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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Am nächsten Morgen kam Mr. Rock zu mir und war so vergnügt, als ob nichts geschehen wäre: in der Gemütsverfassung eines Mannes, der das Schlimmste erfahren und überstanden hat.

»Squire,« sagte er, »unter anderm war ich auch einmal Maurer, ich hatte eine sehr bescheidene Stellung, ich rührte unten auf dem Pflaster den Mörtel an. Plötzlich stürzte ein Mann wie der Blitz von der höchsten Höhe der zusammengebundenen Leitern herab und blieb auf dem Pflaster liegen. Wir eilten zu ihm, um, wie wir denken, die Stücke zusammen zu lesen, allein er springt, wie es sich für einen richtigen Amerikaner ziemt, auf die Füße und sagt: ›Gott sei Dank, Kinder, der Puff wäre vorbei!‹ So etwa sind meine Gefühle im Augenblick.«

Ich bezeugte ihm meine Hochachtung über seine Anwendung der Grundsätze der stoischen Philosophie und fragte ihn dann nach Elizabeth.

»Sie ist ein gutes Ding, Mr. Severn; sie ist ein Mädel, das Grütze im Kopf und Mut im Leibe hat. Sie hält wacker aus bei ihrem alten Vater. Ich will natürlich nicht behaupten, daß sie nicht ein wenig betrübt sei; es ist hart, seine Dollars zu verlieren und auf Cents herunterkommen zu müssen. Aber sie hält sich tapfer.« Damit ging Mr. Rock.

Ich überlegte lange Zeit, dann fuhr ich geraden Weges nach der amerikanischen Gesandtschaft; mein Name und meine Stellung als englischer Advokat genügten, mich einzuführen, und bald stand ich vor dem ältesten Attaché, einem wahren Gentleman. Ich sagte ihm, daß ich seine Hilfe in einer zarten, allerdings nicht gerade diplomatischen Angelegenheit nachsuchen wolle. Er war sehr beschäftigt, aber die Höflichkeit selbst und bestellte mich, nachdem ich ihm mein Anliegen erklärt hatte, auf den andern Tag um vier Uhr.

»Ich muß Sie wiederholt darauf aufmerksam machen,« sagte der Attaché, als ich wieder bei ihm vorsprach, »daß Ihre Angelegenheit ganz privater Natur ist und ich Ihnen nur als Freund behilflich sein kann. Ich schickte einen jungen Mann von der Gesandtschaft zu Mr. Rock, mit dem er merkwürdigerweise durch seine Mutter im hundertsten Grad verwandt ist. Ob Sie Erfolg haben werden, muß die Zeit lehren.«

Darauf wickelte ich noch ein Geschäft mit dem Attaché ab, was sich mit Hilfe von französischen Banknoten, die ich mitgebracht hatte, sehr einfach bewerkstelligte; der Attaché versprach mir, die Quelle, der sie entstammten, nicht zu verraten. Dann bummelte ich auf den Boulevards herum, bis die Nacht zum größten Teil vorüber war.

Am nächsten Morgen harrte ich der Ereignisse, die da kommen sollten, und erhielt denn auch gegen zehn Uhr einen ziemlich steifen Brief von meinem neuen Freund, dem Attaché. Er sagte mir mit dürren Worten, daß, wenn ich nicht ihn zum Narren gehalten hätte, sich Mr. Rock dies jedenfalls mit mir erlaubt habe, denn dieser befinde sich durchaus nicht in Geldverlegenheit.

»Es muß da ein Mißverständnis ganz ungewöhnlicher Art vorliegen, Mr. Severn,« schloß der Brief. »Ich spreche Sie von jeder bösen Absicht frei, allein den Irrtum habe nicht ich verschuldet. Das mir anvertraute Geld lege ich hier bei und habe die Ehre zu sein etc.«

Diese Mitteilung brachte mich ganz in Verwirrung. Ich hatte im geheimen Gutes thun wollen, und nun stand hier in dürren Worten zu lesen, ich sei ein Esel. Ich mochte die Sache zu erklären suchen, wie ich wollte – jedermann mußte denken, ich habe mich zum Narren halten lassen, und zwar so öffentlich wie möglich. Aller Wahrscheinlichkeit nach kam die ganze Geschichte am nächsten Tag in den Figaro und in die Petite Presse. Ich war außer mir vor Wut.

Ich verließ meine Wohnung und schlenderte in die Gärten des Palais Royal; ich stopfte meine Taschen voll Bonbons, mit denen ich zum großen Aerger ihrer Bonnen die Kinder verlockte. Dann ging ich in einen Billardsaal und vergaß meine Sorgen eine Stunde lang. Von hier ging ich wieder nach Hause und warf mich auf das Sofa; ich ließ mein ganzes Leben an meinem Geist vorüberziehen und schmiedete allerlei Pläne für eine einsame Zukunft.

Mr. Rock hatte ich beinahe ganz vergessen, ich fühlte mich auf meinem Sofa so behaglich wie ein Seemann in seiner Hängematte, und dann wandten sich meine Gedanken wieder dem eigenartigen Amerikaner zu. Ich wollte doch noch einen Versuch machen. Offenbar hielt mich der Mann für einen Abenteurer, und dies war ein Irrtum, aber ich wollte mich jedenfalls auf freundschaftliche Weise von ihm trennen und fühlte eine nagende Sehnsucht, Elizabeth wenigstens noch einmal wieder zu sehen. – So lag ich da und träumte und sann hin und her und lauschte dem Zwitschern der Sperlinge auf dem Altan, als plötzlich der Kellner erschien und meldete; » Monsieur, Monsieur Rock est en bas!«


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