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Sechstes Kapitel.

Ich erfreute mich nicht meines gewöhnlichen Glückes, wodurch ich das alte Sprichwort: »Unglück in der Liebe, Glück im Spiel«, glänzend widerlegte. Es mißlangen mir leichte Stöße, die mir anstandslos hätten gelingen sollen, und ich blieb beharrlich in der Mitte des Tisches. Endlich wurde es mir leid, und ich ging mit einem Gewinn von nur zwei oder drei Schilling fort. Der Marqueur goß noch Oel ins Feuer, indem er mir leise den freundlichen Rat gab, meinen offenbar angegriffenen Nerven mit braunem Cognac und grünem Curaçao aufzuhelfen, was er für ein vorzügliches »Mittel« erklärte. Ich selbst bin damals und immer ein mäßiger Mann gewesen, ich habe mir aber von Veteranen aus dem andern Lager versichern lassen, daß brauner Cognac und grüner Curaçao, auch in bescheidenen Dosen angewendet, innerhalb einer Woche ein Rhinoceros umbringen könnten.

Am andern Morgen stand ich früh auf, schrieb ein Briefchen an Mrs. Brabazon, daß ich gegen zwölf Uhr zurückkommen werde, und ging, ohne das Frühstück abzuwarten, in den Park. Ich hielt mich scharf nach Süden, bis ich an den Fluß kam. Dort lagen einige Nachen am Ufer, und die Bootsknechte standen dabei. In sorgloser Laune lud ich die Biedermänner ein, auf meine Kosten ein Glas Bier zu trinken. Sie nahmen miteinander etwa eine Gallone zu sich, und ich erinnere mich, daß ich mit einem alten Schiffsmann eine Partie Kegel spielte, die er glänzend gewann. Der Einsatz war unwesentlich, und nachdem das Spiel zu Ende war, schickte ich mich zum Gehen an.

»Wenn Sie einmal eine Fahrt machen wollen, Herr,« sagte ein Seebär mit einem blauen Wollhemd und einer Mütze aus Katzenfell, »dann fragen Sie nur hier in diesem Haus nach der ›Matilda und Klara‹. Hier kann man immer erfahren, wo ich bin, und in meiner Kabine gibt's stets eine Pritsche; wenn es auch nicht sehr bequem ist, so ist es doch reinlich, und ich lande Sie, wo Sie wollen.«

Ich dankte meinem neuen Freund, schrieb seinen Namen in mein Taschenbuch und ging. Von Battersea nach Hyde Park und durch den Park nach Bayswater ist ein angenehmer Weg, den ich mit ungeheuren Schritten zurücklegte, so daß ich eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit zu Hause ankam. Das Dienstmädchen mußte nach mir ausgeschaut haben, denn sobald ich meinen Drücker in das Thürschloß steckte, öffnete sie auch und händigte mir einen Brief ein, worauf sie sich wieder in die oberen Regionen zurückzog.

Der Umschlag, von der größten Sorte, die man in der Schreibstube eines Advokaten finden kann, war schreckenerregend, aber mein Name war von Susans Hand darauf geschrieben, und auch das Siegel war das ihre.

Ich eilte in mein Zimmer und riß das Paket auf; zu allererst fiel die Urkunde heraus, die ich Mr. Raphael ausgestellt hatte, den Stempel ausgeschnitten und in die Kreuz und die Quere mit kräftigen Strichen durchzogen. In starrem Erstaunen sah ich sie an, und dies Erstaunen wuchs noch, als ich auf der Rückseite eine vollständige Quittung sah. Soweit sah ich klar. Aber dabei war noch eine zweite Einlage, – ein Brief von Susan selbst. Ich schloß die Thür und öffnete eiligst den Brief; zwei- oder dreimal mußte ich ihn lesen, ehe ich seinen Inhalt fassen und glauben konnte.

Er lautete folgendermaßen:

 

»Mein lieber, einziger Junge!

»Ich sende Ihnen hier das Papier zurück, das Sie thöricht genug waren, Raphael auszustellen, um das Geld für mich verschwenden zu können. Ein Streich nach dem andern. In dem Augenblick, in dem Sie diesen Brief erhalten, bin ich schon viele Meilen von Ihnen entfernt – thatsächlich aus Ihrem Bereich, wenn ich auch hoffe und vertraue, daß wir uns als die alten, guten Freunde einmal wiederfinden. Sie sind weit mehr als ein flüchtiger Sonnenblick gewesen in meinem stürmischen Leben.

»Was Sie auch thun mögen, sorgen Sie, daß Sie möglichst bald als Advokat zugelassen werden. Ich bin überzeugt, Sie werden in Bälde vorwärts kommen, ohne zu wissen wie, warum und durch wen, und dann liegt die Welt offen vor Ihnen, mit der besten Aussicht, sich ihrer auch erfreuen zu können.

»Verlieben Sie sich in niemand – nicht einmal in Miß M'Lachlan; Sie können, wenn Sie wollen, fortfahren mich zu lieben. Morgen bin ich in Paris und von dort werde ich Ihnen meine Photographie senden.

»Ich werde keinen Brief von Ihnen beantworten, aber Sie dürfen mir schreiben, wenn Ihnen was daran liegt. Mein Sachwalter, Mr. Amos Clarke, wird mir Ihre Briefe zustellen, aber er gibt Ihnen meine Adresse nicht und seinen Schreibern ist sie nicht bekannt. Seien Sie gut und passen Sie wohl auf sich auf, und dann werden Sie eines schönen Tages wieder von mir hören.

Immer die Ihre
Susan Brabazon.«

 

Ich steckte den Brief in meine Tasche und eilte durch den Park nach dem Kanal, dessen Leinpfad um diese Tageszeit völlig verödet ist. Hier ging ich auf und ab und dachte über den Brief nach.

Offenbar war Susan, wenigstens für den Augenblick, fest entschlossen, sich vor mir zu verbergen, und falls ich nicht große Summen zur Verfügung hatte, schien es vergeblich, sie aufspüren zu wollen. Sie konnte in Wien, Venedig, Biarritz, Rom oder sonst wo sein, und angenommen selbst, sie wäre in Paris gewesen, wie hätte ich sie auffinden sollen? Ein Aufruf in den Zeitungen wäre auch vergeblich gewesen und hätte sie nur geärgert.

Es blieb mir nichts anders übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, was ich denn auch, mein Schicksal verwünschend, that, und dann versuchte ich, mich in einer unter dem Namen »York und Albany« bekannten Wirtschaft mit englischem Bier und einer Thonpfeife zu betäuben.

Von hier schlenderte ich über die Brücke in den Regents-Park und hinunter bis an den Portland Road Bahnhof. Dicht neben demselben führt ein Weg südlich nach der Oxford Street. Ich verfolgte diese Straße und ging über den Soho Square und durch Soho nach dem Piccadilly Rondell. Da mir der Gedanke, in Bayswater zu essen, unerträglich war, so begnügte ich mich mit einem Beefsteak und einem Glas Bier bei Stone, von wo ich in das Adelphi-Theater ging. Nachdem die Vorstellung zu Ende war, bummelte ich langsam nach Hause.

Am andern Morgen sprach ich bei Mr. Raphael vor, der mich heute bereitwillig, aber mit einigen Zeichen der Verwunderung empfing. Als ich ihm sagte, ich sei diesmal nicht gekommen, um Geld zu entlehnen, schien er noch erstaunter und fragte mich, zwar nicht grob, aber ziemlich scharf, warum ich dann gekommen sei.

Dies erklärte ich ihm, so gut ich konnte; ich sagte ihm, ich wünsche zu wissen, auf welche Weise seine Forderungen an mich getilgt worden wären.

»Dies geschah einfach genug,« sagte er. »Eine Dame kam zu mir, und ich werde wohl annehmen dürfen, daß Sie wissen, wer sie ist. Sie sagte, sie sei mit Ihnen verwandt, und ich will Ihnen nur wünschen, daß Sie in Ihrer Familie noch mehr von der Sorte haben. Sie bezahlte mich, nahm die Papiere und Dokumente an sich und dann schalt sie mich aus und sagte mir ihre Meinung mehr als gründlich, das kann ich Sie versichern. Sie hieß mich alles, was ihr gerade auf die Zunge kam, und als ich ihr Biskuits und ein Glas Champagner anbot, waren meine Augen in der äußersten Gefahr, ausgekratzt zu werden. Immerhin waren aber die Banknoten gut, und ich händigte ihr die Scheine ein. Aber das eine will ich Ihnen noch sagen, Mr. Severn, ich habe die Absicht, ihr mein Wort zu halten, zwischen uns beiden gibt's kein Geschäft mehr – das steht fest.«

»Es thut mir leid, daß die Dame so hart gegen Sie war, Mr. Raphael,« entgegnete ich, kaum im stande, das Lachen zu verhalten. »Ich selbst werde immer überzeugt bleiben, daß Sie sich mir gegenüber sehr freundlich und rechtlich benommen haben.«

»Was wollen Sie, Mr. Severn, Geschäft ist Geschäft! Die Leute werfen Steine auf meine Art von Geschäft, aber sie können an der Art und Weise, wie ich das meine führe, nichts aussetzen. Ich fürchte kein Gericht, obgleich sie mich mit allen Hunden hetzen; schon eine ganze Menge meiner Geschäfte ist untersucht worden, aber kein einziges brauchte das Licht zu scheuen, und dies ist mehr, als mancher Bankier aus der City von sich behaupten kann. Nehmen Sie ein Glas Champagner? Nein? Dann stecken Sie sich wenigstens eine Cigarre an. Guten Morgen und meine besten Wünsche für die Zukunft, Mr. Severn. Mason, begleiten Sie Mr. Severn hinaus!«

So kehrte ich ratloser als je nach Bayswater zurück, aber zwei Dinge standen fest bei mir: Nichts sollte mich je wieder verlocken, Schulden zu machen, und ich wollte sobald als möglich als Advokat zugelassen werden. Das war im Augenblick der beste Dank für ihre Güte. Es war so gut als gewiß, daß sie mir schreiben würde, um mir zu meiner Ernennung Glück zu wünschen, und dann konnte ich sofort zu ihr eilen oder jedenfalls mit leichtem Herzen suchen, sie aufzufinden.

Diese guten Vorsätze gingen nicht den Weg, den die meisten ihresgleichen einzuschlagen pflegen, und verloren sich nicht in dem Pflaster, das zu dem Orte führt, den nur Dante zu beschreiben vermochte. Ich begnügte mich nicht damit, sie zu fassen – ich hielt sie auch. Von nun an wurde mein Lebenslauf langweilig und ereignislos, ich nahm die vorgeschriebenen Mahlzeiten im Temple ein und besuchte die Schreibstuben meines Anwaltes mit lobenswerter Regelmäßigkeit; ich bestand meine Examina und wurde als Advokat zugelassen. Bei dieser Gelegenheit wurde mein Vater seiner strengen Sparsamkeit insoweit untreu, als er mir eine Hundertpfundnote schickte und mir mitteilte, er wolle mein Jahreseinkommen von nun an auf hundertfünfzig Pfund erhöhen. Er schlug mir auch vor, zu Weihnachten nach Hause zu kommen; einige Fasanen würden wohl noch übrig geblieben sein, und vermutlich würde es auf dem See, der schon ein paarmal zugefroren gewesen, eine gute Eisbahn geben.

Auf diese Epistel erwiderte ich mit dem richtigen Gefühl kindlichen Dankes, bezahlte dann meine Rechnung in dem Kosthaus, verabschiedete mich von Mrs. Jersett, Miß M'Lachlan und den übrigen Hausgenossen und fuhr dann, ehe ich nach Hause reiste, auf eine Woche nach Brighton.

Die Brightoner Luft scheint bei den Londonern Wunder zu wirken, und ehe ein paar Tage vorüber waren, fühlte ich mich wieder wie ein Junge von achtzehn Jahren.


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