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Fünfzehntes Kapitel.

Nach dem Frühstück trennte sich die Gesellschaft. Die Herren eilten natürlich auf die Hühnerjagd, und die Damen begaben sich da und dorthin. Ich schützte meine Briefe vor und konnte mich in die Einsamkeit des Billardzimmers zurückziehen. Da ich mich als Sportsmann schon hinlänglich hervorgethan und mich auch sonst angenehm gemacht hatte, durfte ich glauben, daß das Bedauern, das über mein Zurückbleiben laut wurde, aufrichtig gemeint sei.

In der Einsamkeit des Billardzimmers faßte ich mir die Lage der Dinge zusammen. Es war sehr thöricht, das gestand ich mir selbst ein, aber ich war unzweifelhaft aufs neue in Izzie verliebt. Diesmal wußte ich, oder glaubte wenigstens zu wissen, daß ich mindestens beim Vater auf eine wohlwollende Neutralität rechnen dürfe; und was die beste und treueste aller Freundinnen betraf, Mrs. Brabazon, so hatte ich längst deren ursprünglicher Auffassung unsrer Beziehungen zugestimmt und war damit einverstanden, daß wir nichts an denselben änderten, sondern als treue Verbündete unser Schutz- und Trutzbündnis aufrecht erhielten.

Izzie stand jetzt unzweifelhaft in ihrer besten Zeit, noch nicht auf der Höhe, aber in der ersten vollen Blüte ihrer Schönheit. Außerdem legte mir auch die Ehre und die Ritterlichkeit eine große Verpflichtung auf, und ich hätte ein Schurke sein müssen, diese nicht zu empfinden. Izzie selbst war bereit gewesen, mich zu nehmen, wie ich ging und stand, ohne Stellung, ohne Geld, ohne Freunde, und nun schien es mir fast eine Pflicht, mich noch einmal an sie zu wenden, nun, da ich dies alles hatte.

Die im Lyceumtheater entstandene Schwierigkeit war nicht unüberwindlich und konnte mit etwas Takt wohl beseitigt werden, und nachdem ich mir alles wohl überlegt hatte, kam ich zu dem Entschluß, mich noch einmal um Izzies Hand zu bemühen, doch wollte ich diesmal in geeigneterer Weise vorgehen und zuerst mit ihrem Vater sprechen.

Ich wollte demgemäß den alten Herrn am nächsten Morgen vor dem Frühstück abzufassen suchen. Nach dieser tugendhaften Entschließung erledigte ich einige Arbeiten und wartete dann ganz behaglich, bis die Glocke zu Tische rief.

In Wahrheit habe ich vergessen, wen ich an jenem Tag zu Tisch führte, aber ich weiß, daß es nicht Izzie war, sondern daß diese mit Lord Ashford ging. Offenbar stand sie sehr gut mit ihm und während des ganzen Essens unterhielten sie sich lebhaft miteinander, etwa wie ein Pärchen Sympathievögel. Natürlich war es sehr unrecht von mir über Ashford ärgerlich zu sein, der mir nichts Böses zugefügt und auch gar nicht die Absicht hatte, dies zu thun, allein ich konnte nur schwer den unchristlichen, schlechten Wunsch unterdrücken, Händel mit ihm anzufangen. Ich bin mir wohl bewußt, daß diese Bekenntnisse gegen mich sprechen, aber wie ich schon früher bemerkt habe, ist die erste Pflicht des Schriftstellers und noch vielmehr des Selbstbiographen, sich streng an die Wahrheit zu halten.

Am nächsten Morgen wollte ich mein Heil versuchen, fand aber statt Mr. Vivian Izzie allein. Ich sage »allein«, denn sie hatte eine bejahrte Dame bei sich, die gescheit genug war, sich mit einer gänzlich ungenügenden Entschuldigung zurückzuziehen. Als wenigstens für den Augenblick die Gefahr einer Störung beseitigt war, eröffnete ich sofort das Feuer.

»Lord Ashford, Miß Vivian, scheint für den Augenblick der glückliche Empfänger jenes Lächelns und jener Vertraulichkeit zu sein, die ich einstens gewohnt war, als mein Eigen zu betrachten und zwar mit Ihrer Zustimmung, die mir hierin am maßgebendsten zu sein scheint.«

Sie wurde rot vor Zorn.

»Lord Ashford,« gab sie scharf zurück, »ist mehr als ein Edelmann, Mr. Severn, er ist ein Gentleman und hat nichts gethan, um sich in Ungnade zu bringen oder irgend jemandes gute Meinung zu verscherzen.«

»Wohl möglich! Das bestreite ich keinen Augenblick, bin mir aber auch nicht bewußt, dies je selbst gethan zu haben.«

»Und ich, Mr. Severn, kann nicht fassen, daß Sie gering genug empfinden, um mich in dieser feigen Weise verfolgen zu können. Ich wollte, ich hätte einen Bruder oder einen Freund,« – auf dieses Wort legte sie vollen Nachdruck – »der für mich eintreten und Sie zur Rede stellen könnte, wie Sie es so überreich verdient haben.«

»Ich bin mir durchaus nicht bewußt, irgend etwas gethan oder gesagt zu haben, was eines Gentleman unwürdig wäre.«

»Dann muß Ihr Erfolg – wie ich es ja wohl werde nennen müssen – in der Advokatur Ihnen ganz den Kopf verdreht oder Sie sich unter dem Einfluß Ihrer neuen Freunde und Bekannten traurig verändert haben.«

»Ich glaube, wenn Sie mich nur ein paar Minuten ruhig anhören würden –«

»Keine Minute gedenke ich Sie ruhig anzuhören,« unterbrach sie mich mit einem zornigen Aufleuchten ihrer Augen und einem heftigen Aufstampfen ihres kleinen Fußes. »Ich weiß alles, was Sie mir sagen könnten, und unendlich mehr, als Sie mir sagen möchten. Ich war vorsichtig genug, nichts zu glauben, was nicht bewiesen worden ist. Fragen Sie Ihr eignes Gewissen, falls Ihnen noch ein Funken davon übrig geblieben ist, und wenn Sie noch etwas Schamgefühl besitzen, so geben Sie es auf, mich in dieser schändlichen Weise zu verfolgen. Sie machen mir das Leben völlig unerträglich.«

Die ungeheuerliche Ungerechtigkeit all dieser Beschuldigungen erregte meine höchste Verwunderung. Ich war mir wohl bewußt, an der mir zur Last gelegten Verfolgung völlig unschuldig zu sein, sowohl in Worten, als auch in der That oder in Gedanken, aber was in aller Welt konnte ich sagen? Falls ich etwas sagte, was konnte es nützen? Ich konnte ganz ruhig wiederholen: »Ich meine, Sie sollten mich einen Augenblick ruhig anhören.«

»Und ich habe Ihnen ein für allemal erklärt, daß ich mich weigere, Sie anzuhören. Ist dies nicht deutlich genug? Was für ein Feigling Sie sind!«

»Miß Vivian, noch nie hat ein Mann gewagt, mich einen Feigling zu schimpfen!«

»Wohl möglich, daß es noch keinem Mann der Mühe wert war; Sie sind allzu verächtlich. Können Sie mir denn nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie durch und durch verachte, daß mir schon ihr bloßer Anblick zuwider ist. Ich gehe jetzt, und wenn Sie versuchen mir zu folgen, dann rufe ich um Hilfe.« Und mit diesen Worten sprang sie auf, eilte fort und entschwand bei der ersten Wendung des Weges meinen Blicken.

Ihr nachzugehen, wäre mehr als dumm gewesen, deshalb steckte ich meine Hände in meine Taschen, spazierte langsam nach dem Hause zurück und dachte nicht sowohl über die jetzige Sachlage, die ich noch gar nicht zu fassen vermochte, als über den verstockten Eigensinn des weiblichen Gemütes im allgemeinen nach. Das Lachen, mit dem ich meine Gedanken begleitete, klang aber etwas erzwungen, und ich war froh, als ich mich in meinem Zimmer allein sah.

»Ich will gar nicht mehr daran denken,« sagte ich zu mir selbst, »sonst werde ich toll.« Ich griff gleichgültig nach einem Buch – ich glaube, es war Nikolaus Nickleby, und nahm einen tapfern Anlauf, zu lesen, allein der Erfolg war nicht glänzend. Nach einer kleinen Weile verschwammen mir die Zeilen vor den Augen, und ich wurde mir froh bewußt, daß ich einschlafe.

Das Zimmer war köstlich kühl und die ganze Atmosphäre war so einschläfernd, daß ich erst wieder aufwachte, als ein Diener mit heißem Wasser und meinem sorgfältig gereinigten Gesellschaftsanzug erschien. Es war halb sechs Uhr vorüber und Zeit zum Ankleiden. Eigentlich fühlte ich wenig Lust, mich der Gesellschaft anzuschließen; allein ich hatte keine auch nur halbwegs stichhaltige Entschuldigung zur Hand, und so raffte ich mich auf und begab mich nach einer erfrischenden Waschung mit Wasser und Eau de Cologne in das Empfangszimmer.

Die mir zugeteilte Dame war die hinlänglich uninteressante Frau eines benachbarten Gutsbesitzers mit ganz ungeheuerlichen Ansichten über Rosmarinthee und dessen Vorzüge, über die Gefahr des Unglaubens, über das anmaßende Gebaren der niederen Klassen und das Unheil, das durch die Ueberbildung der Massen verursacht werde. Es war ein bitterer Kelch, aber ich mußte ihn leeren. Noch nie war ich so dankbar gewesen wie damals, als sich die Damen zurückzogen, der Wein um die Tafel kreiste und die Unterhaltung zur Politik überging.


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