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Dreizehntes Kapitel.

Endlich waren die großen Ferien gekommen, nach sechs Monaten ungewöhnlich strenger Arbeit, für die ich mit eben so ungewöhnlich hohen Gebühren entschädigt wurde.

Meine Wohnung in Chapel Street, Park Lane, wurde abgeschlossen, meine Pferde auf die Weide geschickt, und der Groom ließ sich herab, sich für den Augenblick in mein Reise-Faktotum zu verwandeln.

Nach allerlei weitschweifigen Plänen beschloß ich schließlich doch, das Gute in der Nähe zu suchen, und begab mich nach Dawlish, einem der nettesten kleinen Orte, die mir in England bekannt sind, und das trotz der Nähe größerer Städte doch immer nur ein großes Dorf bleibt, mit seinem Forellenbach, der murmelnd mitten durch den Ort der See zuplätschert, mit den Wohnhäusern an beiden Ufern und den Luscomber Wäldern, die sich im Hintergrund über die Bergrücken hinanziehen.

Dawlish konnte sich seit kurzem auch eines Gasthofes rühmen, und nachdem ich mir die Gunst des Wirtes erworben hatte, nahm ich sein bestes Wohn- und zwei Schlafzimmer und sagte ihm, ich brauche das zweite vielleicht für eine befreundete Dame. Dann machte ich, da sich der Tag schon neigte, noch rasch einen Gang den Deich entlang. Dawlish ist ein so langweiliger Ort, als man sich ihn nur denken kann. Glücklicherweise hatte ich einige Romane und ein Kistchen meiner eignen Cigarren mitgebracht. Außerdem konnte ich ja auch gleich wieder abreisen, wenn es mir nicht gefiel. »Es ist wirklich komisch,« sagte ich zu mir selbst, als ich an diesem Abend zu Bett ging, »da erklärst du ganz tapfer, du reisest wieder ab, wenn es dir hier nicht gefalle. Nun ist der Ort trostloser, als selbst seine ärgsten Feinde es hätten behaupten können. Es ist hier nichts anzufangen; nicht einmal fischen oder jagen kann man, und doch bleibst du da und lungerst mit den Händen in den Taschen hier herum. Mich soll's nicht wundern, wenn du in vierzehn Tagen auch noch da bist. Nun, wer weiß, vielleicht wären vierzehn Tage der Langeweile noch lange nicht das Schädlichste für dich, und wenn du Anregung brauchst, so sind ja Torquay und Paignton leicht zu erreichen.«

Am andern Morgen schrieb ich an Mrs. Brabazon, deren Adresse ich zufällig hatte, teilte ihr mit, wo ich war, und bat sie, zu kommen und einen Selbstmord aus Trübsinn auf diese Weise zu verhüten, was ohne ihr Dazwischentreten jedenfalls mein Los sein würde, da ich nun, wo ich einmal hier sei, mich viel zu träge, apathisch und kraftlos fühle, um wieder abzureisen.

Das letztere war übrigens keine Uebertreibung. South Devon hat das erschlaffendste Klima in ganz England, und erst an den Grenzen von Cornwall wird es besser. Mit dreißig Jahren sind die Frauen dort alt und häßlich, mit fünfunddreißig grau und runzelig, während die Männer mit vierzig Jahren von der Gicht und ähnlichen Leiden heimgesucht werden. Eine Woche davon ist genug für jedermann, dachte ich, als mir das Zimmermädchen meinen Frühkaffee und meine Briefe brachte.

Mrs. Brabazons Brief war der letzte, den ich eröffnete; er war kurz, echt weiblich und freundschaftlich. Sie hatte von Dawlish gehört durch Bekannte, die einmal dort gewesen waren; doch hatte sie noch niemand gefunden, der den Mut gehabt hätte, sich zum zweitenmal hinzuwagen. Ohne Zweifel müßte ich es sehr langweilig finden, und sie wolle mit Vergnügen kommen, ich könne sie jede Stunde erwarten. Sie langte denn auch mit dem ersten Zug aus London in Dawlish an, und ich führte sie, nachdem ich ihr Gepäck besorgt hatte, in den Gasthof. Dann forschten wir nach, welche Hilfsmittel uns in dem Städtchen zu Gebote ständen; wir entdeckten einen kleinen Korbwagen mit einem ehrbaren Exmoor Pony dazu, und so kutschierten wir nach Luskombe, einem der lieblichsten Landsitze, die ich kenne. In der dortigen Wirtschaft nahmen wir wieder einmal eine unsrer behaglichen, vertraulichen Mahlzeiten ein, nach welcher sie sich, wie gewöhnlich, aufs Sofa setzte, während ich mich im Vollgenuß einer Cigarre und einer Tasse schwarzen Kaffees in einem Lehnsessel ausstreckte.

»Und wie steht's mit der Advokatur?« fragte sie. »Bezahlen Sie die Miete Ihrer Zimmer und Ihr abendliches Beefsteak mit Kartoffelmus im ›Hahn‹ auch bar?«

»Ich habe über nichts zu klagen,« lachte ich. »Meine Geschäftsräume im ersten Stock des Temple sind mit einem prächtigen türkischen Teppich, eichenen Möbeln und schön gebundenen Sammlungen von Gerichtsentscheidungen von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag, ausgestattet. Mein erster Schreiber wird vermöglich und besitzt seine eigne Villa irgendwo in Stoke Newington. Meine Privatwohnung ist in Chapel Street, und jeden Morgen reite ich nach dem Temple. Dies wird Ihnen sagen, wie weit ich's in der Advokatur gebracht habe. Es ist ein gewagter Beruf, eine Art Lotteriespiel. Man kann ihm jahrelang angehören und niemals seine Wirtin bezahlen, oder man kann auch auf geradezu wunderbare Weise ins richtige Fahrwasser kommen. Manchmal bleibt der Klügste auf dem Trocknen, während andre, die nicht die Hälfte seines Verstandes und Wissens haben, obenauf schwimmen. Kein Mensch kann's vorhersagen.«

Sie lachte darüber, aber ich merkte, daß es ihr etwas unbehaglich zu Mute war.

»Und wie steht's mit Ihren Liebschaften? Ich nehme an, daß Sie deren zahllose gehabt haben.«

»Ein vielbeschäftigter Advokat hat keine Zeit zu dergleichen; er kann in der Woche höchstens zwei- oder dreimal abends ausgehen, denn wenn er seiner Aufgabe gerecht werden soll, so muß er sich den Kopf klar halten und um elf oder zwölf Uhr zu Bett gehen. Daher kommt es auch, daß Advokaten so oft ihre Köchinnen oder Wirtinnen heiraten. Wenn sie in den Spiegel sehen und die Krähenfüße und die kahlen Schläfen bemerken, dann sagen sie: »Bei Gott, es ist Zeit, daß ich heirate. Wen soll ich heiraten? Warum nicht Mrs. Jackson? Sie kennt meine Gewohnheiten und würde sich nicht auf die vornehme Dame aufspielen. Es ist allerdings nicht romantisch – ganz im Gegenteil; aber es ist auch tiefsinnig bemerkt worden, die gesunde Vollkommenheit des gemeinen englischen Rechts sei nichts als die Ausführung des gesunden englischen Menschenverstandes.«

»Haben Sie Ihre Wirtin schon von Ihrer Absicht in Kenntnis gesetzt?«

»Nein, das habe ich nicht gethan. Sie ist eine verheiratete Frau mit nur einem Auge und sechs Kindern, die sie ernährt, und einem betrunkenen Mann, den sie gelegentlich prügelt. Sie kann demnach nicht in Betracht kommen.«

»Dann haben Sie Ihr Herz also noch nicht verloren?«

»Durchaus nicht,« erwiderte ich, »und außerdem ist es auch so hart wie eine Büffelhaut oder gar wie ein Mühlstein. Die Zeit der Liebe ist für mich vorüber, und ich denke beinahe an sie zurück wie an die Tage der Schusser, der Obsttörtchen und der unreifen Aepfel.«

»Dann werden Sie vermutlich eine Geldheirat machen?«

»Ich verdiene mehr Geld, als ich ausgeben kann, und muß ab und zu meinen Bankier fragen, was ich damit anfangen soll.«

»Dann werden Sie die Tochter eines Richters oder eines Pairs aus großer Familie heiraten.«

»Warum in aller Welt können Sie mir denn nicht glauben? Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich meine Freiheit liebe und mir zu erhalten gedenke. Wenn ich mich verheiratete, müßte ich mich feierlich mit meiner Familie versöhnen, und dies wäre das reine Fegfeuer. Mein Vater hat versucht, Wechsel auf mich zu ziehen, aber ich habe sie nicht eingelöst und es ihm überlassen, sich mit den Folgen abzufinden, die vermutlich nicht angenehm waren.«

»Sie können doch sicherlich auch eine Heirat schließen, die keine so entsetzlichen Folgen nach sich ziehen würde. Sie könnten eine Frau finden, die Sie verstehen und die Zierde Ihres Hauses sein würde.«

»Ich weiß nicht, wo ich eine solche Frau finden soll, und da ich kein Haus habe, brauche ich auch für keine Zierde desselben zu sorgen. Ich ziehe meine Freiheit allem andern vor und habe den unbeugsamen Entschluß gefaßt, nie zu heiraten.«

»Das klingt ja härter als hart; das ist entschieden selbstsüchtig, und Selbstsucht ist bei der Jugend ganz abscheulich.«

»Das mag wohl sein, meine Jugend, wie Sie es nennen, kuriert sich von selbst, dagegen, fürchte ich, wird meine Selbstsucht wachsen; sie ist, wie Sie wissen, die Lieblingssünde, die mit dem Alter zunimmt.«

»Ich rechte nicht länger mit Ihnen,« schmollte sie übermütig.

»Es wäre auch wirklich verlorne Zeit,« erwiderte ich, »und solange wir beisammen sind, können wir sie angenehmer und besser verwenden.«

»Schon gut, Jack,« sagte sie, »man muß Ihnen eben Ihren Willen lassen,« – und eine Minute später plauderten wir über alles mögliche, als ob nichts vorgefallen wäre.

Wir beschlossen den Tag mit einem Spaziergang in dem wundervollsten Mondschein.

»Gute Nacht,« sagte ich, als ich ihr in der kleinen Flur die Hand reichte, »wenn es Ihnen recht ist, wollen wir um neun Uhr frühstücken, und ich werde Ihnen einen Strom frischer Seeluft aus dem Bad mitbringen.«

»Gute Nacht,« erwiderte sie, »und angenehme Träume.« Und unter den Augen des hageren, herben Stubenmädchens trennten wir uns mit einem liebevollen Kuß.

»Gott sei Dank,« sagte ich, als ich das Licht ausblies und in die Kissen sank. »Gott sei Dank, daß diese Erörterung für immer abgethan ist.«


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