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Zwölftes Kapitel.

Nach dem Frühstück verfaßte ich einen Brief an Izzie, der sehr lang und vermutlich auch sehr einfältig ausfiel; thatsächlich teilte ich ihr in demselben genau so viel mit, als für mich zweckmäßig war, sie wissen zu lassen. Ich begann ihr ihre Eifersucht vorzuwerfen, die, wie ich kühn erklärte, nahezu an Geistesstörung grenzte, und warnte sie, müßigem, grundlosem Verdacht ohne weiteres Raum zu geben, denn damit würde sie sich das Leben zu einer Last machen und die Freundschaft aller derer verlieren, an deren guter Meinung ihr gelegen sei.

Ich sagte ihr, daß Mrs. Brabazon, wie sie ja jetzt auch selbst gesehen haben müsse, alt genug sei, um den Gedanken an ein Liebesverhältnis zwischen uns einfach lächerlich erscheinen zu lassen. In einem Kosthaus in Bayswater, von dem ich schon früher mit ihr gesprochen habe, einer billigen, langweiligen Familienpension, in der auch ein Geistlicher und eine schottische alte Jungfer lebten, sei ich mit ihr zusammengetroffen. So habe unsre Bekanntschaft angefangen und sich entwickelt. Weiter hätte ich nichts mehr vorzubringen. Sollte irgend ein Mann etwas gegen Mrs. Brabazon sagen, so wüßte ich, was ich zu thun hätte; was Weiber klatschen oder denken könnten, um das kümmerte ich mich nicht.

Ich bedauerte auf das Lebhafteste, daß sie ihre Briefe zurückverlangte, aber ich müßte sie ihr wohl schicken, da sie mich sonst beschuldigen könnte, Mißbrauch mit denselben zu treiben. Noch heute abend würde ich sie ihr durch einen sicheren Boten zustellen lassen.

Dann hielt ich inne, um zu überlegen, ob es noch irgend etwas Unangenehmes gäbe, das ich anständigerweise beifügen könnte; da ich aber zu der Ansicht gelangte, daß dies nicht der Fall sei, gab ich den Brief nebst meiner Karte persönlich in Princes Gate ab, von wo sie geschrieben hatte.

Von hier aus ging ich in meine Wohnung zurück, suchte alle ihre Briefe hervor, ordnete sie der Reihenfolge nach, band sie mit harmlos aussehendem roten Bindfaden zusammen, versiegelte sie in einem Leinenumschlag und sandte sie durch einen zuverlässigen Dienstmann nach Princes Gate.

Als all dies vollbracht war, lenkte ich meine Schritte nach dem Strand und nahm ein kaltes Bad. Auf ein Bad empfehlen die Aerzte ein Täßchen schwarzen Kaffee. Nach Bad und Kaffee ging ich rasch nach Charing Croß.

Susan war zu Hause und so strahlend wie je. Am andern Tage sollte sie nach Irland abreisen und wollte noch einen behaglichen, ruhigen Abend mit mir verleben; bis nach ein Uhr saßen wir plaudernd zusammen.

Am nächsten, oder richtiger gesagt an diesem Tag begleitete ich sie zur Bahn, und nun stand ich, wieder ganz Herr meiner selbst, aber nicht ohne ein Gefühl von Verlassenheit, in der großen Stadt, im Vergleich mit welcher einem in solchen Augenblicken die Sahara, Palmyra oder ein Yucataner Urwald als angenehme, belebte Orte erscheinen würden.

Dann begab ich mich nach meinem Klub, wo ich mich, nachdem ich ein Kotelett und ein Glas Rotwein zu mir genommen hatte, ins Rauchzimmer zurückzog, um zu überlegen. Das Ueberlegen, selbst in dem bequemsten Sessel, pflegt in der Regel alles hübsch so zu lassen, wie es ist, und das ganze Ergebnis meines Nachdenkens war, daß ich für den Augenblick am besten thäte, alles zu lassen, wie es war. Mit diesem weisen Entschluß ausgerüstet, verfügte ich mich nach Regent Street, wo ich die Genugthuung hatte, einem hoffnungsvollen, vielversprechenden Marqueur zu beweisen, daß er noch viel zu lernen habe; dann lenkte ich meine Schritte heimwärts und las mich in Schlaf.

 

Einige Tage später berührte Susan auf der Rückreise nach Nizza wiederum die Stadt: sie widmete mir den größten Teil eines Tages, den wir in unsrer gewohnten Weise ruhig und angenehm verlebten.

Ihr Anteil am Vergnügen bestand hauptsächlich darin, daß sie mir gute Ratschläge erteilte. Ich sollte keine Schulden machen, ich sollte mich emsig der Advokatur widmen und vermeiden, meine Zeit mit Kleinigkeiten zu vergeuden. Es wäre besser, ich hätte eine recht gut gelegene Kanzlei im Temple und ein Privatzimmer in irgend einer in der Nähe der Themse gelegenen Straße oder noch besser in Mayfair. Ich sollte das Spiel meiden und mir, sobald ich es erschwingen könnte, ein Pferd halten – da sie ein eignes Pferd für einen jungen Mann in der Stadt, wenn er es irgend ermöglichen könnte, für beinahe so nötig hielt, wie seinen Klub.

Dem allem hörte ich geduldig zu und ließ ab und zu auch eine Bemerkung einfließen, dann trennten wir uns in vollster Freundschaft und Uebereinstimmung.

»Sie werden regelmäßig einmal die Woche von mir hören,« sagte sie, »und müssen mir auch einmal wöchentlich antworten. Sie waren immer ein lieber, guter Junge und unterhalten mich ungemein. Sie haben das Zeug in sich, Jack, es zu was Rechtem zu bringen, wenn Sie sich dranhalten. Aber jetzt müssen Sie für heute gehen, ich habe einiges zu besorgen und Besuche zu machen. Wenn Sie wollen, können Sie drei Viertelstunden, ehe mein Zug abgeht, zu mir in den Gasthof kommen.«

Ich ging zur bestimmten Zeit in den Gasthof, half ihr in den Zug steigen und folgte ihr dann ganz gelassen hinein, indem ich ihr versicherte, ich habe den ganzen Tag nichts zu thun und wolle den Nachmittag in Folkestone verbringen und Seeluft atmen.

Susan schalt ein wenig wegen meines Ungehorsams, aber ich glaube, daß meine Aufmerksamkeit ihr doch angenehm war. Was wir einander zu sagen hatten, läßt sich leicht erraten. Wären noch vier andre Reisende im Coupé gewesen, ihre Anwesenheit hätte uns nicht belästigt, denn keins von uns war in irgendwie verliebter Stimmung.

Ich geleitete sie sicher an Bord, blieb bis zum letzten Glockenzeichen und blickte dem Schiffe nach, bis sich auch das letzte Rauchwölkchen am Horizont verlor.

Mit dem Nachmittagszug kehrte ich nach London zurück. Am nächsten Tage hatte ich genug zu thun, denn nach und nach wuchs mir viel Arbeit zu und zwar einträgliche Arbeit. Ich hatte zahlreiche Aufträge von großen Handelshäusern aus der City, wo es sich auf beiden Seiten um Tausende von Pfunden handelte, so daß es auf ein paar hundert Guineen mehr oder weniger für juristischen Rat gar nicht ankam.

Ich hatte von Natur einen hellen Kopf und nahm ein lebhaftes Interesse an der Topographie und Naturgeschichte jenes streitigen Grund und Bodens, der zwischen den handelsüblichen Gewohnheiten der Kaufleute und dem Landesgesetz liegt. Ich bekam immer mehr zu thun, und den Freunden, die meine Thätigkeit verfolgen wollten, wurde es leicht, meinen Namen in den Zeitungen zu finden. Derartige Arbeit ist gar einträglich, und bald mußte ich meinen Bankier über die vorteilhafteste Anlage meiner Kapitalien zu Rate ziehen. Wie Susan mir geraten hatte, nahm ich eine Wohnung in Mayfair, und jeden Abend um sechs Uhr pflegte ein Groom mit meinem Pferd unter den Fenstern meiner Geschäftsräume zu erscheinen.

Beinahe jeden Abend war ich zu Tische ausgebeten, aber ich entschuldigte mich meistens mit Geschäften und kam nach und nach in den Ruf eines eingefleischten Junggesellen.

Wenn nicht das Billardspielen aus Liebe zur Sache für ein Laster gehalten wird, hatte ich keins an mir, und wenn ein Privatdetektiv von meiner ängstlichen Mutter den Auftrag erhalten hätte, mich zu beobachten, so bin ich überzeugt, daß er ihr berichtet haben würde, ich sei der geordnetste und ruhigste junge Mann und befleißige mich eines tadellosen Lebenswandels.

In all dieser Zeit hatte ich von Izzie keine Antwort auf meinen Brief erhalten, obgleich ich gelegentlich durch meine Schwestern und andre Leute aus der Nachbarschaft von ihr hörte. Manchmal betrübte mich ihr Schweigen, manchmal ärgerte ich mich darüber; nach und nach merkte ich, daß sie mir gleichgültig und ich sogar ein wenig mißgestimmt gegen sie wurde. Wenn es so weiter ging, war ich in wenig Jahren Kronsyndikus; schon jetzt war ich entschlossen, mich bei den nächsten Wahlen um einen Sitz im Parlament zu bewerben.

Unterdessen fing ich an meine Heimat und alles, was mit ihr zusammenhing, mit täglich wachsender Gleichgültigkeit zu betrachten. Wäre mir mein Vater in Pall Mall begegnet, so hätte ich ihm höchst wahrscheinlich zugenickt; wären wir irgendwo in einer Gesellschaft zusammengetroffen, so hätte ich ihm die Hand gedrückt und mich nach seinem Befinden erkundigt.


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