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Achtes Kapitel.

Ich ging an jenem Abend früh zu Bette, Schlittschuhlaufen macht sehr müde. Außer Schwimmen und vielleicht Lawntennis kenne ich keine andre körperliche Uebung, bei der man sich in einem gegebenen Zeitraum eine größere Müdigkeit holen kann. Vorsichtig öffnete ich mein Fenster, schürte das Feuer auf, um einen guten Abzug durch den Kamin zu bekommen, und legte mich zu Bett. Dann steckte ich meine Pfeife an und begann zu überlegen.

Susan Brabazon war außer meinem Bereich. Mit hinlänglich Zeit und Geld hätte ich ihre Spur vielleicht verfolgen können. Ich hatte ihr durch Vermittelung ihres Sachwalters geschrieben und ihr für das gedankt, was sie gethan hatte, um mich aus den Klauen Mr. Raphaels zu befreien; allein ich hatte keine Antwort erhalten und auch wenig Hoffnung, nach Verfluß so mancher Wochen noch eine zu bekommen, um so weniger, als mich Mr. Amos' erster Schreiber versicherte, mein Brief sei in ihre Hände gelangt und sie habe den Empfang in einer geschäftlichen Mitteilung an seinen Herrn bestätigt.

Es lag klar zu Tage, daß ich nichts thun konnte, als warten, bis es ihr selbst genehm war, mir zu schreiben. Was konnte ich mittlerweile bessres anfangen, als bleiben, wo ich war? In diesem Entschluß bestärkten mich auch verschiedene andre Erwägungen. Es war mir unstreitig ganz behaglich hier – es wäre unnütz gewesen, das Gegenteil behaupten zu wollen. Ich lebte sparsam und legte sogar Geld zurück, das ich andernfalls in London ausgegeben hätte. Dazu kam auch noch meine Begegnung mit Izzie Vivian und das Wiedererwachen meiner alten Neigung zu ihr. Ich glaube, es ist am besten, wenn ich ganz ehrlich bin. Zweifelsohne war ich bis über die Ohren in Susan verliebt gewesen, aber es war die wilde, stürmische Liebe der Leidenschaft gewesen; sie konnte auch von neuem aufflammen, sobald ich sie wieder sah, nur war hierzu für den Augenblick wenig Aussicht vorhanden.

Izzie Vivian andrerseits war meine erste Liebe gewesen.

Außerdem hatte sie sich in den paar Jahren, die über unsre Häupter weggezogen waren, verhältnismäßig besser entwickelt, als ich selbst. Ich, dem Alter nach ein Mann, war doch in Wahrheit noch ein Jüngling, sie dagegen war ein völlig entwickeltes, großes, anmutiges und einnehmendes Weib geworden. Ich war auf jede Weise im Nachteil – das heißt, wenn ich überhaupt versuchen wollte, den Verhältnissen Widerstand entgegenzusetzen.

Es war, wie die Bookmaker sagen, eine moralische Gewißheit, daß ich mich wieder in sie verlieben würde, und ich machte mich sofort daran, dies gründlich und regelrecht zu thun.

Es gibt, wie ich damals schon entdeckt hatte, bekanntlich mancherlei Arten, jemand den Hof zu machen; je nach Alter, Sinnesart und Lebenslage der Dame.

Izzie war eine Dame geworden, und man mußte ihr dem entsprechend auch den Hof machen; in dieser sachverständigen Erkenntnis beschloß ich, ans Werk zu gehen. Nachdem ich diesen Entschluß einmal gefaßt hatte, zündete ich mir eine letzte Pfeife an und mischte mir etwas Whisky und Wasser.

Dann überdachte ich mir noch alle Einzelheiten, und nachdem ich mir auch diese zu meiner vollen Zufriedenheit zurecht gelegt hatte, klopfte ich meine Pfeife aus, löschte mein Licht und war sofort eingeschlafen.

Die Gabe unmittelbaren Einschlafens ist eins der glücklichsten Vorrechte derer, die, wie junge Leute und verurteilte Verbrecher am Vorabende ihrer Hinrichtung, das Schlimmste noch vor sich haben.

 

Die Vivians waren eine der ältesten Familien in der Grafschaft und gehörten zu jenem alten Landadel, der auf seinen Stammbaum stolzer ist und auch bessren Grund dazu hat, als die große Masse unsres hohen Adels.

Izzie war das einzige Kind, und da die Güter kein Fideikommiß waren, einstens die Erbin von zwölftausend Pfund jährlich. Fünfunddreißig Pfund täglich ist ein recht behagliches Einkommen, mit dem man äußerst angenehm leben kann. Kein Wunder, daß man sie vor drei Jahren, als unsre kindliche Zuneigung entdeckt wurde, mir so schnell aus dem Wege geräumt hatte. Und doch waren wir jetzt wieder beisammen und sie, nun ihre eigne Herrin, wahrscheinlich so willig wie je, unsre alte Liebe zu erneuern.

Welches Glück manche Menschen haben! Und doch kann ich wahrheitsgemäß erklären, daß ich weder damals noch sonst Wert auf das Geld gelegt habe. Es will mich bedünken, daß ein Mann, der während der Saison vier Tage wöchentlich jagen, sich im Sommer eine Jacht von etwa acht Tonnen halten kann und nicht weiß, was es heißt, um eine Fünfpfundnote in Verlegenheit zu sein, nicht nur glücklich, sondern auch dankbar sein sollte. Ueber diese Grenzen hinaus wird der Reichtum nur eine Last.

Am nächsten Tage waren wir wieder alle auf dem Eise. Ich gestehe, daß ich mich mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt angezogen und das Schärfen meiner Schlittschuhe genau überwacht hatte, denn ohne diese Vorsichtsmaßregel wird der scharfe Außenbogen auch für den Geübtesten leicht zur Fallgrube.

Es war ein herrlicher Tag; die Sonne strahlte an einem wolkenlosen Himmel; der Schnee hing knisternd in den Föhren, und in der klaren, kalten Luft ließ sich jeder Ton hell und deutlich vernehmen. All dies bemerkte ich, als ich das Haus verließ. Während ich gerade die Schrauben meiner Schlittschuhe befestigte, berührte meine Schwester Georgie meine Schulter, und ich sah mißmutig auf.

»Jack,« flüsterte sie, »es ist ein lieblicher Tag. Sei kein Narr und wende wenigstens einmal im Leben deine Zeit nützlich an. Ja, es ist ein schöner Tag,« fügte sie in leichterem Tone hinzu, allen denen zu Nutz und Frommen, die es hören mochten.

»Habe in meinem ganzen Leben keinen heitereren Tag gesehen,« erwiderte ich und begann meine Beine in Zirkel zu verwandeln, mit denen ich allerlei geometrische Figuren beschrieb.

Gar bald hatte ich den Gegenstand meiner Nachforschungen gefunden; Miß Vivian war auf dem Eis und teilte ihr Lächeln unparteiisch zwischen dem Vikar – nicht meinem alten Freunde und Lehrer, sondern dessen steifbeinigem Nachfolger – und einem jungen Bürschchen von sechzehn oder siebzehn Jahren, dem Sohn eines benachbarten, aber nicht zum Landadel gehörigen Gutsbesitzers, der frisch von Harrow kam und weit besser im Cricketspiel und in Zuckerbäckereien Bescheid wußte, als im Hofmachen.

Als ich mich der Gruppe angeschlossen hatte, gelang es uns rasch, uns unsrer Gefährten zu entledigen. Der Vikar und der Schuljunge brachten beide eine willkommene Entschuldigung vor und entfernten sich nach verschiedenen Richtungen, so daß Izzie und ich bald allein auf dem See herumfuhren.

»Und was haben Sie denn in der Stadt getrieben?« fragte sie, nachdem das erste Geplänkel vorüber war. »Kokettiert und den Hof gemacht vermutlich? Ich habe neulich etwas Derartiges von meinem Vetter Walter gehört, der mehrere Freunde im Temple hat.«

»Dann kümmert sich Ihr Vetter Walter mehr um meine Angelegenheiten, als ich mich um die seinigen, und weiß offenbar noch weniger von denselben. Soll ich Ihnen eine kleine Geschichte von Ihrem lieben Vetter Walter erzählen? Wir speisten einmal alle in den ›Blue Posts‹ in Burlington Street, und zum Schluß gab es, um dem ganzen die Krone aufzusetzen, einen Arrakpunsch, der, wie ich fürchte, einige von uns etwas unternehmend machte, und Ihr hochverehrter Herr Vetter sagte zu dem Kellner, er, das heißt Ihr Vetter, sei kein Gentleman und wolle deshalb mit ihm ringen, und der Kellner, der, wie er versicherte, der Sohn eines in der Grafschaft Cork wohlbekannten Gentleman war, erklärte seine völlige Bereitwilligkeit, die Sache zu einem ›Ehrenhandel‹ zu machen. Da legten wir uns ins Mittel, versicherten, daß von beiden Seiten genug gesagt sei, und verlangten, die beiden sollten ihr gegenseitiges Bedauern aussprechen und sich die Hände reichen. Ihr Vetter hatte so viel Punsch zu sich genommen und der Kellner ließ sich von seiner Eitelkeit so hinreißen, daß sie sich wirklich höchst feierlich die Hände schüttelten. Wenn Sie an meinen Worten zweifeln, fragen Sie Ihren Vetter selbst. Es wird ihm nicht angenehm sein, aber er wird es Ihnen ohne Zweifel bestätigen.«

»Das ist zu schlecht von Ihnen,« erwiderte sie, in lautes Gelächter ausbrechend, »und was den armen Kellner anlangt, so bin ich der Meinung, daß er ehrenvoller aus der Sache hervorgegangen ist, als einer von euch.«

»Wissen Sie nicht, was der Marquis of Waterford gethan hat, nachdem er den Kellner zum Fenster hinausgeworfen hatte? Er schickte nach dem Wirt und hieß ihn den zerbrochenen Kellner auf die Rechnung setzen und ihm sofort einen andern heraufschicken.«

»In der französischen Revolution hätte man junge Leute, die redeten wie Sie, an der nächsten Laterne aufgehängt.«

»Ja, und ihre Nachkommen haben die Nachkommen der Männer, die sie aufgehängt hatten, mit eiserner Rute regiert. Das ist alles das ›Rad der Zeit‹. Ich glaube nicht, daß Sie sich jetzt auch nur noch ein bißchen was aus mir machen,« fuhr ich fort und spielte das Gespräch rasch auf den Gegenstand über, den ich durchaus zur Sprache bringen wollte.

»Wenn Sie das nicht wissen,« antwortete sie boshaft, »so bleibt es mir unerfindlich, wie ich es wissen sollte. Sie sind ja so entsetzlich klug, daß Sie alles wissen, auch das, was Sie nicht wissen.«

Dies konnte einen beinahe zur Verzweiflung treiben, und ich war drauf und dran, die Geduld zu verlieren.

»Sie wissen ganz gut, was ich meine,« sagte ich, »Sie wissen, daß Sie mir nicht gleichgültig sind, oder sollten dies wenigstens wissen.«

»O, wirklich? Sie haben in den letzten drei Jahren nicht viel gethan, was mir diese Thatsache hätte ins Gedächtnis zurückrufen können. Ich war gestern ganz stolz, daß Sie sich meiner noch erinnerten. Ich hatte gehört, daß Sie geruht haben, Ihre Neigung einer Dame Namens Brabazon zuzuwenden, die Sie an den Altar führen wollten, nachdem Sie zuerst ihren Gatten über den Haufen geschossen oder sich in ähnlicher Weise ausgezeichnet haben.«

Dies war so ungeschickt, daß ich mich herauswagte: »Die Leute scheinen sich ja sehr mit mir, meinem Namen und meinen Angelegenheiten befaßt zu haben. Ich hatte keine Idee davon, daß ich von solcher Bedeutung sei.«

Nun war sie gereizt.

»Sie mögen von mehr Wichtigkeit gewesen sein, als Ihre eigne große Bescheidenheit Ihnen zu glauben gestattet hat, allein dies ist schon einige Zeit her.«

»Dann bin ich also in Ungnade, was mir sehr hart zu sein scheint, wenn doch sogar mein Vater den verlornen Sohn wieder an sein Herz genommen hat und – weil Kalbfleisch jetzt nicht zeitgemäß ist – den fettesten und meistgeliebten seiner Truthähne geschlachtet hat.«

»Wenn Sie so gottlos reden wollen, werde ich Ihnen überhaupt nicht verzeihen und sofort meinem kleinen Vikar pfeifen.«

»Dann will ich so fromm sein, als Sie nur wünschen mögen.«

»Nein, auch nicht fromm sollen Sie sein. Bitte, wir wollen das Schlittschuhlaufen genießen. Ihre Verhöre und Kreuzverhöre, auf die Sie sich in der Stadt vermutlich zum Nachteil der Diebe eingeübt haben, ermüden mich ganz.«

»Ich kann eine zarte Andeutung verstehen,« erwiderte ich ritterlich.

»Jedenfalls können Sie sich viel herausnehmen. Sie sind ein für Ihr Alter recht unverschämter junger Mann. Wie machen Sie nur gleich den holländischen Bogen? Ich habe es ganz vergessen.«

Und damit kreisten wir über das Eis und sprachen von allem Möglichen, nur nicht von dem Gegenstand, an den ich ihre Aufmerksamkeit am liebsten gefesselt hätte.

Als ich an meinen Schwestern vorüberkam, konnte ich sehen, daß sie ganz entzückt waren, und ich selbst fühlte mich völlig siegesbewußt, denn ich kannte Izzie Vivian und selbst den Tonfall ihrer Stimme gut genug, um vollständig überzeugt zu sein, daß ich ihr in Wahrheit so teuer war, wie je und vielleicht noch teurer. Manche Feuer brennen heller, wenn sie für einige Zeit in verständiger Weise zugedeckt worden sind.


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