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Einundzwanzigstes Kapitel.

Es ist schwer, auf einmal mehrere Fäden in der Hand zu halten. Indessen ist es an der Zeit, einen flüchtigen Blick auf meine parlamentarischen Pflichten zu werfen. Tatsächlich hatten sie mir viel Arbeit gemacht. Ich war ins Parlament getreten, sobald es mir meine Mittel erlaubt hatten, gerade wie ich mir ein Pferd und einen Groom zugelegt, sobald ich es erschwingen konnte; aber ich hatte nur selten gesprochen und nur über Gegenstände, für die ich mich persönlich interessierte, und dann hatte ich mich immer mit höchst lobenswerter Kürze an den Herrn Sprecher gewendet.

Abteilungssitzungen wohnte ich nur an, wenn sie von wirklichem Interesse für meine Partei waren, dann machte ich es mir aber auch zur Pflicht, mich durch nichts abhalten zu lassen. Steckenpferden, wie zum Beispiel einer Bill zur Festsetzung der Stunden zum Verkauf von Ingwerbier und andern nicht berauschenden Getränken an Sonn- und andern rotgedruckten Tagen, oder einer Bill, die das Ausschreien von Zwieback und Semmeln während des Gottesdienstes verbot, konnte ich nur wenig Geschmack abgewinnen.

So hatte ich mich zwar nicht als ein belustigendes, wohl aber als ein nützliches Mitglied des Hauses erwiesen. Vor allem hatte ich aber nicht die Dummheit gemacht, Auskunft über die Absichten Rußlands in den afrikanischen Aequatorialländern zu verlangen oder über die Beschaffenheit unsrer Beziehungen zu den Grenzstämmen in Patagonien und den Wert der Bürgschaft, welche die Häuptlinge jener Stämme in betreff der Sicherheit der Nonkonformisten und andrer Missionare geleistet hätten.

Bald begann man mich deshalb als einen Abgeordneten zu betrachten, der es vorzog, thatsächlich für das Land zu arbeiten, statt sich in politischem Gewäsch zu ergehen. Dies war, was ich wollte; doch muß ich noch hinzusetzen, daß ich nie eine Gelegenheit unbenützt vorübergehen ließ, bei der ich über eine völkerrechtliche Frage reden konnte, denn das Völkerrecht ist gesunder Menschenverstand und ist einer Zuhörerschaft, bei welcher dieser in so hervorragendem Maße zu finden ist, wie beim Haus der Gemeinen, leicht verständlich zu machen. Außerdem gibt es einem mehr als europäischen Ruf, wenn man als genauer Kenner des Völkerrechts gilt.

Männer, die ich bei Namen nennen könnte und die heute noch leben, haben sich nicht nur einen Ruf, sondern ein Vermögen gemacht und Stellung und Würden erworben durch sehr oberflächliche, aus zweiter Hand durch Wheaton und Travers Twiß bezogene Kenntnisse von Grotius, Puffendorff und Vattel.

Das Haus ist stets für Abgeordnete eingenommen, die eine Spezialität haben, und bis zu einem gewissen Grad kann ich dies wohl für mich in Anspruch nehmen.

Kurz, alles in allem genommen, kam ich in jeder Beziehung vorwärts, sowohl im Parlament, als auch in meinem Beruf, nur nicht in der Gesellschaft, für die ich beharrlich keine Zeit finden konnte, selbst wenn ich mehr Lust dazu gehabt hätte.

Um diese Zeit erregte ein Kriminalfall das lebhafteste Interesse nicht nur in England, sondern auch in ganz Europa.

Ein junges Mädchen, etwa zweiundzwanzig Jahre alt, von auffallender Schönheit, aber auch von zweifelhaftem, notorisch sehr entschlossenem und rachsüchtigem Charakter, war beschuldigt worden, einen schlechten Kerl, einen französischen Zeichenlehrer, der in Paris einen ausnahmsweise schlechten Leumund und in England keine andre Empfehlung als sein hübsches Aeußere, seine geschmeidige Zunge, sein savoir faire und eine gewisse Gewandtheit in Führung des Zeichenstiftes besaß, vergiftet zu haben.

Das Mädchen war Margaret Wilson, die Tochter eines Kaufmanns in Liverpool. Da sie etwas Talent oder jedenfalls Freude an der Kunst hatte, besuchte sie die Klassen für schöne Künste an dem Ladies College mit voller Zustimmung ihrer Eltern, und hier lernte sie in Monsieur Achille Daubray einen der Lehrer der besagten Anstalt, dessen Vorleben dort unbekannt zu sein schien, kennen.

Er war plötzlich in der Stadt aufgetaucht, niemand wußte, wie oder von wannen er gekommen war, und hatte durch einen Galanteriewarenhändler kleine, in Wasserfarben gemalte Skizzen verkaufen lassen. Seine Skizzen waren keck genug und in der flottesten Boulevardmanier hingeworfen, allein sie waren doch so weit heruntergestimmt, daß sie unmöglich gegen englische Vorurteile hatten anstoßen können.

Dann faßte er festen Fuß in dem Ladies College, ließ alle kleinen Erwerbszweige fallen und malte nur noch Porträts zu einem Preis, der ihn in den Stand setzte, alle seine schmutzigen Neigungen zu befriedigen. Unter anderm war er auch, wie sich später aus seinem Pariser Leumund ergab, mit Toulon bekannt und mehr als eines Verbrechens verdächtig, das ihm, falls es erwiesen gewesen, zu travaux forcés à perpétuité verholfen hätte.

Dieser Mann hatte der öffentlichen Meinung nach seit einigen Monaten ein Liebesverhältnis mit Margaret Wilson angezettelt und sich alle erdenkliche Mühe gegeben, deren Vermögensverhältnisse festzustellen; offenbar hatte er beabsichtigt, sie zu heiraten, falls ihr Vermögen groß genug gewesen wäre, diesen Schritt zu rechtfertigen.

Als er fand, daß die Beute nicht so reich war, wie er erwartet hatte, und daß er sein Spiel mit mehr Erfolg anderswo versuchen könne, sagte er dies dem Mädchen in roher Weise und bestand darauf, daß alle Beziehungen zwischen ihnen sofort abgebrochen würden.

Sie schrieb ihm einen sehr schlauen Brief, in welchem sie sich völlig seiner Klugheit und seinem bessren Urteil unterwarf und ihm weder müßige noch aufreizende Vorwürfe machte, sondern ihm einige Schlüssel schickte, vermittels welcher er sich nach Dunkelwerden Eingang ins Haus verschaffen könne, und bat ihn nur um die letzte Gunst, sie noch einmal in der Stille der Nacht auf ihrem Zimmer zu besuchen.

Hier saß er, seiner eignen Erzählung nach, etwa eine Stunde, während welcher sie ihm einige Gläser Wein aufnötigte. Es war ein frostiges Wetter und es hatte der Nötigung kaum bedurft, allein endlich begann es zu dämmern, und es wurde Zeit für ihn, sich fortzustehlen. Kaum hatte er seine eigne Wohnung erreicht, als er sich von den heftigsten Krankheitssymptomen ergriffen fühlte, sofort nach ärztlicher Hilfe sandte und seinen Verdacht den Aerzten mitteilte. Die Hilfe kam zu spät. Er hatte eine Dosis Brechweinstein genommen, die hingereicht hätte, sechs Männer umzubringen, und er starb in Schmerzen und Aengsten, die er vollauf verdient hatte.

Der Brechweinstein fand sich in einer thatsächlich ungeheuren Dosis in ihm vor, und da er der letzte gewesen wäre, einen Selbstmord zu begehen, und wirklich in verächtlichstem Entsetzen starb, so konnte man prima facie nur zu einem Schluß gelangen. Jedenfalls waren die Behörden dieser Ansicht, denn Miß Wilson sollte vor das nächste Schwurgericht gestellt werden.

Ich hatte mich eben über den Fall aus eingehenden Berichten in den Liverpooler Zeitungen unterrichtet und mir natürlich meine eigne Meinung darüber gebildet, als mir mein Schreiber meldete, ein Herr Namens Jackson habe ein außergewöhnliches Honorar und sehr beträchtliche Gebühren im voraus bezahlt, um sich meine Dienste zu sichern, und wünsche mich sofort zu sprechen.

Später erfuhr ich zufällig, daß die Gelder zur Verteidigung, die außerordentlich kostspielig war, weil hervorragende Sachverständige zugezogen werden mußten, in der freigebigsten Weise von der französischen Gesandtschaft zur Verfügung gestellt wurden, die alles über Monsieur Daubray wußte und eigentlich froh war, ihn beseitigt zu sehen.

Mr. Jackson wurde also hereingeführt. Er war ein sehr stattlicher, würdig gekleideter Herr mit ungeheuer dickem, verschwommenem Gesicht und feierlichem Wesen, was im Verein mit einer schweren Uhrkette und Petschaft den Eindruck völligster Zahlungsfähigkeit machte.

»Dies ist ein höchst trauriger Fall,« begann er, sich räuspernd, während etwas Feuchtes in seinem Auge zu schimmern schien. »Während meiner jahrelangen Thätigkeit ist mir kein so trauriger Fall vorgekommen. Aber ich habe die Versicherung der jungen Dame selbst, eines reizenden, gebildeten und lieblichen Mädchens, daß sie völlig unschuldig sei. Sie selbst glaubt, daß der Niederträchtige aus Rache einen Selbstmord begangen habe, was für jemand, den, wie Sie, sein Beruf zwingt, jede Seite der menschlichen Natur kennen zu lernen, nicht so unglaubwürdig klingen wird. Ich habe die Akten Ihrem Schreiber übergeben und möchte Sie, wenn Sie dieselben durchgesehen haben, um eine Unterredung darüber bitten. Vor der Hand wollten wir unter Berufung auf Palmers Akte eine Eingabe machen, damit der Fall hier verhandelt wird; ich glaube kaum, daß wir damit abschlägig beschieden werden, denn unsre Erklärungen sind ziemlich schwerwiegend. Die Lokalpresse hat sich der Sache mit äußerster Heftigkeit und größter Unwissenheit bemächtigt und die öffentliche Meinung dort so erregt, daß Versammlungen und Reden gehalten wurden, von den darauf bezüglichen Predigten gar nicht zu reden. Dadurch wird unsre Eingabe zu wenig mehr als einer Formsache, aber ich habe der Staatsanwaltschaft die nötigen Mitteilungen gemacht und ich will jetzt auch noch den Sachwalter des Schatzamtes benachrichtigen, daß ich die Sache Ihnen übergeben habe. Ich fürchte, ich werde Sie noch mit einigen Besprechungen bemühen müssen, doch all dies kann ich mit Ihrem Schreiber abmachen.«

Damit erhob sich Mr. Jackson und machte mir eine sehr tiefe Verbeugung.

»Ich werde diesem Fall meine vollste Aufmerksamkeit zuwenden, Mr. Jackson,« sagte ich, »und da es sich um Leben oder Tod handelt, werde ich mich durch nichts abhalten lassen, die Sache persönlich zu führen.«

»Sie sind zu gütig; das ist mehr, als meine Klientin erwarten durfte, ich werde sie sofort benachrichtigen und ihr dadurch Trost bringen; sie wird Ihnen sehr dankbar sein, wozu sie in der That alle Veranlassung hat.«

Mit dieser Meinungsäußerung verbeugte sich Mr. Jackson zum Zimmer hinaus.

Sobald er gegangen war, trat mein Schreiber, Mr. Gutteridge, ein. Bei den Advokatenschreibern ist es gerade wie bei Pharaos Kühen; es gibt auch zwei Sorten: fette und magere, und Gutteridge gehörte zweifelsohne zu der wohlgenährteren Gattung. Er sah aus wie ein gedeihlicher Makler oder ein reicher Kaufmann, und es war nicht zu verkennen, daß die Geschäftsstockung und die Unterdrückung, über die sich seine Kollegen beklagten, auf ihn wenigstens keinen allzu unheilvollen Einfluß hatte.

»Ich hoffe, Sie werden mir gestatten,« sagte Mr. Gutteridge, »Sie zu beglückwünschen, daß Sie diesen Fall bekommen haben. Ferret (Ferret war der Schreiber eines berühmten Kriminalisten) hat mir gesagt, daß sein Prinzipal damit betraut worden sei. Ich weiß, daß Ferret nicht zuverlässig ist, aber diesmal habe ich ihm geglaubt, und man hätte mich umblasen können, als Mr. Jackson mir mitteilte, weshalb er gekommen sei. Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück, Mr. Severn.«

Ich dankte Gutteridge herzlich, denn ich wußte, daß es ihm ernst und seine Freude über mein Glück ganz uneigennützig war.

»Ich fürchte, die Verantwortung ist zu groß, Gutteridge.«

»Keine Spur, keine Spur! Wenn es in London überhaupt einen Sachwalter gibt, der sein Geschäft versteht, so ist es Mr. Jackson, und wenn er Sie gewählt hat, so weiß er auch, warum. Können Sie mich eine Viertelstunde entbehren?«

»Gewiß, Gutteridge,« damit ging er und ich zweifelte nicht daran, daß der Zweck seines Ausganges war, über den verlogenen Ferret herzufallen und ihn mit der Wucht dieser Neuigkeit zu zermalmen.

 

Dies war nun endlich einmal ein Fall, der für einige Zeit eine cause célèbre für ganz Europa wurde, und an und für sich schon manches Interesse bot.

Ich nahm die Akten zur Hand und malte mit rotem und blauem Stift Notizen auf den Rand. Die Aussagen waren nur allzu klar. Die Beamten hätten ihre Pflichten gröblich vernachlässigt, wenn sie die Anklage unterlassen hätten; allein ich erkannte die Möglichkeit einer verhältnismäßig glaubwürdigen Verteidigung in der von Mr. Jackson angedeuteten Richtung, und es war eine Verteidigung, die gar nicht aussichtslos schien, wenn sie nur in hinlänglich kühner Weise geführt wurde.

Dann beschäftigte ich mich mit technischen Einzelheiten der Beweisaufnahme, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, obwohl sie mir noch ganz gegenwärtig sind, und legte die Akten erst nach einigen Stunden aus der Hand, mit dem Bewußtsein, mich für heute genügend über die Sache unterrichtet zu haben.

Nach Tisch begab ich mich ins Rauchzimmer des Windhamklubs, wo von nichts andrem als diesem Fall gesprochen wurde. Verhindert, an der Unterhaltung teil zu nehmen, lauschte ich derselben doch höchst aufmerksam und ging schließlich fort mit einem sehr guten Gedanken über die Art und Weise, in der ich mit den Geschworenen umspringen wollte.

Nichts ist im praktischen Leben so unschätzbar, wie die Ansicht des Mannes auf der Straße, und die Meinung des Mannes im Rauchzimmer eines Klubs kommt gleich nach der des Mannes auf der Straße und thut einem manchmal ebenso not.

Bereichert durch die auf diese Weise gesammelte Weisheit ging ich nach Hause und war mir über zweierlei vollständig klar – daß man an die Schuld Margaret Wilsons glaubte, ohne den geringsten Zweifel zu erheben, aber ebenso sehr ihre Freisprechung wünschte, und daß in betreff des allerdings unnötig schmerzhaften Todes, den Daubray gestorben, eine starke Strömung der öffentlichen Meinung dahin ging, es sei ihm recht geschehen.

Soweit war also meine Aufgabe vor dem Schwurgericht verhältnismäßig leicht, ich mußte die Thatsachen, so gut als möglich, zu entkräften, die Sachverständigen der Staatsanwaltschaft irre zu machen und thunlichst viel Kapital aus Daubrays schlechtem Charakter zu schlagen suchen und außerdem bestrebt sein, das Urteil der Geschworenen dadurch zu verwirren, daß ich soviel Sachverständige als irgend möglich auf meine eigne Seite zog.

Am nächsten Morgen teilte ich dies Mr. Jackson mit, der mit dem größten Eifer ans Werk ging und sofort telegraphisch das Erscheinen des Sachverständigen für gerichtliche Medizin in Berlin und zweier berühmter Physiker aus Paris sicherte, sowie das der bedeutendsten Talente in London, soweit sie nicht schon von der gegnerischen Seite zugezogen worden waren.

Natürlich verursacht dies große Kosten. »Aber Geld, mein Herr, kommt gar nicht in Betracht, es ist gar nicht von Belang, gar nicht,« sagte Mr. Jackson mit einer Unergründlichkeit, die Lord Burleighs würdig gewesen wäre. Und es machte auch wirklich den Eindruck, als ob dieser schlaue Herr mit seinen Versicherungen ganz recht hätte, denn es ist mir kein einziger Fall bekannt, in dem mit dem Geld so verschwenderisch umgesprungen worden wäre. Als die Staatsanwaltschaft, die immer etwas hinten nachkommt, sich daran machte, Sachverständige zu suchen, die ihre Ansicht bestätigen sollten, stellte es sich heraus, daß diese alle schon auf der andern Seite waren. Außerdem kam es uns zu statten, daß zwei oder drei Kronzeugen, deren Aussagen, wenn auch nicht von entscheidender Bedeutung, so doch ziemlich wesentlich waren, sich veranlaßt sahen, dieselben zu widerrufen und auf kurze Zeit nach Frankreich zu reisen. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß mich Mr. Jackson in dieser Angelegenheit nicht ins Vertrauen zog.

Mr. Jackson unterrichtete mich täglich von allen Vorkommnissen. »Wir haben wohl die Unschuld für uns,« sagte er mit einem Gesicht, wie in Stein gehauen, »aber ich muß gestehen, daß uns auch das Glück zu begünstigen scheint, wofür ich der Vorsehung von ganzem Herzen dankbar bin.«

Und dann schüttelte er den Kopf und nahm eine Prise.

Unsrem Gesuch, den Fall in London zur Verhandlung zu bringen, war ohne weiteres entsprochen worden, und somit hatte ich nichts zu thun, als den bestimmten Tag zu erwarten und mich nach Old Bailey zu begeben und die Schlacht zu schlagen.

Es war kein Fall, der viel Studium erfordert hätte, denn es handelte sich hier weniger um einen Feldzug als um ein scharfes Kavalleriegefecht, und Mr. Jackson hatte völlig recht, wenn er mir mit größtem Takt andeutete, es sei viel wichtiger, daß ich in gutem körperlichen Befinden als von Einzelheiten ermüdet auf dem Plan erscheine; und ich solle mich mehr um meine Nerven als um die Darstellung des Falles kümmern.

Wenige Tage vor der Verhandlung erhielt ich einen langen, schwesterlichen Brief von Susan. Sie war in Nizza, hatte aber in den englischen Zeitungen alles gelesen (auch die Pariser Zeitungen waren voll davon) und so hatte sie erfahren, daß die Sache mir übertragen worden war. Ich hätte nun, meinte sie, nicht die Aussicht auf einen Erfolg, den ich schon länger errungen, sondern auf etwas wie einen glänzenden Sieg, eine Gelegenheit, bei der ich ein für allemal zeigen könne, was an mir sei, und die ich mir zu nutze machen müsse.

»Merkwürdigerweise kenne ich Mr. Jackson ein wenig,« hieß es weiter. »Er ist außerordentlich begabt, völlig zuverlässig und wird Sie nie durch übermäßiges Vertrauen seinerseits irre führen.«

Dann plauderte sie über andre Dinge.

»Manchmal denke ich daran,« schloß sie, »mich in ein Kloster zurückzuziehen, nicht als Nonne, nur als Büßerin, doch ist dieser Gedanke stets nur ein vorübergehender. Ich bin mir keiner sehr großen Sünden bewußt und freue mich noch immer des Lebens, in dem ich, weil ich frei bin, Mittel und Wege finde, Gutes zu thun. Es wäre zu schlecht bestellt in der Welt, wenn man nicht auch ohne organisiertes Streben ein klein wenig Gutes thun könnte, ein jeder auf seine Weise, der Herr Pfarrer in seiner, ich in meiner und Sie in Ihrer Art. Daß Sie Gutes thun, dessen bin ich gewiß. Jede ehrliche Arbeit ist ehrenwert, und sei es auch nur Stiefelputzen oder Ställeausfegen, aber Ihre Arbeit ist von der höchsten Art, und ich glaube, Sie haben Erfolg gehabt, weil Sie für dieselbe geboren sind. Fahren Sie so fort, und der Erfolg wird Sie auch künftig begleiten. Ich bin zu alt und habe Sie zu lieb, um Ihnen zu schmeicheln.

Wie immer die Ihre

Susan Brabazon.«

 

Wenn mich irgend etwas für die Verhandlung kräftigen und stärken konnte, so war es dieser Brief. Ich will gestehen, daß ich ihn, nachdem ich ihn wieder und wieder gelesen hatte, zusammenfaltete, in mein Uhrentäschchen that und gerade auf meinem Herzen mit in den Gerichtssaal nahm – durch Zufall natürlich, denn ich bin nicht abergläubisch.


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