Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 3
Friedrich von Raumer

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Achtes Hauptstück.

Die Geschichte Neapels, Deutschlands und des Kreuzzugs nach Konstantinopel zeigt in den bestimmtesten Zügen, wie sehr und in welchem Sinne Papst Innocenz III auf seine Zeit einwirkte; dessen ungeachtet würde man nur ein unvollständiges Bild von dem damaligen Papst- und Kirchenthume erhalten, wenn man die in derselben Beziehung äußerst merkwürdige Geschichte der übrigen christlichen Staaten ganz mit Stillschweigen überginge. Deshalb wollen wir hievon an dieser Stelle, wenn auch keine ausführliche Darstellung, doch eine kurze Übersicht geben. Die Anordnung der italienischen Verhältnisse scheint dem Papste fast die meisten Schwierigkeiten gemacht zu haben; wenigstens konnte er einen Krieg der Römer gegen Viterbo weder verhindern, noch ihn seinen Wünschen nach beendigen. Ja es kam so weit, daß sich die Familie des Petrus Leo, die Ursini als Neffen des Papstes Cölestin, und mehre andere gegen Innocenz verbanden, einen seiner Verwandten auf öffentlicher Straße meuchlings umbrachten, den ihnen widerstehenden Senator verjagten und endlich den Papst selbst, unter mancher Beschimpfung, zur Flucht nach Kampanien zwangen. Als aber mit altrömischer Anmaaßung nicht auch altrömische Weisheit und Kraft zurückkehrte, einzelne Vornehme nur ihres eigenen Vortheils gedachten, als Mord, Brand und Hungersnoth entstand, welcher letzten Innocenz 247 klüglich auf seine Kosten abhalf; da hätte auch ein minder kräftiger Papst leicht diejenige Gewalt in vollem Maaße wieder erhalten, welche seine Gegner keineswegs zu gebrauchen verstandenGesta 84.  Registr. imperii 153..

Nicht geringere Schwierigkeiten stellten sich der nothwendigen Umbildung und Läuterung des römischen Hofes entgegen. So wie der Papst im großen, so wollte hier jeder Untergebene im kleinen herrschen, wenigstens erwerben und besitzen. Innocenz aber, einsehend, daß Anmaaßungen dieser Art an sich so verwerflich als für ihn gefährlich wären, entließ viele entbehrliche Beamte, bis zu den Thürstehern hinab, und gestattete den Bittenden gern unmittelbaren ZutrittRoger Hoveden 778.. Er hemmte Erpressungen von mancherlei Art und hob, mit Ausnahme der feststehenden Schreib- und Siegel-Gelder, alle Gebühren für päpstliche Briefe auf. Dreimal in der Woche mußten sich, – es war durch Unordnung abgekommen –, alle Berufenen zum großen Kirchenrathe versammeln. Hier untersuchte und prüfte Innocenz jede Eingabe mit solcher Genauigkeit und solchem Scharfsinn, legte die für jede Partei sprechenden Gründe so passend, bestimmt und vollständig dar, und zeigte sich über jede niedere Rücksicht so erhaben, daß noch jetzt seine auf uns gekommenen Briefe dem Inhalte und selbst der Form nach, als Muster rechtlicher Entwickelungen und Entscheidungen gelten könnenNec similem sui scientia, facundia, decretorum et legum peritia, strenuitate judiciorum, nec adhuc visus est habere sequentem.  Erfurt. chron. S. Petrinum zu 1215. Der Geheimschreiber des Papstes war Beneventanus, und dieser sammelte auch seine Briefe.  Bonamici 117.. Schon damals versicherten Rechtsgelehrte mehr in jenen Sitzungen, als in den Hörsälen gelernt zu haben; auch war ja der päpstliche Kirchenrath ein Hörsaal der ganzen christlichen Welt! 248 Während seiner Regierung wurden hier mehr und wichtigere Sachen, theils durch freiwilligen Entschluß, theils auf Befehl zur Entscheidung vorgelegt, als früher in ungleich längeren Zeiträumen. So schlichtete Innocenz, – um zuvörderst einige kirchliche Sachen zu erwähnen –, den verjährten und verwickelten Streit zwischen den Erzbischöfen von Braga und Kompostella über sieben Bisthümer, und zwang den Erzbischof von Kanterbury, nach dem Antrage des Kapitels, zur Abbrechung einer für das Hochstift nachtheiligen Kirche in Lamache. – Der Abt von Skozula mußte dem Erzbischofe von Mailand mehre Besitzungen zurückgeben, weil Innocenz die Falschheit der vorgelegten Urkunden, durch geschicktes Ablösen eines aufgeklebten alten Siegels entdeckte. – Mit Genehmigung der Erzbischöfe von Tours und Rouen war der Bischof von Avranches nach Anjou versetzt worden, aber Innocenz enthob sie alle ihrer Ämter: denn nur der Statthalter Christi könne die geistliche Ehe der Bischöfe mit ihrer Kirche lösen, ihre Sitze verlegen und ihren Rang bestimmen«Gesta 18. Epist. I, 50, 447, 532.. – Die gleiche Strafe traf, aus gleichen Gründen, den Patriarchen von Antiochien; und erst, als alle demüthig um Verzeihung baten und sich mit der Unwissenheit des, freilich erst durch Gehorsam entstehenden Rechtes entschuldigten, erfolgte Herstellung in den alten Besitz. – Der Bischof von Brixen hatte das Erzbisthum Salzburg angenommen, ohne des Papstes Bestätigung einzuholen; worauf dieser die Wahl vernichtete und erst nach der verlangten Unterwerfung wieder herstellte. »Sie sollen erkennen«, sagte Innocenz, »daß in der Bundeslade zugleich die Ruthe ist und das Manna.« – Bischof Konrad von Hildesheim, des Reichs Kanzler, und durch Geschlecht, Reichthum und Klugheit gleich ausgezeichnet, übernahm auf ähnliche Weise das Bisthum Würzburg, weil Papst Cölestin ihm verstattet habe, ohne eine weitere Anfrage zu einer höheren Würde zu gelangen. Innocenz 249 aber behauptete: Würzburg sey zwar ein reicheres Bisthum als Hildesheim, allein keineswegs von höherem Range. Wer eine Gemeine aus Stolz verlasse und sich aus Habsucht zur andern begebe, verdiene den Bann. Die weitere Klage des Bischofes, er sey ungehört, mithin widerrechtlich verurtheilt worden: wies Innocenz damit zurück, daß hierin gerade das Geständniß liege, den höheren Richter früher gesetzwidrig umgangen zu haben. Auch sey das Vergehen weltkundig und in Konrads eigenem Schreiben zugestanden; daher könne es der Papst, ungeachtet er jenen seit alter Zeit liebe und achte, doch nicht ungerügt und ungestraft hingehen lassen. Trotzige Widersetzlichkeit half dem Bischofe so wenig, als der Versuch, des Papstes Entschluß durch Geschenke umzuändern! Innocenz sandte die silbernen Gefäße und goldenen Becher zurück, und Konrad mußte endlich nach Italien pilgern, sich mit bloßen Füßen und einen Strick um den Hals gewunden vor Innocenz niederwerfen, die Hände in Gestalt des Kreuzes stehend emporstrecken und beiden Bisthümern eidlich entsagenGesta 19. Epist. I, 574; II, 204, 288.  Lünig Reichs. archiv Th. XX, S. 699, Urk. 244.. Erst im folgenden Jahre erhielt der durch diese Kirchenbuße Gedemüthigte das Bisthum auf die Bitte der würzburger Stiftsherrn aus den Händen des Papstes.

Allerdings stand diese Strenge in unmittelbarem Zusammenhange mit den unbedingten, von Erzbischöfen und Bischöfen keineswegs überall anerkannten Forderungen des römischen Stuhles: indeß war Innocenz, und dies gab seinen Ansprüchen Würde und Haltung, ein aufrichtiger Beschützer der Unterdrückten und ein wachsamer Beförderer der Zucht und OrdnungWie nöthig ein Oberer bei den Unordnungen und Lastern der Geistlichen war, darüber siehe z. B. Engels Geschichte von Ungern I, 282.. – In Bezug auf die weltlichen Herrscher äußerte er richtig: »der Bogen welcher immer 250 gespannt ist, verliert seine Kraft, und bisweilen werden die Könige und Fürsten besser gewonnen durch Milde, als durch StrengeEpist. XV, 109.;« – allein wenn jene Milde nicht ausreichte, ließ er es keineswegs an nachdrücklichen Maaßregeln fehlen. Das beweisen folgende BeispieleOb der Papst dazu berechtigt war oder nicht, ob er mehr Nutzen oder mehr Schaden stiftete, ist hier umständlich zu untersuchen keineswegs der Ort. Wir geben die Thatsachen und überlassen jedem das Urtheil..

König Sancho I von Portugal weigerte sich, einen jährlichen von seinem Vater Alfons an Lucius II versprochenen, aber selten bezahlten Zins von hundert Byzantinern gehörig abzutragen, schrieb in einem sehr anmaaßlichen Ton an den Papst, setzte den Bischof von Porto gefangen, weil er die Vermählung des Kronprinzen Alfons mit Urraka von Kastilien wegen naher Verwandtschaft mißbilligteEpist. I, 99, 448; XIII, 57, 75; XIV, 8, 58; XV, 24.  Dumont I, Urk. 227., und zwang endlich ihn und mehre gleichgesinnte Domherrn, nach Einziehung ihrer Güter, zur Flucht. Der Ausgang dieser Streitigkeiten war aber der: daß Sancho den Zins zahlte und sein Reich in den besonderen Schutz des apostolischen Stuhles gab, daß er die vertriebenen Geistlichen entschädigte und in ihre Würden herstellte, daß er endlich sein Testament dem Papste zur Bestätigung vorlegte.

König Alfons IX von Leon heirathete Theresia von Portugal, die Tochter seines mütterlichen Oheims, ward aber, da diese Ehe allen Kirchengesetzen zu schroff widersprach, bald darauf von ihr geschieden. In zweiter Ehe vermählte er sich itzt mit Berengaria von Kastilien

             Alfons VII
        ┌────────┴────────┐
   Sanktius III      Ferdinand II
        │                 │
   Alfons VIII        Alfons IX
        │
   Berengaria
: 251 allein da deren Großvater und des Königs Vater Brüder gewesen, so behauptete der um die Erlaubniß nicht befragte Papst, daß auch diese Verbindung nichtig sey, und sprach, weil die sich liebenden Gatten keineswegs seinen Befehlen gehorchen wollten, den Bann über sie und ihr Reich. Hierauf stellten jene vor: eine Auflösung ihrer Ehe müsse die hiedurch gestärkte christliche Macht zum Besten der so gefährlichen Ketzer und Ungläubigen wiederum schwächen, und ihre bereits erzeugten Kinder als uneheliche erscheinen lassen. Die Geistlichen fügten ferner hinzu: daß sie nach Einstellung des Gottesdienstes der Willkür aller Laien ausgesetzt blieben, und niemand mehr Zehnten und Abgaben zahle. Dessen ungeachtet meinte Innocenz: die Aufhebung des nach Kirchengesetzen gesprochenen Bannes, ohne vorherige Genugthuung, würde sträfliche Schwäche zeigen und eine Ungerechtigkeit gegen andere, strenger Behandelte seyn. Um indeß der Christenheit kein größeres Übel zu bereiten und einer gefährlichen Einigung der Laien gegen die Geistlichen zuvorzukommen, traf er den Ausweg: daß Gottesdienst gehalten werden dürfe, nur nicht in Gegenwart des gebannten Königs und seiner Räthe. Das Verbot der Beerdigung von Todten dauerte hingegen allgemein fort, bis der durch so vielfache Beeinträchtigungen, Unruhe und Störung der höchst nothwendigen Einigkeit endlich ermüdeteGesta 23.  Epist. II, 75.  Raynald zu 1193, §. 33, 34.  Ferreras Geschichte von Spanien V, 972, 976, VI, 5, 8, 12. König, seine Ehe trennte und froh war, als der Papst wenigstens seine Kinder für ebenbürtig erklärte.

Im November des Jahres 1204 landete König Peter von Aragonien mit fünf Galeeren und zahlreicher Begleitung in Ostia, ward auf des Papstes Befehl feierlich in Rom eingeholt und in eine bei den Stiftsherrn des heiligen Petrus eigens für ihn bereitete prächtige Wohnung aufgenommen. Seinen Wunsch, daß ihn Innocenz 252 kröne, erfüllte dieser, unter Beobachtung aller und jeder dabei vorkommenden Feierlichkeiten. Er überreichte ihm zuvörderst Mantel, Apfel, Krone, Schwert u. s. w.; dann aber legte der König Krone und Zepter wiederum auf dem Altare des heiligen Petrus nieder, nahm das Schwert nochmals aus den Händen des Papstes, erklärte sein Reich dem römischen Stuhle zinsbar und schwur: er wolle dem Papste und seinen Nachfolgern stets treu und gehorsam seyn, den rechten Glauben und die Kirchenfreiheiten schützen und in seinem Lande Friede und Ordnung erhaltenVitae Pontif. 480.  Murat. antiq. Ital. IV, 145.  Gesta 79.  Raynald zu 1204, §. 72.  Ferreras VI, 15, 20.. Des Königs Hoffnung, durch diesen Schutz eines mächtigeren Obern sein Ansehn zu erweitern, schlug aber fehl: denn als die Stände von Aragonien hörten, daß Peter dem Papste jährlich 250 Doublonen versprochen und das Reich für lehnspflichtig erklärt habe, zürnten sie ihm sehr, und er war nicht im Stande, eine Beisteuer von ihnen zu erhaltenEben so wenig ließ sich andererseits Innocenz durch des Königs willfähriges Benehmen bewegen, in die von diesem unbillig nachgesuchte Scheidung von seiner Gemahlinn Maria zu willigen. Epist. XV, 221..

Unter der Regierung König Swerrirs von Norwegen hatte man auf einem Reichstage festgesetzt: daß die Rechte der Laien auf die Kirchen nicht verkürzt, die Bußen nicht erhöht, und die Dienerschaft der Bischöfe auf eine gewisse Zahl ermäßigt werden sollten. Für diese Eingriffe in das Kirchenthum belegte Cölestin III das Land mit dem Banne, der jedoch in solcher Entfernung von Rom nur unzureichend wirkte: der Erzbischof von Bergen blieb nämlich auf der Seite des Königs, und einen päpstlichen Gesandten, welcher mit ungünstigen Vorschriften anlangte, jagte man aus dem Reiche. Daher erneuerte Innocenz den Bann unter strengeren Zusätzen, und trug den 253 Königen von Schweden und Dänemark die Vollziehung des Spruches auf. Swerrirs kräftiger Sinn und seine großen Anlagen siegten aber über diese Hindernisse, ob er gleich Bevollmächtigte nach Rom sandte, um eine Aussöhnung mit dem päpstlichen Stuhle zu vermitteln. Diese kam erst unter seinem friedlich gesinnten Sohne Hakon IV zu Stande, welcher die größtentheils aus dem Reiche vertriebenen Bischöfe wieder aufnahm und entschädigte. Nach Hakons Tode geriethen zwei Kronbewerber, Inge und Philipp, in Streit und der letzte berief sich auf die Entscheidung des Papstes, welcher auch dem Erzbischofe von Drontheim und dessen Sprengelbischöfen auftrug, die beiderseitigen Ansprüche zu untersuchen und darüber zu berichtenGebhardis Geschichte von Norwegen.  Gesta 24.  Epist. I, 384; XIV, 73. Unter Honorius III wurde die Untersuchung fortgeführt.  Regesta Honor. Jahr IV, Urk. 551.. Ob nun gleich Inge behauptete, der Papst habe durchaus kein Recht der Einmischung und Entscheidung, so sieht man doch, daß sein und der gewöhnlich sich an ihn anschließenden Geistlichkeit Ansicht und Ausspruch bei jeder Spaltung, selbst im fernsten Norden, von großem Gewichte war.

Innocenz bestätigte ferner das Erbgesetz des Herzogs Boleslaus für Polen, und nahm Wladislaus, den Sohn Ottos, der sich manche Unbilden gegen die Geistlichen erlaubt hatte, erst in Schutz, nachdem er Genugthuung leistete und jährlich vier Mark Silber nach Rom zu zahlen versprachRaynaldus zu 1211, c. 23.  Epist. XIII, 82; XIV, 44, 51..

In UngernEngels Geschichte von Ungern I, 282.  Epist. I, 271.  Gesta 42. vermittelte Innocenz die Streitigkeiten zwischen den königlichen Brüdern Emerich und Andreas, und befahl auf die Bitten des letzten, daß die Stände des Reichs dem ersten Kinde, welches ihm geboren würde, 254 den Eid der Treue leisten sollten. Nach einer solchen Bitte konnte man es kaum eine Anmaaßung des Papstes nennen, daß er, bei eintretenden Zwistigkeiten, dem Könige zu verstehen gab, er könne die Krönung seines Sohnes auch wohl hindern.

Vulkanus, der Fürst von Dalmatien, unterwarf sich dem apostolischen StuhleEpist. I, 525, 526; II, 176, 177., und päpstliche Gesandte ordneten hier alles nach römischer Weise, über Priesterehe, Verwandtschaftsgrade, Besetzung geistlicher Stellen u. s. w.

Johann, der Fürst der Bulgaren und Walachen, empfing die Königskrone aus den Händen des Papstes, und der Erzbischof von Ternova wurde von diesem zum Haupte der gesammten Geistlichkeit des Landes erhoben. Ihm bewilligte Innocenz zwar das Recht, den König zu krönen, Bischöfe zu weihen, das heilige Öl zu bereiten und dergleichen: allein der von ihm und allen niedern Geistlichen geschworne Unterwerfungseid war so bestimmt und unbedingt gefaßt, daß ihnen kein Recht zur Einrede blieb gegen päpstliche Einmischung und AbänderungenGesta 30..

Auch der höchste Geistliche in Armenien erhielt das Pallium von Innocenz, nachdem er einen ähnlichen Eid geleistet hatte; und wie bedeutend der Einfluß des Papstes auf die weltlichen Angelegenheiten jener Länder warGesta 69., findet sich bereits an anderer Stelle verzeichnet. – In solcher Ferne wirkte bald die Hoffnung, sich durch des Papstes mächtigen Beistand zu verstärken, bald die Ehrfurcht vor seiner Heiligkeit; daß er seinen Willen aber auch gegen den Willen der nähern und mächtigern Könige von Frankreich und England durchsetzte, zeugt in der That von noch größerer Überlegenheit.

Nach dem Tode seiner ersten Gemahlinn Isabelle von 255 Hennegau hielt Philipp August um Ingeburg, die Schwester König Kanuts VI von Dänemark, an, deren große Schönheit und Tugend man allgemein rühmte. Sie kam auch in Begleitung des Bischofs von Roschild nach Frankreich und ward im August 1193 getraut und gekrönt; aber der König war nach seiner Erzählung nicht im Stande die Ehe mit ihr zu vollziehen, und faßte überhaupt gegen sie einen so heftigen Widerwillen, daß er unverzüglich einen Scheidungsprozeß vor dem Erzbischofe Wilhelm von Rheims einleiten ließ. Dieser, des Königs Oheim und zugleich des Papstes Bevollmächtigter, lösete mit Zuziehung einiger Bischöfe die Ehe, ohne daß man die Königinn, welche des Französischen unkundig war, hörte, oder ihr einen Vertheidiger bestellte. Als ihr der ungerechte Spruch bekannt gemacht wurde, rief sie daher bloß: »böses Frankreich, böses Frankreich! Rom, Rom!« Unbekümmert um diese Berufung trennte sich der König nicht allein sogleich von ihr, sondern ließ sie auch, entfernt von ihren Dienern und Dienerinnen, in ein Kloster einsperren und mit ungebührlichen Mitteln antreiben Nonne zu werden. Endlich kam die Nachricht von ihrer Berufung auf den Papst nach Rom, und Cölestin schickte Bevollmächtigte zu einer neuen Untersuchung ab. Philipp August, welcher seitdem Maria Agnes, die Tochter des Herzogs von Meran, geheirathet hatte, gewann indeß oder schreckte die Gesandten und die Prälaten dergestalt, daß sie, nach den Worten des Chronisten, »wie stumme oder für ihr Fell fürchtende Hunde, nicht zu bellen wagtenRigordus 36.,« und auch auf dieser neuen, Form und Inhalt der Sache vernachlässigenden Versammlung in Paris, nichts zum Besten der Königinn festsetzten. Desto lauter wurden nun aber die Klagen des Königs von Dänemark, nicht allein über das von Philipp August seiner Schwester angethane Unrecht, sondern auch über das Verfahren der päpstlichen Bevollmächtigten; und bei dem 256 mittlerweile zum Papst erhobenen Innocenz III fand er ein williges Gehör. Ob nun gleich Philipp August dessen Ermahnungen, Ingeburg wieder als Gattinn anzunehmen, nicht befolgte, so suchte er doch sein Benehmen itzt gründlicher zu rechtfertigen: aber der Behauptung, die Ehe sey nicht vollzogen, widersprach Ingeburg, und den Beweis, daß sie ihn durch einen Frevel dazu untüchtig gemacht habe, konnte er gar nicht, den Beweis zu naher Verwandtschaft aber nicht in der vorgeschriebenen Art führenDie Verwandtschaft fand nach dänischen Behauptungen gar nicht statt, und die französischerseits vorgelegten Stammtafeln waren falsch.  Langebeck scriptores VI, 42 und 80 die Sammlung der Urkunden über Ingeburg. Vgl. Mezeray II, 253.. Überhaupt nahm der neue päpstliche Gesandte, Peter von Kapua, die Sache ernster, als seine Vorgänger, und belegte, weil Philipp August nicht gehorchen wollte, im December 1299 das Reich mit strengem Banne. Hierüber zürnte der König aufs äußerste, vertrieb die dem Papste gehorsamen Bischöfe und zog ihre Güter einAlberic. 418. Gesta 21.  Coggeshale 868.  Velly III, 377.: allein deren Beharrlichkeit, des Adels und des Volkes Unwillen über manche herrische und drückende Maaßregel, die fast allgemeine Überzeugung, der schönen Ingeburg geschehe Unrecht, und endlich das laute Klagen der gesammten, weltliche Verfolgung befürchtenden Geistlichkeit, vermochten den König zu dem Anerbieten: er wolle vor den päpstlichen Gesandten oder andern beauftragten Richtern Recht nehmen, und darüber eidliche Bürgschaft leisten. Klüglich unterscheidend antwortete der Papst: es sey die Frage, ob der König dem gesprochenen Rechte, oder dem zu sprechenden Rechte gehorchen wolle. Jenem gemäß, müsse er Agnes verweisen, Ingeburg aufnehmen und den Geistlichen allen Schaden ersetzen; dann werde die Lösung vom Banne erfolgen. Dieses, das noch zu sprechende Recht, betreffe dagegen den Scheidungsprozeß, über dessen Einleitung und Ausgang noch nichts feststehe.

257 Auf alle nur mögliche Weise suchte Philipp August eine Milderung dieses Spruches zu erhalten: aber der Papst erinnerte an die noch härteres vorschreibenden Kirchengesetze, an das noch strengere Verfahren seines Vorgängers Nikolaus gegen König Lothar, und fügte hinzu: »glaubst du etwa, daß wir an Macht und Amt geringer sind, als jener, weil wir ihm an persönlichem Verdienst und Kenntnissen nachstehen? oder daß er im Eifer für das Rechte gegen einen so mächtigen König vorschreiten durfte, wir aber gegen dich bei ähnlichem Eifer zurückbleiben werden? Wir hegen keinen Groll und suchen keine Händel: wollten wir aber von den Vorschriften des Evangeliums und den Beschlüssen der Kirchenversammlungen abweichen, und die Wahrheit und die Unterdrückten preis geben, so würden wir dadurch nicht allein gegen Gott sündigen, sondern auch unser Amt vor der Welt in Gefahr und Schande stürzenEpist. XI, 181, 182; XV, 106, 107.

Nochmals berieth sich hierauf Philipp August mit seinen Fürsten und Prälaten über den zu fassenden Beschluß, und allen schien es rathsam, daß er durch Gehorsam die Aufhebung des Bannes bewirke. Er folgte diesem Rathe und der Bann wurde gelöset; diejenigen Bischöfe aber, welche ihn nicht völlig beobachtet hatten mußten ihre Sitze aufgeben, oder doch persönlich in Rom um Verzeihung bitten: so der Erzbischof von Rheims, die Bischöfe von Autun, Orleans, Melun, Beauvais u. s. w. – Im Frühjahre 1201 wurde die Frage über die Scheidung selbst von neuem in Soissons vor dem Kardinalbischofe von Ostia und der hohen Geistlichkeit verhandelt. Für den König traten mehre und geschickte Vertheidiger auf, und schon hoffte er obzusiegen, weil aus Furcht vor seiner Rache keiner für Ingeburg zu sprechen wagte: da erschien ein unbekannter armer Geistlicher und bewies die Unschuld der Angeklagten und die Gewaltthätigkeiten ihrer Feinde mit 258 solchem Nachdruck und solchem Erfolge, daß Philipp August, den Spruch der Versammlung vorhersehend, wenigstens den Schein eines freien Entschlusses retten wollte. Er eilte zu dem Orte wo Ingeburg wohnte, nahm sie hinter sich aufs Pferd, brachte sie nach Paris und erklärte: er verlange weder Untersuchung noch SpruchVelly III, 379.  Aquic. auctar. zu 1201.. Die Königinn gewann zwar nie die Liebe ihres Gemahls, seitdem aber doch eine anständige Behandlung. Maria Agnes starb bald nachher, und der Papst, welcher aus dem ganzen Streite für die Feststellung und Erhöhung seiner Macht den größten Vortheil zog, erklärte deren Kinder aus Gnaden für ehelich und ebenbürtigEpist. I, 684..

Noch merkwürdiger erscheinen die Ereignisse in England. König Richard starb im Jahre 1199 an den Folgen einer Wunde, und sein Bruder Johann bestieg den Thron, mit Zurücksetzung seines Neffen ArthurHume König Johann Kap. XI. Er habe Arthur ermordet, Laudun. chr. 712.. Der neue König zeigte sich listig ohne Geschick, zornig ohne kräftige Haltung, eigennützig ohne große Zwecke, kriegslustig ohne ächten Muth, grausam mehr aus Furcht als aus innerer ungeregelter StärkeWickens chron. zu 1208.; er hatte sich schlecht benommen gegen seinen Vater, seinen Bruder und seinen Neffen; er war mit einem Worte ein elender Herrscher, dem seine Nachbaren und noch mehr der Papst ohne Mühe etwas abgewinnen konnten. Hiezu bot sich dem letzten eine schickliche Gelegenheit.

Nach dem Tode des Erzbischofs Hubert von Kanterbury wählten einige jüngere Stiftsherrn in der Nacht den zweiten Vorsteher Reginald, ließen ihn aber schwören: er solle, bis zu vollständiger Einleitung der Sache, seine Wahl geheim halten. Statt dessen reisete Reginald sogleich nach 259 Rom ab, trat schon in Flandern als Erzbischof auf, und hoffte in aller Eile vom Papste die Bestätigung zu erhalten.

Sobald dies kund wurde, zürnte nicht allein der unbefragte König, sondern auch die Sprengelbischöfe, welche behaupteten: sie seyen zur Wahl ihres Erzbischofes nicht minder berechtigt, als die Stiftsherrn. Ja mehre von den Wählenden nahmen aus Verdruß über den Wortbruch Reginalds sogar ihre Wahl zurück und erhoben, auf die bestimmte Weisung des Königs, den Bischof von Norwich zum Erzbischofe. Weil aber die auch bei dieser zweiten Wahl nicht zugezogenen Sprengelbischöfe in Rom Klage erhoben, und Reginald, von einigen Stiftsherrn unterstützt, fortwährend die Rechtmäßigkeit seiner Ernennung behauptete: so trat Innocenz als Richter auf und entschied, nach Anhörung aller Theile: »den Stiftsherrn stehe die Wahl des Erzbischofes von Kanterbury ausschließend zu, aber weder Reginald noch der Bischof von Norwich sey von ihnen auf gehörige Weise ernannt worden. Bei der einseitigen, in Hinsicht auf Ort und Zeit ungebührlichen ersten Wahl hätten sie alle kirchlichen Formen verabsäumt, und eine zweite Wahl dürfe vor höherer Vernichtung der ersten nie eintreten.« – Bis hieher war das Verfahren des Papstes nicht ungewöhnlich, und auch die Ausschließung der beiden Bewerber von der neu zu treffenden Wahl, schien dadurch begründet, daß die Wähler sich noch immer über keinen vereinigen konnten. Ungewöhnlich war hingegen der nächstfolgende Schritt. Innocenz befahl nämlich, die in Rom anwesenden funfzehn Stiftsherrn sollten, zur Vermeidung neuer Zögerungen und Streitigkeiten, sogleich einen Erzbischof wählen; denn schon bei Erhebung der Klage habe er nach England geschriebenGesta 82.  Math. Paris 155.: man solle für den Fall, daß keine der beiden Wahlen für gültig befunden werde, den Abgeordneten Vollmacht zu einer dritten mitgeben. Auch hatte der König erklärt, er werde den von diesen 260 Erwählten anerkennen, insgeheim aber sich eidlich versprechen lassen, sie wollten auf den Bischof von Norwich beharren. Dessen ungeachtet war die päpstliche Ausschließung des vielleicht Aufgedrungenen wohl manchen, allen aber die Erklärung willkommen: daß jedes einem Geistlichen über die kirchlichen Wahlen von einem Laien abgedrungene Versprechen ungültig sey. Und so kam es nun dahin, daß die in Rom gegenwärtigen Stiftsherrn, ohne Rücksicht auf Johanns Weisung und die wahrscheinlich ungenügenden Vollmachten, nach päpstlichem Vorschlage den Kardinal Stephan Langhton zum Erzbischofe von Kanterbury wählten.

Stephan war aus England gebürtig, ein Mann von großen Kenntnissen und tadellosen Sitten; so daß Innocenz wohl hoffen konnte, König Johann werde seine Bestätigung unbedenklich ertheilen. Um es jedoch nicht an äußerer Höflichkeit fehlen zu lassen, schickte er ihm um diese Zeit, als einem großen Liebhaber von Edelsteinen, vier goldene, reich mit solchen Steinen besetzte Ringe. Deren sinnbildliche Bedeutung, fügte er in seinem Schreiben hinzu, sey höher als ihr Werth. Die Rundung bedeute die Ewigkeit ohne Anfang und Ende; so solle auch er vom Irdischen und Zeitlichen, zum Ewigen und Himmlischen übergehn. Die gevierte Zahl deute auf Festigkeit des Gemüths und die vier Haupttugenden. Das Gold zeige, als erstes unter den Metallen, die Weisheit an, als höchstes unter allen Gütern; der grüne Smaragd bezeichne den GlaubenInnoc epist. I, 206.  Die Farben werden hier ungewöhnlich gedeutet., die Reinheit des Saphirs die Hoffnung, die Röthe des Granaten die Liebe, und die Helligkeit des Topas das Leuchten der guten Werke. Der König nahm dies Geschenk anfangs mit Freude und Dank auf: sobald er aber von jenen Vorgängen Nachricht erhielt, gerieth er in den höchsten Zorn und erklärte die Stiftsherrn von 261 Kanterbury für Verräther: weil sie nun zweimal ohne sein Wissen und wider seinen Willen gewählt, und obenein das Reisegeld nach Rom aus seiner Kasse genommen hätten. Er sandte zwei der grausamsten Ritter, Fulko von Kantelou und Heinrich von Kornhelle nach Kanterbury, welche alle Stiftsherrn, nur die Kranken ausgenommen, verjagten und sämmtliche Güter der Kirche in Beschlag nahmen. Dem Papste aber schrieb Johann: »er müsse sich sehr wundern, daß man einen unbekannten, ihm überdies feindlich gesinnten Menschen ohne seine Beistimmung zum Erzbischof erwählt habe. Innocenz und der römische Hof vergäßen mit Unrecht, wie vortheilhaft des Königs Freundschaft für sie zeither gewesen, und wie England das einträglichste unter allen nordalpischen Reichen wäre. Die Rechte seiner Krone würde er nöthigenfalls bis zum Tode vertheidigen, unwandelbar auf die Ernennung des Bischofs von Norwich bestehen und, wenn der Papst nicht nachgäbe, alle Pilgerungen und Zahlungen nach Rom untersagen. Auch wären die Bischöfe und Geistlichen seines Reiches zu klug und unterrichtet, als daß er nöthig hätte um ausländische Urtheile und Entscheidungen zu betteln.«

Innocenz antwortete: »in unserm Schreiben über die Angelegenheiten des Erzbisthums Kanterbury haben wir dich sorgfältig, milde und demüthig ermahnt und gebeten, du dagegen hast tadelnd und trotzig geantwortet. Wenn wir dir nun alles Recht gäben, du aber es uns versagen wolltest, so würde dies mindere Aufmerksamkeit zeigen, als sich gebührt; und ob uns gleich deine Zuneigung sehr viel werth ist, so ist dir auch die unsere nicht wenig nützlich. In dieser Angelegenheit, wo wir dir mehr Ehre erwiesen, als irgend einem Fürsten, bist du unserer Ehre mehr zu nahe getreten, als irgend ein Fürst, und stützest dich auf den eitelen Vorwand: Stephan Langhton sey dir ganz unbekannt und habe unter deinen Feinden gelebt. Die letzte Bemerkung (welche übrigens der ersten widerspricht) gereicht ihm zur Ehre, da er sich nur um der Wissenschaft willen 262 in Paris aufhielt und den größten Ruhm erwarb. Wie er, ein geborner Engländer, dir aber bei solchem Rufe sollte unbekannt geblieben seyn, begreifen wir kaum; und am wenigsten, da du ja dreimal unter großen Lobeserhebungen an ihn schriebest, zu seiner Kardinalsernennung ihm Glück wünschtest und den Vorsatz äußertest, ihn in deine Nähe zu berufen! – Mithin frägt sich nur, ob der andere Einwand, daß die Wahl ohne deine Beistimmung erfolgt sey, mehr Gewicht habe. Zur Einholung derselben wurden sogleich Bevollmächtigte abgesandt, die aber zufällig länger unterwegs blieben, als sie glaubten; später dagegen sind alle zur Wahl Berechtigten um deine Zustimmung eingekommen; welches um so mehr genügt, weil du, den kirchlichen Gesetzen zufolge, gar kein Recht hast, dich vor der Wahl entscheidend einzumischen. Verwickele dich also, geliebter Sohn, nicht in Händel, aus denen du dich schwerlich gut herauswickeln möchtest; vertraue nicht dem Rathe derer, welche dir Unruhen zu erwecken suchen, um desto besser im Trüben zu fischen; streite nicht gegen Gott und die Kirche für einen Mißbrauch, dem schon dein Vater, nach unheilbringenden Streitigkeiten, eidlich entsagte, und vertraue unserer Sorgfalt, daß, im Falle du dich gebührend beruhigst, für dich und die deinen aus dieser Sache kein Nachtheil entstehen soll.«

Als dies Schreiben ohne Wirkung blieb, ließ der Papst den König nochmals durch die Bischöfe von London, Ely und Worcester ermahnen, zugleich aber bedrohen: bei fortdauerndem Ungehorsam werde sein Reich mit dem Banne belegt werden. Anstatt nun auf die Gründe, Bitten und Thränen der Bischöfe Rücksicht zu nehmen, brach der König in die heftigsten Schmähungen über Innocenz und die Kardinäle aus, und schwur, nach seiner Weise, bei den Zähnen Gottes: »er werde, wenn jemand es wage den Bann auszusprechen, alle Bischöfe, Geistliche und Mönche zum Papste jagen und ihre Güter einziehen; er werde allen Römern, die man in seinem Reiche auffinde, die Nasen 263 abschneiden und die Augen ausstechen lassen, und so verstümmelt zur Warnung nach Rom schicken. Endlich bedrohte er die Bischöfe sogar mit körperlichen Mißhandlungen, wenn sie sich nicht sogleich entfernten und jenem päpstlichen Auftrage für immer entsagten. Ungeschreckt aber sprachen diese den Bann über das Reich, und die gesammte Geistlichkeit hielt es so sehr für ihre Pflicht, streng auf dessen Vollziehung zu halten, daß die wenigen, welche im entgegengesetzten Sinne verfuhren, als schlechte unwürdige Menschen betrachtet wurden. Und zu dieser Erfüllung des geistlichen Berufes gehörte allerdings große Standhaftigkeit: denn König Johann ließ die dem Papste Gehorsamen von ihren Sitzen verjagen, ihre Güter einziehen und ihre Kebsfrauen rauben. Viele Bischöfe und Geistliche flohen in die benachbarten Länder, viele wurden in England gefangen gesetzt.

Hierauf sprach der Papst den Bann über den König selbst: allein nach der Zerstörung alles Kirchenthums fand sich kaum jemand, der ihn öffentlich bekannt machen wollte. Doch blieb jene Maaßregel nicht lange verborgen, und nun steigerte auch Johann seine Strenge und ließ einem der angesehensten Staatsbeamten, welcher Zweifel darüber äußerte, ob ein Geistlicher länger im Dienstverhältnisse zum Könige bleiben könne, eine bleierne Kappe über den Kopf stülpen und ihn hungern, bis er im Gefängnisse starb. Im allgemeinen wirkten indessen die kirchlichen Strafmittel minder nachdrücklich, als man vielleicht in Rom erwartete: denn ein Theil des Volkes gewöhnte sich an die Unterbrechung der geistlichen Handlungen und die damit verbundenen Ersparnisse, der Adel aber theilte den geistlichen Raub gar gern mit dem Könige. Dennoch blieb Innocenz standhaft und ließ es an Zurechtweisung der Ungehorsamen und an Tröstung der Verfolgten nicht fehlen. Als ihn die Cistertienser baten: er möge ihnen, alten Rechtsbriefen gemäß, die Abhaltung des Gottesdienstes verstatten, damit die Sittlichkeit nicht leide und des Königs Herz durch Opferung der Hostie erweicht 264 werdeEpist. X, 159, 160; XI, 89, 90; XII, 10., gab er zur Antwort: ihren Rechts- und Frei-Briefen geschehe kein Eintrag, da in allen die höhere päpstliche Entscheidung vorbehalten sey. Um die Freiheit der ganzen Kirche zu erhalten, müsse man einzelne Nachtheile übersehn und nicht Schwäche zeigen oder Verwirrung anrichten. Ruhiges Tragen des Leidens werde bei Gott so günstig wirken, als die Opferung der Hostie. – Vermöge dieser Ansicht entsetzte der Papst, folgerecht vorschreitend, den König des Thrones, entband alle Unterthanen vom Eide der Treue und trug dem Könige von Frankreich auf, diesen Spruch zu vollziehenIm Jahre 1212.. Ob nun gleich Philipp August so eben erst das höchst Drückende päpstlicher Einmischungen erfahren hatte, und in der Annahme jenes Auftrages das offenbare Eingeständniß lag, daß der römische Hof Könige absetzen und einsetzen dürfe, so wurden doch all diese gewichtigen Rücksichten durch den Reiz überwogen, bei dieser Gelegenheit seines alten Gegners Reich zu erobern!

Sobald Johann von den französischen Rüstungen Nachricht erhielt, traf er zweckmäßige Gegenanstalten und alle erwarteten, daß es zum Kriege kommen werde. Der Papst, welcher zu Gewaltmitteln nur seine Zuflucht nahm, sofern mildere nicht ausreichten, und in dessen Plane die völlige Unterdrückung des einen oder des andern Königs nicht liegen konnte, hatte aber seinem neuen Gesandten Pandolfo befohlen, jeden zur Abschließung eines Friedens günstigen Augenblick wahrzunehmenRymer foedera I, 1, 57-65.  Epist. XV, 234, 236, 238; XVI, 76-78, 79-81, 131-138.. Zwei Tempelherrn, welche im Auftrage Pandolfos nach England gingen, stellten dem Könige Johann vor: »die französische Macht wäre der seinen überlegen, alle vertriebenen Geistlichen und Laien hätten sich derselben bereits angeschlossen, und viele englische Barone zum Abfalle geneigt erklärt.« – Vorstellungen und 265 Gefahren solcher Art, innere Besorgniß über die lange Ausschließung aus der Kirchengemeinde, angeborne Charakterschwäche, Gefühl manches begangenen Unrechts, endlich die Furcht vor einer Weissagung, er werde in diesen Tagen seine Krone verlieren; vermochten den König Johann mit dem Gesandten in Verhandlungen zu treten, durch welche der Papst zuletzt mehr gewann, als er vielleicht selbst je erwartet hatte. König Johann versprach nämlich nicht nur die Herstellung und Entschädigung aller Geistlichen, er entsagte nicht nur allen Patronatsrechten; sondern legte auch seine Krone förmlich nieder, und empfing sie dann als eine päpstliche Gabe aus den Händen Pandolfos. Er schwur dem Papste einen förmlichen Lehnseid und übernahm einen jährlichen Lehnzins von 1000 Mark Sterling. Die Barone waren zwar mit diesem Unterwerfungsvertrage keineswegs zufrieden und erpreßten von dem schwachen Könige, selbst gegen des Papstes Willen, den großen englischen Freiheitsbrief; doch blieb seit diesem Augenblicke Englands Abhängigkeit vom römischen Stuhle sehr groß, und König Heinrich III sandte dem Papste Honorius III Berichte über die Verhältnisse des Reiches, so wie sie ein Untergebener seinem Herrn zu erstatten verpflichtet istRymer I, 1, 89.. 266

 


 


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