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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Es war ausgemacht worden, daß wir Paris mit dem Nachtzug verlassen und die Ueberfahrt bei Tage machen sollten, da Elizabeth wie die meisten Amerikaner sehr seetüchtig war und gern auf Deck blieb, was uns einen sehr behaglichen, ruhigen Tag verschaffte. Die Amerikaner sind in allen ihren Anschauungen, Sitten und Gebräuchen viel freier als wir. Sobald eine Verlobung stattgefunden hat, gewährt man den beiden jungen Leuten die vollkommenste Freiheit. Das Institut der Anstandsdamen ist gänzlich unbekannt, und der junge Mann geht mit seiner Braut überall hin, als wäre sie schon sein angetrautes Weib. Er fährt sie spazieren und begleitet sie ins Theater; er speist mit ihr bei Delmonico, macht bei ihren und seinen Freunden Besuche, und sie spricht sogar in seiner Junggesellenwohnung vor.

Diese anscheinende Freiheit wird fast nie mißbraucht, und jeder Versuch, dies zu thun, würde mit dem Revolver und von der öffentlichen Meinung streng geahndet werden.

Demgemäß erlebte auch ich schöne Tage bis zu meiner Hochzeit, die, wie Mr. Rock gewünscht hatte, in unsrer Dorfkirche gefeiert wurde. Ich kann mir nicht versagen, noch eine Schilderung der Vorgänge in dieser Zeit hier einzuschalten.

Wir verweilten alle etwa eine Woche in meines Vaters Hause, und ich konnte nicht umhin, zu bemerken, obgleich es nicht zu meinen Obliegenheiten gehörte, diese Thatsache festzustellen, daß jene Art Sonne, die einst auf Danae herab gelächelt, alles zu vergolden schien. Die vernachlässigten Gärten wurden aufs schönste hergerichtet, auf den Fußwegen erglänzte frischer Kies und das Innere des Hauses sah ebenfalls aus, als sei es erneuert worden, ohne daß der ruhige, alte Eindruck dabei verloren gegangen wäre.

Mein Vater erklärte mir eines Morgens, ich sei von jeher der beste aller Söhne gewesen, und er habe immer prophezeit, daß ich es weit bringen werde. Daraufhin stieg er in den Keller hinab und kam mit einer Flasche Madeira zurück, der einst von meinem Großvater abgezogen wurde und dreimal die Reise um die Welt gemacht hatte. Wir tranken diesen seltenen Tropfen in meines Vaters Zimmer und unterhielten uns vertraulich und liebevoll miteinander. Im Laufe des Gespräches drückte mir mein Vater seinen Wunsch aus, das alte Gut einstens unverschuldet hinterlassen zu können, worauf ich ihm eine Anzahl Banknoten ausfolgte, mit denen ich mich in der festen Ueberzeugung, daß er sie zur Ausgleichung seiner Rechnung bei der Bank brauchen werde, vorsichtigerweise versehen hatte.

»Gott segne dich, mein Junge,« sagte mein also beglückter Vater zum Schluß unsres Zwiegesprächs, »und Gott segne auch das liebliche, reizende junge Mädchen, das dein Weib werden wird.«

Am nämlichen Abend machte ich einen längeren Spaziergang mit Elizabeth.

»Jack,« begann sie, »wir stehen im Begriff, alle unsre Verhältnisse zu verändern.«

Ich konnte dieser unleugbaren, geschäftsmäßig ausgesprochenen Behauptung nur zustimmen.

»Jack, ich bin es dir schuldig, dir zu erklären, warum Vater so handelte, wie er es gethan hat, und noch mehr bin ich es Vater schuldig, welcher der beste alte Mann ist, den die Erde trägt. Vater dachte, es sei dir um unsre Dollars zu thun, alle Leute haben ihm dies gesagt. Und weißt du, Jack, es ging nicht an, zu sagen, wir hätten keine Dollars, wo wir doch so viele besaßen, und dies allüberall bekannt war. So sagte Vater, er wolle ein wenig Euchre spielen, und hieß mich meinen Mund halten. Natürlich mußte ich ihm gehorchen. Obwohl ich sicher war, daß du dich bewähren würdest, fand ich diese Tage doch recht unangenehm. Dazu kam, daß Vater, der mit sich selbst uneins war, den ganzen Tag schalt und sagte, nächst den Dollars sei eine Tochter die ärgste Plage, die ein Mann nur haben könne, und von mir wissen wollte, warum ich ihm all diese Last mache. Nun weißt du, Jack, daß Vater Bekannte bei der Gesandtschaft hat, und dies ermöglichte ihm, dein Geschäft mit derselben zu durchschauen. Das machte ihn stutzig, und er fragte mich, ob meine Neigung noch immer dir gehöre. Natürlich erwiderte ich ihm, dies sei der Fall, und sagte ihm, was mir meine Pflicht als Tochter gebot, daß er sich thöricht benommen und lächerlich gemacht habe. ›Dem kann ich nicht widersprechen,‹ erwiderte Vater, ›und ich will überhaupt nicht mit dir rechten, Mädel!‹ Damit versöhnten wir uns wieder, Vater und ich. Das ist die ganze Geschichte, Jack.

»Aber weißt du, Jack, im Grunde seines Herzens hat dir Vater nie eine niedrige Gesinnung zugetraut. Er hat es nur für seine Pflicht gehalten, dich auf die Probe zu stellen. Vater hat so seine eigne Art, – es mag nicht ganz die meine sein, aber es steht mir nicht zu, ihm zu widersprechen oder entgegen zu handeln. Immerhin werde ich mich zu einem derartigen Scherz sobald nicht wieder gebrauchen lassen.«

»Ende gut, alles gut, Elizabeth,« antwortete ich. »Ich will noch nicht einmal sagen, daß dein Vater nicht völlig recht gehabt hat. Er kennt die Welt so gut wie einer und hat das Recht, sich seine eigne Meinung zu bilden und seinen eignen Weg zu gehen. Außerdem hat er Sorge getragen, mich nicht im mindesten zu beleidigen oder bloßzustellen. Es war ein spaßiges Erlebnis, aber es ist ja jetzt vorbei und vergeben und vergessen.«

Wäre sie ein englisches Mädchen gewesen, so hätte ich sie in meine Arme gezogen und geküßt; da sie aber eine Amerikanerin war, schüttelte ich ihr nur die Hand. Ich bin übrigens gar nicht sicher, ob mir nicht die amerikanische Art und Weise besser gefällt als unsre eigne.

Als wir nach Hause zurückkehrten, fand ich meinen Vater und Mr. Rock feierlich in der Buchen-Allee unter den Krähennestern auf und ab schreitend. Mein Vater strahlte; er sah unerschöpflichen Reichtum vor sich, den er durch seine eigne Thätigkeit und Lokalkenntnis erwerben konnte. Mr. Rock war ganz mit ihm einverstanden, daß der einzige Gedanke, den er in seinem Leben gehabt, auch der beste sei, den er nur hätte haben können. Es war ganz wunderbar, hatte Mr. Rock geäußert, wie mein Vater einen so glänzenden und eigenartigen Einfall nur hätte aushecken können. Es lag klar am Tag, daß das, was von dem Gut noch übrig war, von der Vorsehung von je zu einer großen Milchviehwirtschaft bestimmt worden war, die so vornehm betrieben werden mußte, daß auch ein Friedensrichter, mit den geeigneten Kräften unter sich, die Leitung auf sich nehmen konnte, ohne die zur Erfüllung seiner öffentlichen Pflichten nötige Zeit opfern zu müssen. Das einzige, was fehlte, war ein Kapital, und Mr. Rock lag alles daran, ein solches auf diese Weise anzulegen, da er die Spekulation für ungemein vorteilhaft hielt.

»Ihr Vater, Mr. Severn,« sagte Mr. Rock ohne einen Zug in seinem Gesicht oder den Ton seiner Stimme zu ändern, »ist ein sehr weitsichtiger Geschäftsmann. Er legte mir den Plan vor und sagte mir, er habe ihn sein ganzes Leben lang überlegt, aber das Kapital sei das Hindernis gewesen. Natürlich habe ich gesagt, daß ich mich eben jetzt nach einer guten Anlage für ein kleines Kapital umsehe, und daß dies die beste sei, von der ich je gehört hätte.«

Mr. Rock sprach so ungemein geschäftsmäßig, daß ich nicht einmal zu lächeln wagte.

»Allein Ihr Vater,« fuhr er fort, »ist zu alt, als daß man ihn mit Berechnungen und Zahlen und ähnlichem Kram langweilen dürfte. Außerdem entspricht dies auch nicht der Würde eines englischen Friedensrichters. Wir haben deshalb ausgemacht, daß ein kluger, tüchtiger junger Mann aus Jersey als arbeitender Teilhaber eintreten und Ihrem Vater die Einzelheiten abnehmen soll. Ich werde diesem jungen Mann kabeln, dann kommt er sofort herüber. Und ich hoffe, Mr. Severn, Ihr Vater wird sein Gut sich zu seiner Freude entwickeln und aufblühen sehen. Ich behaupte nicht, daß Oel darin steckt; das Oel hat die Vorsehung aus nur ihr bekannten Gründen auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Aber Dollars stecken auch in diesem Gut genug, wenn es sich entwickelt.«

Damit steckte sich Mr. Rock eine Cigarre an und bemerkte, es sei ein heißer Tag; er sei müde vom Sprechen und wolle etwas mit mir herumbummeln und dann unter den Ulmen einen guten behaglichen Trunk thun. So geschah es denn auch, und lange saßen wir unter den riesigen Bäumen, zwar wenig sprechend, aber in gänzlich befriedigter Stimmung, wie es Menschen gebührt, die keine Feinde besitzen und die beschwerlichsten ihrer Freunde entsprechend versorgt haben.


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