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Achtzehntes Kapitel.

Meine Buchsendung war im Hotel Continental richtig abgeliefert worden, und ich selbst erschien zur bestimmten Stunde dort. Die Gesellschaft war sehr gemischt, aber gut gemischt. Zwei Pairs waren vorhanden, ein englischer und ein schottischer, der eine auf der Rennbahn beliebt, der andre ein gewaltiger Jäger; außerdem ein Jachtliebhaber, der Besitzer eines auf dem Mittelländischen Meere wohlbekannten Schoners, der mit Begeisterung über Tonnengehalt und Kielschwert sprach; dann einer unsrer ersten Journalisten, der beste Erzähler, in den Vereinigten Staaten fast noch bekannter und beliebter als bei uns; dazu einige Herren aus der City: gewiegte, kluge Spekulanten in Aktien, Holz, Baumwolle, Nahrungsmitteln in Büchsen und Eisenbahnschienen.

Einige derselben hatten ihre Frauen mitgebracht, andre waren mit ihren Töchtern erschienen; wir waren etwa vierzig Personen, und obgleich die Gesellschaft groß war, befand sie sich doch, soweit möglich, in harmonischer Uebereinstimmung.

Die Dame, die auf mein Los gefallen, war die Gattin eines Herrn, der in Chicago durch Aufkauf von eingepökeltem Schweinefleisch ein gutes Geschäft gemacht hatte und nun auf seinem Goldhaufen thronte. Drei Jahre zuvor hatte er sich und eine Menge seiner Freunde ruiniert durch einen Versuch, einen »Melassering« zu bilden; allein als sich ergeben, daß das Schweinefleisch das Wahre sei, hatte er all seinen Gläubigern hundert rote Cents für den Dollar bezahlt, was, wie seine Gattin mir versicherte, mehr war, als irgend einer erwartet hatte, jedenfalls aber mehr, als sie verdienten.

»Aber Hiram hat jetzt eine Masse Geld, sollt' ich meinen,« fuhr die würdige Dame mit berechtigtem Stolze fort, »und ich sollte meinen, er habe gelernt, so ruhig auf seinem Goldhaufen sitzen zu bleiben, wie ein alter Haushahn auf seinem Miste. Geld ist ein gutes Ei, Mr. Severn, und es ist meine feste Ueberzeugung, daß es auch in ein warmes Nest gelegt werden sollte.«

Ich erklärte meine volle Uebereinstimmung mit diesen höchst praktischen Gefühlen, und dann bestand sie darauf, daß ich ihr erzählte, was ich irgend von den persönlichen Gewohnheiten und der Lebensweise der Königlichen Familie und einiger der vornehmsten Herzöge und Marquisen wußte.

Ich könnte nicht einmal sagen, sie sei mir lästig gewesen – sie war so natürlich und lebhaft und mischte ihre eigne Persönlichkeit niemals in ihr endloses Geschwätz ein.

Ehe ich ging, gelang es mir noch, mich unter dem Vorwande, ihr Gefrorenes zu bringen, Miß Rock zu nähern, und ich hatte so die Gelegenheit, mir vollends ganz klar über sie zu werden.

Dann kehrte ich nach Chapel Street zurück und begann, auf meinem Sofa sitzend, mit Hilfe einer sieben Fuß langen Pfeife über meine Lage nachzudenken.

Ich genoß meine Pfeife in Ruhe und Frieden und beobachtete mit größtem Interesse den Rauchring, der sich vom Pfeifenkopf nach der Zimmerdecke hinzog, und überlegte. Sollte ich Miß Rock meine Hand anbieten? Ich brauchte keine falsche Scham zu empfinden, wenn ich es that. Ich konnte ihr jeden Dollar ihres Vermögens zu voller Verfügung sicher stellen lassen, ohne auch nur das Geringste für mich zu beanspruchen.

Auf diesen Bedingungen wollte ich unter allen Umständen bestehen, da sie meine Beweggründe als über jeden Verdacht erhaben zeigten. Außerdem besaß ich genug eignes, sicher angelegtes Vermögen, um mir dies leisten und mich jeden Augenblick in irgend ein Tuskulum zurückziehen zu können.

Vierhundert Pfund jährlich, was ich hatte, wenn ich mich sofort vom Geschäft zurückzog, ist allerdings kein Vermögen, aber es ist genug für einen Mann, der nicht gerade in Wien leben oder eine Wohnung in der Avenue de l'Opéra haben will. Außerdem hatte ich gar nicht die Absicht, mich im Sommer des Lebens zur Ruhe zu setzen, denn ich liebte meinen Beruf um seiner selbst willen so sehr, als den Salmenfang oder die Hirschjagd.

So beschloß ich also, den alten Rock ohne weiteren Zeitverlust sofort zu packen, denn die Amerikaner haben eine Schwäche für Titel, und in London gibt es gar manchen mittellosen Pair, der nur allzu bereit war, das aufzulesen, was diese Herren in ihrer Unverschämtheit einen protzigen Goldklumpen sich zu nennen erlauben.

Ich lud also Mr. Rock ein, mit mir bei White zu speisen, welchem Klub ich nun angehörte; als dieser Plan ausgeführt wurde, wollte es der Zufall, daß ein gewisses hervorragendes Mitglied der Königlichen Familie mit zwei andern Königlichen Hoheiten und einigen Durchlauchten an einem benachbarten Tische speiste.

Dies gefiel Mr. Rock ungemein. »Es ist unrecht,« sagte er, »zu behaupten, daß Ihr Engländer so exklusiv seiet. Sehen Sie, mein Herr, hier sitze ich, Cyrus Napoleon Washington A. Rock aus Rockbury U. S. und speise mit dem Erben des Thrones der Plantagenets, der Tudors und der Stuarts in seinem Klub, und er sitzt nur einen Tisch von mir entfernt. Mein Herr, das macht mich stolz, und ich danke Ihnen in meinem und in meines Landes Namen für Ihre Gastfreundschaft und für diese Gelegenheit. Ich telegraphiere nach Rockbury, und man wird einen Leitartikel in dem Daily Bulletin darüber bringen.«

Ich sprach meine Befriedigung über Mr. Rocks Entzücken aus und begann dann behutsam auf die Hauptsache hinzusteuern, doch erreichte ich das erst spät am Abend, als wir beinahe allein im Rauchzimmer saßen, und es dem Kellner gelungen war, einen kühlen Trunk mit Pfefferminz zu mischen, der sich des Beifalls von Mr. Rock erfreute und von dem der Kellner selbst ganz ungemein befriedigt war. Dann eröffnete ich ihm mit aller Diplomatie, die mir zu Gebote stand, und mit lobenswerter Kürze mein Anliegen, wobei ich ganz besondern Nachdruck darauf legte, daß das Geld für mich dabei nicht in Betracht komme, und daß ich, falls man es mir zur Bedingung machte, meinen Beruf aufgeben und mich in den Vereinigten Staaten naturalisieren lassen würde, obgleich es stets das Ziel meines Ehrgeizes gewesen sei, den englischen Hermelin zu tragen, wovon ich nicht mehr allzuweit entfernt sei.

Mr. Rock schloß seine Augen einige Minuten und schien zu überlegen; dann schlug er sie wieder auf und blickte mich von der Seite an. Nun öffnete er auch den Mund und begann mir in der unbefangensten Weise seine Ansicht mitzuteilen, doch sprach er in einem gewissen breiten Tone wie immer, wenn es ihm recht ernst war.

»Nun, Mr. Severn, Sie sind ein hübscher, gewandter junger Mann; Sie stammen aus einer Familie, die so gut ist wie manche vom hohen Adel, und was Sie sind, das sind Sie durch sich selbst geworden. Ich habe mir sagen lassen, daß derartige Männer dem Allmächtigen eine große Verantwortung abnehmen – vielleicht ist dem so. Ich kann Sie wohl leiden, Mr. Severn, Sie haben allem Anschein nach immer Grütze im Kopf gehabt – jedenfalls haben Sie jetzt sehr viel. Ich suche keine besonders gute Partie für mein Mädel, obgleich Sie ja ohne Zweifel in recht guten Verhältnissen sind. Was ich brauche, das ist ein Mann, der sich gut und ehrenhaft gegen sie benimmt, und ich bin geneigt, anzuerkennen, daß Ihre Gefühle und Gesinnungen derart sind, und soweit wäre alles in Ordnung. Nun sagen Sie 'mal, haben Sie ihr schon irgend welche Andeutungen in dieser Richtung gemacht?«

Mit gutem Gewissen konnte ich Mr. Rock versichern, daß ich mich einer derartigen Freibeuterei nicht schuldig gemacht habe.

»Gut, Squire,« sagte Mr. Rock, »dann will ich morgen mit meinem Mädel über die Sache sprechen, und wenn sie ›Ja‹ sagt, so ist Cyrus Napoleon Washington A. Rock der letzte Mann unter dem Sternenbanner, der ›Nein‹ sagen würde. Darauf kann ich Ihnen die Hand geben, und nach dem, was ich so gelegentlich bemerkt habe, vermute ich, daß mein Mädel ›Ja‹ sagen wird. Sie hat euch Engländer immer recht wohl leiden können, aber gut sagen für sie, das kann ich doch nicht, das hieße in unsern Tagen zu viel erwarten von einem Vater. Ich werde Ihnen natürlich Nachricht zukommen lassen, doch jetzt möchte ich, wenn ich Ihre Gastfreundschaft nicht mißbrauche, von dem gewandten jungen Kellner noch ein Glas von diesem Stoff gemischt haben.«

Der Stoff wurde gemischt und feierlich geschlürft, und dann trennten Mr. Cyrus Napoleon Washington A. Rock und ich uns in bestem Einvernehmen unter Whites Hausthür.


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