Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Ich brachte Susan auf den Abendzug und wandte mich, ganz allein in London zurückgeblieben, wieder meinen Geschäften zu, deren ich um so mehr hatte, als ich auch im Parlament den Abteilungssitzungen beiwohnen und gelegentlich über den und jenen Gegenstand sprechen mußte.

Die Rocks befanden sich an der Riviera, wo sie bis Ostern bleiben wollten, für welche Zeit wir eine Zusammenkunft in Paris in Aussicht genommen hatten. Elizabeth schrieb mir so ziemlich jeden Tag, und ich antwortete ihr ebenso regelmäßig, bald ausführlicher, bald kürzer, meistens aber kürzer, doch trug ich Sorge, sie von meinem Thun und Lassen in Kenntnis zu setzen.

Endlich kam Ostern, und ich eilte nach Paris, um meine Braut und ihren Vater dort zu treffen; sie waren aber noch nicht angelangt, und ich suchte mir die Zeit bis zu ihrer Ankunft zu vertreiben, so gut es eben ging.

Erst drei Tage später langten die Rocks an, nachdem sie mich durch zahllose Telegramme auf ihr Kommen vorbereitet hatten. Und dann hatten wir, wie Mr. Rock sich ausdrückte, eine »ganz famose Zeit« und durchstreiften Paris kreuz und quer nach allen Richtungen hin. Bei Mr. Rock kam in diesen Tagen das jugendliche, genußfähige Element, das in jedem Amerikaner schlummert, so recht zum Durchbruch, und seine Fröhlichkeit sprudelte aus einer so unerschöpflichen Quelle, wie das Petroleum, mit dem er seine Tonnen füllte.

So ausgefüllt und bewegt auch die Tage waren, verflossen sie doch sehr angenehm und schön, und das Gefühl, das ich mit gutem Gewissen als meine Zuneigung zu Elizabeth Rock bezeichnen kann, wurde immer stärker. Sie war damals ein reizendes Mädchen, wie sie jetzt eine reizende Frau ist, und es war ein Vergnügen, mit ihr zusammen zu sein, was mehr ist, als man von vielen ihres Geschlechtes behaupten kann, wie diejenigen am nachdrücklichsten versichern, die es am besten beurteilen können.

»Jetzt habe ich eine Weile genug Vergnügen und Spektakel gehabt,« sagte Mr. Rock eines Tages, »heute wollen wir einmal recht ruhig und behaglich leben, wenn es Ihnen recht ist. Es ist jetzt erst fünf Uhr. Wir wollen zuerst essen, dann in die Oper gehen und den Abend im Café de la Paix beschließen; es ist nahe bei unserm Gasthof und alles gut, was man dort bekommt.«

Es ließ sich nichts gegen diesen gastfreundlichen Vorschlag einwenden, und so führten wir ihn buchstäblich aus. Elizabeth trug, wie ich mich noch sehr wohl erinnere, ein weißes Kleid mit Broche nebst Arm- und Halsband aus wundervollen schwarzen Perlen. Mr. Rock sah aus wie der richtige Amerikaner in dem, was er seinen »Splithammerrock« nannte, mit einem breiten Umlegekragen, einem von einer Diamantnadel zusammengehaltenen Wasserfall von schwarzem Atlas auf der Brust, über dem das glattrasierte, scharfgeschnittene, blasse Gesicht beinahe geisterhaft erschien.

Es war ein angenehmer Abend – eigentlich sollte ich sagen, mehr als angenehm – und nachdem wir Elizabeth im Grand Hotel abgesetzt hatten, rauchten Mr. Rock und ich noch eine seiner echten Cubas und tranken ein Glas seiner eignen Mischung dazu.

»Morgen erwarte ich wichtige Nachrichten, Senator,« sagte mein künftiger Schwiegervater, als ich aufbrach, »sie haben mir gekabelt, ich solle mich auf wichtige Mitteilungen gefaßt machen, und mein Mädel wird müde sein. Denke, ich suche Sie, je nachdem, mit oder ohne das Mädel, so gegen zwei Uhr auf. Einen Vorteil gewährt das Oel, es läuft von selbst, darauf können Sie sich verlassen; wäre dies nicht der Fall, so wären mir diese verwünschten Kabeltelegramme etwas unbehaglich.«

Bei dem Gedanken, daß irgend etwas Mr. Rock Grund zur »Unbehaglichkeit« geben könne, lachten wir beide, aber trotzdem war Mr. Rock sichtlich ernst und nachdenklich und schüttelte mir die Hand, als ob er, alles in allem genommen, froh wäre, daß der Tag zu Ende sei.

Ich ging nach meinem Hotel und schlief den Schlaf des Gerechten, ohne die mindesten Sorgen um das, was der morgige Tag bringen oder nicht bringen würde.

Allein, als am andern Tag Mr. Rock in mein Zimmer trat, sah ich sofort, daß sich etwas ereignet und ihn ganz verstört haben mußte. Sein langes, bleiches Gesicht war länger und bleicher als gewöhnlich, und dessen feierlicher Ausdruck war noch feierlicher geworden.

Er reichte mir die Hand, doch ohne die gewohnte Herzlichkeit; dann warf er sich in einen Lehnstuhl und zog die Füße auf den Tisch. Ich wartete verwundert, was dies alles zu bedeuten habe.

»Ich denke, Squire,« sagte er in etwas gedrücktem Ton, »ich brauche einen Schluck von etwas Kräftigem. Meine Kehle ist ganz ausgedörrt.«

Als das »etwas Kräftige« in Gestalt einer Karaffe voll Cognac erschien, nahm Mr. Rock zu meiner großen Verwunderung mehrere tüchtige Schlücke in ziemlich rascher Reihenfolge.

»Mit dem Cognac,« sagte er, »den man in Paris bekommt, geht es gerade wie mit dem Röderer, den man in St. Petersburg trinkt: er ist beinahe ein zu gutes Getränk für uns sündhafte Menschenkinder. Aber heute morgen thut es mir not, so wahr ich Cyrus Napoleon Washington A. Rock heiße.« Und er nahm noch ein Glas voll; dann räusperte er sich und begann: »Ich tauge nicht zum Volksredner und bin kein Brutus, aber wie Sie mich kennen, Squire, bin ich ein offner, ehrlicher Kerl, der seinen Freund liebt und nicht hereinfallen läßt, nein, das thut Cyrus Napoleon nicht. Noch nie war ein Mann so gänzlich und so für alle Zeiten zu Grunde gerichtet, wie Ihr gehorsamer Diener in diesem Augenblick. Squire, meine Quellen sind versiegt. Lesen Sie hier die Kabeltelegramme von meinen Geschäftsführern.« Damit händigte er mir ein langes Kabeltelegramm ein, das seine Mitteilung in vollstem Umfang bestätigte. Die Quellen waren versiegt, es kam nichts mehr herauf als Sand und Schlamm, der die Pumpen verstopfte. Die Arbeiter hatten sich alle »gedrückt«, und Rockbury war im Verlauf einer Woche das reine Tadmor in der Wüste geworden.

Ich drückte meinen Kummer und meine Ueberraschung nach besten Kräften aus, und bemerkte, es sei ein Glück für Mr. Rock, daß er noch immer seine Kapitälchen habe.

»Ja, Squire,« erwiderte er, »das wäre ganz richtig, wenn ich sie noch hätte. Aber Sie wissen ja, ein Unglück kommt selten allein. Sie erinnern sich doch noch des großen Krachs in London – jenes Unglückstages, an dem zur Verwunderung von ganz London das Haus Overent & Gurney geschlossen blieb? Und wenn Sie die heutige Times lesen, so werden Sie sehen, daß auch das Haus Day, Bold & Cie. bankerott ist, und damit ist auch mein letztes Kapital dahin. Jeden dieser Unglücksfälle hätte ich einzeln überdauern können, aber das alles vereint hat Ihren gehorsamsten Diener zu Grunde gerichtet. Ich besitze nichts mehr als ein paar Dollars bei Lafitte, davon muß ich meine Rechnung im Gasthof zahlen und dann machen, daß ich weiter komme.«

Bei diesen Worten goß er sich noch mehr Cognac ein und trank ihn ohne die geringste Beimischung von Wasser. Noch nie habe ich einen Mann so unmäßig Cognac trinken sehen, ohne daß man auch nur die mindeste Wirkung an ihm wahrgenommen hätte. Er trank den Cognac, als ob es Limonade wäre und wurde sichtlich gekräftigt dadurch.

»Das sind allerdings schlechte Nachrichten, Mr. Rock,« sagte ich, »und soweit ich überhaupt etwas von Oel verstehe, ist die Sache hoffnungslos, denn das Oel wird so wenig wieder zu Tage treten, als Day, Bold & Cie. günstig liquidieren. Vor allem das Geschäft, Mr. Rock. Betrachten Sie mich für den Augenblick als Ihren Bankier. Ich besitze natürlich kein unbegrenztes Vermögen, aber über einige Tausende kann ich jeden Augenblick verfügen, selbst ohne meinen Bankier zu bemühen.«

»Sie sind sehr gütig, Mr. Severn. Natürlich werden wir sofort abreisen, nachdem ich all' die Narreteien wieder veräußert habe, die ich für dieses Mädel hier angekauft habe; allein ein paar Dollars von Ihnen für die Ueberfahrt wären vielleicht ganz annehmbar, sie werden auch zurückerstattet werden, darauf können Sie sich verlassen. Aber es handelt sich jetzt um etwas andres, Squire. Die Verlobung zwischen Ihnen und dem Mädel muß aufgelöst werden. Solange sie reich war, lag die Sache ganz anders; wir Rocks sind zu stolz, um unsre Töchter über ihre eignen Verhältnisse hinaus heiraten zu lassen. Elizabeth teilt meine Gefühle, und es bleibt mir nichts übrig, als Ihnen Lebewohl zu sagen.« Er goß noch einen Cognac hinunter und stand auf. »Wir verlassen das Grand Hotel, und in diesem Augenblick sieht sich Elizabeth nach irgend einer Unterkunft in der Nähe des Jardin des Plantes um. Es ist nahe bei Notre Dame, und sie liebt die Musik dort.«

Noch nie im Leben war ich mir so hilf- und machtlos vorgekommen, wie diesem spartanischen Entschluß gegenüber; ich sagte nur:

»Nun, Mr. Rock, da Sie vor ein oder zwei Tagen doch nicht abreisen werden, brauchen wir für den Augenblick nicht weiter von Geschäften zu reden. Wenn ich Ihnen in den Vereinigten Staaten irgendwie von Nutzen sein kann, so komme ich gern hinüber; doch ich fürchte, es sitzt nichts mehr an den Knochen, um das man sich beißen könnte.«

»Nicht das kleinste Fetzchen,« stimmte Mr. Rock mir zu.

»Immerhin komme ich hinüber, wenn es Ihnen recht ist. Das steht ganz bei Ihnen. Nehmen Sie nicht noch einen Cognac?«

»Nein, danke! Ich habe heute morgen mehr Cognac getrunken, als man in Rockbury während der nächsten hundert Jahre Oel pumpen wird. Doch stecke ich mir eine Cigarre an, wenn Sie gestatten. Ich habe noch einige von den meinen.« Dabei zog er eine Cigarrenbüchse mit riesigen Regalias hervor. »Mein Mädel hat eine Vorliebe für diese Büchse; ich mag sie nicht so gerne als die von Ihnen, doch habe ich sie heute ihr zulieb genommen.«

Es war eine merkwürdige Filigranarbeit in oxydiertem Silber mit einer Zeichnung, die Moses darstellte, wie er Wasser aus dem Felsen schlug.

»Als ich die Arbeit damals bestellte, hielt ich es für ein schönes Symbol dafür, wie die Vorsehung mich, Cyrus Rock, dazu geleitet hat, Oel aus dem Felsen zu schlagen.«

Hätte nicht Mr. Rock mit so tiefem Gefühl und offenbarem Ernst gesprochen, ich wäre in lautes Lachen ausgebrochen.

»Ich meine, Mr. Rock, Sie thäten nun am besten, in England zu bleiben. Jedenfalls müssen Sie dies thun, sobald Ihre Geschäfte in Amerika abgewickelt sind; Sie finden Platz genug in unserm Hause – ich meine natürlich in Elizabeths und meinem Haus; und übrigens werden wir so viel glücklicher sein, als wenn wir jedesmal über den Atlantischen fahren müßten, wenn wir einander sehen wollen. Außerdem ist es auch sehr nett, daß wir alle bei einander sein können, wenn ich uns ein kleines Anwesen auf dem Land suche, was ich bis jetzt noch nicht gethan habe.«

»Ah, da haben wir's ja, Mr. Severn! Darüber darf kein Mißverständnis aufkommen. Die Verlobung ist aufgehoben. Mein Mädel und ich, wir sind beide viel zu stolz, als daß wir Ihnen gestatten könnten, sie trotz ihrer Armut zu heiraten. Ich verstehe ganz gut, daß Ihr Ehrgefühl Ihnen gebietet, an dem Vertrag festzuhalten, und die Leute werden deshalb nur um so besser von Ihnen denken, aber derartige Gefühle darf man nicht in die Geschäfte mengen. Mein Mädel und ich, wir haben auch unser Ehrgefühl so gut wie irgend ein Engländer, ohne Ihnen damit zu nahe treten zu wollen. Nein, Mr. Severn, da ist nichts mehr zu wollen, mit der Heirat ist's so vorbei, wie mit meinen Quellen. Es thut mir sehr leid, aber nicht einmal der Präsident der Vereinigten Staaten würde es vermögen, Cyrus Rock von der Erfüllung seiner Pflicht abzuhalten.«

Mr. Rock sprach so entschlossen, daß ich für den Augenblick jeden weiteren Versuch als vergeblich unterließ.

»Nun, immerhin müssen Sie heute abend mit mir bei Bignon essen; wir können ja ein Privatzimmer nehmen.«

»Ich selbst werde kommen und auch Elizabeth mitbringen, wenn sie nicht allzu müde ist; sie geht nämlich heute in all' die Läden, in denen wir Einkäufe gemacht haben, um zu versuchen, ob die Kaufleute die Sachen nicht zu einem von ihnen selbst zu bestimmenden Preis wieder zurücknehmen. Ich fürchte, sie wird recht müde werden, so kräftig sie sonst ist, denn es ist ein gehöriger Weg, den sie zu machen hat.«

»Ich werde Sie hier erwarten,« entgegnete ich, »aber ich bestehe darauf, daß Sie Elizabeth mitbringen, Mr. Rock, und wenn Sie sie selbst hertragen müßten. Sie müssen sie dazu überreden.«

»Gut, Squire, Sie sollen Ihren Willen haben, und nun wünsche ich Ihnen einen guten Morgen.« Und nach einer weiteren kräftigen Dosis Cognac entfernte sich Mr. Rock mit einem Händedruck, der einem Grobschmied Ehre gemacht hätte.

Ich nahm meinen Hut und ging in den Tuileriengarten. Was machte schließlich dies alles mir aus, so leid mir Mr. Rock that, wenn es mir nur gelang, Elizabeth andern Sinnes zu machen. Noch nie war sie mir so teuer gewesen, wie jetzt, wo ich fürchten mußte, sie zu verlieren. Ich hatte alles, sogar meinen Beruf für sie aufgeben wollen – wie durfte sie zögern, mir einen thörichten Stolz zu opfern? Offenbar war ich im Recht, und Mr. Rock im Unrecht. Mit dieser Ueberzeugung beschloß ich, die Sache wenigstens ein paar Stunden ruhen zu lassen.

Am Abend speisten wir bei Bignon, und die Katastrophe wurde auch nicht mit einem Wort erwähnt. Mr. Rock sah aus wie gewöhnlich, nur daß seine diamantene Busennadel nebst Uhr und Kette verschwunden war.

Elizabeth trug ein ganz einfaches Kleid mit einer Jetbroche und in jedem Ohr einen Diamanten. Man plauderte ganz wie gewöhnlich, und ich konnte nicht umhin, die Seelengröße zu bewundern, mit der Vater und Tochter einen so vernichtenden Schlag ertrugen.

An einer Omnibus-Haltestelle verabschiedete ich mich von ihnen; sie fuhren von da ins Quartier Latin, nach ihrer neuen Wohnung.

Ich bummelte langsam nach Hause und schlief mit dem Gedanken ein, daß die Rocks doch eigentlich sonderbare Käuze seien.

Wie gesagt, noch nie war mir meine Braut so teuer gewesen, und der Gedanke an ihre Sorgen und Aengste bedrückte mich über alle Maßen. »Ich werde diesen Don Quijotischen Entschluß Rocks über den Haufen werfen,« sagte ich zu mir selbst. »Nichts soll meine Verbindung mit Elizabeth verhindern. Der alte Herr war bereit, mich mit Gold zu überschütten, solange er welches hatte, nun soll er jetzt, wo er ruiniert ist, auch mein Los teilen.«

Während des ganzen Verlaufes dieser Erzählung habe ich nie versucht, meine Fehler und Schwächen, meine Irrtümer und Unvollkommenheiten zu beschönigen und zu bemänteln, oder meine Selbstsucht zu verstecken – eine Eigenschaft, die bei meinem Geschlecht gerade keine Seltenheit sein soll. Ich bin deshalb nur gerecht gegen mich selbst, wenn ich feststelle, daß mich bei dieser Gelegenheit keine unwürdigen Beweggründe geleitet haben, und daß bei allem, was ich sagte und that, der erste Gedanke dem Mädchen galt, das ich treu und ehrlich liebte, und der zweite dem Manne, den ich aufrichtig achtete und dessen Unglück ich mitempfand.


 << zurück weiter >>