Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 3
Friedrich von Raumer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Hauptstück.

Bei den Streitigkeiten, welche zwischen den Söhnen Saladins über die Theilung des väterlichen Reiches entstanden, machte ihr Oheim Adel anfangs den listigen Vermittler. Sobald er aber, mit Hülfe der ihm günstigen Soldaten, festen Fuß gefaßt hatte, vertrieb er den Sultan Afdal im Sommer 1196 aus Damaskus und behielt die Stadt für sichAbulfeda zu diesen Jahren.  Abulfarag. 278.  Sanut. 201.  Vitriac. hist. oriental. 269.. Zwei Jahre nachher starb Aziz in Ägypten, und Afdal wurde von einer Partei zum Vormund für dessen zehnjährigen Sohn Muhamed berufen; wogegen die andere Partei sich nach Damiette wandte und Adeln leicht dahin brachte Ägypten für sich selbst in Anspruch zu nehmen.

Ungeachtet dieser schwächenden Verwirrung in den saracenischen Staaten, hatten die morgenländischen Christen ihre Macht nicht ausdehnen können, weil es (selbst abgesehn davon, daß der beschworene Waffenstillstand noch nicht abgelaufen war) in den fränkischen Landschaften fast ganz an EinwohnernTerra manet fere penitus habitatoribus destituta.  Aquic. auctar. zu 1193., wie viel mehr an Kriegern fehlte. 190 {1196} Desto erwünschter, glaubten die auf Kaiser Heinrichs VI Betrieb im September 1196 aus Apulien absegelnden Kreuzfahrer, werde ihre Ankunft den hülfsbedürftigen Glaubensgenossen in Syrien seyn: aber sie fanden sich in dieser Erwartung sehr getäuscht. Denn die dortigen Einwohner hielten jede christliche Macht für unzureichend, der saracenischen auf die Dauer zu widerstehn, und wollten lieber die ihnen von Saladin größtentheils wieder eingeräumten alten LehngüterSidon, Kaffa, Cäsarea, Assur, gab Saladin den alten Lehnsleuten zurück.  Bernard. thesaur. 814. behalten, das billige Abkommen nicht stören und in Ruhe leben, als wortbrüchig einen neuen Krieg beginnen und nach der vorauszusehenden, baldigen Rückkehr der Kreuzfahrer in ihre Heimath, eine leichte, unfehlbare Beute der neu gereizten Feinde werden. Hiezu kam, daß die Deutschen einerseits zwar den höchsten Ruhm der Tapferkeit und Treue gegen ihre Anführer verdienten, andererseits aber auch ihren Willen für Gesetz hielten, und den großen Orden, ja allen Einwohnern als rauhe wilde Herrscher erschienenOtto S. Blas. 42.  Historia brevis 1354.  Ursperg. chron. 318.  Roger Hoved. 772.  Guil. Nang. zu 1197.. Selbst eine regelmäßige Abhängigkeit vom Kaiser, wäre den Geistlichen und den aus so vielen Völkern abstammenden Rittern gar nicht bequem gewesen; und doch deutete es darauf hin, als der Reichskanzler, Bischof Konrad von Würzburg, den in Cypern nach dem Tode seines Bruders Guido regierenden AmalrichHalberstad. chron. 139.  Gudeni cod. diplom. V, 1105.  Reinhards Geschichte Von Cypern, I, 135. zum König krönte und ihm für diese Erhebung den Lehnseid abnahm. – Auch Graf Heinrich von Champagne, welchen Richard Löwenherz als Anführer in Syrien und Palästina zurückgelassen hatte, konnte von den Kriegern Kaiser Heinrichs VI nichts Gutes hoffen, und wurde beschuldigt, daß er ihnen entgegenwirke. Bald nach ihrer 191 {1196} Ankunft stürzte er indeß, da er sich beim Waschen vorbeugteÜber Grund und Art des Falles finden sich Abweichungen. Sanut. 201.  Innoc. III epist. II, 75. Bernard. thesaur. 816.  Guil. Tyrius 645.  Coggeshale chron. angl. 841.  Aquic. auct. zu 1197., von dem Söller eines Hauses in Akkon und starb; worin manche eine Strafe des Himmels für seine ungebührliche Verheirathung mit Isabelle, oder für die den Deutschen bewiesene geringe Achtung sahen.

Ohne Rücksicht auf die Vorstellungen der Eingebornen hielten sich diese keineswegs durch einen Waffenstillstand gebunden, welchen sie nicht geschlossen hatten, und die hiedurch überraschten Saracenen mußten Sidon, Tyrus und den untern Theil der Stadt Berytus verlassen. Desto beharrlicher wollten sie den obern Theil der Stadt und das feste Schloß vertheidigen, wohin Lebensmittel, Güter und Schätze aller Art geflüchtet waren. Auch gelang es ihnen bei einem Ausfalle, die Christen weit zurückzuschlagen: als aber Graf Adolf von Holstein, aus einem Hinterhalte hervorspringend, ihren Anführer erlegte, und die von einem Christensklaven in der Burg durch Zeichen benachrichtigte Flotte der Kreuzfahrer herbeisegelte, so entstand solche Unordnung unter den ringsum bedrängten Saracenen, daß sie zu benachbarten Bergen und Schlupfwinkeln flohen. An der großen Beute welche man in der ohne Widerstand genommenen Burg fand, hätten sich alle begnügen können: dennoch schlugen die Kreuzfahrer manche Gefangenen, bis sie starben, damit sie verborgene Schätze anzeigen sollten! – Byblus ergab sich hierauf durch Verrath, Gibellum und Laodicea verließen die geschreckten Saracenen freiwillig, der Weg nach Antiochien lag offenGodofr. monach.  Albert. Lubec. zu 1197.  Guil. Tyrius 646.  Histor. Hieros. 1124., und der Erzbischof von Mainz, der Herzog von Lothringen, der Landgraf von Thüringen und der Pfalzgraf Heinrich, (welche alle diesem Zuge beiwohnten) hofften Jerusalem gewiß zu erreichen. 192 {1197} Da traf die Nachricht ein, Kaiser Heinrich VI sey in Sicilien gestorbenRymer foedera I, 1, 32.  Innoc. III epist. I, 336.; und sogleich segelten manche, nicht einmal die günstige Jahreszeit erwartend, von dannen. Natürliche Besorgnisse über das heimische Gut, die künftige eigene Würde und Wirksamkeit, und den Sinn des neuen noch unbekannten Herrschers, überwogen bei ihnen die Rücksichten für das Morgenland; während andere, standhafter oder mindern Gefahren in Deutschland ausgesetzt, dem Sohne des Kaisers huldigten und im Begonnenen rastlos fortzufahren beschlossen.

{1198} Wirklich brachten sie das wichtige und feste Schloß Toronum, – welches die Saracenen allein noch am Meere in der Gegend von Tyrus besaßen –, in solche Bedrängniß, daß sich die Besatzung durch Bevollmächtigte erbot, sie wolle das Schloß übergeben und alle Güter, bloß mit Vorbehalt der nöthigsten Kleidungsstücke, aushändigen, sobald man verspreche ihr Leben zu verschonen. Das Christenthum fügten sie hinzu, welches sich die Religion der Liebe nenne, verbiete ohnedies die Ermordung flehender Feinde; und wenn diese Betrachtung nicht hinreichenden Eindruck mache, so sollten die Kreuzfahrer bedenken, daß der Tod der Saracenen an vielen Christensklaven gerächt werden könneArnold. Lubec. V, 4.; wogegen, im Fall der bloßen Gefangennehmung, ein wechselseitiger Austausch rathsam und möglich bleibe. – Ob man nun diese Vorschläge bewilligen sollte oder nicht, darüber erhob sich Streit unter den Belagerern, indem einige meinten, eine gewaltsame Eroberung und harte Bestrafung würde Beweis des höchsten Muthes seyn und die Furcht und Unterwerfung aller übrigen Feinde nach sich ziehen; andere aber behaupteten, die Tapferkeit der Sieger werde durch die Übergabe des Schlosses hinlänglich bewiesen, und eine grausame Behandlung der Gefangenen reize und zwinge weit mehr zu künftigem äußersten Widerstande, als 193 {1198} daß sie diesen verringere. Während dieser Berathungen erneuten einige Freunde der gewaltsamen Maaßregeln den Kampf, um ihrer Meinung die Oberhand zu verschaffen, und erst nachdem mehre umgekommen waren, stellte man die Ruhe wieder her und entschied für die mildere Abschließung des Vertrages. Allein so wie dieser einem Theile der Christen mißfiel, so auch einem Theile der Saracenen, und mehre Stimmen erhoben sich: das Schloß sey noch fest und von tapfern Männern vertheidigt, unter den Feinden hingegen Zwiespalt und Mangel an Vorräthen. Wirklich mußten auch die Christen einen Theil ihres Heeres gen Tyrus senden, um Lebensmittel aufzusuchen und herbeizuführen, und die Geschwächten wurden noch ohnmächtiger durch Nachläßigkeit und durch Trennung in einzelne Parteien zu vereinzelten Zwecken. Endlich hatte man dennoch auf den dritten Februar 1198 einen allgemeinen Angriff verabredet, als plötzlich der Kanzler Konrad und mehre Fürsten nach Tyrus aufbrachen, andere folgten und die Verwirrung ja die Flucht allgemein wurde. Niemand wußte den Grund so unerwarteten Wechsels. Einige meinten, Konrad sey, gleich manchen Templern, von den Feinden mit trügerisch vergoldeten Münzen bestochenArnold. Lubec. VII, 2.  Otto S. Blas. 42.; andere fürchteten die verkündete Annäherung saracenischer Heere; die meisten sehnten sich nach dem mit einem innern Kriege bedrohten Deutschlande. Aus diesen und andern Gründen schiffte sich der größte Theil der Kreuzfahrer im Monat März ein; aber nicht wenige litten Schiffbruch, oder wurden bei der Landung an griechischen Küsten ausgeplündert, oder in dem jetzt allen Deutschen feindlichen Apulien umgebrachtHalberstad. chron. 140.. Bei den frühern Kreuzzügen hatten, wenn auch Land- und Geld-Gewinn nicht reichlich ausfiel, doch Einzelne großen persönlichen Ruhm erlangt und sich vor der 194 {1198} Christenheit einen Namen gemacht; die letzte Unternehmung entbehrte aber auch dieses Trostes oder Schmuckes.

König Amalrich von Cypern, – nach dem Tode des Grafen von Champagne der vierte Gemahl Isabellens –! übernahm die Leitung der syrischen Angelegenheiten, und war froh einen neuen Waffenstillstand mit den Saracenen abzuschließenAbulfeda zu 1198. Albericus zu 1197.. Unter den Christen selbst konnte er jedoch die Einigkeit nicht herstellen: denn die großen Orden waren in leidenschaftlichen Streit verwickeltHistoire des Templiers I, 209., und jeder einzelne schloß für sich Verträge, gab Handelsfreiheiten und machte den unabhängigen Herrn ohne Rücksicht auf das GanzeRistretto cronologico IV, 41.. Nicht minder schwächten sich die nördlichen Staaten, Armenien und Antiochien, welche von den Türken weniger bedrängt wurden, durch wechselseitige Fehden und Erbstreitigkeiten. – Mithin bedurfte es einer großen, folgerecht und tüchtig geleiteten Anstrengung des Abendlandes, wenn die Verhältnisse des christlichen Orients eine irgend befriedigende Gestalt annehmen sollten; – und wem konnte die Erneuung und Erweiterung christlicher Herrschaft in jenen Ländern wichtiger seyn, als dem Papste Innocenz III? Auch wirkte er für diesen Zweck nach seiner gewöhnlichen, alles umfassenden Thätigkeit, sowohl in Asien als in Europa. Dort suchte er den König von Armenien mit dem Fürsten von Antiochien auszusöhnenEpist. Innoc. III II, 217, 253, 269 u. s. w., und schützte die Kirchengüter in letzter Stadt gegen weltliche GewaltIbid. I, 112.; er tadelte die Patriarchen von Antiochien und Jerusalem, daß sie über das Erzbisthum Tyrus heftige Streitigkeiten führten, und gab dem letzten einen strengen Verweis, weil er aus Mißgunst und Habsucht das Volk drücke und erst der Ehe Amalrichs und Isabellens wegen ihrer nahen 195 {1198} Verwandtschaft widersprochenI, 505, 518., dann aber leichtsinnig seine Meinung geändert und beigestimmt habe. Er hob ferner den Bann auf, welchen der Erzbischof von Sidon übereilt gegen die Tempelherrn gesprochenI, 567; II, 257., und befahl bei den härtesten Strafen, daß sie und die Johanniter unverzüglich ihre unchristliche, blutige, allen Ordensgesetzen widersprechende Fehde beilegen sollten. Den Kaiser Alexius endlich, der wegen Richards Besitznahme von Cypern sehr erzürnt war, beruhigte er über die Veranlassung und die Folgen dieses AngriffsGesta Innoc. III, 30..

Alle diese ungünstigen und widerwärtigen Erscheinungen wiesen immer bestimmter auf die Nothwendigkeit einer Erneuung des morgenländischen Christengeschlechtes aus dem Abendlande hin, und es kam also darauf an, Menschen in Bewegung zu setzen und Geld für die Bestreitung der Kosten des Zuges herbeizuschaffen. Was das letzte betrifft, so gingen Innocenz und die Kardinäle mit gutem Beispiele voran und bestimmten ein Zehntheil aller ihrer Einnahmen für die Rettung des heiligen Landes; alle übrigen Geistlichen, Prälaten und Klöster mußten ein Vierzigstel, die Cistertienser, Prämonstratenser und Karthäuser jedoch nur ein Funfzigstel ihrer Einnahmen beisteuernSo Innoc. ep. II, 268, 270; III, 74. Nach Concil. collect. XII, 1010 gab Innocenz 30,000 Pfund und ein großes Schiff, die römischen Geistlichen 1/10, die übrigen 1/20 ihrer Einnahmen auf drei Jahre. Coggesh chron. ang. 868.. Seinen Ausschreiben fügte der Papst hinzu: »die dringendste Noth des gegenwärtigen Augenblickes fordere und rechtfertige diese Abgaben; doch solle daraus für die Zukunft weder eine Gewohnheit noch eine Verpflichtung hergeleitet werden.« Der etwanige Einwand, daß von Seiten des römischen Hofes Eigennutz obwalte, hatte kein Gewicht, weil Innocenz keineswegs die Einsendung des Geldes, sondern 196 {1198} nur eine schriftliche Anzeige über den Betrag des Erhobenen verlangte. Mit Zuziehung eines Johanniters und eines Templers besorgte jeder Bischof die unmittelbare Vertheilung der geistlichen Steuern, und der Papst behielt sich nur vor, etwa bleibende Überschüsse, nach dem Rathe jener Ritter, für das heilige Land zu verwenden. Die in mehren Reichen förmlich ausgeschriebenen Beiträge der LaienEin Vierzigstel der Einnahmen in England. Roger Hoved. 828. wurden in einer Truhe gesammelt, zu welcher der Bischof den einen Schlüssel verwahrte, der Priester des Orts den zweiten, und ein frommer Laie den dritten. Wer von diesen Geldern empfangen hatte, sollte ein Zeugniß über die gehörige Lösung seines Gelübdes beibringen: entweder vom Könige von Jerusalem, oder vom Patriarchen, oder von den Großmeistern der Orden, oder vom päpstlichen Gesandten. Nur nach genauer Untersuchung und nur aus überwiegenden Gründen ward jemand vom Zuge entbunden; zahlte aber alsdann einen angemessenen Geldbeitrag, wobei die ersparte Beschwerlichkeit der Reise mit in Anschlag kamInnov. epist. I, 409, 439, 503; II, 270, 271; X, 43.  Von Weibern, die das Gelübde gethan hatten, nahm man indessen gern Geld. Reineri chr. zu 1217.. Wer für das Lösen vom Gelübde Geld nahm, oder wer eigenmächtig zurückblieb, verfiel in strengen Kirchenbann; wogegen man auferlegte Büßungen mit Beiträgen zum Kreuzzuge abkaufen durfte.

Die Vorrechte, welche man den Pilgern schon früher bewilligt hatte, wurden erneut und noch vermehrt. Sie gaben während ihrer Abwesenheit keine Zehnten von ihren Grundstücken und keine Zinsen von ihren SchuldenDies deuteten die Gläubiger nur auf die laufenden Zinsen, die Schuldner gar gern auch auf alte Reste. – Innoc. ep. X, 73; XV, 199.; man las ihnen, selbst während des Interdikts, oder größeren Bannes, stille Messe, betete für sie in den Kirchen und 197 {1198} verwandte in manchen Ländern die Einnahmen erledigter Pfründen zu ihrem BestenSo z. B. in Sicilien. Innoc. epist. I, 508.. Geistliche, welche das Kreuz nahmen, durften zur Vermehrung der Reisegelder ihre Einnahmen aus drei Jahre verpfänden; Turniere wurden, als dem Zuge nachtheilig, und eben so jeder andere entbehrliche Aufwand verbotenInnoc. epist. I, 300.  Gesta 45.  Ordinat. pro recuperat. terrae sanctae in Duchesne script. V, 739.. Niemand sollte z. B. vor Erfüllung des Gelübdes buntes Pelzwerk tragen, oder mehr als zwei Gerichte bei einer Mahlzeit essen; nur den Edelern wurde noch ein Zwischenessen erlaubt. Seeräuber fielen in den Bann, und jeder Handel mit den Saracenen ward aufs neue streng untersagt. Als aber die Venetianer hierauf vorstellten, daß diese Bestimmung ihren Untergang herbeiführe, weil sie, beim Mangel alles Ackerbaus, von Handel und Schiffahrt leben müßten, so beschränkte Innocenz jenes allgemeine Handelsverbot dahinInnoc. ep. I, 529.: daß kein Eisen, Werg, Pech, Stricke, Waffen, Schiffe und Schiff-Bauholz an die Ungläubigen verkauft, vertauscht oder verschenkt werden solle. – Zur Lösung christlicher Gefangenen verband sich endlich eine Gesellschaft mit einem Theile ihres Vermögensibid. II, 9..

So zweckmäßig nun auch diese Gesetze für die Beförderung des Kreuzzuges erschienen, und so sehr die versprochenen Unterstützungen, Freiheiten und der vollkommene Ablaß auch anlockten: immer blieb den meisten das Steuern sehr ungelegenWaverl. ann. zu 1201., und die öffentlichen Verhältnisse mehrer Staaten hinderten eine schnelle und große Wirksamkeit in die Ferne. Spanien nämlich mußte noch immer gegen die nächsten ungläubigen Feinde kämpfen; die Könige von England und Frankreich waren entweder im Kriege, oder während des unsichern Friedens, jener im Streite mit seinen Baronen, dieser mit der Kirche. Deutschland und Apulien 198 {1198} erschöpften sich in inneren Unruhen, und die mächtigen Seestädte Pisa, Genua und Venedig, befehdeten sich mit geringen Unterbrechungen. Alle Versuche des Papstes einen allgemeinen Frieden innerhalb der Christenheit herzustellenInnoc. epist. II, 251; X, 43. Gesta 19.  Sanut. 202.  Guil. Tyrius 654., hatten keinen genügenden Erfolg, und ohne ein eigenthümliches Zusammentreffen von innerer Begeisterung, äußern Besorgnissen und mannigfachen Verwandtschaften würde sein Plan, wo nicht gescheitert, doch länger verzögert seyn.

Zuvörderst stand in Frankreich ein Mann auf, welcher zwar nicht durch eigene Anschauung des Morgenlandes befeuert war, wie Peter von Amiens, oder durch Gewandtheit und Gelehrsamkeit unterstützt, wie Bernhard von Clairvaux, aber für den Kreuzzug dennoch sehr vortheilhaft wirkte. Schon seit langer Zeit durchzog Meister FulkoAlberic. zu 1199.  Velley III, 420.  Sonst war nicht viel simulata religio in ihm, er kleidete sich reinlich, aß und trank was ihm vorgesetzt wurde u. s. w.  Otto S. Blas. ed. Blasiana 506.  Reineri chr. zu 1198.  Landun. chr. 711, 742, 801. Über sein Grabmahl, Michaud III, 116., von Neuilly an der Marne unfern Paris, predigend das Land und schalt mit Erfolg in sehr heftigen Reden, vor allem über die Zinsnehmer, die verheiratheten Geistlichen und die unkeuschen Weiber. {1199} Jetzt hatte er noch einen größern Gegenstand seines Eifers gefunden, und erschien auf dem Turniere, welches Graf Theobald von Champagne (der Bruder des in Akkon umgekommenen Heinrich) zu Escry, einem Schlosse an der Aisne, veranstalteteVilleharduin 1.. Von einer Erhöhung herab sprach Fulko mit solchem Nachdruck für die morgenländischen Christen, daß zu einem ritterlichen Zuge das Kreuz nahmen: der zweiundzwanzigjährige Graf Theobald von Champagne, der siebenundzwanzigjährige Graf Ludwig von Blois, der Graf Simon von Montfort, der 199 {1200} Bischof von Soissons, und mehre andere Geistliche, Ritter und Edele. – Sobald Graf Balduin von Flandern (welcher Marie, des Grafen von Champagne Schwester, geheirathet hatte) hievon Nachricht erhielt, that er, früheren Wünschen gemäß, am 22sten Februar 1200 mit seinem Bruder Heinrich, den Grafen von Perche, von St. Paul u. m. a. das gleiche GelübdeWilhelm, Herr von Chateau Thierry verwaltete einstweilen Balduins Länder. Miraei oper. dipl. I, 568, 724; III, 66, 72.  Iperius 635.  Villehard. 126.. Sowohl er, als diese Grafen, wurden zum Theil durch die Besorgniß bestimmt: sie möchten wegen ihres im englischen Kriege statt gefundenen Abfalles jetzo, nach Richards Tode, von Philipp August angegriffen werden, wogegen sie allein jenes Gelübde und der Schutz der Kirche sichern könneBrito Phil. 158.. Allmählich wuchs, nach solchen Vorgängen, nun auch die Zahl der geringeren Kreuzfahrer, und sechs Barone, welchen man aus einer in Soissons gehaltenen Versammlung unumschränkte Vollmacht zu allen weiter nöthigen Verhandlungen gab, eilten voraus nach Venedig.

Diese Stadt hatte sich aus ursprünglicher Noth und Ohnmacht durch rastlose Thätigkeit und festen Willen so ununterbrochen und folgerecht emporgearbeitet, daß kein Freistaat des Abendlandes sie an Macht und Umfang der Handelsverbindungen übertraf, alle aber an Eigenthümlichkeit und Kühnheit hinter ihr zurückstanden. {1201} Jetzt legten jene Gesandten, nach ehrenvoller Aufnahme, dem Doge und dem Rathe ihre Anträge vor und baten um Belehrung, wie man das heilige Land am besten befreien könneDuchesne script. V, 752.. Die Venetianer freuten sich, daß Genua und Pisa, aus Ängstlichkeit oder Neid, eine Gelegenheit nicht benutzten, welche ihnen ungemeine Vortheile und Aussichten darzubieten schien, und schlossen ohne Zögerung im April 1201 mit den Baronen folgenden Vertrag:

200 »Die Venetianer stellen Schiffe für 4500 Pferde, 9000 Schildträger, 4500 Ritter und 20,000 Fußgänger; sie liefern Lebensmittel für Menschen und Thiere auf neun Monate. Hiefür zahlen jene bis zum ersten April 1202, und noch vor der Abfahrt 85,000 Mark Silber kölnischen Gewichts. Alle binnen Jahresfrist zu machende Eroberungen werden getheiltDandolo 324.  Sanuto vite 532.  Ramnus. 19., und etwanige Streitigkeiten durch sechs von jeder Seite erwählte Richter geschlichtet. Um Johannis 1202 segelt die Flotte mit dem Heere ab und richtet ihren Lauf gen Ägypten, dessen Unterwerfung die Freiheit des heiligen Landes unmittelbar begründet.«

Zum Angelde gaben die Abgeordneten dem Doge 2000 Mark, welche sie in Venedig angeliehen hatten, und kehrten erfreut über das gelungene Geschäft in ihre Heimath zurück. Hier fanden sie den Grafen Theobald von Champagne krank; als er aber ihre Erzählungen gehört hatte, sprang er begeistert auf, rief nach seinem Streitrosse und tummelte es, als sey er schon auf türkischem Boden unter ungläubigen Feinden. Es war seine letzte Freude: er starb, und nicht lange nach ihm auch der Graf von Perche. In solcher Noth boten die Kreuzfahrer dem Grafen von Bar le Duc und dem Herzoge von Bourgogne die Oberanführung, aber beide entschuldigten sich (der letzte im Angedenken an den Tod seines Vaters im Morgenlande); und nun warfen sie ihre Augen auf Bonifaz den Markgrafen von Montferrat, dessen zween Brüder im Orient schon Ruhm und Tod gefunden, und dessen Tochter Agnes den Grafen Heinrich von Flandern geheirathet hatteAlberic. zu 1202.  Sanutus 203.  Bernard. thesaur. 818.. Bonifaz nahm das Erbieten in Soissons an, und mit dem Frühlinge des Jahres 1202 zogen die französischen Pilger durch Burgund und über den Berg Cenis; die Deutschen (unter ihnen der Bischof von Halberstadt, der Graf von Katzenellenbogen u. a. m.) etwas später über Basel und 201 Trident nach VenedigGünther histor. Constant. VII.  Wenck hess. Gesch. I, 255.. Manche waren indeß zurückgeblieben, andere hatten sich nach Marseille, noch andere nach Apulien gewandt; welche Zerstreuung nicht allein die Kräfte, sondern auch das baare Vermögen sehr minderte. Überhaupt entstand aus der vom Papste uneigennützig genehmigten Vertheilung der Gelder die übele Folge, daß sie schon in der Heimath angegriffen und auf dem ersten Theile des Zuges erschöpft wurden, niemand aber über große Summen zu gebieten hatte, ohne welche das Unternehmen in Stocken gerathen und Streit entstehen mußte. So, gleich anfangs in Venedig; wo nicht allein die Bedingungen jenes Vertrages erfüllt, sondern noch weit mehr in Hinsicht auf Zahl und Bemannung der Schiffe gethan war, als die Kreuzfahrer verlangen konnten. Nun aber forderten viele welche kein Geld mehr besaßen, daß man sie unentgeltlich aufnehmen, oder daß die Wohlhabenden für sie bezahlen möchten; andere verlangten, daß jene zurückbleiben, und die richtig Bezahlenden allein voraussegeln sollten; noch andere meinten, man müsse den Vertrag nur nach Maaßgabe des vorhandenen Vermögens und Bedürfnisses halten; die Unwilligsten endlich hofften, die ganze Unternehmung werde an diesem ersten Zwiste sogleich scheitern. Ihrerseits beschlossen die Venetianer, vor Erfüllung des ganzen Vertrages keinen Anker zu lichten und niemanden unentgeltlich mitzunehmen, noch sich mit Bürgschaften oder Anweisungen auf die Zukunft zu begnügen. In solcher Verlegenheit verpfändeten die Grafen von Flandern, Blois, St. Paul, Montfort u. s. w. alle ihre HabeGodofr. monach. zu 1201.; zuletzt fehlten aber immer noch 34,000 Mark an der festgesetzten Summe.

Der Papst mochte diese Ereignisse vorhergesehn haben, denn er wollte den ihm mitgetheilten Hauptvertrag nur unter dem Zusatze bestätigen: daß die Venetianer weder die Pilger übervortheilen, noch ihren Zug hindern oder 202 {1202} verzögern möchten. Jene verwarfen aber nicht allein diese Bedingung, sondern erklärten auch: sie würden keinen päpstlichen Gesandten aufnehmen: denn man bedürfe zur Leitung der Geschäfte keines anmaaßlichen Priesters, und nur als Prediger möge er mitreisenGesta Innoc. 43.. Innocenz rügte zwar jetzt diese Beleidigung nicht streng, verbot indeß (die weiteren Plane der Venetianer ahnend) jede Feindseligkeit gegen christliche Länder bei Strafe des Bannes.

Diese Drohung, vor welcher damals die meisten erzitterten, machte keinen Eindruck auf den Doge von Venedig. Obgleich in den mannigfachsten Geschäften für sein Vaterland bereits alt geworden und des Gesichtes beraubt, war Heinrich Dandolo, jetzt in seinem vierundneunzigsten Jahre, noch immer ein Mann von so ungeschwächtem Geiste, so kühnem Muthe und so unermüdlicher Thätigkeit, daß er gleich geschickt seine Plane von weitem her anzulegen, als im Augenblicke der Entscheidung durchzusetzen wußte und alle, die in seine Nähe kamen, unmerklich gewann oder überlegen beherrschte. Den Gebrauch seiner Augen hatte er nach einigen durch eine Wunde, nach andern durch die Grausamkeit Kaiser Emanuels verloren, welcher, bei der ungerechten Verfolgung aller Venetianer im griechischen Reiche, auch ihm ein glühendes Eisen nahe vor die Augen halten ließEs bleibt zweifelhaft, ob Dandolo auf Emanuels Befehl geblendet worden. Siehe Sanuto vite 508 und besonders du Fresne zu Villehard. 127.  Nach Dandolos Chronik 298, 322, war der Doge nicht ganz blind, sondern debilis visu und durch den Kaiser Emanuel visu aliqualiter obtenebratus. Dasselbe wird S. 329 wiederholt und daß Gott dem Doge die Rache in die Hand gegeben. Godofr. mon. zu 1201 u. Villeharduin erwähnen nur der Wunde.. Ist diese Angabe richtig, so wirft sie ein bedeutendes Licht auf die spätern Ereignisse.

Als nun, wie der Doge vorhergesehen hatte, die Noth und Unruhe der auf der Insel St. Nikola zusammengedrängten Pilger täglich wuchs, so versammelte er den Rath, legte 203 {1202} die Verhältnisse dar und fügte dann hinzu: wir könnten nach dem Buchstaben des Vertrags alles Eingezahlte behalten, ohne irgend etwas zu leisten. Weil uns dies aber übele Nachrede bereiten würde, so laßt uns lieber die Anwesenheit der Kreuzfahrer benutzen und mit ihrer Hülfe das zum Könige von Ungern abgefallene Jadera wieder einnehmen. Dafür kann man ihnen Fristen auf die rückständigen Summen zugestehn, bis sie selbst etwas erobern und zahlungsfähig werden. – Ungeachtet manches Bedenkens, willigten der Rath und auch die Kreuzfahrer in diesen Vorschlag, und nun suchte Dandolo einen solchen Antheil an der Leitung des Zuges zu bekommen, daß der beabsichtigte Gewinn den Venetianern nicht entgehen könnte. Deshalb bestieg er Sonntags in der Markuskirche, vor Anfang der Messe, die Kanzel und sprach zu den Versammelten: »ihr Herren, ich bin, wie ihr sehet, alt und schwach und hätte wohl der Ruhe nöthig. Aber an der herrlichsten, im Bunde mit den tapfersten Rittern der Welt auszuführenden Unternehmung möchte ich, wenn ihr es verstattet, Theil nehmen auf Leben und Tod. Auch wird euch bei diesem Zuge, ich weiß es, ungeachtet meiner Schwäche, keiner besser anführen, als ich.« – Als die Venetianer und die Pilger den erblindeten Heldengreis so muthig und so zutraulich sprechen hörten, brachen alle in Thränen aus und riefen einstimmig: er möge im Namen Gottes ihr Begleiter, ihr Führer seyn. – Dandolo stieg nun hinab von der Kanzel, ging zum Altare, kniete nieder und nahm das Kreuz.

Bald darauf waren, nach verdoppelter Thätigkeit, die großen Vorbereitungen glücklich beendet. VierhundertundachtzigDiese Zahl hat Ramnus. Andere haben etwas geringere. reich geschmückte und bemannte Schiffe von mancherlei Art lichteten am 8ten Oktober 1202 die Anker, und unzählige Zuschauer wünschten mit lautem Rufe den muthigen Pilgern Glück und Segen. So groß und mächtig hatte sich Venedig noch nie gezeigt; auch warteten die 204 {1202} zeither ungehorsamen Einwohner von Triest und Muggia gar nicht die Ankunft der sich nähernden Flotte abDandolo 320.  Marin IV, 22.  Carli V, Urk. 19, 20., sondern schickten Bevollmächtigte entgegen, Gehorsam und Zins darbietend. Deshalb ließ Dandolo nunmehr gen Jadera, dem heutigen Zara steuern, wo man am zehnten November 1202 landete. Viele erschraken vor den hohen Mauern und der trefflichen Befestigung dieser auf einer Erdzunge liegenden StadtTeutori saggio XII, 427.: aber noch besorgter waren die Einwohner, als sie sich zu Wasser und zu Lande eingeschlossen sahen und keine Hülfe in der Nähe wußten. Schon boten sie die Übergabe gegen Sicherung der Personen: allein während Dandolo ihren Vorschlag den übrigen Anführern zur Beistimmung mittheilte, hatten andere, welche diesem ganzen Unternehmen abgeneigt waren, den Bürgern durch die Versicherung Muth eingeflößt, daß der größte Theil der Kreuzfahrer an dem Kampfe nicht Theil nehmen werde. Gleichzeitig trat der Cistertienser-Abt Guido von Vaux de Cernay auf und verbot im Namen des Papstes jede Feindseligkeit gegen eine christliche Stadt, deren Herr, König Emerich von Ungern, sogar selber das Kreuz genommen habeInnoc. III. epist. V, 103; VII, 202.. Wegen dieses die Übergabe der Stadt vereitelnden Zwistes zürnte Dandolo sehr und sprach: »Jadera war in meinen Händen, ihr aber habt es mir, gegen den Vertrag, entrissen. Soll Venedig, welches mit den aufgewandten Kräften alle Feinde hätte besiegen können, treulose Unterthanen und Seeräuber im Rücken lassen und nur eure Zwecke befördern, während ihr für uns nichts thun wollt? Soll die vorgebliche Annahme des Kreuzes den um das heilige Land ganz unbekümmerten König im Besitze unrechtmäßig erworbenen Gutes schützen? Ich fordere die ungesäumte Erfüllung des Vertrages, sonst sind auch wir durch nichts mehr gebunden.«

205 {1202} Nach so ernstlichen Vorstellungen Dandolos schlossen sich die meisten Pilger ihm an und bestürmten die Stadt, unbekümmert darum, daß die Bewohner heilige Kreuzbilder an den Mauern befestigt hatten. Am vierundzwanzigsten November 1202 ergab sich Jadera, und aus der auf die Franken fallenden Beute ward ein Theil ihrer Schuld an die Venetianer abgetragen. – Diese hatten sehr wohl vorausgesehen, daß man den Winter über in Dalmatien bleiben müsse; was ihnen, zur Ausbreitung ihrer Macht und zur Ersparung von Ausgaben, viel rathsamer erschien, als wenn man die Pilger noch mehre Monate in Venedig beherbergt hätte. Dagegen erblickten viele von den letzten nur bösen Willen und versteckte Plane in diesem Zögern, und geriethen deshalb, und vielleicht auch wegen anderweiter Zurücksetzung, in so blutige Streitigkeiten mit den Venetianern, daß alles Ansehn der Häupter kaum zur Herstellung der Ordnung hinreichte.

Sobald Papst Innocenz, theils durch die ihm zugethanen Geistlichen, theils durch den klagenden König Emerich, von der mit manchen Freveln begleiteten Einnahme Jaderas Nachricht erhielt, sprach er den Bann über alle Theilnehmer und machte die Rückgabe des Geraubten zur ersten Bedingung der Wiederaufnahme in die KircheInnoc. epist. V, 161; VI, 99, 100, 101.  Obertus zu 1203.  Günther IX.. Die Fürsten hielten aber, besonders auf den Antrieb des Markgrafen von Montferrat, diesen Spruch geheim, weil sich sonst wahrscheinlich das ganze Heer würde zerstreut haben. Gegen den Papst entschuldigten sie sich demüthig sowohl wegen dieser Maaßregel, als wegen des ganzen Unternehmens, und beklagten, daß, trotz ihrer Vorstellungen, die Venetianer Jadera schlechterdings nicht zurückgeben wollten. Innocenz antwortete hierauf: »sie möchten in Gesellschaft derselben zum heiligen Lande segeln, da die Fahrt einmal bezahlt sey, und eine frühere Trennung nur den 206 {1202} Frevlern Vortheil bringen würde: allein ihr Gemüth müsse auf der Reise traurig und reuig bleiben, und in Syrien jede Gemeinschaft mit den Gebannten aufhören. Nichts könne und dürfe übrigens die Lösung des Gelübdes noch länger verzögern.« – Und dennoch war bereits eine viel bedeutendere Abänderung des ganzen Kreuzzuges im Werke.

{1195} Kaiser Isaak Angelus, welcher den letzten Komnenen Andronikus gestürzt und dessen beide Söhne geblendet hatteSiehe Buch V. S. 420, 421., wurde nach einer fast zehnjährigen, sehr schlechten Regierung, im Junius 1195 durch seinen eigenen Bruder Alexius vom Throne gestoßen und ebenfalls geblendet. Alexius dem jüngern, dem Sohne des abgesetzten Isaak, gelang es dagegen nach einiger Zeit in lateinischer Tracht zu entfliehen und auf einem pisanischen Schiffe Italien zu erreichen. Hier nahm ihn der Papst, ungeachtet der Abmahnungsschreiben des neuen KaisersInnoc. ep. V, 122.  Gesta 43., theilnehmend auf; aber zu einer bestimmten Hülfsleistung fehlten ihm, den abtrünnig gescholtenen Griechen gegenüber, die im Abendlande wirksamen kirchlichen Mittel. Auch mochte Innocenz, bei aller Mißbilligung jener byzantinischen Frevel, sich um so weniger auf eine weit aussehende weltliche Unternehmung einlassen, da er damals in Apulien vollauf beschäftigt, und Alexius der jüngere überdies der Schwager Philipps, des gebannten deutschen Königs, warUrsperg. chr. 323.  Dandolo 319.  Nicetas Chon.  Alex. III, 346.  Godofr. monach. zu 1201.  Sanut. 230.  Guilielm. Tyr. 590.. Von diesem konnte der Hülfsbedürftige, ob des Krieges mit Otto IV, auch nur wenig Beistand erwarten; dennoch begab er sich auf den Weg nach Deutschland und erreichte Verona. Hier sah er unerwartet große Schaaren von Pilgern nach Venedig ziehen, und sehr natürlich entstand in ihm der Gedanke sich 207 {1202} ihres Beistandes für seine Zwecke zu versichern. Damals gaben ihm jedoch die Häupter in Venedig keine günstige Antwort, und als der Markgraf von Montferrat (dessen Bruder einst mit der Tante des Alexius verheirathet war) den Papst ausforschteDuchesne script. V, 756., wies dieser jeden dem Hauptzwecke nachtheiligen Plan zurück. Alexius ließ sich aber hiedurch keineswegs abschrecken, sondern gegen Ende des Jahres 1202 erschienen seine und König Philipps Gesandten in Jadera, erzählten das rührende Schicksal des Jünglings und bewiesen: daß den Kreuzfahrern, die so Großes und Schwieriges für Recht und Gerechtigkeit zu thun gelobt hätten, auch obliege diese Frevel zu bestrafen und den gestürzten Isaak wieder auf den Thron zu setzen. Weit entfernt, daß diese Unternehmung ihren Hauptzweck störe, werde er dadurch vielmehr erst erreichbar: denn Alexius wolle mit ihnen einen Vertrag eingehen, vortheilhafter als je einer in der Welt geschlossen wordenVincent. Bellov. lib. XXIX. c. 64.. Er zahlt, so sprachen jene, 100,000 Mark den Venetianern, 100,000 den Franken, giebt Lebensmittel für die Zeit des Zuges, sendet 10,000 Mann auf ein Jahr zur Eroberung Ägyptens, unterhält, so lange er lebt, 500 Ritter auf seine Kosten in Syrien, und unterwirft sein Reich dem römischen Stuhle!

Sobald diese Anerbietungen im Lager bekannt wurden, erklärten sich der Abt von Vaux de CernaySismondi II, 389., der Graf Simon von Montfort und viele ihnen Gleichgesinnte aufs lebhafteste gegen, Dandolo, die Grafen von Flandern, Montferrat, St. Paul und Blois aber für ihre Annahme. Diese schlossen aller Widersprüche ungeachtet, auf jene Bedingungen mit den Gesandten einen Vertrag, nahmen bald nachher Alexius unter großen Ehrenbezeigungen im Lager auf und segelten zu Anfang Aprils 1203 nach Korfu, welches sich diesem willig unterwarf. Als sich aber 208 hieran eine neue dreiwöchentliche Zögerung knüpfte, trennte sich die größere Hälfte der Kreuzfahrer ungeduldig von der kleinern, lagerte sich in einem besonderen Thal und war entschlossen, unmittelbar nach Syrien zu segelnBrief des Grafen S. Paul bei Godofr. mon. zu 1203.. »Dazu sind wir,« so sprachen sie, »durch unser erstes Gelübde angewiesen; dazu haben wir uns, nach der ersten sträflichen Übertretung, nochmals gegen den Papst verpflichtet. Wer darf also zu einem zweiten Wortbruche auffordern, der in Strafe und Schande stürzt? Wer ist im Stande dabei auch nur äußeren Vortheil nachzuweisen? Um unnützer griechischer Flüchtlinge willen sollen wir endlose Irrfahrten übernehmen, und statt das Grab des Erlösers zu befreien, fördern wir die weltlichen Handelszwecke der Venetianer. Während Ritter und Pilger der Wahrheit nach nur in deren jämmerlichem, unwürdigem Lohndienste stehnMan beschuldigte die Venetianer, daß Adel sie bestochen habe, den Kreuzzug von Syrien und Ägypten abzuhalten. In diesem Lande war eine gewaltige Hungersnoth, was genügte um zurückzuschrecken. Michaud III, 141., lassen sie sich kindisch durch unerfüllbare Versprechungen eines Hülflosen reizen, träumen von Heeren und Schätzen, und überreden sich: sie hätten gar fromm der heiligen römischen Kirche ein Reich gewonnen, wenn Alexius, der aus eigener Macht keinen Fuß breit Landes besitzt, ihr das seine zu unterwerfen verspricht! Darum laßt uns sogleich nach Syrien aufbrechen, wohin die flandrische Flotte, wohin schon manche Gewissenhaftere uns bereits zuvorgeeilt sind; oder laßt uns die in Apulien versammelten Pilger abholen, und unter der Führung des tapfern Grafen Walter von Brennes unser Gelübde sündenfrei lösenRamnus. 56.!

Als jene Grafen und die übrigen Anhänger des Alexius diese unerwartete Trennung und diese Beschlüsse vernahmen, erschraken sie sehr, und zogen in geordneten 209 {1203} Schaaren, mit aller Pracht kirchlicher Gebräuche und vorgetragenem Kreuzbilde, nach jenem Thale. Hier sprachen sie zu ihren Gegnern: »welcher Zweck euch oder uns auch als der nächste und wichtigste erscheint, darüber müssen wir einverstanden seyn, daß er nur mit ungetrennten Kräften erreichbar ist. Oder sind nicht alle diejenigen Pilger, welche in falscher Ungeduld von Venedig oder Jadera aus zu Lande oder zu Wasser eigenmächtig aufbrachenHalberstad. chron. 143., von Räubern erschlagen, oder in den Wellen umgekommen, oder durch Armuth zu Grunde gegangen? Haben diese Unglücklichen wirklich ihr Gelübde besser gelöset als wir, oder dem heiligen Lande irgend Nutzen gebracht? Weder die Einnahme von Jadera, noch das jetzige Vorhaben ist eine wahre Abweichung von unserm Gelübde: denn ohne jene würden uns die Venetianer nie ein Schiff überlassen haben; ohne dieses bleiben wir außer Stande als redliche Männer unser Versprechen gegen sie zu erfüllen. Auch haben ja, wie leider nur zu viele Erfahrungen zeigen, alle unmittelbar nach Syrien gerichtete Kreuzzüge keine Frucht gebracht: denn Syrien ist nicht ohne Ägypten zu behaupten, Ägypten aber nicht ohne griechischen Beistand zu erobern. Ihr werdet einwenden: wie davon die Rede seyn könne, während Alexius selbst als ein Hülfsbedürftiger unsern Beistand suche? Aber darf denn nach ritterlichen Grundsätzen der Mächtigere einen Unglücklichen verstoßen? Und ist denn Alexius in der That so ohnmächtig, als ihr meint? Durazzo und Korfu haben sich ihm schon unterworfen, und es läßt sich mit Bestimmtheit behaupten, daß alle Griechen nur auf eine Gelegenheit warten, um ihn an seines frevelhaften Oheims Stelle zu setzen. Dann wird er, so mächtig als dankbar, seine Versprechungen erfüllen, und wir erreichen auf scheinbaren Umwegen das Ziel, welchem ihr euch bei strenger Befolgung eurer Ansichten auch nicht einmal nähern könnt.«

210 {1203} Diese und ähnliche, wahrscheinlich schon oft und überall ausgesprochene Gründe, wirkten aber weder schnell noch entscheidend; weshalb die hiedurch geängsteten Grafen, Ritter und Edeln auf ihre Knie niederfielen und unter heißen Thränen flehten, jene Abgesonderten möchten sie nicht verlassen und durch einseitige Beharrlichkeit alle und jede Plane vereiteln. Als diese ihre lang verehrten Herrn, ihre nächsten Freunde und Verwandten so auf den Knien liegen und weinen sahen, brach ihnen das Herz, und sie erboten sich von jetzt an bis Michaelis unweigerlich alle Unternehmungen zu unterstützen, wenn man ihnen dann ohne weiteren Aufschub oder weitere Ausrede, binnen vierzehn Tagen genug Schiffe zur Abfahrt nach Syrien überlassen wolle. Dieser Vorschlag wurde von den Freunden des Alexius angenommen und auf dem Evangelienbuche feierlich beschworen.

Um Pfingsten des Jahres 1203 brachen alle versöhnt von Korfu auf, erreichten ohne Unfall den HellespontAuf der Fahrt ward Andros für Alexius gewonnen. und landeten bei Abydos. Nachdem sie sich hier gesammelt, erholt und gerüstet hatten, segelten sie an dem alten Lampsakus und Kallipolis vorüber, in die Propontis. Jetzt enthüllte sich vor ihren Augen jener Wunderreichthum unvergleichbarer Naturschönheiten, welcher von jeher selbst Unempfindliche hier tief ergriffen hat: es stieg Konstantinopel allmählich aus den Wellen empor und erhöhte ihr Staunen und ihre Bewunderung durch die Pracht seiner Paläste, die Herrlichkeit seiner Kirchen, die Zahl seiner Thürme und die Höhe seiner Mauern. Gleichzeitig aber entwickelte sich die ängstliche Besorgniß unter den Pilgern, daß ein Unternehmen von solchem Umfange wohl nie von so wenigen Menschen begonnen sey; mithin, bei dem ungeheuern Mißverhältnisse der Kräfte, gar leicht scheitern könne. Als Dandolo dies bemerkte, ließ er in der Gegend der Abtei St. Stephan Anker werfen, sprach den Verzagten Muth ein 211 und gab ihnen, nach seiner Kenntniß des Landes und der Verhältnisse, die nöthigen Rathschläge an die Hand. Diesen zufolge brach man des andern Morgens, am 24sten Junius 1203 wiederum auf und segelte dicht bei Konstantinopel vorüber. Unzählige Menschen standen auf den Zinnen, Steine und Pfeile flogen selbst bis in die Schiffe: die Ritter aber hatten mit Schilden, Waffen und anderen Mitteln eine Art von schützender Mauer um die Verdecke gezogen, und blickten, von vielen und widersprechenden Empfindungen bewegt, bald in die weite schöne Gegend, bald auf die ungeheuer große, trefflich befestigte Stadt, bald auf ihre Waffen und Rüstungen. Sie landeten vorsichtig auf der asiatischen Seite und besetzten die fruchtbaren Gegenden von Chalcedon oder Skutari.

Am folgenden Tage erschien Nikolaus Rossi aus der Lombardei als griechischer Gesandter, und erklärte erst höflich, daß der Kaiser die Anführer der Kreuzfahrer für die trefflichsten und mächtigsten Fürsten hielte unter allen denen, welche keine Krone trügen; dann aber gab er dessen Verwunderung zu erkennen, wie christliche Pilger so ihr Gelübde bei Seite setzen und einen Christen in seinem Eigenthume angreifen könnten. Gern würde er sie bei Eroberung des heiligen Landes unterstützen, jetzt aber sollten sie baldigst seine Staaten räumen: denn wenn ihrer auch zwanzigmal so viel wären, so würde er sie doch leicht tödten oder fangen können, sobald er seine Macht gebrauchen und ihnen überhaupt Böses zufügen wollte. – Dem Auftrage der übrigen gemäß, gab Konon von Bethüne zur Antwort: »schöner Herr! ihr sagt uns, euer Herr wundere sich, daß wir sein Reich feindlich betreten hätten; wir haben aber sein Reich keineswegs betreten, da er hier gegen Gott und gegen das Recht herrscht, und das Land seinem Neffen gehört, der hier unter uns auf dem Stuhle sitzt. Wenn er diesem die Krone abtritt und ihn um Verzeihung bittet, so wollen wir uns dafür verwenden, daß auch ihm verziehen und genug gelassen werde, um reichlich 212 {1203} davon leben zu können. Ihr aber hütet euch und bringt uns Botschaften solcher Art nicht noch einmal.«

Mit dieser Antwort entließen die Barone den Gesandten, und hofften durch Ausführung eines gleich nachher gefaßten Beschlusses ihren Angelegenheiten eine entscheidend günstige Wendung zu geben. Sie stellten nämlich den jüngern Alexius auf das Verdeck des ersten Schiffes der Flotte, segelten dann längs den Mauern Konstantinopels hin und riefen den am Ufer und auf den Zinnen zahlreich versammelten Griechen zu: »seht hier euren natürlichen Herrn! Verlaßt den Frevler, der ihn vertrieben hat! Wir sind nicht gekommen, euch zu bekriegen, sondern euch beizustehn; wenn ihr aber gegen Recht, Vernunft und Gott handelt, so werden wir euch so viel Böses anthun, als wir irgend können.« – Dieser Aufforderungen ungeachtet trat aber, zu allgemeinem ErstaunenStupuimus, valde admirantes. Brief des Grafen von S. Paul l. c., auch nicht ein einziger Grieche weder aus der Stadt noch vom Lande, auf die Seite des jüngern Alexius; und so erfuhren die Franken, – wie so viele nach ihnen –, daß Hoffnungen, von Vertriebenen erregt, sehr selten in Erfüllung gehen. Manche Griechen fürchteten den Kaiser; andern erschienen seine (in der byzantinischen Geschichte unzählige Maie vorkommenden) Frevel gar nicht besonders strafbar; die meisten hatten sich, wie gewöhnlich, in das Bestehende ruhig gefunden; alle endlich haßten die römisch-katholischen Fremden und wollten sich von ihnen weder belehren noch beglücken lassen.

Ihrerseits sahen die Franken nun ein, daß ohne Gewalt und Sieg nichts auszurichten, ein Angriff Konstantinopels aber, aus den schon erwähnten und noch aus andern örtlichen Gründen, äußerst schwierig sey. Zwei Seiten der in Gestalt eines Dreiecks erbauten Stadt zeigten sich vom Wasser eingeschlossen, und nur die dritte in Verbindung mit dem festen Lande. Zu dieser konnte man, abgesehn davon, daß 213 {1203} sie am stärksten befestigt war, nicht gelangen, ohne Herr der Seeseiten oder einer sichern Landungsstelle zu seyn. Von den beiden Seeseiten Konstantinopels erschien aber die, welche an der Meerenge lag, ganz unangreifbar, weil sich die Flotte (wegen der Strömungen aus dem schwarzen Meere) hier kaum auf kurze Zeit halten, viel weniger mit Sicherheit ankern konnte. Die zweite Wasserseite Konstantinopels streckte sich dem schönen und sichern Hafen entlang, welcher gegenüber durch die Küste von Galata und Pera begränzt wurde. Den Eingang zu diesem Hafen von der Meerenge her, hatte man durch Befestigungen mancher Art und durch starke Ketten gesperrt.

Alle diese Schwierigkeiten schreckten die muthigen Pilger nicht ab. Sie rüsteten sich in stiller Nacht, beichteten, nahmen das Abendmahl und lichteten die Anker mit Anbruch eines herrlichen Sommermorgens, in dem Augenblicke wo die ersten Strahlen der Sonne die Kuppeln von Konstantinopel vergoldeten. Sogleich besetzten die Griechen in ungeheurer Anzahl das gegenüberliegende Ufer bei Galata: allein dies erzeugte unter den Kreuzfahrern so wenig Ängstlichkeit, daß vielmehr einer dem andern mit rastlosem Eifer zuvoreilte, und Ritter und Knappen, ohne das Auslegen der Brücken abzuwarten, bis an den Gürtel ins Wasser sprangen, um desto eher den Kampf zu beginnen. Aber es kam gar nicht zum Kampfe: denn ohne allen Widerstand entflohen die feigen Griechen, und das reich bebaute europäische Ufer war hiedurch für die Franken gewonnen. Am folgenden Tage nahmen sie ohne große Anstrengung die festen, den Eingang des Meerbusens schützenden Thürme von Galata, sprengten mit einem großen Schiffe, der Adler genannt, die SperrketteAlberic. 427.  Dandolo 322., und segelten der zweiten Seite Konstantinopels entlang, in den innersten und sichersten Theil des Hafens. Von hier aus stellten sie eiligst die abgebrochene Brücke über den Fluß Bathyssus, welcher sich in den 214 {1203} Hafen ergießt, wieder her, und errichteten ein festes Lager bei der Abtei des heiligen Kosmas und Damianus, an dem nordwestlichen Ende der Landseite Konstantinopels, und so nahe bei dem berühmten Palast Blachernä, daß ihre Pfeile bis in dessen Fenster flogenBrief des Grafen von S. Paul. Godofr. zu 1203.  Ramnus. 77.  Gyllius 231, 291.  Banduri I, 7, 9, 27, 36.. Dennoch sperrten sie mit ihrer geringen Anzahl, eigentlich nur eins von den vielen Thoren der Stadt.

Hätte der unwürdige Kaiser, welcher früh genug von der ihm drohenden Gefahr Nachricht erhielt, nur irgend tüchtige Vertheidigungsanstalten getroffen; hätte sein Verwandter, der Admiral Stryphnos, die Flotte hergestellt und nicht veräußern lassen, was dazu in den Vorrathshäusern aufgehäuft lag, oder sich von den Schiffen wegbringen ließ: so würden die Franken nie durch den Hellespont eingedrungen, nie auf der europäischen Seite gelandet seyn. Ja Alexius vertraute selbst in diesem Augenblicke noch so sehr auf die Erneuung ihrer ihm nicht unbekannt gebliebenen Streitigkeiten, er verachtete so sehr ihre geringe Zahl, daß er den frühern Rath, jene Landung zu hindern, mit unanständigen verhöhnenden Worten zurückwiesIl feroit istre toutes les putains de Constantinople, si les feroit tant pisser, qu'ils seroient noyés, et de si vil mort les feroit morir.I. Guil. Tyr. 663..

Während sich der Unverstand und die Lässigkeit des Kaisers auf solche Weise kund gab, arbeiteten die Franken und Venetianer eifrigst an Fertigung von Kriegszeug aller Art: denn es ward ungeachtet einiger vergeblichen Versuche beschlossen, daß jene Konstantinopel zu Lande, diese mit der Flotte bestürmen sollten. Dandolo setzte Preise aus für diejenigen, welche zuerst die Mauern ersteigen würdenMartino da Canale 20., und mehr noch als diese Belohnungen, reizte und befeuerte sein eigenes Beispiel. Denn obgleich alt und blind, 215 {1203} ließ er sich in voller Rüstung auf die Spitze seines Schiffes hinstellen, nahm die Fahne des heiligen Markus in die Hand, und rief den seinen laut und drohend zu: sie sollten gerade auf das Ufer lossteuern. Die ganze Flotte folgte, und so wurde nicht allein hier die Landung erzwungen, sondern es gelang auch den Venetianern, an einer Stelle die Mauer zu ersteigen und fünfundzwanzig Thürme zu erobernUnter den Vertheidigern der Mauern von Konstantinopel nennt Villeharduin 65 Danois u. Anglois als Söldner, und auch Nicetas 351 spricht davon.. Unterdessen war der unthätige, feige Kaiser von seinem tüchtigern Schwiegersohne Theodor Laskaris endlich einmal dahin gebracht worden, daß er die in der Stadt befindliche Macht sammeln und zum Thore hinaus gegen die Feinde führen ließ. Der Zahl nach waren die Griechen den Franken wenigstens zehnfach überlegenNach dem Briefe des Grafen von S. Paul (Godofr. mon. zu 1203) kämpften nur 500 milites, 500 equites, und 2000 sarjati zu Fuß. Die andern deckten das Lager., und es entstand für diese die allerhöchste Gefahr: aber gerade in demselben Augenblicke erhielten Franken wie Griechen Nachricht von den Fortschritten der Venetianer, und Dandolo Nachricht von der Bedrängniß seiner Bundsgenossen. Da ließ er, um diese zu retten, und nicht minder um seinen Rückzug zu decken, die nächsten Häuser anzünden; woraus schnell eine so ungeheure Feuersbrunst entstand, daß die Griechen sogleich nach der Stadt zurückkehrten, und die Franken schon von aller Gefahr befreit waren, ehe die zu Hülfe herbeieilenden Venetianer eintrafen.

So hatte, bei wechselseitiger Besorgniß, zuletzt kein Theil an diesem Tage etwas gewonnen. Wenn indeß die 400.000 Einwohner der Stadt und die Bewohner des ganzen Landes nur einen Augenblick lang ermuthigt oder durch Vaterlandsliebe ergriffen wurden; wenn der Kaiser, statt zu hindern, nur einmal den bereitwilligen Kräften 216 {1203} freien Lauf ließ: so blieb für das, ohnehin durch Hunger hart gedrückte Häuflein der Fremden, keine RettungAlberic. 433.. In diesem wichtigen Augenblick entschied aber, – wie leider so oft –, die Nichtigkeit des Einzelnen über das Schicksal des ganzen Reiches. Allen Übermüthigen fehlt der wahre Muth, allen Leichtsinnigen die Standhaftigkeit, und alle Frevler werden über kurz oder lang von innerer, das Gemüth verwirrender Angst ergriffen: so auch der Kaiser. Anstatt zu thun, was ihm oblag und was er noch immer vermochte, entfloh er in der Nacht mit zusammengerafftem Gute, und die Franken, welche schweren Kämpfen entgegensahen, erstaunten, als die Botschaft eintraf: »der geblendete Isaak sey wieder auf den Thron gesetzt worden, und erwarte seinen Sohn und dessen großmüthige Beschützer.«

So sehr sich diese nun auch hierüber freuten, vergaßen sie doch der nöthigen Vorsicht nicht, und ließen durch ihren glückwünschenden Abgesandten dem Kaiser zugleich melden: daß sie seinen Sohn (für welchen so viel von ihnen gethan und aufgeopfert sey) erst frei geben würden, wenn er alle von diesem geschlossene Verträge bestätige. »Was ist der Inhalt dieser Verträge?« fragte hierauf Isaak, und der Marschall Gottfried von Villeharduin antwortete: »das griechische Reich unterwirft sich dem römischen Stuhle, zahlt uns 200.000 Mark, liefert uns Lebensmittel auf ein Jahr, stellt 10,000 Fußgänger auf ein Jahr, und besoldet fortdauernd 500 Reiter zur Eroberung und Behauptung des heiligen Landes. Dies hat euer Sohn Alexius eidlich versprochen, euer Schwiegersohn Philipp genehmigt, und wir verlangen, daß ihr es nun auch anerkennt, bestätigt und erfüllt.« – »Wahrlich«, entgegnete der erschreckte Kaiser, »wahrlich diese Bedingungen sind sehr schwer, und ich sehe nicht ab, wie ich sie werde erfüllen können: bei dem allen habt ihr aber so viel für mich und 217 {1203} meinen Sohn gethan, daß, wenn man euch auch das ganze Reich gäbe, ihr es verdient hättet.« So ward also, trotz aller Bedenken, theils aus Noth und Furcht theils aus Dankbarkeit der Vertrag bestätigt und Alexius von den Franken, unter dem höchsten Jubel der Einwohner, zum kaiserlichen Palaste geführt. Nach so großen Unfällen, Blendung, Gefängniß, Elend, Verweisung, sich auf dem Throne wieder zu finden, war so rührend, als ernste Betrachtungen über den Wechsel und die Wandelbarkeit menschlicher Schicksale erweckend. Am 19ten JuliusÜber den Tag finden sich Abweichungen, siehe Gibbon. 1203 wurde der neue Kaiser feierlich gekrönt, und machte einen Anfang mit Bezahlung des versprochenen Geldes. Zwischen Franken und Griechen fand Friede und wechselseitiger Handel statt, obgleich jene, zur Vermeidung von Streitigkeiten, nicht in Konstantinopel blieben, sondern sich jenseit des Hafens in Pera einlagertenVillehard. 94-100.  Rigord. 46.  Ne discordiae inter nos et Graecos fomitem ministraret moribus nostris adversa barbaries. Balduini epist. in Miraei oper. I, 110.. Alexius sah indeß sehr wohl ein, daß er sein Versprechen unmöglich in der ihm gesetzten Frist erfüllen könne und, sobald die Franken sich entfernten, in Gefahr bleibe Reich und Leben zu verlieren. Deshalb bat er diese: sie möchten bis zum nächsten Frühjahr verweilen, binnen welcher Zeit er alles so zu ordnen hoffe, daß er ihren Forderungen genügen könne und von seinen Unterthanen nichts mehr zu befürchten habe.

Über diesen Antrag entstanden Streitigkeiten zwischen den Pilgern. Die eine schon oft erwähnte Partei wiederholte ihre in Jadera und Korfu aufgestellten Gründe und bezog sich auf die entscheidend wichtige Beistimmung des Papstes. Dieser hatte ihnen geschriebenInnoc. III epist. VI, 101.  Ramnus. 96.: »wenn auch der ältere Alexius gegen seinen Bruder und Neffen gefrevelt hat, so ist es doch keineswegs ein Geschäft der Kreuzfahrer 218 {1203} darüber zu richten und durch Zögern die Befreiung des heiligen Landes zu erschweren. Wie kann Unrecht gehoben werden durch neues Unrecht? und welch Unrecht ist größer, als, das nicht zu thun, was euch obliegt? Alle Übertreter unserer früheren Vorschriften trifft unausbleiblich die Strafe des Bannes.« – Wir haben also, fügten jene hinzu, für Alexius mehr gethan, als wir sollten.; kann er sich dennoch aus eigener Macht, oder mit Hülfe der etwa um ihres Handelsgewinnes gern zurückbleibenden Venetianer nicht auf dem Throne erhalten: so beweiset dies nur, daß unsere ganze Unternehmung verkehrt war, nicht aber, daß wir verpflichtet sind Thorheiten auf Thorheiten zu häufen. Ihr habt uns Schiffe zur Abfahrt nach Syrien versprochen; ihr seyd Eidbrüchige, wenn ihr aus ungenügenden Gründen euer Versprechen nicht zur gesetzten Frist haltet.« – Hierauf entgegneten die andern: »der Papst werde das bisherige Verfahren der Kreuzfahrer gewiß billigen, sobald man ihm die Umstände gehörig darlege; er werde es billigen, daß sie den Kaiser nach dem Geschehenen nicht plötzlich verlassen wollten. Denn in diesem Falle erhalte man weder Geld, noch Mannschaft, noch Lebensmittel für die Fortsetzung des Zuges; wogegen es nach den bisherigen Erfahrungen höchst wahrscheinlich sey, daß sich Alexius mit Hülfe der Franken binnen wenigen Monaten völlig auf dem Throne befestigen und die Mittel zur Erfüllung aller seiner Versprechungen herbeischaffen könne. Überdies gehe dabei gar nichts an Zeit verloren, weil ein Aufbruch nach Syrien, so spät im Jahre, wo nicht ganz unmöglich, doch höchst unrathsam erscheine.« – Diese, von Ehrgeiz unterstützte und von den Bedürfnissen erzwungene, Ansicht überwog, und es ward ein neuer Vertrag mit Alexius geschlossen, wodurch er nicht allein den ältern bekräftigte, sondern auch die Verpflegung des Heeres bis zum nächsten Frühling, und die Bezahlung des Schiffslohnes an die Venetianer, bis zu Michaelis 1204 übernahm.

Nunmehr durchzog Alexius, in Begleitung des 219 {1203} Markgrafen von Montferrat und anderer Grafen und Edeln, sein Reich, brachte auch den größten Theil desselben zum Gehorsam, und kehrte im November 1203 stolz und erfreut nach Konstantinopel zurück. Der Wahrheit nach hatten sich aber seine Verhältnisse weder zu den Griechen noch zu den Franken gebessert, und die Einigkeit zwischen diesen beiden Völkern verschwand sogar bis auf den Schein. Dazu wirkten viele unvertilgbare Ursachen. Die Griechen nämlich zürnten, daß Alexius sie zurücksetze, den Spielgesellschaften und Gelagen der Franken, mit Verletzung der kaiserlichen Würde, ja des gewöhnlichen Anstandes beiwohne, und sich von albernen oder übermüthigen Pilgern statt seiner geheiligten Stirnbinde, ihre wollenen Mützen aufsetzen lasse. Ein Thronwechsel, der so viel neue Steuern herbeiführe, daß man selbst Kirchen und Gräber nicht verschone, sey viel zu theuer erkauft, und durch alle Frevel und alles Unrecht, das sich ihre Herrscher zeither wohl unter einander angethan hätten, sey das Volk weniger gedrückt worden, als durch diese neue Weise, mit Hülfe der rohen ungeschlachten Fremden das Recht zu handhaben. Lebhafter noch, als alle übrigen Stände, traten die Geistlichen auf. Sie sahen nicht bloß geldgierige Krieger, sondern auch Ketzer in den Franken: weil diese an das Fegefeuer glaubten, kein gesäuertes Brot zum Abendmahle nahmen, es nur in einer Gestalt genossen und das Ausgehen des heiligen Geistes vom Vater und vom Sohne behaupteten. Ihre, seit Jahrhunderten erwiesene, heilbringende Lehre solle die rechtgläubige griechische Kirche als thörichten Irrthum feige aufgeben, weil ein vertriebener, unwissender Jüngling es in eigennütziger Übereilung versprochen habe? Sie solle, was noch weit wichtiger erscheine, sich der unbedingten Tyrannei eines abendländischen Papstes unterwerfen? Das sey ferne! – Diese allgemeine Stimmung gegen die Franken wurde nicht nur durch kleine Unbilden, sondern auch durch ein ungeheures Unglück erhöht. Einzelne umherstreifende Pilger, welche hörten, daß man den Muhamedanern in einer 220 {1203} Moschee freien Gottesdienst verstatte, wollten dieser vermeintlichen Gottlosigkeit steuern und zugleich die Ungläubigen ausplündern. Diese aber widerstanden, Griechen kamen ihnen zu Hülfe, und dabei entzündete sich eine solche Feuersbrunst, daß die Flammenwogen mit beispielloser Gewalt ganze Straßen vor sich niederstreckten und Mauern, Kirchen, Paläste, unzählige Wohnhäuser, die schönsten Kaufläden und die reichsten Waarenniederlagen bis auf die Spur zerstörten. Acht Tage lang wüthete der Brand, ohne daß man seiner Meister werden konnte; viele Menschen kamen in den Flammen ums Leben, und die Überbliebenen wußten nicht, wo und wie sie ihr elendes Daseyn fristen sollten.

Bei dem hienach täglich steigenden Hasse der Griechen gegen die Franken, hielt es Alexius für gerathener, eine offene Fehde mit seinen Unterthanen, denn mit den Kreuzfahrern zu vermeiden; um so mehr, da er jetzt auf den Beistand des unterworfenen Reiches rechnete und voraussah, daß er die eingegangenen Versprechungen ohnehin niemals erfüllen könne. Die Fürsten waren aber keineswegs gesonnen, hievon das geringste nachzugeben, oder sich durch künstliche Unterhandlungen täuschen zu lassen; sondern schickten, des Zögerns überdrüssig, Gesandte an Alexius, welche ihm rund heraus sagten: »wenn er nicht unverzüglich allen fälligen Bedingungen genügte, so würden sie ihn auf jede Weise bekriegen.« Der Kaiser und noch mehr die vornehmsten Griechen fanden dies sehr anmaaßlich, und jener ertheilte eine unangenehme, ablehnende Antwort; worauf aber die Pilger, wie sie gedroht, sogleich die Feindseligkeiten begannen.

Anstatt daß Isaak und Alexius itzt einig und kräftig gegen die kühnen Ankömmlinge hätten wirken und jeden Augenblick benutzen sollen, waren sie zerfallen und schmähten sich wechselseitig nicht ohne Grund. Der Sohn, so klagte der Vater, ergebe sich leichtsinnigen Zerstreuungen, stelle seinen Namen voran und gedenke ganz die Herrschaft an sich zu reißen: der Vater, so sprach Alexius, verderbe 221 {1204} die Zeit mit Verleumdern und albernen Wahrsagern, welche ihm Herstellung seines Gesichts und die Herrschaft über die ganze altrömische Welt versprächen. So unwürdiger Verhältnisse überdrüssig, empörte sich das Volk am 25sten Januar 1204, und verlangte von den mit Gewalt versammelten Senatoren und hohen GeistlichenNicetas 361.: sie sollten einen neuen Kaiser wählen. Diese zögerten aber, indem sie voraussahen, daß die Wahl eines Dritten nothwendig zur Aussöhnung zwischen Alexius und den Franken führen, mithin der elenden Lage des Reiches keineswegs ein Ende machen werde. Dessen ungeachtet beharrte das Volk auf seiner Forderung und suchte bald diesen, bald jenen Senator, jetzt mit Flehen, dann mit Drohungen zur Annahme der Krone zu bewegen, und erhob endlich, da keiner sich willig fand, aus eigener Macht einen Jüngling Nikolaus Kanobus. Obgleich dieser unbedeutend war und die Krone anfangs ablehnte, so glaubte Alexius dennoch, er könne sich nur durch die Franken erretten, und befahl, daß ihnen zu seiner Sicherung und zu ihrer Beruhigung der feste Palast Blachernä eingeräumt werde. Die hiezu erforderlichen Vorbereitungen sollte Alexius Dukas treffen, welcher von zusammengewachsenen Augenbraunen den Namen Murzuflos trug. Sein und des Kaisers Großvater waren Brüder gewesen, und er hatte zeither unter so vielen Feigherzigen fast allein darauf gedrungen, man solle sich den Franken mit Nachdruck widersetzen. Um so bedenklicher erscheint es, daß ihm Alexius jenen Auftrag ertheilte; auch beschloß Murzuflos, – der lange schon von Zorn und Ehrgeiz bewegt wurde –, bei dieser Gelegenheit den Jämmerlichkeiten der jetzigen Regierung auf byzantinische Weise ein Ende zu machen. Laut verkündete er selbst, daß die neuen Verhandlungen mit den Lateinern die Freiheit und Selbständigkeit des Reiches untergrüben, und gewann die Leibwache ganz für seine Plane. Dann ging er in der Nacht 222 {1204} zu Alexius, schreckte ihn zuerst durch Erzählungen von den furchtbar anwachsenden Gefahren, und bat ihn dann, unter den höchsten Versicherungen von Treue und Anhänglichkeit, den Maaßregeln zu vertrauen, welche er bereits für seine Rettung getroffen habe. Sobald aber Alexius aus dem Palaste hervortrat, ward er gefesselt und weil das ihm gegebene Gift, nach genommenem Gegengifte, unwirksam blieb, später, am 8ten Februar 1204 erdrosseltVielleicht ward Alexius erst nach den, weiter unten erwähnten, Verhandlungen mit den Franken ermordet.  Ramnus. 108.. Sein Vater Isaak starb vor Gram und Schrecken und der unbedeutende Nikolaus Kanobus wurde leicht beseitigt. Murzuflos, welcher nunmehr den Purpur selbst annahm, behauptete zwar, die Kaiser wären beide natürlichen Todes gestorben, und ließ sie feierlich begraben: niemand aber wurde dadurch getäuscht, und am wenigsten die Franken.

Mit verdoppeltem Ernste wandten sich diese zum Kriege: nicht allein weil alle Verträge und Versprechungen durch Murzuflos Thronbesteigung aufgelöset erschienen; sondern auch weil sie an Frevel dieser Art nicht gewöhnt waren und sich vielmehr für verpflichtet hielten, sie zu rächen und zu bestrafen. Lebhafter als je zeigte sich in diesem Augenblicke der Haß und die Verachtung gegen die Griechen: »ihre Macht«, so sagte man, »ihre Wissenschaften, ihre Vollendung in den Künsten ist längst verschwundenA philosophiae disciplinis nimium elongati, scientia liberarum artium perdita -; merito vilissimi et abjecti a cunctis - reputantur etc.  So sprach Roland. Patav. als die lateinische Herrschaft in Konstantinopel von den Griechen gestürzt wurde; wie viel mehr zur Zeit ihrer Gründung.. Seitdem sie sich von der heiligen römischen Kirche getrennt haben, sind sie befangen von unheilbringenden Irrthümern, zerschmettert durch unzählige Unglücksfälle, entblößt von jeder Zucht und Tugend; und während alle Völker sie für die jämmerlichsten und verworfensten Menschen halten, 223 {1204} rühmen sie sich dennoch in wahnsinniger Verblendung des Vorrangs vor allen! Jetzt aber ist die Zeit gekommen, ihr veraltetes Reich, – welches alle Unternehmungen des Abendlandes nicht durch Kraft, sondern durch Verrath und Tücke vereitelte –, zu zerstören, und an seine Stelle ein jugendliches, kräftiges und christkatholisches zu gründen. Haben wir einen rechtmäßigen Kaiser einsetzen können, so werden wir noch leichter einen unrechtmäßigen verjagen, und eigene Herrschaft ist reizender und heilsamer, als die Herstellung fremder, gefährlicher Gewalt.« – Diejenigen, welche zweifelten, ob der Plan löblich und ausführbar sey, wurden durch die Geistlichen und durch die Aussicht auf großen päpstlichen Sündenablaß beschwichtigt; die Fürsten und der Doge Dandolo aber waren so überzeugt von dem Nutzen und dem Gelingen ihrer Unternehmung, daß sie am 12ten März 1204 einen neuen Vertrag schlossen, folgendes Inhalts: »Konstantinopel wird unter Anführung der bisherigen Befehlshaber erobert, alle Beute an einem bestimmten Orte niedergelegt und, sobald die Verpflichtungen des Kaisers Alexius daraus erfüllt sind, zwischen Venetianern und Franken gleich getheilt. Zwölf, zur Hälfte von jenen, zur Hälfte von diesen ernannte MännerSechs Venetianer, zwei Lombarden, vier Franzosen, sagt Sanut. vite 529., wählen einen Kaiser aus dem Heere. Sind die Stimmen gleich, so entscheidet das Loos. Der gewählte Kaiser erhält ein Viertheil des ganzen Reiches und die Schlösser Blachernä und Bukkaleone; drei Viertheile des Reichs werden zwischen Franken und Venetianern getheilt. Die Geistlichen derjenigen Partei, aus welcher der Kaiser nicht gewählt ist, weihen die Sophienkirche und ernennen den Patriarchen. Für angemessenen Unterhalt der griechischen so wie der neuen lateinischen Geistlichen wird gesorgt, alles entbehrliche Kirchengut aber auf obige Weise den Weltlichen überlassenDandolo 324-328.  Innoc. gesta 92.  Iperius 687.  Innoc. epist. VII, 201, 205.. Zwölf 224 {1204} von Venetianern und Franken ernannte und beeidete Männer, vertheilen die Ehrenstellen und die, auch auf Weiber vererblichen Lehne; sie bestimmen die Dienste, welche dem Kaiser von diesen zu leisten sind. Kein Feind der einen oder der andern Partei darf im Reiche aufgenommen werden. Der Kaiser beschwört diese Bestimmungen, und von dem ihm schuldigen Lehnseide ist bloß der Doge für die an Venedig fallenden Besitzungen frei. Überhaupt bleiben deren frühere Vorrechte, Freiheiten u. s. w. durchaus unverkürzt. Bis zum März 1205 sollen alle für die Befestigung des neuen Reiches mitwirken und niemand sich entfernen. Beide Parteien verwenden sich bei dem Papste, daß er diesen Vertrag bestätige und dessen Übertreter banne.«

Murzuflos, die Gefahren voraussehend, suchte unterdeß Konstantinopel auf alle Weise zu befestigen. Doppelte Mauern, Denkmale alter Geschicklichkeit und Größe, umgaben die StadtGyllius 290 in Banduri I.; doppelte Gräben verhinderten das Nähern der Belagerungswerkzeuge und das heimliche Untergraben. Etwa von 500 zu 500 Fuß standen feste, steinerne Thürme, denen man jetzt noch hölzerne Stockwerke von solcher Höhe aufgesetzt hatte, daß ein abgeschnellter Pfeil kaum bis hinan flog. Vorspringende Erker erleichterten die Vertheidigung, und Leitern zum Hinauslegen über die Mauern, sogar den Angriff. Zwischen je zwei und zwei Thürmen war ein Kriegszeug aufgerichtet, zum Wurf gewaltiger Steine oder großer und vieler Pfeile. So hoch standen die Belagerten über den Köpfen der Belagerer, daß diese ganz in ihrer Gewalt zu seyn schienen. Stärker noch als die übrigen Theile der Stadt war die Seite gegen den Hafen hin befestigt, so daß die hier angreifenden Franken lange Zeit gar keine Fortschritte machten, und die venetianische Flotte durch geschickt abgesandte griechische Brandschiffe sogar in die äußerste Gefahr kam, ein Raub der Flammen zu werden.

225 {1204} Dagegen siegten die Pilger in allen Landgefechten, und Murzuflos wäre einmal durch die Feigheit der seinen fast gefangen worden. Überhaupt freuten sich die Griechen nicht sowohl seiner Thätigkeit, als daß sie über seine Willkür und die strenge Beitreibung von Steuern für die erschöpften Reichskassen, klagten. In solchen Verhältnissen kam es zu neuen Unterhandlungen zwischen den Franken und dem Kaiser, welche jedoch zu keinem Ziele führten, weil jene die Herstellung des, damals vielleicht noch nicht ermordeten Alexius, und die Erfüllung aller früheren Verträge forderten. Murzuflos erklärte: »er wolle lieber sterben und über Griechenland jedes Unglück hereinbrechen sehen, als seine Beistimmung geben zur Unterwerfung unter die abendländische KircheVitam amittere praeligeret Graeciamque subverti, quam etc. Epist. Balduini in Miraei oper. dipl. I, 110.

Nunmehr war jede Hoffnung eines friedlichen Ausweges gänzlich verschwunden, und die Kreuzfahrer, welche seitdem alles Nöthige zum Angriffe der Stadt vorbereitet hatten, erhoben am Morgen des neunten Aprils 1204 den Kampf. Allein ungeachtet aller Tapferkeit und Ausdauer, wurden sie von den Griechen mit beträchtlichem Verluste zurückgeschlagen, und waren in großer Verlegenheit über die weiter zu ergreifenden Maaßregeln. Manche hätten gern den ganzen Plan vereitelt gesehen; andere wollten die südwestliche, weniger befestigte Seite der Stadt angreifen; noch andere behaupteten, man müsse den Sturm auf derselben Stelle wiederholen. Diese Meinung siegte ob, weil die Flotte hier von dem Hafen aus kräftig mitwirken konnte, dort aber in die Gefahr gekommen wäre, von den Strömungen der Meerenge fortgerissen zu werden. Montags den 12ten April begann der zweite Sturm, und auch jetzt wollte es lange nicht glücken, die Leitern und Belagerungsthürme den Mauern zu nähern, vielweniger diese zu erstürmen. Endlich erhob sich ein günstiger Nordwind und trieb 226 {1204} zuerst zwei, zu größerer Wirksamkeit an einander gebundene Schiffe (bedeutend genug die Pilgerinn und das Paradies genannt), so glücklich gegen einen Thurm in der Gegend des Klosters der heiligen EuphemiaBanduri antiq. I, 31, 35; II, 489., daß das eine zur Rechten, das andere zur Linken anlegte und die Leiter der Pilgerinn befestigt ward. Andreas von Urboise und ein Venetianer erstiegen zuerst den Thurm; muthig folgten viele andere, und in dem ungeheuren Lärm und der nach allen Seiten hin getheilten Aufmerksamkeit wurde die griechische Besatzung vertrieben, ehe man ihr zu Hülfe kam. Angefeuert durch diesen Erfolg, drangen mittlerweile auch die übrigen Schiffe herzu, vier andere Thürme wurden erobert, drei Thore gesprengt, und von allen Seiten eilten Ritter und Fußvolk nach dem Orte hin, wo der Kaiser sein Hauptlager aufgeschlagen hatte. Vergebens suchte dieser die Griechen zum Widerstande zu bewegen; vergebens erinnerte er sie, daß der Kampf für die Lateiner in der ihnen unbekannten, feindlich gesinnten Stadt doppelt gefährlich sey: er sah sich in der allgemeinen Flucht mit fortgerissen, und so ohne Maaß war nach dem kurzen Übermuth der letzten Tage das Schrecken der Einwohner, daß, nach griechischen BerichtenNicetas 366., ein einzelner Ritter Tausende vor sich her jagte. Graf Balduin von Flandern übernachtete, – eine günstige Vorbedeutung –, in dem scharlachenen Zelte des Murzuflos, sein Bruder Heinrich rechts beim Palaste von Blachernä, der Markgraf von Montferrat etwas weiter vorwärts gegen das Innere der Stadt.

Aber ungeachtet dieser Fortschritte waren die Franken nicht ohne Sorge, sondern meinten: das Volk könne (wenn es jede Straße, jedes Schloß, jede Kirche der ungeheuren Stadt vertheidigen wolle) wohl noch einen Monat lang widerstehenVillehard. 128.. Auch hörten sie, daß Murzuflos einen neuen allgemeinen Angriff vorbereite.

227 {1204} Um diesen abzuhalten, oder aus Unvorsichtigkeit und Übermuth, oder auf den Befehl eines deutschen GrafenGünther XV., entstand in der Nacht eine neue große Feuersbrunst, und bei der hiedurch erhöhten Furcht und Verwirrung verzweifelte auch Murzuflos und entfloh heimlich durch das goldene Thor. Sobald dies mit dem Anbruche des Tages bekannt wurde, zankten die Griechen unter einander, ob sie an Theodor Dukas oder Theodor Laskaris ein Kaiserthum geben sollten das nicht mehr vorhanden war, und handelten noch über Sold und Geschenke, als die neu versammelten Kreuzfahrer schon herzudrangen, alle auseinandersprengten, und sich nun nach vollkommenem Siege in der ganzen Stadt verbreitetenRamnus. 123.  Du Fresne histor. I, 16..

Im Palaste Bukkaleone fand man die verwittweten Kaiserinnen, Schwestern der Könige von Frankreich und von UngernBanduri ant. I, 9.  Gyllius 301, 363.  Du Fresne zu Villeh. 152.  Dandolo 329., und behandelte sie mit Anstand; sonst aber wurde jeder nur ersinnliche Frevel geübt in der unglücklichen Stadt. Zwar suchten die Anführer auf Zucht und Ordnung hinzuwirken: aber ohne Rücksicht auf ihre Weisungen trat eine allgemeine Plünderung ein mit all ihren Gräueln. Nicetas der Geschichtschreiber, einer der angesehensten Männer, floh mit seinem schwangern Weibe in geringer Tracht zu Fuße aus der Stadt, und hatte seine schönen Töchter durch Schmutz entstellt, um sie frevelhaften Nachstellungen zu entziehen. Aus ihrem kostbaren Palaste war nichts gerettet, als was sie mit sich trugen! Wenn so für die Mächtigern kein Rath war, wie viel weniger für die Geringern; und die griechischen Geistlichen litten wiederum noch mehr, als die Weltlichen. Selbst für Kirchen und Kirchengut zeigte keiner Achtung. Man nahm alles was Werth hatte, warf die Hostien aus den Kelchen, zerschlug die 228 {1204} schönsten Kunstwerke und Altäre, um sie zu theilen, und zog Lastthiere in die Sophienkirche, welche auf dem glatten marmornen Boden niederfielen und ihn verunreinigten. Ein unverschämtes Weib bestieg sogar den Chorstuhl des Patriarchen und drehte sich singend und tanzend darin umherNicetas 368.  Oger. zu 1203..

So gesellte sich herber Spott zu dem übrigen Elende, und die Habgier, mit welcher die Franken alle heiligen ReliquienReliquien aller Art von Christus, Maria, den Aposteln, Propheten, Märtyrern u. s. w. nach Halberstadt, Köln, Flandern u. s. w.  Chron. mont. sereni zu 1203.  Godofr. mon. zu 1208.  Miraei op. dipl. III, S. 374, Urk. 89.  Günther XVI.  Otto S. Blas. 49. wegnahmen, ist nicht minder empörend, als die rohe Gleichgültigkeit, welche sie gegen Kunst und Wissenschaft zeigten. Die Häupter, welche einsahen, wie schnell jene räuberisch wilde Unordnung ihre eigenen Kräfte und Plane zerstöre, setzten endlich fest: daß alle gemachte Beute in drei bestimmte Kirchen niedergelegt und, dem Vertrage gemäß, zwischen Franken und Venetianer gleich getheilt werde. Ein Fußgänger sollte halb so viel erhalten als ein Reiter, und ein Reiter halb so viel als ein Ritter. Sehr vieles wurde jedoch verheimlicht, obgleich man deshalb mehre und sogar einen Adlichen aufhängte. Immer behielten die Franken noch auf ihr Theil die ungeheure Beute von 400,000 Mark Silber (damals die siebenjährige Einnahme des KönigsGibbon XI, 56. von England), ferner 10,000 Reitpferde oder Lastthiere, und andere werthe Gegenstände von der mannigfachsten Art. Nur von Werken der Kunst und Wissenschaft ist, wie gesagt, nirgends die Rede, und allein die Venetianer scheinen dafür einigen Sinn gehabt, und manches VortrefflicheRamnus. 129., gleich den vier berühmten Pferden, ohne viele Worte und Anfragen in ihre Vaterstadt gesandt zu haben. Sonst wurden die meisten Kunstwerke aus Erz oder Metall 229 {1204} ohne Bedenken eingeschmolzen, und das Unschätzbare in geringes Kupfergeld verwandeltNicetas de statuis.  Banduri I, 93.  Heyne in commentt. Götting. Ao. 1791, p. 1.62; Ao. 1792, p. 292.. – Durch die drei Feuersbrünste, welche seit der Ankunft der Franken statt fanden und (wie Villeharduin sich ausdrückt) mehr Häuser zerstörten, als drei der größten Städte Frankreichs enthielten, hat die Menschheit mehr Unersetzliches verloren, als wenn alle Städte ungebildeter Völker abbrennten. Das unsichere, wurzel- und bodenlos hingepflanzte fränkische Kaiserthum konnte weder das alte ersetzen, noch neues erzeugen: aber der Zorn über die Thaten der Franken wird freilich gemildert, wenn man bedenkt: daß 400,000 Einwohner ihre aufs trefflichste befestigte Stadt von 20,000 Ankömmlingen erobern und so behandeln ließen; wenn man hört, daß unter den Griechen Nichtswürdige waren, welche sich sogar des Unglücks freuten, um durch Hökereien und Angebereien zu gewinnen!

Nachdem endlich die Beute gesammelt und wieder vertheilt war, kam es vor allem darauf an, daß man, ebenfalls den Vorschriften des Vertrages gemäß, einen Kaiser ernenne. Sechs venetianische Edle und sechs Geistliche (die Bischöfe von Soissons, Troies, HalberstadtDu Fresne histor. Constantinop. I, 18., Bethlehem und Akkon und der Abt von Loces in der Lombardei) schwuren auf das Evangelienbuch, nach bestem Wissen und Gewissen zu wählen; und solche Unparteilichkeit erwarteten die Franken mehr von Geistlichen, als von Laien, weil jene, ihres Standes wegen, selbst keine Ansprüche machen konnten. Die Wahlherren versammelten sich im Palaste des Doge, und zuvörderst war nun davon die Rede, ob man diesem Heldengreise nicht selbst die Krone aufsetzen solle? worauf er durch seine Verdienste das nächste Anrecht, und bei sechs venetianischen Wahlstimmen die größte Aussicht hatte. Aber die Venetianer hielten es für bedenklich, daß 230 {1204} das Oberhaupt ihres Freistaates zugleich Kaiser sey, und Bardo, einer unter den Wählern, erklärteRamnus 136.: »wenn man die örtliche Lage, die Flotten, die Macht und den jetzt geleisteten Beistand bedenke, so erscheine es allerdings am natürlichsten und rathsamsten, das Kaiserthum auf Venedig zu übertragen: andererseits würden sich aber vielleicht die übrigen alsdann wo nicht beleidigt, doch gleichgültig gegen die Erhaltung des neuen Reiches zeigen. Ohne deren fortdauernde Unterstützung könne Venedig, ungeachtet aller Macht und aller künftigen Anstrengungen, so große Länder nicht behaupten.« Nach einer solchen Erklärung konnte die Wahl nur auf den Grafen Balduin von Flandern, oder den Markgrafen Bonifaz von Montferrat fallen, und man ließ (Eifersucht und Streit zwischen dem Erhobenen und dem Zurückgesetzten befürchtend) beide versprechen: daß der welcher Kaiser werde, dem andern Kandia und alle Länder jenseit der Meerenge als Lehn überlassen, dieser aber seine Pflicht als treuer Lehnsmann erfüllen wolle.

Bei den nach feierlich gehaltenem Gottesdienst eingeleiteten neuen Berathungen, vereinigten sich alle Stimmen für Balduin: nicht sowohl aus Eifersucht der Venetianer gegen den ihnen keineswegs gefährlichen Markgrafen von Montferrat; sondern weil jener an sich mächtiger erschien, und man durch seine Verbindungen größere Unterstützung aus Frankreich und Deutschland, als von diesem aus Italien, erwartete. Ferner stand Balduin in der Blüthe seiner Jahre, hatte durch Gefälligkeiten Dandolos Gunst in hohem Grade gewonnen und war allen überalpischen Männern willkommener, als ein ItalienerBalduin war zweiunddreißig Jahr alt. Du Fresne zu Villehard. 156.  Nicet. constit. stat. 383.  Dandolo 330.  Alberic. 437.. – Als der Bischof Nevelon von Soissons aus dem Wahlzimmer hervortrat und den in gespannter Erwartung Harrenden die Erhebung Balduins verkündete, entstand die allgemeinste Freude: man setzte ihn 231 {1204} auf ein Schild, trug ihn zur Kirche, und der Markgraf von Montferrat erwies ihm vor allen andern mit größter Aufmerksamkeit die gebührende Ehre. Am 23sten Mai 1204 fand die feierliche Krönung in der Sophienkirche statt, wozu jeder sich schmückte, so gut er es vermochte, und in den neu erhaltenen Würden und Ämtern auftrat.

Gleichzeitig mit diesen weltlichen Angelegenheiten, gedachte man auch der geistlichen, und an die Stelle des nach Nicäa entwichenen Patriarchen Johannes Kamateros, erwählten die Venetianer, besonders auf Dandolos Betrieb, den Unterhelfer Thomas Morosini, welcher für einen Freund Papst Innocenz des dritten galt. Mit diesem waren die Verhältnisse noch keineswegs aufs reine gebracht. Sowohl Dandolo als die übrigen Anführer hatten ihm die Gründe des Zuges nach Konstantinopel entwickelt und, – dem Gewichte derselben nicht viel vertrauend –, große Geschenke mitgesandtEdelsteine, Gold- und Silber-Arbeiten, Kirchengefäße u. s. w. Die Genueser raubten alles, gaben es aber auf des Papstes Drohungen wohl wieder heraus. Innoc. epist. VII, 147., nebst der allgemeinen Bemerkung: »es sey mehr durch höhere Eingebung, als nach menschlicher Berathung geschehnSuperveniente inspiratione divina magis, quam humano consilio.  Innoc. epist. VII, 202; VI, 211.. Wider die gewöhnliche Regel der Jahreszeiten habe sie die Witterung begünstigt, und den von Gott gesandten Winden folgend, wären sie, gegen alle Erwartung, glücklich nach der Kaiserstadt gekommen. Kleinere Fehler möge der Papst übersehn, sich des Hauptgewinnes freuen und das Geistliche anordnen«Duchesne V, 282.. Diese Darstellung genügte indeß, wie schon oben erzählt wurde, dem Papste auf keine Weise, und selbst nachdem der jüngere Alexius obgesiegt hatte und die Unterwerfung unter die römische Kirche anbot, schrieb ihm Innocenz, die Schwierigkeiten richtig würdigend, zurück: »er möge nur bei seinem 232 {1204} Entschlusse beharren und Wort halten. Ob es Ernst sey, werde man aber erst sehen, wenn der Patriarch das Pallium aus Rom hole«Innoc. epist. VI, 210, 229, 230.. Als endlich die Verträge der Kreuzfahrer über die Theilung des griechischen Reiches, als die Nachrichten von der Eroberung Konstantinopels, von der Kaiser- und Patriarchen-Wahl einliefen; als berichtet wurde, daß der aus Palästina herbeieilende Legat, welchen die Venetianer früher nicht aufnehmen gewolltDer Legat hatte früher dem Papste geschrieben: den Venetianern liege weder etwas an ihm, noch an dem Banne.  Cardella I, 2, 148.  Innoc. epist. VI, 48., freundlich von ihnen anerkannt sey und sie von dem wegen der Einnahme Jaderas gesprochenen Banne und vom Pilgergelübde gelöset habe: so sah Innocenz allerdings ein, daß hieraus ein großer Gewinn für den römischen Stuhl hervorgehe, und nicht die Rede davon seyn könne, das Geschehene ungeschehen zu machen. Hingegen erschien so manches unreif, übereilt und tadelnswürdig, daß er, seine höhere Stellung behauptend, zwar die Freude über diese Fügungen Gottes nicht verhehlte, aber eben so wenig das Verwerfliche des menschlichen Thuns, um jenes Erfolgs willen, ungerügt ließ. Er schrieb den KreuzfahrernInnoc. gesta 57.  Epist. VII, 202-207.:

»Der Herr hat die Griechen durch euch gestraft für ihre Sünden, aber eure Herzen sind dabei nicht rein gewesen von habsüchtiger Begier, eure Hände nicht rein von Freveln. Es lag euch mehr daran Konstantinopel, als Jerusalem zu erobern, weil ihr den irdischen Reichthum dem himmlischen vorzieht. Ihr schontet weder Stand, noch Alter, noch Geschlecht, beginget Hurerei, Ehebruch und Nothzucht vor den Augen aller, und gabet selbst Matronen und gottgeweihte Jungfrauen den Unfläthereien der Söldner preis. Es genügte euch nicht, die kaiserlichen Schätze auszuleeren und Vornehme wie Geringe auszuplündern; 233 {1204} sondern ihr strecktet eure Hände auch nach den Baarschaften der Kirche und, was noch ärger ist, nach ihren Besitzungen aus, raubtet silberne Tafeln von den Altären, truget, alles Heilige verletzend, Kreuze, Bilder und Reliquien hinweg: so daß ihr die Ursach seyd, wenn die griechische Kirche durch solche ungeheure Verfolgungen bedrückt, zum Gehorsam des römischen Stuhles zurückzukehren verschmäht, indem sie nichts als Beispiele des Verraths und Werke der Finsterniß von den Lateinern sieht, und diese dafür mit Recht mehr denn Hunde verabscheut.«

Dem gemäß hob Innocenz die Bestimmung des Hauptvertrags auf, wonach den Geistlichen nur das zum Lebensunterhalt Nöthige gelassen werden sollte, erklärte seines Gesandten eigenmächtige Lösungen von Bann und GelübdeIm Januar 1205 wurde Dandolo durch den Papst zwar vom Banne, aber nicht vom Gelübde gelöset.  Innoc. epist. VII, 206, 207. für gesetzwidrig, und vernichtete die Wahl des Patriarchen: da Laien weder über die Art und Weise derselben etwas festsetzen, noch venetianische Geistliche, ohne päpstliche Erlaubniß, sich als Stiftsherrn der Sophienkirche betrachten dürften. In Rücksicht auf die persönliche Trefflichkeit des Thomas Morosini bestätigte er ihn, jedoch aus eigener Macht, als Patriarchen; so den päpstlichen Einfluß begründend und behauptend, ohne daß ein erheblicher Widerstand zu befürchten war, weil zuletzt geschah, was die Venetianer wünschten. Doch mußte Morosini, als er mit dem Pallium bekleidet von Rom nach Konstantinopel zurückkehrte, vorher in Venedig versprechen: er wolle zu Erzbischöfen, Bischöfen, und zu Stiftsherren bei der Sophienkirche bloß Venetianer ernennen und bestätigen, und sich ernstlich bemühen, daß sein Nachfolger wiederum nur aus der Mitte der letzten gewählt werde. Innocenz aber hob dies Versprechen aufIm Junius 1206.  Innoc. gesta 59; Epist. VII, 203, 208; IX, 130; XI, 76; XII, 105, 140., weil es erzwungen sey, und die Einführung eines solchen 234 {1204} beschränkten Geburtsrechtes den Gesetzen der Kirche zuwiderlaufe; er befahl, daß über alle geistliche Angelegenheiten ein neuer Grundvertrag entworfen werde.

Mehr Sorge noch, als diese Gegenstände, hatte unterdeß die weltliche Lage des Reiches veranlaßt. Durch die unerwarteten Siege der Franken waren die Griechen in so gränzenlose Furcht gesetzt worden, daß unglaublich kleine Abtheilungen von jenen die Eroberung ganzer Landschaften wagten und vollbrachten. Alle wurden jetzo vertheilt: der Markgraf von Montferrat erhielt das zum Königreich erhobene Thessalonich mit den umliegenden Gegenden, und veräußerte das ihm gleichfalls überwiesene aber noch nicht eroberte Kandia an die VenetianerDas Umständlichere bei Marini IV, 98. Vergleiche Sanuto vite 431, 530.  Tentori saggio IV, 107-112.  Privatpersonen bemächtigten sich, wo die Kräfte des Staats nicht zureichten, den Aufforderungen gemäß, einzelner Inseln.. Diese, vorzugsweise ihre Handelszwecke im Auge behaltend, empfingen oder unterwarfen nach und nach einen Theil der Hauptstadt, viele Küstenländer und Inseln; so den Peloponnesos, Euböa, Ägina, Corcyra, Melos, Paros, Andros, Zakynthos. Wir finden fränkische Herren in Argos, Sparta, Korinth, Athen u. s. w.; aber die alten Einwohner waren kein Gegenstand ihrer theilnehmenden Achtung, und die Steine konnten zu denen nicht sprechen, für welche selbst die Geschichte stumm warDandolo 330-335.. – Anstatt mit Muth und Gemeinsinn an die Spitze des Volks zu treten, zerstreuten sich die vornehmen Griechen nach allen Seiten hin; sie suchten nur für sich unabhängig zu werden und auf Kosten der Niederen zu gewinnen. Erst als Murzuflos und sein Schwiegervater, der ältere Alexius, sich aussöhnten und eidlich Hülfe versprachen, faßten viele neue Hoffnungen; aber wortbrüchig ließ dieser jenen gefangen nehmen und blenden. Später fielen beide in die Hände der Franken, und Alexius wurde 235 {1204} vom Markgrafen Bonifaz nach Montferrat ins Gefängniß geschickt, Murzuflos hingegen, einem Spruche der Barone zufolge (und ohne Rücksicht auf die Behauptung, daß der jüngere Alexius ein Verräther seines Vaterlandes gewesen sey), als ein Verräther seines Herrn, von der Säule des Theodosius in Konstantinopel hinabgestürztMichaud III, 615.  Villehard. 163.  Nicetas 392.  Oger. zu 1205..

Aus solchen, die natürlichen und sittlichen Kräfte zerstörenden Unfällen und Freveln, konnten sich die Griechen nicht plötzlich zu einer geordneten Verfassung und Wirksamkeit erheben; aber so lebhaft war ihr Haß gegen die Fremden, und so hart der sowohl von Laien als von Geistlichen gegen sie geübte Druck, daß gleichzeitig in den meisten Theilen des Reichs eine Empörung ausbrach, welche allen vereinzelten Franken das Leben kostete und an dem Könige der Walachen, Johann, insgeheim einen mächtigen Stützpunkt und Verbündeten gewann. Dieser hatte nämlich, der alten Fehden mit den Griechen eingedenk, seine Freundschaft den Franken angeboten; welche aber, ihre Kräfte und die Lage der Dinge verkennend, antworteten: er solle vorher alle dem griechischen Reiche entrissene Länder herausgeben.« – »Ich bin«, ließ ihnen hierauf Johannes sagen, »ein vom Papste anerkannter, christlicher König, und besitze meine Krone und meine Länder mit mehrem Rechte, als ihr das griechische Reich und die KaiserkroneDu Fresne I, 34.  Innoc. epist. VI, 141-144.. – Balduin und Dandolo belagerten das abgefallene Adrianopel, als sie sich unerwartet von dem walachischen Heere umringt und zu einer Schlacht genöthigt sahen, ehe Heinrich, des Kaisers Bruder, mit der nach Asien geführten Heeresabtheilung zu Hülfe kommen konnte. Die Schlacht ging am 15ten April 1205, ein Jahr nach der Eroberung Konstantinopels, trotz der tapfersten Gegenwehr verloren, der Graf von Blois ward erschlagen, der Kaiser, 236 {1205} welcher diesen heldenmüthig retten wollte, gefangen, und wenn nicht Dandolo und der Marschall Gottfried von Villeharduin die Flüchtigen gesammelt und mit größtem Muth und Geschick so geführt hätten, daß König Johann sie nicht fand und erreichte, so wäre schwerlich von dem ganzen Heere auch nur Einer entkommen.

Jetzt erst kehrte Graf Heinrich aus Asien zurück, viele tausend Armenier mit Weib und Kindern, mit Habe und Gut herbeiführend, welche sich aus Abneigung oder Furcht vor den Griechen unter den Siegern in Europa ansiedeln wollten. Als aber diese Armenier dem Grafen, welcher von Rodosto (oder Rhädestus) zu dem geretteten Überrest des Heeres eilte, nicht so schnell folgen konnten, wurden sie von den Griechen überfallen und fast sämmtlich erschlagen. Das Schloß Piga ausgenommen, beherrschte der tapfere Theodor Laskaris die ganze asiatische Seite des griechischen Reiches, und von dem europäischen Antheile Balduins behaupteten die Franken nur Konstantinopel, Rodosto und Selybrea. Unzeitige MißverhäitnisseFrüher zwischen Balduin und Bonifaz von Montferrat. Villehard. 158. schwächten außerdem ihre geringen Kräfte, und der durch sein Ansehn so wohlthätig einwirkende und oft vermittelnde Heldengreis Dandolo starb sechs Wochen nach jener Niederlage im siebenundneunzigsten Jahre seines AltersAm ersten Junius 1205.  Dandolo 333.  Ramnus. 213.  Navagiero 986.  Am fünften August wurde Peter Ziani zum Nachfolger erwählt.  Sanuto vite 535..

So schien durch dieses Übermaaß von Unglücksfällen das fränkische Kaiserthum seinem nahen Untergange zuzueilen, als viele Griechen unerwartet bei ihren Feinden, den Franken, Hülfe suchen mußten gegen ihre Freunde, die noch furchtbarer hausenden Walachen und Kumaner. König Johann hatte nämlich der Stadt Philippopolis eine milde Behandlung versprochen; kaum aber war er in ihrem Besitze, so 237 {1205} ließ er wortbrüchig den Erzbischof tödten, die angesehensten Einwohner lebendig schinden, viele andere hinrichten, den Überrest in Ketten abführen, die Mauern niederreißen und die Häuser und Paläste niederbrennen. Auf gleiche Weise wurden alle Orte geschleift die in seine Hände fielen, alle Einwohner getödtet und als Sklaven hinweggeführt; und gegen diese Behandlung schützte kein Versprechen irgend einer Art. Bei solchen Grundsätzen mag die Sage wohl gegründet seyn, daß Kaiser Balduin nicht, wie König Johann behauptete, im Gefängnisse natürlichen Todes starb, sondern daß er, wie andere berichten, umgebracht wurde. Nach einer dritten Erzählung verliebte sich Johanns Weib in den Kaiser, konnte ihn, – dessen Keuschheit allgemein gerühmt wird – aber nicht verführen mit ihr nach Konstantinopel zu entfliehen, um sie zu heirathenKönig Johann schrieb an Innocenz, Balduin sey im Gefängnisse gestorben. Nach Nicetas 413, ließ ihm jener Hände und Füße abhauen. Alberic. erzählt zu 1205 die Verführungsgeschichte und die Ermordung nach der Aussage reisender Priester. Hätte aber Heinrich, Balduins Bruder, dann wohl Johanns Tochter geheirathet? Später, 1224, gab sich ein Betrüger in Flandern für Balduin aus, und ward gehängt.  Medardi chron. Albert. Stadens.  Godofr. mon. zu 1224.  Aquicinct. auctar.  Gesta Ludov. VII, 287.  Alberic. zu 1225.  Iperius 705.  Kaiser Heinrich spricht bloß de obitu Balduins.  Martene coll. ampl. I, 1075.. Rachsüchtig klagte sie jetzt ihrem Manne, daß Balduin ihr unanständige Anträge gemacht habe, und bewirkte hiedurch dessen grausame Ermordung.

Balduins Bruder, Heinrich, der bisherige Reichsverweser, ließ sich nunmehr am zwanzigsten August 1206 in der Sophienkirche zum Kaiser krönen. Päpstliche Ermahnungen konnten den König Johann nicht zum Frieden bewegen, und Heinrichs Entschluß, seine Tochter zu heirathen, hätte den Schwiegervater auch wohl nicht in einen sicheren Freund verwandeltPipin c. 37.  Innoc. epist. X, 60.; da ward er, zum Glücke für die 238 {1207} Franken, im Jahre 1207 vor Thessalonich erschlagen, und sein Nachfolger Voryllas im nächsten Jahre vom Kaiser besiegt. Dieser behandelte die Griechen sehr milde, nahm sie an seinem Hofe auf und stellte sie im Heere oder bei der Verwaltung an; so daß sie keineswegs, wie vorher, bei den Feinden der Franken Schutz und Beschäftigung suchen mußtenDu Fresne hist. Constant. I, 22.. Er sorgte, daß die griechische Geistlichkeit nicht bedrückt, und der lateinischen das gelassen werde, was ihr gebührte. Ein darüber abgeschlossener und im August 1207 durch den vorsichtig einwirkenden PapstPlurima maturitate procedendum.  Innoc. epist. IX, 130, 142; X, 51, 120, 127, 128; XI, 12, 17, 23. Gesta 59.  Thomassin. de eccl. discipl. I, 1, 26, 5. bestätigter Vergleich setzte fest: die Kirche und die Geistlichkeit erhält als Eigenthum ein Funfzehntel aller Besitzungen, Zölle und Hebungen, so wie alles künftig Erworbenen. Hievon sind zwar die Bürger von Konstantinopel für ihren, nicht aber Fremde für denjenigen Handel frei, welcher in und außerhalb jener Stadt für ihre Rechnung geführt wird. Geschworne mitteln den Betrag jenes Funfzehntels aus, ziehen aber Klostergut nicht zur Berechnung. Das Vermögen und die Personen der Geistlichen sind frei von der weltlichen Gerichtsbarkeit. Die Lateiner geben an die Geistlichen den Zehnten von allen Feld- und Garten-Früchten, vom Vieh, der Bienenzucht und der Wolle, und widersprechen nicht, im Fall auch Griechen zu dieser Abgabe können bewogen werden. – Diesen ließ man ihre Gebräuche und einheimischen Bischöfe, beförderte aber vorzugsweise Personen, welche sich dem Papste günstig gezeigt hatten. Dessen Abgesandter stand in allen wichtigen Dingen über dem Patriarchen, und des letzten Gesuch, ihm alle Kirchen des Morgenlandes zu unterwerfen, ward von Innocenz unter dem Vorwande abgelehnt, es werde die Pisaner und Venetianer beleidigen. Streitigkeiten bis zum Werth von zehn Mark entschied der Patriarch; über wichtigere 239 {1207} Gegenstände durfte man sich nach Rom wendenFesta 65, 25.  Der neue Patriarch von Konstantinopel überließ dem Patriarchen von Grado alle früheren Rechte über venetianische Kirchen in Konstantinopel und dem ganzen Reiche; auch fielen diesem noch andere Hebungen und Zinsen zu.  Cornelio eccl. Veneta VIII, 230.. Der Plan einer völligen Vereinigung der griechischen und römischen Kirche, worüber Innocenz schon mit dem ältern Alexius umständlich verhandelt hatte, ward, um die Spaltungen nicht zu erhöhen, für jetzt mit Stillschweigen übergangen.

In weltlicher Hinsicht nahm man die Gesetze des Königreichs Jerusalem anCanciani leg. Barbar. III, 493.  Sanuto vite 350., und gründete damit ein Lehnssystem, welches aber durch einige Zusätze den Kaiser hier fast noch mehr beschränkte, als dort den König. Für die Rechte und die Freiheiten der Großen ward überall gesorgt, für die niedere Volksklasse geschah dagegen so wenig, als in Palästina. Zur Reichsvertheidigung sollten Venetianer und Franken in bestimmten Verhältnissen beitragen, im Fall der Kaiser und die fränkischen Großen, der Doge und sein Rath es nöthig fänden; aber selten waren diese Stimmberechtigten darüber einig, und bei so vielen innern und äußern Feinden fehlte nur zu oft Schnelligkeit und Tüchtigkeit der Ausführung.

Ihrer geringen Landmacht und der damaligen Ansichten halber, konnten auch die Venetianer nicht alles Land in unmittelbarem Besitze behalten, sondern mußten es, unter der Oberhoheit des Freistaates, gegen Zins- und Kriegs-Verpflichtung ausleihen; entweder an venetianische Edle, an die treusten AnhängerMarin IV, 65, 98., oder an griechische Große, damit sie durch diese das Volk gewönnen und so die Vertheidigung erleichterten. Das Lehnssystem reichte hin zum Schutze alten friedlichen Besitzes und zur Abwehrung von Gewalt; es konnte und sollte aber nicht zur Gründung und Erhaltung großer, unsicherer Eroberungen genügen.

240 {1207} Gleichzeitig mit diesen Ereignissen und Maaßregeln gründete Theodor Laskaris, der Schwiegersohn Kaiser Alexius des älteren, ein Reich zu NicäaAlberic. 441.; Alexius, der Enkel des Kaisers Andronikus, ein Reich zu Trapezunt, und Michael, ein unehelicher Abkömmling aus dem Hause der Angeli, ein Reich in Epirus und Ätolien; – welche, trotz aller innern Fehden, dem fränkischen Kaiserthume immer gefährlicher wurden. – Es schien als hätten durch dessen Errichtung der Papst, die Franken, die morgenländischen Christen und die Venetianer auf gleiche Weise gewonnen: zuletzt blieb aber doch nur den letzten ein dauernder Vortheil. Denn sie erhielten zuvörderst neben der eigenen, auch den größten Theil der fränkischen Beute, als Zahlung für die große Frachtschuld oder für theuer verkaufte WaarenTemantza erzählt in seiner Erklärung eines alten Grundrisses von Venedig (Marin IV, 304): der Doge Peter Ziani habe für die Verlegung Venedigs nach Konstantinopel, der Prokurator Angelo Falieri dagegen gesprochen, und dieser nur durch eine Stimme im großen Rathe obgesiegt. Tentori saggio IV, 127 erklärt aber die ganze Erzählung für falsch.; ferner waren ihre Inseln gegen Anfälle gesicherter, als das feste Land; und endlich kam der Handel nach allen diesen wichtigen Ländern in ihre Hände. Der Papst und die römische Geistlichkeit und die fränkischen Lehnsherrn blieben dagegen gleich verhaßt; und anstatt dem Morgenlande neue Hülfe zu bereitenNegotium Graeciae multum impedivit negotium ecclesiae orientalis.  Reineri chron. zu 1207., hatte man auf unhaltbaren Grundlagen ein Reich gegründet, welches selbst der abendländischen Unterstützung bedurfte. Mit Ausnahme des Papstes, nahm aber niemand in Europa recht ernsthaften Antheil an diesem fränkisch-griechischen KaiserthumeHäufige Aufforderungen des Papstes an alle Christen, das neue Reich zu unterstützen,  Innoc. epist. IX, 45, 197-199., obgleich thätiger 241 Beistand doppelt nöthig ward, als der erst vierzigjährige Kaiser Heinrich, am elften Junius 1215, (um die Zeit der Krönung Friedrichs II in Achen) nach einer zu kurzen trefflichen Regierung, vielleicht an Gifte, kinderlos starb.

Nicht minder hülfsbedürftig waren die Christen in Syrien und Palästina. Sobald Adel von den großen Anstalten hörte, welche im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts getroffen wurden, um durch einen Kreuzzug die christlichen Besitzungen in Asien zu erweiternSanutus 204.  Bernard. thesaur. 820.; {1201 und 1202} ließ er Damaskus befestigen, eilte dann nach Ägypten, und verlangte, daß zur Aufstellung einer größeren Kriegsmacht die muhamedanische Geistlichkeit, nach Weise der abendländischen steuere. Diese gab zur Antwort, sie wolle für ihn beten, aber weder die Waffen ergreifen, noch Geld zahlen. Was soll aus euch werden, fragte hierauf der Sultan, wenn die Christen Ägypten erobern? – Was Gott gefällt, sprachen die Geistlichen. – Nicht also, erwiederte Adel; euch soll das Nothdürftige bleiben, mit dem Überreste will ich aber die Söldner bezahlen und die Feinde zurücktreiben. Man verzeichnete hierauf alle Einnahmen der Geistlichen und verfuhr nach des Sultans Vorschrift. Dessen ungeachtet würden die Christen, wenn sie ihren Zug nicht nach Konstantinopel abgelenkt hätten, vielleicht manche Vortheile errungen haben, da neuer Streit zwischen Adel und seinen Neffen ausgebrochen war: jetzt aber langten so wenig Pilger in Syrien anHauptsächlich über Marseille., daß König Amalrich den mit Adel bestehenden Waffenstillstand ihrentwegen nicht brechen wollte. Hierüber unzufrieden, zogen diese unter Leitung des Grafen von Dampierre gen Antiochien, dessen Fürst durch keinen Waffenstillstand gebunden war. Unterwegs wurden sie in Laodicea von dem saracenischen Befehlshaber Adels, um jener Verträge willen, günstig aufgenommen, zugleich aber 242 {1202 bis 1294} gewarnt, die Staaten des Sultans von Aleppo ohne Erlaubniß zu betretenGuil. Tyr. 655.. Diesen wohlgemeinten Rath verwarfen die Unvorsichtigen, worauf jener sprach: »so will ich, damit mein Gewissen rein sey, euch bis über meine Gränze begleiten, allein ihr werdet dem Verderben nicht entrinnen.« Sein Wort ging in Erfüllung, fast alle wurden von den Saracenen erschlagen oder gefangen. – Ungeachtet dieses Unfalls bewegten die später von Jadera anlangenden Grafen Simon und Guido von Montfort den König Amalrich, Feindseligkeiten zu beginnen; man kann indeß die Raubzüge der nächsten Jahre nicht Krieg, ihre Einstellung nicht Friede nennenAbulf.  Ogerius histor. Hieros. 1124..

{1204} Die Eroberung von Konstantinopel erweckte in den Saracenen neue Furcht, in den morgenländischen Christen neue Hoffnungen. Diese gingen aber nicht in Erfüllung: denn die meisten Pilger wandten sich freiwillig nach Griechenland, wo sie glaubten mit geringerer Mühe mehr zu gewinnen; andere wurden von den Venetianern daselbst, oder auf den Inseln, wider ihren Willen ausgeschifftInnoc. epist. VIII, 125; XII, 2.; ja sogar syrische Christen verließen Asien und setzten nach Konstantinopel über. Dazu kam noch manche andere Schuld und manches Unglück. Raimund von Antiochien lebte in fortdauerndem Zwiste mit dem Könige von Armenienibid. XII, 45; XVI, 2, 7., und während sich die Johanniter und der Patriarch für diesen erklärten, stellten sich die Templer und das Volk auf jene Seite. – König Amalrich starb zu Kaipha im Frühjahr 1205, worauf Johann von Ibelin, der Halbbruder der Königinn Isabelle, die Vormundschaft ihres Sohnes Amalrich übernahm, und auch nach dessen baldigem Tode die einstweilige Verwaltung des Reiches behielt. Dann schickte man Abgeordnete nach Frankreich, um für Maria 243 {1206} Jolanthe, die älteste Tochter Isabellens von Konrad dem Markgrafen von Montferrat, einen tüchtigen Gemahl auszuwählen; und König Philipp August empfahl den Grafen Johann von Brennes oder Brienne (einen Bruder des in Apulien umgekommenen Grafen Walter von Brennes) als einen schönen, klugen und tapfern MannSanut. 205.  Monach. Patav. 670.  Guil. Tyr. 680.  Estense chr. zu 1218.. Von dreihundert Gewappneten begleitet, holte sich Johann zuerst den Segen des Papstes in Rom, landete dann nach glücklicher Seefahrt den 13ten September 1209 in Kaipha, heirathete Marien am nächsten Tage, und wurde bald darauf mit ihr in Tyrus gekröntHistoire des Templiers I, 243, 259.  1212 starb die Königinn von Jerusalem..

Dies Auftreten eines neuen Königs ohne weitere Macht konnte aber die Lage der Dinge nicht ändern, und Beisteuern des Papstes reichten so wenig aus, als König Philipps von Deutschland frühere Bewilligung ansehnlicher AbgabenMiraei opera diplomat. III, 317, Urk. 86 v. 1207.  Innoc. epist. XI, 209; XII, 27, 28.  Martene thesaur. I, 805., welche bei den damaligen Unruhen keineswegs vorschriftsmäßig erhoben wurden. Einem allgemeinen europäischen Kreuzzuge blieb die Lage der öffentlichen Angelegenheiten in den nächsten Jahren noch immer ungünstig, obgleich im Jahre 1212 eine sonderbare Erscheinung bewies, daß der Gedanke an das heilige Land allerdings noch im Stande war die Gemüther sehr in Bewegung zu setzen. In der Gegend von Paris, und sehr bald nachher in den meisten Landschaften Frankreichs und einem Theile von Deutschland, traten Kinder, ohne Unterschied des Standes, zusammen, nahmen das Kreuz und behaupteten, Gott habe ihnen befohlen, das heilige Land zu erretten. Anfangs widersetzten sich die Verwandten und Freunde einem so thörichten Unternehmen: bald aber ward eine größere ZahlCredimus, factum hoc fuisse magica arte.  Reineri chron. 244 {1212} von Unverständigen dadurch angereizt: Männer verließen ihr Ackergeräth, Weiber ihre häusliche Arbeit, und schalten, den Vorüberziehenden sich anschließend, daß jene Widersprechenden nur aus Neid und Geiz den Finger Gottes nicht anerkennen wollten. Diese leichtgläubige Begeisterung benutzend, fanden sich bald Betrüger und SchurkenS. Medardi chron.  Auctor incert. ap. Urstisium.  Godofr. monach.  Alberic.  Oger Paris.  Coloniense chron, alle zu 1212. bei diesen Kreuzfahrern ein (wenn anders nicht schon der erste Anstoß und die erste Verführung von solchen Bösewichtern herrührte), und wußten ihnen ihr eigenes, oder das von theilnehmenden Personen empfangene Gut zu entlocken, so daß bald in den Heerhaufen große Noth ausbrach. – An 7000 Männer, Weiber, Knaben und Mädchen, kamen unter Anführung eines deutschen Knaben nach Genua, andere auf andern Wegen über die Alpen. Diejenigen konnten noch von Glück sagen, welche hier von den Italienern als Knechte oder Mägde behalten und nicht, wie die meisten, entweder ausgeplündert wurden, oder vor Noth, Hitze, Hunger und Durst ihr Leben verloren. Nur einzelne erreichten nackt und bloß ihre Heimath wieder, und mußten dann noch obenein den Spott ihrer Nachbarn, und die Mädchen insbesondere den Vorwurf ertragen: daß sie auf dem Zuge ihre Keuschheit wohl nur schlecht möchten bewahrt haben!

An 30,000 kamen nach Marseille, wo ihnen zwei Kaufleute versprachen, sie unentgeltlich nach dem heiligen Lande überzuführen. Aber von sieben schwerbeladenen Schiffen scheiterten zwei, und die übrigen segelten nach Afrika, wo die unglücklichen Kreuzfahrer ohne Mitleid in die Sklaverei verkauft wurden! Obgleich einige von den Verführern und Frevlern später ihren gerechten Lohn fanden, so wirkte diese Erfahrung doch im ganzen sehr abschreckend. Daher blieben in den Jahren 1213 und 1214 die allgemeinen Ermahnungen des Papstes zu einem Kreuzzuge, 245 {1214} gleich den Predigten Konrads von Marpurg in Deutschland, ohne großen ErfolgInnoc. epist. XVI, 28.  Erfurt. chron. S. Petrin. und Godofr. monach. zu 1214.. König Johann von England nahm zwar das Kreuz, konnte aber wegen innerer Unruhen den Zug nicht antreten. In Frankreich mißlangen die Bemühungen zum Theil selbst durch die Schuld des päpstlichen Abgeordneten, Roberts von Korkon, und seiner Gehülfen. Sie bezeichneten nämlichGuilielm. Armor. 88.  Belgic. chron. magn. 241.  Alberic. 487. ohne Unterschied Kinder, Alte, Weiber, Kranke, Blinde und Taube mit dem Kreuze, und hielten dadurch alle Reicheren und Besonnenern ab, sich solchem Haufen zuzugesellen. Ferner schalten sie in ihren Predigten ohne den gehörigen Anstand und über das gebührende Maaß auf die Geistlichkeit; wodurch diese dem ganzen Unternehmen abgeneigt ward und zugleich mit dem Könige, in Rom über jene Bevollmächtigten Klage erhob.

Aus all dem Gesagten erhellet: daß die Verhältnisse des heiligen Landes und des fränkisch-griechischen Kaiserthums höchst ungünstig, und alle zeither für deren Besserung angewandten Mittel durchaus unzureichend waren. Niemand nahm dies mehr zu Herzen, als Innocenz III. und ein Hauptzweck der im Jahre 1215 von ihm berufenen allgemeinen Kirchenversammlung war die gründliche Abstellung all dieser Übel. 246

 


 


 << zurück weiter >>