streitigkeiten dieser Familien können so wenig im einzelnen erzählt werden, als die unzähligen, zum Theil dadurch herbeigeführten Fehden der Städte; wogegen solche Charakterzüge nicht zu verschweigen sind, welche in den Sinn und das Wesen jener Zeiten tiefe Blicke thun lassen, und an Bedeutsamkeit das Einerlei der kunstlos geführten Kriege weit überwiegen.

Ceresius MontikuliRiccardi vita 121.  Carli Verona III, 114., ein Jüngling von verderbten Sitten und frevelhafter Kühnheit, erschlug im Jahre 1206 auf Antrieb seiner eigenen Mutter, ihren Bruder den Grafen von S. Bonifazio; und darüber brach der kaum gedämpfte Haß der Familien, und Krieg und Brand in und um Verona mit erneuter Gewalt aus.

Zur Zeit König Konrads III waren Wilhelm Adelardi und Taurellus Salinguerra die Häupter der beiden mächtigsten Familien in Ferrara. Jenem starben nach und nach alle Kinder, weshalb er die einzige kleine Tochter seines auch verstorbenen Bruders, Marchesella, zur Erbinn einsetzte und, im Fall sie keine Nachkommen hinterließe, den Söhnen seiner Schwester die eine Hälfte, den Johannitern die andere Hälfte seiner Güter vermachte. Zu gleicher Zeit befahl 152 er, um den bisherigen Spaltungen ein Ende zu machen, daß Marchesella dem Haupte seiner Gegner, Taurellus Salinguerra, zur Erziehung übergeben und dereinst an dessen Sohn verheirathet werde. Über diese edle, dem Wohle des Ganzen so förderliche Bestimmung zürnten aber die auf das wachsende Ansehn Salinguerras neidischen Anhänger Wilhelms, raubten nach dessen Tode Marchesellen mit List oder Gewalt aus den Händen ihres künftigen Schwiegervaters, und verlobten sie ums Jahr 1180 mit Obizzo von Este. An diese That reihten sich mehr als vierzigjährige Fehden an, binnen welcher Zeit jede Partei die andere zehnmal aus Ferrara vertrieb, ihr bewegliches Gut plünderte und ihre Häuser größtentheils zerstörteFerrar. chron. 482.!

Noch folgenreicher waren die Ereignisse in der Familie Romano. Ritter Ezelin, Arpons Sohn, kam ums Jahr 1036 mit Konrad II aus Deutschland nach Italien, und erhielt von ihm Onara und Romano zu Lehn. Jenes lag auf der Gränze zwischen Bassano und Padua; dieses drei Miglien morgenwärts von jener Stadt, auf einem ringsum freien, schroff abgeschnittenen, stark befestigten BergeVerci Storia degli Ecelini I, 1.  Murat. antiq. Ital. II, 252.. Unter seinem Sohne Alberich, und seinem Enkel Ezelin II, dem Stammelnden, mehrte sich Reichthum und Ansehn dieser Familie so sehr, daß des letzten Sohn, Ezelin III mit dem Zunamen der Mönch, zum Feldhauptmann des lombardischen Bundes gegen Kaiser Friedrich I erwählt wurde. Seine erste Gemahlinn Agnes von Este starb im Wochenbette, die zweite hieß Speronella Dalesmannini. Der Graf Pagano, Friedrichs I Statthalter in Padua hatte diese ihrem ersten Manne Giacopino von Carrara geraubt und sie zum Weibe genommenVerci I, 77-81, 322.. Aus seiner Gewalt befreit, heirathete sie den dritten Mann Traversario und entlief dem vierten Zaussano, um Ezelin zu ehelichen. Als 153 ihr aber dieser viel von der Gastfreundschaft, dem Reichthume und der Schönheit Olderichs von Fontana erzählte, der ihn freundlich aufgenommen und den er nackt im Bade gesehen hatte, so ward Speronella so entzündet, daß sie wiederum entfloh, um Olderich, als den sechsten Mann, zu heirathen! Ezelins dritte Ehe war nicht glücklicher! Seine Schwester Kunizza, die Gemahlinn des Grafen Tisolino von Kamposanpietro, hatte diesem zwei Söhne geboren, Gerardo und Tisone. Für den ältesten warb Graf Tisolino um eine sehr reiche Erbtochter, Cäcilia von Abano, und erzählte zutraulich seinem Schwiegervater Ezelin dem Stammelnden, daß die früher entgegenstehenden Schwierigkeiten glücklich gehoben wären. Dieser aber meinte: nach Speronellas Flucht sey Cäcilia eine gute Freite für seinen eigenen Sohn, ließ sie durch Kriegsleute raubenRoland I, 2.  Laurent. 138., nach Bassano bringen und ihm vermählen. Sobald Gerardo hörte, wie ihm auf diese Weise die Braut in eine Tante verwandelt sey, gerieth er in einen furchtbaren Zorn, überfiel sie auf einer Reise und that ihr Gewalt an. Ezelin trennte sich nun sogleich von Cäcilien und heirathete eine Gräfinn Adelaide von Mangona, welche ihm zwei Söhne und vier Töchter gebahr. Diese Ehe hinderte aber keineswegs den Vorsatz, sich nicht allein durch Krieg an dem Hause Kamposanpietro zu rächen, sondern auch Schmach mit Schmach zu vergelten. Treulos Haß und Zorn verbergend, gewann er das Herz einer nahen Blutsverwandten Gerardos, der Maria von Kamposanpietro, so sehr, daß sie auf sein Schloß kam und eine Zeit lang, neben seiner Gemahlinn Adelaide, als Kebsweib mit ihm lebte. Sobald er mit ihr aber eine Tochter gezeugt hatte, jagte er die Gefallene von sich, oder zwang sie durch harte Behandlung mit Zurücklassung ihres Kindes zur Flucht. Doch kam endlich über das mütterliche Erbtheil dieser Neugebornen ein Vergleich zwischen beiden Familien zu Stande, welcher den Freveln ein Ende zu machen schien.

154 {1206} Bald nachher begab sich Ezelin mit elf Rittern zu einem großen Feste nach Venedig. Sie waren alle auf dieselbe Weise gekleidet, und nur der Hermelinaufschlag des Mantels unterschied jenen von seinen Begleitern. Zum Zeichen ritterlicher Gleichheit wechselten sie indeß bisweilen diesen ausgezeichneten Mantel. Eines Tages nun, als Ezelin in gewöhnlicher Rittertracht mit dem ihm damals scheinbar befreundeten Markgrafen Azzo von Este auf dem Markusplatze spatzieren ging, rannten Meuchelmörder herzu, stießen den Ritter Bonakursio von Treviso, welcher den Hermelinmantel trug, zu Boden, und würden ihren Irrthum erkennend auch Ezelin getödtet haben, wenn er sich nicht mit Gewalt von dem Markgrafen von Este losgerissen und seine Freunde zum Schutz herbeigerufen hätte. Die Mörder, dies behauptete Ezelin überall, wären vom Grafen von Kamposanpietro gedungen worden, und der darum wissende und beistimmende Markgraf habe ihn nicht vertheidigt, sondern festgehalten, damit er ihren Streichen erliegeSiehe Roland II, 14, Mauris. 19, Laurent. 140, Verci I, 323.  Die Abweichungen in der Erzählung sind nicht ganz auszugleichen. Die Schuld des Kamposanpietro scheint gewiß, der Antheil des Markgrafen aber zweifelhaft..

Daran reihten sich in den Jahren 1207 bis 1209 verwüstende Kriege, in welchen Azzo über den lange durch Krankheit abgehaltenen Ezelin obsiegte und Verona, Vicenza, Mantua und Ferrara gewannMurat. antiq. Ital. IV, 987.  Antiq. Estens. I, 389. Azzo hatte die Herrschaft von Ferrara für sich und seine Erben erhalten, aber jetzo half dies noch nichts. Roland. I, 10.  Mauris. 15.  Memor. Reg. 1081.  Patav. chron. 1126.  Carli Verona III, 137.. Doch eroberte Salinguerra nochmals die letzte Stadt, und Ezelin war im Begriff mit einem übermächtigen Heere Vicenza zu umlagern; als Abgeordnete König Ottos IV anlangten, jede weitere Befehdung untersagten und ihn nach Orsaniga oder Ossenigo im Veronesischen entboten.

155 {1209} Von vielen Prälaten und Fürsten begleitet zog Otto über Inspruck und den Brenner in das Thal der Etsch und von da, um die Mitte des Augusts 1209, in die lombardischen Ebenen hinab. Anfangs bewies sich jede Partei, seine Feindschaft fürchtend und seine Freundschaft suchend, sehr gemäßigt; dessen ungeachtet blieben die Schwierigkeiten, alle zu versöhnen, schon im ersten Augenblicke nicht verborgen. – Der König nämlich empfing, nur seiner höhern Stellung eingedenk, Ezelin von Romano nicht minder ehrenvoll als seinen entfernten Verwandten, den Markgrafen von EsteAzzo, der sich zum welfischen Hause rechnete, nahm es übel, daß er nicht allen vorgezogen wurde. Carli Verona III, 139.; worauf jener so kühn ward, diesen öffentlich anzuklagen: »er sey erfunden ein Verräther gegen ihn, gegen den Podesta Drudo von Vicenza und gegen Salinguerra; die Wahrheit dieser Anklage wolle er beweisen durch Schwertkampf.« Azzo rechtfertigte sich mit Worten, und fügte hinzu: er werde auf keine Weise am Hofe des Königs mit ihm kämpfen, wohl aber am gehörigen Orte und zur gehörigen Zeit. Der König entschied nicht, gebot aber Stillschweigen. Am folgenden Tage ritt Salinguerra mit hundert bewaffneten Reitern zum Spotte vor dem Zelte des Markgrafen vorbei in das Lager ein, warf sich zu den Füßen des Königs nieder, erneute jene Anklagen auf Verrath und erbot sich ohne Verzug den Beweis so zu führen, wie ihn der König anordne, selbst mit dem Schwerte. Nochmals leugnete Azzo alle Beschuldigungen, nochmals mied er den Kampf, indem er zu Salinguerra sagte: ich habe viele und edlere Mannen als du bist, sie werden für mich mit dir kämpfen, wenn dich danach gelüstet. Da erhob sich so gewaltiger StreitSavioli II, 2. Urk. 386.  Mauris. 20., daß Marschall Heinrich Kalentin mit den Deutschen herbeieilen, die Ordnung herstellen und jeden zu seinem Zelte weisen mußte. Der König aber gebot: es solle 156 {1209} in seiner Gegenwart nie wieder von diesen Dingen, nie vom Kampfe die Rede seyn.

Noch immer gab Otto die Hoffnung nicht auf, durch seine mächtige Vermittelung mehr zu bewirken, als durch einseitiges Parteinehmen, und in dieser Hinsicht sagte er, als eines Tages der Markgraf zu seiner Rechten und Ezelin zu seiner Linken ritt: »Herr Ezelino, grüßet den Markgrafen.« Sogleich zog jener den Hut und sagte mit geneigtem Haupte: »Herr Markgraf, Gott erhalte euch.« Dieser antwortete zwar mit denselben Worten, jedoch ohne das Haupt zu neigen, oder den Hut abzuziehen. Als der König dies sah und hörte, sprach er wieder: »Herr Markgraf, grüßet Ezelin. Azzo verfuhr wie das erste Mal, Ezelin aber zog den Hut und dankte. Schweigend ritten hierauf alle weiter bis an einen Engweg, wo nur zwei neben einander Platz hatten und der König vorauseilte. Jene beiden blieben also, da keiner, aus Höflichkeit oder Argwohn, voranreiten wollte, neben einander und geriethen in ein lebhaftes Gespräch, welches sehr lange dauerte. Hierüber verwunderte sich der König und befragte nach der Rückkehr ins Lager zuerst Ezelin: »sage mir Ezelin die Wahrheit, was hast du heut mit dem Markgrafen gesprochen?« Dieser antwortete: »Herr wir sprachen von unserer ehemaligen Freundschaft.« – »Redetet ihr, fuhr der König fort, nicht auch von mir?« – »Allerdings, erwiederte Ezelin, wir meinten, daß, sofern ihr wollt, niemand euch auf Erden an Milde, Herablassung und Tugend gleich kömmt, daß ihr aber auch finster, hart und schrecklich seyn könnt, mehr als irgend ein Mensch.« – Der Markgraf, itzt auch von Otto heimlich befragt, antwortete fast mit denselben, wie verabredeten Worten, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß beide sich geeinigt hatten, die Umstände zu benutzen, um vom Könige so viel zu erhalten, als irgend möglich. Wenigstens kam die Versöhnung zwischen Ezelin, dem Markgrafen und Salinguerra förmlich durch den König zu Stande, 157 {1209} und von dem, was er ihnen bewilligte, wird nachher die Rede seynMutin. annal.  Ricciardi vita 123..

Nunmehr wandte sich Otto gen Mailand, welche Stadt ihm, als einem Feinde der Hohenstaufen, sehr zugethan war und schon früher unter Überreichung von GeschenkenDumont I, 138. Urk. 259.  Ghilini und Saxius archiep. II, 636 erheben sehr bedeutende Zweifel, daß diese Krönung 1209 erfolgt sey, und möchten sie nach der Kaiserkrönung auf das Frühjahr 1210 setzen. Doch ists nicht wahrscheinlich, daß Otto 1209 gar nicht sollte nach Mailand gekommen seyn. Siehe Reineri chron., ihre Treue versichert hatte. Weiß gekleidete Knaben und Mädchen zogen, mit Ölzweigen in den Händen, dem Könige entgegen, und nach prachtvollem Empfange krönte ihn der Erzbischof Hubert in der Kirche des heiligen Ambrosius feierlich mit der lombardischen Krone. Dafür bestätigte Otto der Stadt alle Vorrechte, und erließ ihr dankbar die Krönungssteuer, wogegen Bologna, das während dieser unruhigen Zeiten mehre Reichsgüter in Beschlag genommen hatte, sich vor dem königlichen Abgeordneten, dem Patriarchen Volker von Aquileja, nicht allein zur RückgabeSchon am 30sten Mai 1209 entsagten die Bologneser allen Ansprüchen auf Argelata, Medicina und die Grafschaft Imola, welche Orte man zu den mathildischen Gütern rechnete. Savioli zu 1209 u. II. Urk. 382. Ghirard. I, 107, 113.  Bonon. hist. misc. zu 1192.  Sigonius hist. Bonon. 84., sondern auch zur Zahlung einer großen Steuer verstehen mußte. – Minder bereit zeigten sich, bei ähnlichen VerhältnissenOgerii ann. zu 1209., die Pisaner, Genueser und Florentiner; weshalb Otto die Gesandten der beiden ersten Städte in gefänglicher Haft behielt, und der rasch vorschreitende Patriarch den Florentinern, – ohne die Rückkunft ihrer an den König geschickten Eilboten abzuwarten –, eine Strafe von 10,000 Mark auflegte. Hierüber beschwerten sie sich beim Papste, und der Papst schrieb warnend an Otto. 158 {1209} Beider wechselseitiges Verhältniß tritt nun als das wichtigste wieder in den VordergrundInnoc. ep. XII, 78..

Innocenz hatte so eben in S. Germano die bereits mitgetheilten Bestimmungen über die Herstellung der Ordnung im apulischen Reiche erlassenInveges ann. 525.  Cassin. mon. zu 1203.  Reg. imp. 153, 162, 172., als die Nachricht von der Ermordung König Philipps eintraf. Sogleich erklärte jener, ehe noch Ottos dringende Bittschreiben einliefen: er werde ihn auf alle Weise unterstützen und etwanige Ansprüche Friedrichs II auf die deutsche Krone zurückweisen; wogegen er ihn aber auch ermahnen müsse, daß er milde und herablassend sey, jedem die herkömmliche Ehre erweise, harte Worte und Thaten meide, es an Versprechungen nicht fehlen lasse und sie schon aus dem Grunde halte, weil ihm das Bewilligte tausendfache Früchte tragen werde. Er solle ferner auf sich selbst genau Acht haben, alle Lässigkeit ablegentopore deposito und noch mehr als bisher in jeglichem sorgfältig und wachsam seyn. – Gleichzeitig schrieb der Papst mit Nachdruck an die deutschen Fürsten und Prälaten, an die Lombarden und den König Philipp August von FrankreichReg. imper. 165, 170, 180.; er versah die bereits auf dem Rückwege aus Deutschland begriffenen Kardinäle Hugolinus und Leo mit neuen, überall für Otto vortheilhaften Anweisungen, welchen gemäß diese auch wirkten und unterhandelten. Am 22sten März 1209 vollzog Otto, nach erfolgter Einigung eine neue Urkunde, welche im allgemeinen desselben Inhalts warReg. imper. 186, 188, 189.  Raynald. 184.  Lünig Reichsarchiv, Sp. eccl. Cont. I, von Päpsten, Urk. 7., wie die bereits im Jahre 1200 von ihm ausgestellte; jedoch verdient ein Zusatz Erwähnung, wonach der König freie Wahlen und Berufungen nach Rom gestattet, den Erbschaften der Prälaten und der einstweiligen Besitznahme erledigter 159 {1209} Pfründen entsagt und Beistand gegen die Ketzer verspricht. – Der Papst war äußerst froh über den endlich glücklichen Ausgang dieser wichtigen Angelegenheit, und Otto schrieb ihm: »ihr sollt aufs gewisseste wissen, daß wir eurer Väterlichkeit unermeßlichen Dank sagen, jeden guten Erfolg nächst Gott euch zuschreiben und mit der römischen Kirche (die uns nie ihre Gunst und Hülfe entzog) alle Ehre immerdar ungetheilt haben wollenGloriam habere pro indiviso.  Reg. imp. 187.

Von Bologna zog Otto nicht ohne Beschwerden über den ApenninTonduzzi 238. Die Pisaner versprachen 40 Galeeren, wogegen Otto ihnen S. Bonifazio in Korsika zusprach, und die Genueser ächten wollte, wenn sie es nicht herausgäben. Ristr. cronol. IV, 13., erhielt in Pisa gegen mancherlei Bewilligungen, die auf weitere Plane hindeutende Zusage der Stellung einer Hülfsflotte, und traf mit dem Papste in Viterbo zusammen. In größter Eintracht erreichten beide Rom, wo Otto, nachdem er eidlich seine früheren Versprechungen wiederholt hatte, am 27sten September 1209 vom Papste in der Peterskirche zum Kaiser gekrönt wurdeDer 27ste September ist der richtige Tag. Chr. fossae novae 889.  Otto S. Blas. 52.  Godofr. mon. hat irrig den Sonntag nach Michael, welcher auch nicht auf den 5ten, sondern auf den 4ten Oktober fallen würde. Arnold. Lub. VII, 21, spricht vom 3ten Tage nach Michael und zugleich vom Sonntage de pacem, welcher auf den 20sten September fiel. Am 11ten Oktober (reg. imp. 194, 155) ist schon davon die Rede, daß Otto und Innocenz sich sehr lange nicht gesehen haben, welches die Krönung ebenfalls nicht in den Oktober setzen läßt.. Dem hierauf folgenden Feste wohnte Innocenz gern bei, aber leider ward es bald auf arge Weise gestört. Das Volk nämlich, welches sich während der Feierlichkeiten, aus Neugier und um des ausgestreuten Geldes willen, ruhig gehalten hatte, fand die fremde Einlagerung lästig, und hatte auch wohl einzelne Unbilden von den Deutschen erfahren; ferner wollten manche Kardinäle und Senatoren gar nicht, daß 160 1209. Otto als Kaiser gekrönt werdeBritos (Phil. 223) Nachricht, daß Otto den Geistlichen am Krönungstage die Grundstücke genommen habe, und die Urkunde bei Lünig (Reichsarchiv Th. XX, p. 12, Urk. 14) halten wir für unächt.: und aus diesen und vielleicht noch andern Gründen, kam es zu Streitigkeiten, und von Streitigkeiten zu blutigen Gefechten, in welchen beide Theile bedeutenden Verlust erlittenRob. de monte 1209.  Rigord. 51.  Cassin. mon.  Mauris. 21.  Dandol. 337.  Chron. fossae novae 890.. Der Papst ersuchte hierauf den Kaiser: er möge sein Heer lieber sogleich aus dem römischen Gebiete hinwegführen; was diesem ohne Schadenersatz unvortheilhaft, und auf jede Weise unrühmlich erschien. Erst als der Mangel an Lebensmitteln drückend wurde, mußte Otto einwilligen; aber es konnte dem Papste nicht angenehm seyn, daß er den größten Theil des Winters hindurch im Kirchenstaate, der Mark Ankona und in Toskana blieb, und daß sein Heer, wo es sich auch befand und wie es auch vertheilt wurde, überall Kosten und Beschwerden verursachte.

Seit zehn Jahren hatte niemand dem Papste die Oberherrschaft über das Land von Radikofani bis Ceperano streitig gemacht, auch schien die Natur selbst diese Gränzen vorzuschreiben. Denn die Engpässe von Ceperano nebst den auf beiden Seiten sich streckenden Bergreihen, scheiden den Kirchenstaat vom Neapolitanischen; und auf der höchsten, eine unbeschränkte Aussicht darbietenden Spitze des Gebirges, welches Toskana vom römischen Gebiete trennt, erhebt sich Radikofani auf einem furchtbar wilden, uralte Zerstörungen der Natur bekundenden SteinfeldeRadikofani wurde schon durch Hadrian IV. befestigt. Lamius del. II, 216.  Guil. Tyr. 676.. – Auch die Mark Ankona trug Azzo von Este bereits dankbar vom Papste zu LehnSeit 1208 Patav. chron. 1126.  Murat. antiq. Est. I, 391.  Pad. reg. catal.  Reg. imp. 186.  Nach Savioli zu 1211 hätte Innocenz den Azzo erst nach Ausbruch des Streites mit Otto belehnt. Das Wesentlichste bleibt: daß Ottos Belehnung seinem Eide widersprach. – Azzo kam nicht in den Besitz aller Städte; so widerstand z. B. Camerino. S. Lilio 231, der auch mehres über Ottos Züge erzählt.; so daß es diesen überraschen mußte, 161 {1210} als Otto im Januar 1210 seinerseits den Markgrafen belehnte mit Ankona, Askoli, Firmo, Camerino, Osimo, Sinigaglia, Fano, Pesaro, Fossombrone, und mit allen Einnahmen und Rechten des Reichs, so wie sie früher dem Markgrafen Markuald zustanden. Des Papstes ward hiebei gar nicht erwähnt; es schien, als betrachtete der Kaiser dessen Schritte und Maaßregeln schlechthin als nichtig und ungeschehen. Doch hätte Innocenz, da der ihm insgeheim günstig gesinnte Azzo die Lehne behielt, sich hierüber mit dem Kaiser wohl verständigt: aber dieser traf zu gleicher Zeit keine Anstalt zur Rückgabe der mathildischen Güter, verfuhr feindlich gegen manche Orte des KirchenstaatsFeindlich gegen Viterbo. Nicolo de Tuccia 275., mißbilligte die neuen Einrichtungen wodurch Toskana auch in weltlicher Hinsicht vom Papste abhängig geworden warGesta Innoc. 80.  Murat. ann., belieh Salinguerra mit Argelata und Medicina, Diephold mit dem Herzogthume Spoleto, und verhehlte es nicht mehr, daß er aus eigener Macht das apulische Reich angreifen werde.

{1208 und 1209} Die Beschlüsse von S. Germano hatten hier nämlich auf keine Weise vollkommene Ruhe und Ordnung begründet1208 z. B. verjagten die Bürger von Neapel und Kapua den Grafen v. Celano, und der Graf v. Aquila erhielt den Oberbefehl: aber bald wechselte es wieder.  Notamenti 2.  Chron. ex libr. Pantal. 33.  Monach. Cass.  Chron cassin.; vielmehr beriefen Diephold und der Graf Peter von Celano den Kaiser zur Unterstützung ihrer Partei und zu der, vorgeblich sehr leichten Eroberung des Landes. Innocenz hingegen ließ dem Kaiser mehre Male sowohl mündlich als schriftlich vorstellen: »wie er gegen seinen Eid handele und alles dasjenige einseitig umstoße, was seit mehr 162 {1209} als zehn Jahren allen Unterhandlungen zum Grunde gelegen habe und wovon man einstimmig ausgegangen seyGervas. Tilber. 944.  Reineri chron..« Nicht minder ermahnten ihn andere kluge Männer: er möge um des einzelnen willen nicht mit dem Papste streiten, welchem er das Ganze verdanke; er möge ihn nicht verfolgen, da er nur durch ihn seine eigenen Verfolger besiegt habe; er vergebe sich endlich nichts, wenn er dem obersten Richter auf Erden gebe was ihm gebühre. – Ottos Ansicht und Stellung war aber so durchaus verändert, daß alle diese Gründe keinen Eindruck auf ihn machten. Hülfsbedürftig hatte er früher in Deutschland Rechten und Ländern entsagt, deren Umfang und Bedeutung er jetzo erst kennen lernte und zu deren Erhaltung ihn alle Obrigkeiten und alle Freunde der Kaiser aufforderten. Wider deren Willen ließen sich ja manche Forderungen des Papstes, z. B. in Hinsicht der mathildischen Güter, gar nicht erfüllen; und so von zwei entgegengesetzten Seiten gleichmäßig in Anspruch genommen, blieb ihm seiner Überzeugung nach keine Wahl: ob er den Weg des Papstes, oder des Kaisers gehen wolle. Dem unausbleiblichen Vorwurfe der Eidbrüchigkeit widersprechend, behauptete Otto: er habe nicht minder geschworen die Würde des Reichs zu erhalten, und alle zerstreuten und verlornen Rechte desselben nach seinen Kräften wieder zu gewinnenMurat. Antiq. Est. I, 392.  Math. Paris zu 1210.  Bullae Pontif. ap. Hahn 25.. Hierauf schrieb ihm der Papst: »die Kirche hat dich erhoben! Vergiß, der geistlichen Macht widerstrebend, des Dankes, vergiß Nebukadnezars nicht, der seiner weltlichen Macht übermüthig vertraute, dafür aber aus einem Menschen in einen Ochsen verwandelt ward und Heu fraß wie ein Thier. Auch in unsern Tagen kam deshalb Friedrich I um, ehe er Jerusalem sah, und seine Söhne sind furchtbar schnell zu Grunde gegangen. Warum willst du dich nicht mit dem begnügen, was so vielen deiner Vorfahren genügte? 163 {1209} Beharrest du länger im Bösen, so dürften die kirchlichen Strafen keineswegs ausbleiben. Hüte dich also, daß Gott dich nicht zerstöre, zernichte und deine Wurzel aus dem Lande der Lebendigen ausreiße!« – Auf dieses, in biblischen Bildern und Beispielen sich noch weit ausspinnende Schreiben antwortete OttoCod. epist. Vatic. N. 4957. 1, 2.  Litterae princ. ap. Hahn X.  Erfurt. chr. S. Petr. zu 1209.  Ursperg. 326.  Gebauer Leben Richards 611.: ich bin mit Recht verwundert und bewegt, daß eure apostolische Milde sich zu einem unverdienten Tadel meines Lebens in vielen Worten abgemüht hat. Auf diese Weitläufigkeiten antworte ich, so wie ich es allein vermag, ganz kurz und sage: ich habe nichts gethan, wofür ich den Bann verdiente: denn das Geistliche das euch gebührt, beeinträchtige ich nie; sondern will vielmehr, daß es unverkürzt bleibe, ja durch kaiserliches Ansehn noch wachse. In weltlichen Dingen dagegen habe ich, wie ihr wißt, volle Gewalt, und es kommt euch nicht zu darüber zu urtheilen. Wer das Abendmahl austheilt, hegt kein Blutgericht, und alles Weltliche werde ich im ganzen Reiche entscheiden.«

{1210} Gleichzeitig mit diesem Absagebrief rückte Otto (welcher während des Winters noch mancherlei im mittlern und selbst im obern Italien angeordnet hatte) über Rieti in Abruzzo ein, um Apulien, als einen Theil des römischen Reiches, dem Feinde seines Hauses abzunehmenRiccardi vita 123.  Suess, chron.  Sicardi chr. 623.  Salimbeni 218.. Binnen kurzer Frist kam alles Land bis Neapel, ja selbst diese Stadt, in den Besitz des Kaisers und nur Aquino widerstand. In Kapua hielten die Deutschen ihr Winterlager, mit dem Frühjahre neuen Fortschritten entgegensehend.

So erfuhr Innocenz, was sich in allen Zeiten wiederholentlich bewährt hat: daß keine frühere Stellung und Gesinnung, im Widerspruche mit einem neu eintretenden 164 {1210} großen Berufe, ihren Einfluß und ihre Herrschaft behaupten kann, und der Einzelne, je tüchtiger er ist, um so mehr diesen allgemeinern, tiefern Verhältnissen und Beziehungen nachgeben wird. Darum wurde später Innocenz IV wie Friedrich II richtig weissagte, aus einem kaiserlich gesinnten Kardinal, ein päpstlich gesinnter Papst; darum irrte Innocenz III, wenn er hoffte: der zum Kaiser erhobene Welfe werde ein Feind des Kaisers bleiben. Nicht die persönlichen Gesinnungen dieses oder jenes Geschlechtes konnten Bewegungen erzeugen oder beenden, welche damals aus der Lage der gesammten Christenheit hervorgingen. Otto verlangte jetzo nur: daß dem Kaiser werde was ihm gebühre; darin aber erscheint seine Lage widerwärtiger, als die seiner großen hohenstaufischen Vorgänger, daß er in der Noth, um Kaiser zu werden, dem Kaiser feierlich und eidlich vergeben hatte was des Kaisers war.

Obgleich einer solchen Schuld und Zurechnung nicht theilhaftig, sah sich Innocenz dennoch in großer Verlegenheit. »Wo ist«, schrieb er klagend dem Könige von Frankreich, »wo ist noch Wahrheit, wo Treue, wo Sitte, wo Gesetz, wo Ehrfurcht, wo Frömmigkeit, wo Vertrauen, Wohlwollen, Liebe, wo endlich Recht der Natur?«Notices II, 283. – So viele Jahre hatte er seine Hoffnung nur auf Otto gestellt, nur ihn erhoben. Sollte er nun auf einmal, – scheinbar die Gesinnung wechselnd –, gegen denselben auftreten? Freilich lag hiezu in dem gänzlichen Bruche aller Versprechungen, der gänzlichen Vereitelung alles Bezweckten, ein mehr als hinreichender Grund: aber itzt war ganz Deutschland und der größte Theil von Italien dem Kaiser gehorsam, Apuliens Unterwerfung stand bevor, und die mächtigen Saracenen hatten ihn schon nach Sicilien eingeladen. Auch konnte ja zuletzt kein anderer dem mächtigen Otto entgegengestellt werden, als der Hohenstaufe Friedrich; welcher nicht einmal sein mütterliches Erbtheil zu schützen im 165 {1210} Stande war, und als sechszehnjähriger Jüngling dem reifen Manne gegenüber, einerseits ganz unbedeutend, ja noch kindisch erschienDecet te actus deserere pueriles.  Innoc. ep. XIII, 83., und andererseits schon bei einzelnen Gelegenheiten gezeigt hatte, daß er in Bezug auf die Gränzen der geistlichen Macht alle Ansichten seiner Vorfahren theileFriedrich verfuhr z. B. eigenmächtig bei Besetzung des Erzbisthums von Palermo, ohne Rücksicht auf die Entsagungen seiner Mutter.  Innoc. ep. XI, 208.. – Dennoch konnten diese und ähnliche Bedenken den Papst keinen Augenblick lang zweifelhaft machen, ob er das thun solle, was ihm sein Beruf aufzulegen schienDas heißt, nach damaligen Ansichten.  Innoc. ep. XIII, 177, 193, 210.  Vitae Pontif. 480.  Auct. inc. ap. Urst.  Rigord. zu 1210.  Carmen de Ottonis destit.: er sprach im November des Jahres 1210 den Bann über den Kaiser, und lösete bald nachher dessen Unterthanen von ihrem geleisteten Eide.

Otto hingegen verbot alle Verbindungen mit Rom und ließ die dahin Pilgernden gefangen setzen und strafen; {1211} dann rückte er mit dem ersten Frühjahre wiederum ins Feld, und eroberte allmählich fast das ganze Land bis Otranto und TarentMemor. Reg. 1079.  Oger zu 1211.  Chron. Atin. Innoc.ep. XIV, 101.  Pisan. chron. 191.  Godofr. mon.  Rich. S. Germ.  Brito Phil. 199.  Chron. fossae novae 892.  Nerit. chron.; vierzig pisanische Galeeren harrten schon bei Procida, um das Heer nach Sicilien überzuführen. Seiner Macht und seinem Glücke vertrauend, wies der Kaiser alle Friedensvorschläge zurück, welche mit dem Plane ganz Italien zu beherrschen, im Widerspruch standen. Bald aber sollte er erfahren, daß die alte Freundschaft des mächtigen Papstes von ihm zu gering geschätzt, und die Treue seiner neuen Freunde zu hoch angeschlagen sey!

Wenigen war in Deutschland die jetzige Lage der Dinge wahrhaft willkommen, und viele meinten: so wie ein überraschender Zufall dem Kaiser seinen Thron gebaut habe, 166 {1211} könne auch wohl ein Zufall und noch weit eher ein fester Wille ihn stürzen. Man sehnte sich nach Philipps Freigebigkeit und Milde, und schalt Otto unhöflich, stolz, hart und undankbarConrad a Fabaria 81.  Bosov. ann. zu 1198.  Vitus Ebersp. 714.  Walter von der Vogelweide, bei Manesse I, 130.. Er nenne, wie es sich am königlichen Hofe nicht gezieme, die Erzbischöfe schlechtweg Geistliche, die Äbte Mönche, die edelsten Frauen Weiber, und behandle alle, ohne Unterschied des Ranges und Standes, auf gleiche WeisePrincipes rebus et verbis dehonestavit.  Ursp. 326 und Erf. chron. S. Petr. zu 1211.. Ein Erzbischof, das habe er gottlos geäußert, dürfe nur zwölf Pferde, ein Bischof nur sechs, ein Abt nur drei besitzen, und man müsse ihnen nehmen was darüber sey. Er gehe damit um, eigenmächtig von jedem Pfluge jährlich einen Gulden zu erheben und eine unanständige Steuer von Huren und Hurenhäusern einzuführenHistor. Landgr. Thur. Eccard. 404-405.. – Hierauf entgegneten einige: nur auf Thaten, nicht auf Worte und etwanige Plane könne eine Anklage gegründet werden, und des Kaisers Strenge (die man im allgemeinen zugestehn wolle) gereiche nicht allein den niedern Ständen zu großem Vortheil, sondern sey bei so aufgelöseten Verhältnissen selbst für das Ganze nothwendig und heilsam. Das Ganze, bemerkten itzt andere bitter, habe Otto bei seinen Unterhandlungen mit dem Papste keineswegs im Auge behalten und, um seiner Erhebung willen, überall des Reiches Ehre und Rechte gekränkt. Auch wurde die Freude über die Nachricht von der neuen tüchtigen Vertretung des Kaiserthumes dadurch überwogen, daß die Geistlichen Ottos Wortbrüchigkeit hervorhoben und den Laien, – nach solchem Wechsel der Grundsätze –, dessen Auftreten gegen die Hohenstaufen noch mehr als vorher, bloß persönlich und eigennützig erschien. Bei diesen Gesinnungen und Ansichten mußte die Verkündung des 167 {1211} päpstlichen Bannspruchs neue Umwälzungen in Deutschland herbeiführen.

Vor allen thätig zeigten sich unter den Geistlichen die zu Bevollmächtigten des Papstes ernannten Erzbischöfe Siegfried von Mainz und Albert von Magdeburg, und unter den Weltlichen Landgraf Hermann von Thüringen und König Ottokar von BöhmenChron. mont. ser. und Godofr. mon. zu 1211.  Herm. Altah. Innoc. ep. XI, 184.. Doch konnten sie auf den Versammlungen in Bamberg und Nürnberg keineswegs schon alle Stimmen für ihre Plane gewinnen; wohl aber kam es sogleich zu harten Fehden, worin Ottos Anhänger (von unzufriedenen Lehnsleuten des Landgrafen unterstützt) Thüringen verwüsteten, und Pfalzgraf Heinrich den größten Theil des Erzstiftes Mainz siegreich durchzog. Zu gleicher Zeit wurde Theodor von Köln, welcher den Bann nicht über Otto aussprechen wollte, abgesetzt und Adolf trat, mit des Papstes Genehmigung, wieder als Erzbischof aufChron. magn. Belg. 238.  Innoc. ep. XIII, 177.  Alberic.. zu 1211.. Zäringen, Baiern und Trier waren zweifelhafter Gesinnung; wogegen der König von Frankreich sich, römischen Aufforderungen folgend, gern und laut als Feind des Kaisers zeigte. – Diejenigen, welche meinten, Ottos Bannung erwecke die alten Ansprüche Friedrichs wieder, einigten sich itzo mit denen welche glaubten, kein päpstlicher Spruch habe ihn dieser Anrechte berauben können; und sie beschlossen gemeinsam, zwei treue hohenstaufische Lehnsmänner, Heinrich von Neuffen und Anselm von Justingen, an den jungen König nach Palermo zu schicken, um ihn zum eiligen Aufbruche nach Deutschland zu vermögen.

Als Otto diese übelen Nachrichten aus Deutschland erhielt und gleichzeitig vernahm, daß auch Italien durch des Papstes folgerechte Wirksamkeit unruhig werde; so versammelte er alle Barone Apuliens, ermahnte die 168 {1211} Wankelmüthigen zur treuen Ausdauer und trat, – ungern seine Siegeslaufbahn unterbrechend –, anfangs Novembers 1211 den Rückzug an. Im Kirchenstaate verfuhr er keineswegs freundschaftlich, und hielt in Montefiaskone ein fruchtloses Gespräch mit päpstlichen Abgeordneten; Bologna bat den Kardinalbischof Gerhard von Albano, aus mehren Gründen, nicht in die Stadt zu kommen, nahm aber den Kaiser feierlich und festlich aufSicard. 623.  Ghirard. I, 115.  Savioli II, 2. Urk. 394, 395.  Savioli zu 1212 zweifelt, wie es scheint, aus ungenügenden Gründen, daß Otto diesmal in Bologna war. – Sarti I, 2, appen. pag. 67.; und nicht minder theilnehmend ward er in Parma, Mailand und Lodi empfangen. – Auf dem im Januar 1212 zu Lodi gehaltenen Reichstage erschienen Petrus, der Präfekt von Rom, Graf Thomas von Savoyen, die Markgrafen Wilhelm von Montferrat und Wilhelm Malaspina, Hildebrand Graf von Tuscien, Ezelin und Salinguerra; während Cremona, Pavia, Verona und der Markgraf Azzo von Este ausbliebenPipin II, 15.  Savioli II, 2, Urk. 402.  Siena 95.  Murat. antiq. Est. I, 393.  Mauris. 21., dem Papste anhangend, oder um alten Hasses, oder um künftiger Vortheile willen. Deshalb ächtete sie Otto und begünstigte auf alle Weise den Markgrafen Bonifaz, welcher schon früher mit seinem Neffen Azzo wegen Erbansprüche zerfallen war; er ernannte Ezelin mit großen Vorrechten zum Podesta von Vicenza, und sorgte für Abstellung aller Beschwerden, zu welchen die von ihm eingesetzten Beamten Veranlassung gegeben hattenBurchelati 577.  Zanetti IV, 475..

Schneller als seine Gegner es erwarteten, erreichte der Kaiser Deutschland, vertrug sich nochmals mit dem Herzoge Ludwig von Baiern, dem Markgrafen Dietrich von Meißen und dem Markgrafen Albert II von Brandenburg, und 169 {1212} hielt am 20sten März einen Reichstag in FrankfurtLünig Reichsarchiv. Cont. II, Abth. 4. Abschnitt von Baiern, Urk. 77.  Leisn. dipl. N, 24.  Leipziger Briefe 2.  Orig. guelf. III, 809, 810, 812.  In Baiern war Theurung und Pest. Gemeiners Chron. 300., welchem, außer den Genannten, auch der Herzog von Brabant und Pfalzgraf Heinrich beiwohnten. Noch wichtiger war eine zweite, zu Pfingsten am 20sten Mai in Nürnberg gehaltene zahlreiche Versammlung, wo Otto sein und Deutschlands Recht gegen den Papst, und die Nothwendigkeit einer aufrichtigen Einigung für die unabhängige Behauptung desselben zu beweisen suchteGodofr. mon.. Der König Ottokar ward hier mit Zustimmung der Fürsten und vieler böhmischen Großen, als abtrünnig, des Thrones entsetzt und ein Heereszug gegen Thüringen beschlossen. Auf diesem Zuge zerstörte der Kaiser mehre Burgen und die Stadt Weißensee, schlug dann den Erzbischof von Magdeburg und verfuhr so hart in dem Lande, daß man sagte: »ein Kaiser Otto und ein Erzbischof Albert hätten das Erzbisthum gestiftet, und ein Kaiser Otto und ein Erzbischof Albert hätten es zerstört«Chron. mont. ser..

In dem Maaße nun, als diese Fortschritte den Muth Ottos erhöhten, wurden die Freunde Friedrichs über dessen langes Zögern ängstlich, und manche mochten zweifeln, ob sie ihren Pflichten gegen Deutschland und die Hohenstaufen nicht besser nachkämen, wenn sie sich für Otto und Beatrix erklärten, als wenn sie dem vom stolzen Papste begünstigten Könige eines fernen Landes, durch neue Fehden die deutsche Krone verschaffen hülfen. Um auch diese Bedenklichen und Abgeneigten für sich zu gewinnen und den Gedanken an alte, tadelnswerthe Familienfeindschaft ganz zu vertilgen, hielt Otto am siebenten August 1212 in Nordhausen sein feierliches Beilager mit Beatrix: aber schon vier Tage nach der Hochzeit starb die NeuvermählteGodofr. mon.  Nocte sana, mane mortua.  Reineri chron., ungewiß aus 170 {1212} welchen Ursachen, zweifelsohne zu Ottos Unglück. Denn das Volk sah darin einen strafenden Fingerzeig des Himmels, die Baiern und Schwaben verließen des Nachts heimlich das kaiserliche HeerNeuburg. chron., und alle Lehnsmannen der Hohenstaufen richteten aufs neue ihre Blicke nach Sicilien.

In welcher lehrreichen Schule des Unglücks, von wie mannigfachen Gefahren umringt, Friedrichs Jugendjahre verflossen, ist bereits erzählt worden. Auch nachdem Papst Innocenz seine Vormundschaft niedergelegt hatte, war der König noch immer mehr beherrscht, als Selbstherrscher, und es schien als bedürfe er eines festen Anhaltes, dem er in Liebe vertrauen, vielleicht auch folgen möge. Deshalb, und nicht minder um kriegerischen Beistand gegen die Aufrührer zu bekommen, hatte Innocenz schon früher mit dem, ihm sehr befreundeten, Könige Peter II von Aragonien unterhandelt, daß er seine Schwester Konstanze, die Wittwe König Emerichs von Ungern, an Friedrich vermähleKonstanzens Sohn, Ladislas, starb den siebenten Mai 1205. Engels Gesch. von Ungern I, 285, Ferreras III, 582; IV, 79.. Sobald einige Schwierigkeiten beseitigt, Heirathsgut und Morgengabe bestimmt waren, segelte Konstanze, in Begleitung ihres Bruders Alfons von Provence und vieler Ritter und Edelen aus Aragonien, Katalonien und der Provence nach Palermo, wo im Februar des Jahres 1209 die Hochzeit unter den größten Festlichkeiten vollzogen wardGiannone XV, 2.  Daniele 70.  Rich. S. Germ. 983.  Innoc. ep. V, 50, 51; XI, 4, 5, 134; XIII, 84.  Guil. Tyr. 676.  App. ad. Malat. Cassin. mon.  Inveges ann. 524.. Aber diese Freude wurde schnell und schrecklich gestört: denn an einer bösartigen ansteckenden Krankheit starben Alfons und so viele Ritter, daß die Neuvermählten in tiefer Trauer aus Palermo flüchten und gesundere Gegenden aufsuchen mußten. – Von noch größern Leiden war im nächsten 171 {1210} Jahre, durch Kaiser Ottos feindlichen Angriff, die Geburt ihres ersten Sohnes Heinrich umringtInveg. ann. 531.; und als nun die deutschen Botschafter mit den Anträgen der Fürsten anlangten, sahen manche darin eher eine neue Gefahr, als eine Rückkehr des Glücks. Heinrich von Neuffen war in Verona zurückgeblieben, um unter den Lombarden für Friedrich zu wirken; Anselm von Justingen dagegen kam über Rom glücklich nach Palermo und legte dem Könige ein Schreiben vor, welches also lauteteCleß Gesch. von Wirtemb. II, 133.  Pfister II, 185, nach handschriftlichen Quellen.  Ursp. 327.: »die versammelten Fürsten des deutschen Reiches entbieten dem erlauchten Herrn, dem Könige von Sicilien und Herzoge von Schwaben, Friedrich, ihren Gruß. Wir, die Fürsten des deutschen Reiches, denen von alten Zeiten her das Recht und die Macht gegeben ist, ihren König und Herren zu erwählen und solchen auf den alten Thron der römischen Kaiser zu setzen, sind in Nürnberg zusammengekommen, um über das gemeine Beste zu rathschlagen und uns einen neuen König zu erwählen. Wir richten nun unsere Augen auf dich, als den, der solcher Ehre am allerwürdigsten erscheint, der zwar ein Jüngling ist an Jahren, aber ein Greis an Einsicht und Erfahrung, den die Natur mit allen edeln Gaben mehr als irgend einen Menschen ausgestattet hat, den edelsten Sprossen jener erhabenen Kaiser, die weder ihre Schätze, noch ihr Leben geschont haben, das Reich zu mehren und alle ihre Unterthanen zu beglücken. – In Betracht alles dieses, bitten wir dich nun, daß du dich aus deinem Erbreich erheben und zu uns nach Deutschland kommen wollest, um die Krone dieses Reiches gegen den Feind deines Hauses zu behaupten.«

So war der Antrag, und welchen Beschluß Friedrich auch fassen mochte, er mußte für sein ganzes Leben entscheidend werden! Bei der darüber angestellten Berathung 172 {1211} erklärten sich die meisten sicilischen Räthe bestimmt gegen des Königs Abreise nach Deutschland und sprachenBurchardi vita Frid. I, 137.  Ursperg. chron.  Giannone XV, 3.: »wir behaupten nicht allein, daß der weit aussehende Plan mißlingen werde, sondern auch, daß dessen Gelingen nur Unglück herbeiführen könne. Er wird nicht gelingen: denn während es uns an Macht fehlt, den heimathlichen Boden gegen innere und äußere Feinde zu schützen, während das Reich noch nicht einmal begründet, viel weniger von den Wunden eines langen Bürgerkrieges geheilt ist, soll der König (dessen persönliche Anwesenheit und Einwirkung allein die Parteien beschwichtigen und zähmen kann), seines ersten und nächsten Berufes uneingedenk, zu einem unsichern Wagstück in entfernte, ihm keineswegs befreundete Länder eilen. Ganz Italien steht für Otto, und unser König würde ohne alle Kriegsmacht unköniglich gegen seine Feinde auftreten, ja wohl gar sich unschicklich hindurchstehlen müssen. Wäre aber dies auch möglich und löblich, so warten seiner in Deutschland neue, große und unausweichbare Fehden. Einem Kaiser, dessen Mannhaftigkeit und Kriegsmuth von allen laut gepriesen wird, soll sich ein unerfahrner Jüngling gegenüberstellen und denjenigen Fürsten als zuverlässigen Stützen vertrauen, über deren Wankelmuth Otto wie Philipp wiederholt zu klagen hatten. Unter uns zweifelt niemand, daß ein Bürgerkrieg das größte aller Übel sey: aber das kaum beruhigte Deutschland, meint man, sehne sich nach einer Wiederholung seiner unzähligen Leiden! Des Papstes Freundschaft, wir haben es erlebt, ist von großer Wichtigkeit: aber sie wird nicht länger dauern, als bis zum Gelingen seiner Plane, und dann bricht nothwendig das von uns geweissagte Unglück herein. Könnte auch ein Kaiser vielleicht dauernd mit dem römischen Hofe in Frieden leben; ein Kaiser der zugleich König von Apulien und Sicilien ist, kann es nimmermehr. Diese Würden 173 {1211} müssen der päpstlichen Ansicht ewig unvereinbar erscheinen; sie sind unvereinbar von Natur. Dies hat schon Heinrich VI erfahren, und nicht in den augenblicklichen Verhältnissen, nicht in seiner Persönlichkeit allein, sondern viel tiefer und unvergänglicher liegen die unlösbaren Schwierigkeiten der Rolle, die ihm ein angebliches Glück auflegte. Es wäre thöricht, sich darüber noch einmal zu täuschen, als könnte der Deutsche in Neapel, oder der Neapolitaner in Deutschland einheimisch werden; als ließen sich so entgegengesetzte Völker zu einer freundlichen Wirksamkeit und Gestaltung verschmelzen. Die Deutschen, welche wir mit Recht hassen, gehören nicht hieher, und wir verlangen unsern König für uns. Hier soll er bleiben, hier soll er herrschen, und nicht das schönste Königreich als bloßes Anhängsel einer größern ungestalten Masse betrachten, oder den erfreulichsten Wirkungskreis auf Erden mit anmaaßlichem Ehrgeize zu klein finden. Was die wahre Ehre, was die nächste Pflicht, was die gegebenen Kräfte und Mittel vorschreiben, liegt klar vor Augen; und wer diese tollkühn überschätzt und jene umdeutelt, wird weder seine Macht, noch seinen Ruhm mehren, sondern haltungslos die Thätigkeit zersplittern und, weder sich noch andern genügend, zu Grunde gehen!«

Nach dieser ernsten Darstellung seiner Räthe, trat auch Friedrichs Gemahlinn hervor, erinnerte an die ihn bedrohenden Kriegsgefahren, an Philipps meuchlerische Ermordung und bat, daß er sie und ihr neugebornes Kind in so unsicherer Lage nicht allein zurücklasse! Hierauf gab Anselm von Justingen, oder vielmehr Friedrich selbst zur Antwort:

»Weit entfernt die Gefahren zu verkennen, welche das apulische Reich bedrohen, glauben wir vielmehr, daß sie mit einheimischen Kräften und Mitteln nicht zu beseitigen sind. Denn wer Kaiser und Herr von Italien und Deutschland bleibt, wird auch Herr von Apulien; darum wollen wir nach Deutschland eilen, und mit andern und weit 174 {1211} größern Kräften Otto in der Wurzel seiner Macht angreifen. Uns treibt kein anmaaßlich unruhiges Streben nach einer unbestimmten größern Wirksamkeit; vielmehr ist nur davon die Rede, daß uns, bei schwächlichem Abwarten unausbleiblicher Ereignisse, nicht jeder Wirkungskreis von unsern Feinden entrissen werde. Deren Macht ist jedoch, – sofern wir thun was uns gebührt –, nicht so groß, als man glaubt: denn halb Italien erwartet nur ein Zeichen, um von dem Kaiser abzufallen; in Deutschland sind unsere Getreuen bereits kühner für die Herstellung unserer Größe aufgetreten, als wir selbst, und dem angeblichen Wankelmuthe der deutschen Fürsten (welcher nur durch Umstände und Zufälle erzwungen war) würde, bei des Papstes günstiger Aufforderung, jetzt sogar aller Vorwand fehlen. Noch weniger ist zu besorgen, daß Innocenz nach einer zwölfjährigen, in diesem Augenblicke sogar erhöhten Freundschaft, seine Gesinnung ändere, und auf jeden Fall stellt sich durch die Erwerbung Deutschlands und der Kaiserkrone unser Verhältniß zu ihm günstiger, als bisher: weil wir entweder mit freiwilliger, verständiger Nachgiebigkeit sein Wohlwollen dauernd erhalten, oder etwa übertriebenen Ansprüchen, bei verdoppelter Macht, nachdrücklicher begegnen können. Überhaupt wird ein König von Apulien, der zugleich Kaiser ist, die Rechte jenes Reichs in Rom nicht schlechter, sondern besser wahrzunehmen im Stande seyn. – Die Schwierigkeiten einer Verbindung beider Reiche habt ihr unter der falschen Voraussetzung übertrieben, daß eines nothwendig in die Knechtschaft des andern gerathe, oder vom Herrscher vernachlässigt werde. Freilich, wenn dessen immerwährende persönliche Anwesenheit unerläßlich wäre, so müßten wir auch sogleich Apulien von Sicilien trennen; wir müßten jede größere Herrschaft zerbröckeln und in dem herrlichsten aller irdischen Reiche, in dem römisch-deutschen, ein widernatürliches Ungeheuer, und in der Thätigkeit aller großen Kaiser nur ein widersinniges Bestreben erblicken. So wie der Geistliche, wie der Ritter, wie der Bürger sein Recht 175 {1211} hat, so haben auch die einzelnen Landschaften und Reiche, welche des Kaisers höchster Obhut anvertraut sind, ihr Recht und ihre Natur; und die Neapolitaner, welche ihr Land mit Grunde das schönste nennen, dürfen am wenigsten fürchten, ein König werde diese Vorzüge übersehen und an deren Stelle willkürlich und unverständig anderes und schlechteres setzen. – Mit der Handhabung von Recht und Gerechtigkeit schwinden die vorübergehenden Gründe des Hasses gegen die Deutschen; und wenn diese den König der Apulier und Sicilier auch zu ihrem König erheben wollen, so gereicht dies den letzten vielmehr zur Ehre, als zum Nachtheil. Ferner erscheint zwar unsre Jugend in mancher Beziehung als ein Hinderniß: doch sind uns viele Erfahrungen früh entgegengekommen; und wenn die Weisheit sich eher zu dem bedächtigen Alter findet, so gesellt sich das Glück lieber zu der kühnen Jugend. Diese Kühnheit würden wir jedoch schon selbst regeln, wenn sie uns zu einem eiteln, rechtswidrigen Wagnisse fortreißen wollte; wogegen wir keine Gefahr scheuen dürfen, wenn die Erhaltung angestammten Eigenthums und unleugbaren Rechtes, wenn unsere und unserer Vorfahren Ehre auf dem Spiele steht, und Völker wie Fürsten, das Reich wie die Kirche, uns laut zur Übernahme des größten Berufes auffordern. Alles auf Erden verliert seine Bedeutung gegen die Hoheit, den Glanz, die Herrlichkeit des Kaiserthums; und diesem Kaiserthume, – um dessen willen sich manche sogar Frevel verziehen, welches aber zu erwerben und zu behaupten für uns die höchste Pflicht und Tugend ist –, sollten wir kleinmüthig entsagen, oder es mit lügenhafter Ziererei verschmähen? Wer in solcher Lage sein Pfund vergräbt, feige hinter dem zurückbleibt, was das Schicksal ihm darbietet, und ängstlich klügelnden Berechnungen mehr vertraut als seinem Rechte und dem Beistande Gottes: der wird an eigener Nichtigkeit oder zu später Reue untergehn, und der Mitwelt und Nachwelt ein Gegenstand des Spottes und der Verachtung werden!«

176 {1212} So zu den Räthen; seine Gattinn aber mochte Friedrich daran erinnern, daß derjenige kein guter Ehemann und Vater sey, welcher seinen Beruf um Weib und Kind willen zurücksetze. Wenn er Reiche und Kronen für beide gewinne, so habe er seine Sorgfalt und Liebe besser erwiesen, als wenn er zu Hause bleibe und dereinst, wo nicht der itzo warnenden Gattinn, doch des Sohnes beschämende Frage hören müsse: »wer des alten Kaiserhauses Größe verscherzt und preis gegeben habe?«

Sobald, diesen Ansichten gemäß, Konstanze zur Regentinn des Reiches ernannt und der junge Heinrich als Thronerbe gekrönt warMongitor bullae XLVI.  Daniele 73.  Chron. fossae novae 892., segelte Friedrich am Palmsonntage, den 18ten März 1212, von Palermo ab, landete bei Gaeta und ordnete mehre Geschäfte in Benevent. Dann ging er, weil für ihn die Landstraße nicht sicher war, wieder zu Schiffe und erreichte Rom im Monat April. Hier empfingen ihn der Papst, die Kardinäle, der Senat und das Volk auf die ehrenvollste Weise: aber während Innocenz ihn treu mit Wort und That und mit Gelde unterstützte, hielt er doch unwandelbar fest an dem, was ihm als heiliges, unantastbares Recht der Kirche erschien. So hatte Friedrich einen, von den Stiftsherren in Polycastro zum Bischof Erwählten, nicht bestätigt; sondern die Wahl seines Arztes Jakob mit Hülfe einer Partei durchgesetzt. Die Gegner derselben gingen an den PapstInnoc. ep. XIV, 81., und nach genauer Untersuchung erklärte dieser den Arzt für unfähig zum Bisthume, weil die Wahl den kirchlichen Gesetzen und den mit Konstanze geschlossenen Verträgen widerspreche.

Ereignisse solcher Art störten indeß das gute Vernehmen zwischen Friedrich und Innocenz um so weniger, da jener im Februar 1211 die Oberlehnshoheit des Papstes für das apulische Reich wiederholt anerkannt, die jährliche 177 {1212} Zahlung von 1000 Goldstücken versprochen, und freie Wahl der Geistlichen zugestanden hatteMurat. antiq. Ital. IV, 83..

Von Rom ging Friedrich wiederum, größerer Sicherheit wegen, in See, und erreichte Genua ohne Unfall im Monat Mai. Die Bürger dieser Stadt traten um so eifriger auf seine Seite, als sie ihre alten Feinde, die Pisaner, welche den Kaiser auf alle Weise unterstützten, noch überbieten wollten. Allein die günstige Stimmung Genuas reichte nicht hin, ihn außerhalb ihres Gebietes zu schützen; und da der Graf von Savoyen und die piemontesischen Städte, da Mailand und der größte Theil der Lombardei es mit Otto hielten, so waren alle Wege nach Deutschland versperrt. Drittehalb Monat lebte Friedrich größtentheils auf Kosten der hiefür von ihm und dem Papste mit Vorrechten begnadigten Stadt; länger konnte er aber diese lästige und gefährliche Zögerung nicht ertragen. Die Markgrafen von Este und Montferrat, der Graf von S. Bonifazio und manche Edle und Abgeordnete von Städten, die ihn in Genua ihrer Anhänglichkeit versicherten, erhöhten seinen Muth; und so brach er, allen Nachstellungen Trotz bietend, am 15ten Julius von hier auf, und erreichte über Montferrat und Asti glücklich PaviaStella 987.  Bernard de S. Pierre 107.  Roland. Patav. I, 11.  Ricciard. vita 124.  Oger. Panis.  Galv. Flamma c. 245.  Jac. a Voragine chron. Jan. 40.  Innoc. ep. XIII, 193.  Alber. zu 1212.  Sismondi II, 337.. Hiemit waren aber die Gefahren nicht überstanden, sondern erhöht: denn die Mailänder, welche von seiner Ankunft Nachricht erhielten, trafen sogleich alle Anstalten, um ihn bei der Fortsetzung seiner Reise gefangen zu nehmen. Ihre Wachsamkeit täuschend, eilte er in der Nacht von Pavia bis zum Lambro; aber kaum hatte er über diesen Fluß gesetzt, so erschienen die Mailänder am rechten Ufer, und es kam zwischen ihnen und der nach Pavia zurückkehrenden Begleitung 178 {1212} Friedrichs zu einem heftigen Gefecht, in welchem siebenzig Pavienser gefangen und die übrigen größtentheils niedergehauen wurden. So großer und naher Gefahr entging der König durch sein Glück, und wurde von dem Markgrafen Azzo über Cremona und Mantua nach Verona geführt. Von hier brachte ihn der Graf von S. Bonifazio das Etschthal aufwärts bis an den Fuß der Gebirge; dann verließ aber Friedrich, aus Besorgniß vor Ottos Anhängern, die große Straße, wandte sich links und kam auf ungebahnten Pfaden über die höchsten Gipfel der Alpen, wahrscheinlich durch die Landschaft Worms und das obere Engadin, in das Thal der Albula und nach Chur. Hier empfing ihn Bischof Arnold als seinen König, und Abt Ulrich VI von S. GallenArx, 333.  Quadri Valtell. I, 226; III, 307., der mit Kriegsvolk dahin geeilt war, führte ihn über Altstetten und den Ruppan gen Konstanz. Wie erschrak aber der Abt, als unterwegs die Botschaft eintraf: der Kaiser habe auf die erste Nachricht von Friedrichs bevorstehender Ankunft dem Kriege in Thüringen ein Ende gemacht, sey in Eilmärschen durch Deutschland gezogen, und stehe mit 200 Rittern und anderem Gefolge in Überlingen am andern Ufer des Bodensees; ja seine Köche und Lagermeister seyen bereits in Konstanz angekommen, um für die sogleich folgende Kriegsmacht das Nöthige einzurichten. Mit Friedrich waren nur sechszig Männer; dennoch beschloß er nicht zu weichen, sondern mit höchster Schnelligkeit bis Konstanz vorzudringen. Es gelang, und seine und des Abtes nachdrückliche Worte bewogen den zweifelhaften Bischof und die Bürgerschaft, sich gegen Otto zu erklärenBelgic. chron. magn. 240.  Rigord 52.  Conr. a Fabaria 81.. Dieser fand die Thore von Konstanz verschlossen, und gab seinen Plan auf. Wäre Friedrich drei Stunden später gekommen, so hätte er vielleicht Deutschland nie gesehen!

Jetzt eilte er den Rhein hinab und hatte am 26sten 179 {1212} September in Basel bereits um sich versammelt: die Bischöfe von Trident, Basel, Konstanz und Chur, mehre Äbte, die Grafen von Kiburg, Habsburg, Freiburg, Hohenburg, Rappersweil u. m. a.Lünig Reichsarchiv. Ps. spec. Cont. I von kaiserl. Erblanden. Urk. 147.  Zapf monum. I, 375.. – So wie die Schneelawine kaum sichtbar in den Höhen beginnt, dann plötzlich wächst und in die Thäler stürzend alles vor sich niederwirft: so erschien Friedrich ganz vereinzelt und schwach auf den Gipfeln der Alpen; dann aber schlossen sich dem in Deutschlands Ebenen Hinabeilenden, Ritter, Geistliche, FürstenHerzog Friedrich von Lothringen half dem Könige Hagenau erobern, wofür er das Versprechen von 4000 Mark und Pfand erhielt.  Calmet Hist. de Lorraine, preuves XXIV. Urk. 421., Volk an, und so war Baiern gewonnen, Schwaben wieder sein und der Elsaß erobert, – während Ottos Macht sich täglich minderte, und die Bürger von Breisach, der an ihren Weibern und Töchtern verübten Ungebühr überdrüssig, den zuchtlosen Rest seines Heeres verjagtenAnon. Saxo 119.  Ursp. 332.  Histor. Novientens. monasterii 1153.. Vor dem apulischen Kinde (wie man Friedrich zum Spott nannte) und seiner Menschen gewinnenden Zauberei, glaubte sich der, sonst so mannhafte Kaiser erst in seinen Erblanden sicherMortui maris chron. zu 1219.  Dachery Spicil. II, 625.!

Zu Vaucouleurs erneute Friedrich am 19ten November, bei einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Dauphin, das alte Bündniß seines Hauses mit dem Könige von FrankreichGuil. Tyr. 678.  Cont. Martini Pol. 1416.  Dand. 338.  Guil. Nang. chr. zu 1211.  Martene coll. apl. I, 1111., welcher seine Erhebung ohnehin auf alle Weise befördert hatte und ihm 20,000 Mark Hülfsgelder auszahlte.

Auf den Reichstagen in Mainz und Frankfurt, im December 1212 und Januar 1213, huldigten ihm die 180 {1213} meisten FürstenEinige lassen Friedrich den 6ten Dec. 1212 in Mainz krönen (Oger.) oder den 2ten Febr. 1213 in Frankfurt (Chr. Udalr. Aug.). Die förmliche Krönung war erst später in Achen. und erhoben, im Vergleich mit Ottos finsterer Härte und strenger Haushaltung, die Herablassung und Freundlichkeit des schönen, so überaus klugen Jünglings. Wo soll, fragte der Bischof von Speier, das von Frankreich gezahlte Geld verwahrt werden? Es soll nicht verwahrt, antwortete Friedrich, sondern unter die Fürsten vertheilt werdenErf. chr. S. Petr.  Chr. mont. sereni zu 1210.. Das wirkte freilich besser, als wenn der Markgraf von Meißen sein Land für 10,000 Mark von Otto lösen mußte. Eben so hatten sich die Könige von Böhmen und DänemarkGerken 4, Urk. 201.  Orig. guelf. III, 824.  Dumont I, 244, Urk. 271. Lünig Reichsarchiv, Ps. spec. Cont. I, von kaiserl. Erblanden, Urk. 134.  Pulkava 207.  Chron. Bohem. in Ludwig 286.  Martens Reichsgrundges. I, 4. und der Erzbischof von Magdeburg mancher Bewilligung Friedrichs zu erfreuen, und der Kirche versprach erMurat. antiq. Ital. VI, 84.  Lünig Reichsarchiv, Ps. sp. v. Päpsten, Urk. 8–9., mit aufrichtiger Dankbarkeit, Schutz und Unterstützung. – Über diese Milde und Freigebigkeit vergaß aber der König keineswegs im Laufe dieses Jahres seine eigenen Angelegenheiten in Schwaben, dem Elsaß u. s. w. zu ordnen und auf mehren Reichstagen für die Abstellung vieler bösen FehdenFehden zwischen dem Bischofe von Passau und dem Pfalzgrafen Rapoto, (Laureac. chron. 17.  Herm. Altah.  Chron. Udalr. Aug.); zwischen dem Bischofe von Lüttich und Herzog Heinrich u. s. w.  Belg. chr. magn. 221.Gemeiners Chron. 301.  Aquil. Patr. vitae 102.  Alb. Stad.  Reineri chron. nachdrücklich zu wirken; ja Otto, welcher Magdeburg und Thüringen angriff, wurde von ihm bis gen Braunschweig verfolgt.

Dessen ungeachtet konnte der Kaiser noch lange in dem nordwestlichen Deutschland ein mächtiger Gegner Friedrichs 181 {1213} bleiben, wenn er die Anhänger seines Hauses um sich vereinte und seine Kräfte nicht zersplitterte. Statt dessen entschloß er sich zu einem Kriege gegen den König von Frankreich. Dieser, sein und Englands alter Feind, bedrohte den König Johann mit einer gefährlichen Landung, überzog dessen Verbündete, die Grafen von Flandern und Boulogne, als abtrünnige Lehnsleute mit Krieg und setzte Ottos neuen SchwiegervaterLünig Reichsarchiv, Th. XX, S. 12. Urk. 14., den Herzog von Brabant, in gerechte Furcht. Da meinte Otto: Ritterpflicht lege ihm auf, seine Verwandten und Freunde zu unterstützen und bloße Rücksichten der Klugheit, welche den Krieg als vermeidlich zeigten, hatten, seinem halsstarrigen Willen gegenüber, kein Gewicht. Er sprachBrit. Phil. X-XII.: »nur der König von Frankreich steht allen unsern Planen entgegen; nur ihm vertrauend wagt es der Papst seinen Schützling gegen mich zu unterstützen und alle Weltlichen zu verhöhnen. Deshalb muß vor allem Philipp August sterben; dann sind die übrigen leicht besiegt, und die Geistlichen müssen froh seyn, wenn wir ihnen, nach Abnahme der Güter, nur die Zehnten lassen.« – Zur Mehrung dieser Feindschaft mochten noch andere persönliche Gründe gewirkt haben; wenigstens wird erzählt: bei einer Zusammenkunft Philipp Augusts mit Richard Löwenherz befand sich Otto, als ein noch nicht zum Ritter geschlagener Jüngling, im Gefolge des letzten. Was dünkt euch, sagte dieser zum Könige von Frankreich, von unserm edlen Verwandten Otto? – »Ei nun«, antwortete Philipp August, » er gefällt mir gut genug.« – Diese Antwort, so wie Ton und Geberde, erschienen jedoch dem Könige von England so spöttisch und verächtlich, daß er mit lebhafter Bewegung hinzufügte: »wahrlich, Otto wird einst noch römischer Kaiser werden!« »Wenn der«, sprach hierauf Philipp August, »römischer Kaiser wird, so schenke ich ihm Chartres, Orleans und Paris.« Ohne Verzug wandte sich Richard 182 {1213} itzt zu Otto und sagte: »steig ab, Neffe, und beuge dich huldigend vor dem Könige für so große Gabe.« Otto that es und ließ, als er Kaiser geworden, durch Gesandte ernstlich von Philipp die Erfüllung seines Versprechens fordern. Dieser stellte sich anfangs, als begreife er die Botschaft ganz und gar nicht; hierauf an Ort, Zeit und Umstände genau erinnert, gab er zur Antwort: er habe damals nicht jene Städte, sondern drei junge Hunde gemeint, welche deren Namen trügen und sehr gern zu Dienste ständen. Diese dem Kaiser hinterbrachte Verhöhnung soll den Krieg nicht minder veranlaßt habenChron. mscr. imper. et pontif. in Bibl. Laurent. aus dem 13ten Jahrhundert.  Mon . Patav. 667, 1210., als die schon erwähnten größern Ursachen.

{1214} Während nun König Johann von England einen Theil der französischen Macht in Anjou und Poitou beschäftigte, sammelten Otto und seine Freunde so rasch als möglich ihr Heer und zogen von Gent wider Tournai; Philipp August hingegen kam von Peronne her und rückte über Valenciennes bis gen Mortagne an den Zusammenfluß der Schelde und Scarpe. Seine Macht war, ungeachtet aller Bemühungen sie zu verstärken, weit schwächer als die seiner Gegner, welche auch im Vertrauen auf den unfehlbaren Sieg, die französischen Landschaften im voraus unter sich vertheilten. Jene Stellung bei Mortagne, wohin durch Sumpf und Moor nur schmale, unsichere Wege führten, schien geeignet um mit einer geringern Zahl einer größern zu widerstehn: als aber Bewegungen der Verbündeten zeigten, daß sie die Franzosen umgehen und einschließen wollten, sah sich der König genöthigt von Mortagne gen Lille aufzubrechen. Dies hielten die Übermüthigen im kaiserlichen Heere für eine feige Flucht, und obgleich der Graf von Boulogne laut widersprach und warnte, wurde der Angriff beschlossen. Schon war König Philipp mit der ersten Hälfte seines Heeres in Bouvines angelangt, als die 183 {1214} Nachricht eintraf, man sehe in der Ferne neue Bewegungen der Feinde. Dennoch zog er weiter und erwartete an diesem Tage, einem geheiligten Sonntage, so wenig den Angriff, daß er sich unter eine Esche schlafen legte. Sobald aber ein großer Theil des französischen Heeres die Brücke hinter sich hatte, welche bei Bouvines über die Marque führt, und so von den übrigen gewissermaaßen abgeschnitten erschien, griffen die Verbündeten den Nachzug an. Der König ward sogleich geweckt, und der Herzog Otto von Burgund sprach zu ihmSenon. chron. in Dachery spic. II, 626.  Geneal. Comit. Flandriae 398.: Herr, erhalte dich dem Vaterlande und verweile in der festen Burg Lens, während wir die Schlacht für dich ausfechten. – Das wäre sehr unköniglich, erwiederte Philipp August dem Herzoge, und fuhr fort: wer ist der Würdigste die Oriflamme zu Ehren des Reiches zu tragen? – Ich kenne, antwortete der Herzog von Burgund, einen starken tapfern kriegskundigen, aber armen Ritter; er hat Habe und Gut für ein Pferd versetzt, um nur der Schlacht beizuwohnen: dem vertraut die Fahne. – Er ward herbeigerufen und der König sagte zu ihm: Freund Walo, ich vertraue dir die Ehre Frankreichs an. – Herr, rief dieser erstaunt, wer bin ich, daß ich dies übernehmen könnte? – Du bist, sprach der König ermuthigend, ein Mann der nichts fürchten darf und, sobald wir mit Gottes Hülfe gesiegt haben, reichlichen Lohn empfangen wird. – Da ihr mich so bedrängt, schloß Walo, so will ich thun was ich vermag, und diese Oriflamme die, wie ich sehe, nach Blut dürstet, soll sich in Feindesblut kühlen und sättigen.

Der König ordnete itzt nach einem kurzen Gebete in der Kirche, seine Schaaren, und berief eiligst alle diejenigen zurück, welche schon weiter voraus gen Lille zogen. Auf dem rechten Flügel der Franzosen standen der Herzog von Burgund und der Graf von S. Paul, dem Grafen von 184 {1214} Flandern gegenüber; auf dem linken die Grafen von Dreux und Ponthieu, den Grafen von Boulogne und Salisbury gegenüber; die beiden Mitteltreffen führten Kaiser Otto und König Philipp August. Sobald dieser mit wenigen Worten an die große Gefahr des Vaterlandes und daran erinnert hatte, daß sie, als gläubige Christen, bei ausharrender Tapferkeit leicht über Gebannte und Verfluchte siegen müßten, begann unter Trompetenschall und unter geistlichen Gesängen der ernstere Kampf auf dem rechten französischen Flügel.

Man schickte den Flanderern zuerst keine Ritter und Gewappnete, sondern Schaaren von Stadt- und Land-Soldaten entgegen, um sie durch diese scheinbare Verachtung zu reizen und zum Auflösen ihrer Ordnungen zu verführen: allein jene erwarteten ruhig die noch Ungeübten, und warfen sie dann mit großem Verluste zurück. Laut rief jetzo der Flanderer Eustathius von Maquelin: »vorwärts, zum Tode der Franzosen!« Aber einer von diesen faßte ihn herzusprengend um den Hals und drückte seinen Kopf wider die Brust, während ein zweiter ihm durch die hervortretende Öffnung des Panzers, das Schwert in die Gurgel stieß. – Dies Ereigniß hob den Muth der Franzosen, und der Graf von S. Paul und der Herzog von Burgund brachen schon mächtig in die Reihen der Feinde ein, als jener verwundet ward und ein anderer Ritter, Michael von Harmes, von einem Flanderer mit einer Lanze durch Schild, Panzer und Körper so durchstoßen wurde, daß er an den Sattel und das Pferd festgenagelt blieb. Auch der Herzog von Burgund stürzte mit seinem schwer verwundeten Streitrosse zu Boden, und der Kampf ward an dieser Stelle immer ängstlicher und gefährlicher für die Franzosen. Sobald indeß der Graf von S. Paul, welcher sich seiner Wunden halber nur ein wenig entfernt hatte, dies sah, und wie einige ihm befreundete Männer in einem dichten Haufen der Feinde scheinbar rettungslos eingeschlossen waren, umfaßte er mit beiden Armen den Hals seines Pferdes, gab 185 {1214} ihm die Sporen, und sprengte so, – weil jede andere Weise hindurchzudringen unmöglich schien –, bis mitten unter die Feinde. Anfangs wichen diese vor der sonderbaren Erscheinung; dann aber wandten sich alle Lanzen gegen ihn und trotz seiner heldenmüthigen Vertheidigung hätte er gewiß unterlegen, wenn nicht der Graf von Flandern in diesem Augenblicke durch Walo mit der Spitze der Hauptfahne zu Boden gestürzt und des Beistandes der seinen dringend bedürftig gewesen wäre. Ungeachtet dieses Beistandes mußte er sich dem Herrn von Mareuil ergeben, und hiemit war der Sieg des französischen rechten Flügels entschieden.

Mittlerweile hatten der Graf von BoulogneBelg. chr. magn. 237.  Medardi chr.  Vincent. Spec. XXX, 57.  Brit. Phil. Lib. X-XII.  Elvonense chr.  Alberic.  Rigord 58.  Pipin II, c. 14.  Corner 842.  Guil. Armoric. 88. Der Graf von Flandern saß im Louvre und ward erst 1225 gegen harte Bedingungen befreit; der Graf von Boulogne starb in der Gefangenschaft.  Aquic. auct. zu 1213.  Chron. Normanniae zu 1209, p. 1006.  Velly III, 478.  Lünig codex II, 1919, Urk. 29.  Rymer foed. I, 1. Urk. 50, 51.  Über Philipps Waffenstillstand mit König Johann siehe Leibnitz cod. Urk. 8. und Kaiser Otto gleichmäßig ihre Schaaren gegen den König von Frankreich gerichtet: denn, laut der Verabredung, wollte man diesen um jeden Preis tödten oder gefangen nehmen. Schon war der Graf in dessen Nähe und glaubte ihn mit einem gewaltigen Streiche zu tödten; er hatte aber den Grafen Pontius von Dreux mit Philipp August verwechselt. Richtiger sahen die deutschen Fußgänger: sie rissen den König mit ihren eisernen Widerhaken vom Pferde und waren im Begriff ihn zu durchbohren: allein anfangs schützte die Rüstung, und sobald die Franzosen die Lebensgefahr ihres Herrn sahen, drängten sie mit so unwiderstehlicher Gewalt herbei, daß die unter Ottos mächtiger Anführung siegenden Deutschen nun ihrerseits wichen, Philipp August befreit ein Roß bestieg, und die Lebensgefahr sich von ihm auf 186 {1214} den Kaiser wandte. Schon ergriff Peter Mauvoisin den Zügel von Ottos Pferde, aber er ward im Getümmel hmweggedrängt; Gerard Stropha stieß hierauf den Kaiser mit seinem kurzen Schwerte heftig gegen die Brust, aber der gute Harnisch brach die Gewalt; mit einem zweiten Hiebe verwundete er nunmehr dessen Roß so stark im Auge, daß es sich bäumte, den Zügel zerriß, mit ungebändigter Eil eine Strecke vom Schlachtfelde hinwegrannte und dann zu Boden stürzteNach dem Senon chron. in Dachery spicil. II, 626 warf Enguerrand von Coucy den Kaiser mit der Lanze vom Pferde; weil aber alle sich zu Philipp August wandten, der um diese Zeit ebenfalls gestürzt war, konnte der Kaiser sich retten.. Man brachte dem Kaiser ein anderes Pferd: allein alles Widerstandes ungeachtet siegten die Franzosen auch über das Mitteltreffen.

Am längsten widerstand der von seinem Angriff auf dies Mitteltreffen zurückgekehrte Graf von Boulogne, dem linken französischen Flügel; und erst als sein Pferd durch Peter Tourelle tödtlich verwundet ward und er, niedergestürzt mit dem Schenkel unter dem Thiere lag, mußte auch er sich gefangen geben und wurde nur mit Mühe gegen die Mordlust der gemeinen Soldaten gesichert.

Jetzo war dieser, am 27sten Julius 1214 bei Bouvines erfochtene Sieg der Franzosen vollkommen in jeder BeziehungPhilipp August gelobte aus Dankbarkeit ein Kloster zu erbauen; aber erst Ludwig IX erfüllte dies Gelübde. Gallia christ. VII, 851.. Siegprangend zog Philipp August mit seinen Gefangenen und dem erbeuteten Fahnenwagen Ottos in Paris ein, und sandte die Flügel des kaiserlichen Adlers dem Könige Friedrich, als ein weissagendes Angebinde. Der Herzog von Brabant, (welchen einige beschuldigen, er habe seinem Schwiegersohne, dem Kaiser, nicht ganz treu gedient) schickte Glückwünschungsbriefe an Philipp August, und empfing zwei versiegelte Schreiben zur Antwort. Das 187 {1215} erste war ganz unbeschrieben, und im zweiten stand: »so leer als dies Blatt ist an Schrift, so leer bist du an Treue und Gerechtigkeit.«

Kaiser Ottos Macht war nunmehr ganz gebrochen, und er kam fast hülflos nach Köln. Aber die Bürger, welche ihm schon viel Geld vorgestreckt hatten, wurden seiner überdrüssig, und seine Gemahlinn Maria von Brabant gab großen Anstoß, indem sie, bei solchen Umständen, in ungeregelter Spielwuth sehr große Summen verlorAleatrix publica, cum de ludis variis, plurimis teneretur debitis. Erfurt. chron. S. Petrin.  Anon. Saxo 119. Nach Guil. Armor. 87 erließen dagegen die Kölner alle Schulden an Otto, und gaben noch 600 Mark, daß er sie verlasse.. Da bedrängten die Gläubiger den Kaiser und die Kaiserinn so gewaltig, daß er, um nicht festgehalten zu werden, unter dem Vorwande, er gehe auf die Jagd, davonritt; und die Kaiserinn folgte ihm heimlich in Pilgertracht nach Braunschweig. Hierüber zürnten die Bürger von Köln gar heftig und söhnten sich mit Friedrich II aus. Dieser zog nunmehr ohne Widerstand den Rhein hinab, zwang den Herzog von Brabant seinen Sohn als Geißel zu stellen, und ward am 25sten Julius 1215 in Achen durch den Erzbischof Siegfried von Mainz in Gegenwart der meisten Fürsten und hohen Geistlichen feierlich gekröntAlberic. 486.  Godofr. mon.  Chr. mont. ser.  Northof. Rohte 1698.  Bei Friedrichs Anwesenheit wurde Karls des Großen Leichnam nochmals feierlich in einem prachtvollen Sarge beigesetzt. Friedrich schlug selbst die Nägel ein. Reineri chron.. – So hatte der itzt einundzwanzigjährige Friedrich über jedes Hinderniß fast wunderbar gesiegt, und in allen seinen Reichen war keine erhebliche Gefahr mehr zu besorgen. Deshalb gedachte er der bedrängten Christen im Morgenlande, und aus eigener Begeisterung, wie auf dringende Vorstellungen anderer, nahm er am Tage nach seiner Krönung mit vielen Fürsten 188 {1215} und Prälaten das Kreuz. Ehe aber von den entscheidenden Folgen dieses Beschlusses die Rede seyn kann, müssen die Ereignisse in Syrien seit dem Tode Saladins und die Unternehmungen der Lateiner gegen das griechische Reich erzählt werden. 189

 


 


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