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Elftes Kapitel.

In Paris verlebten wir eine schöne Zeit. Susans Geschmack war noch immer gleich einfach, wir gingen ins Theater, wir speisten bescheiden bei Bignon, und die einzige, annähernde Leichtfertigkeit war ein Abend in den Folies Bergères mit nachherigem Abendessen im Café de la Paix.

Susan war ganz die alte – warmherzig, lebensfroh und offenbar glücklich, wieder mit mir zusammen zu sein. Aus dem einen Tag in Paris wurden vier oder fünf Tage des ungetrübtesten Genusses.

Man bedenke, daß ich in meinem Leben noch nie in Paris gewesen war! Dann fanden wir uns endlich in dem Zug nach Calais und fuhren durch die schneebedeckte Landschaft. Wunderbarerweise trafen wir auf der ganzen Reise niemand, den wir kannten; ich brachte Susan in das Charing Croß Hotel, während ich selbst in meine Wohnung ging.

Am andern Abend speisten wir früh bei Francatelli und gingen nach Tisch ins Lyceumtheater, wo ich Plätze besorgt hatte. Irving spielte den Macbeth, und obgleich ich nicht überzeugt bin, daß diese Rolle völlig für ihn paßt, gab ich mich doch dem ungetrübten Genuß an der Vorstellung hin, bis ich in einem Zwischenakt aufstand, mich im Hause umsah und plötzlich mit Erstaunen und Unbehagen Izzie mit einigen Freunden in einer Privatloge sitzen sah.

Ich grüßte sie sofort, aber sie erwiderte meine Verbeugung nur mit einem ruhigen, festen Anstarren und vertiefte sich in eine lebhafte Unterhaltung mit einem jungen Mann, der sich über ihren Stuhl beugte.

Es war nichts zu thun, als das Stück zu Ende zu sehen, wobei ich meiner Gefährtin die ausgesprochenste Aufmerksamkeit erwies und im übrigen eine unbekümmerte, herausfordernde Miene annahm.

Als der Vorhang fiel, hüllte ich sie in ihren Mantel, nahm ihr Opernglas und führte sie kühn durch das Foyer zu unserm Wagen, in den unter Izzies Augen mit ihr einzusteigen ich das Vergnügen hatte. Wir fuhren in eine durch ihre Küche berühmte Restauration, und nachdem die angenehmste Mahlzeit am Tage, das Abendessen, vorüber war, führte ich sie in ihren Gasthof zurück. Dann steckte ich mir eine Cigarre an und schlenderte nachdenklich nach dem Temple zurück.

»Na, da wären wir in einer schönen Patsche,« sagte ich zu mir selbst, als ich endlich mein Licht ausblies, und dann legte ich mich als schlechter junger Mensch, der ich war, auf die Seite und schlief ein.

Im Laufe des Nachmittags erhielt ich dann einen Brief, der größerer Sicherheit halber eingeschrieben war. Ich kannte die Handschrift, was ich wohl kaum erst zu sagen brauche, und riß ihn auf.

 

»Lieber Mr. Severn,« begann er.

»Nach dem, was ich gestern nacht gesehen habe, werden Sie sich kaum wundern, daß ich Ihnen schreibe, um Ihnen zu sagen, daß Sie nie wieder mit mir sprechen sollen, und daß ich, wenn Sie dies dennoch versuchen würden, genötigt wäre, meinen Vater zu bitten, mich vor Ihnen zu beschützen.

»Sie haben sich sehr grausam und sehr schlecht benommen. Wenn es mir von Ihren schlimmsten Feinden erzählt worden wäre – ich hätte es nicht geglaubt. Von Kummer oder Schmerz will ich nicht reden, denn ich zweifle, ob ich solchen empfinde. Wenn Sie irgend welche Briefe von mir in Händen haben, so baue ich auf das, was Sie an richtiger Empfindung vielleicht noch in sich fühlen, und erwarte dieselben zurück. Ebenso verlange ich, daß Sie meiner bei keinem ihrer Freunde oder Bekannten erwähnen. Ergebenst

Isabella Vivian.«

 

Diese Epistel wirkte auf mich wie ein kalter Wasserstrahl; ich las sie drei- oder viermal durch, ehe ich sie in meinen Schreibtisch schloß. Dann nahm ich meinen Hut und schlenderte ohne besondres Ziel in der Richtung von Spring Gardens und St. James Park dahin.

»Wenn dies wirklich eine Probe ihrer Sinnesart ist,« sagte ich zu mir selbst, »so ist es vielleicht am besten so, wie es ist. Jedenfalls werde ich mich über einen so abgeschmackten Streit nicht ärgern.« Nachdem ich in meinem Klub ein gutes Frühstück eingenommen hatte, begab ich mich nach Charing Croß, wo mich Mrs. Brabazon zum Nachmittagsthee bat und liebenswürdiger und angenehmer war als je. Wenn ich nichts Bessres vor hätte, würde ich ihr vielleicht den Rest des Tages schenken. Sie wollte nun Klavier spielen, oder wir könnten auch plaudern.

Ich blieb bei ihr, und sie setzte sich neben mich. Wiederum war ich völlig glücklich. Ich habe keine Idee, von was wir eigentlich plauderten, aber ich erinnere mich, daß die Stunden bis zum Mittagsessen wie im Fluge enteilten, und daß wir nach Tisch am Kamin saßen und uns sehr behaglich und glücklich fühlten. Es wurde zwei Uhr, ehe ich sie verließ.

Auf dem Tisch in meiner Kanzlei lag wie gewöhnlich das Memorandum meines Schreibers; es war ein unbesetzter Tag. Ich hatte keine Verhandlung und auch keine Besprechung mit meinen Klienten. Die Aussicht auf einen Feiertag sagte mir sehr zu, denn ich hatte in der letzten Zeit so viel Arbeit gehabt, als mir not that. So zog ich in glücklicher Gemütsstimmung die Bärendecke über die Ohren und schlief viel zu gesund, als daß ich hätte träumen können.

Als mich am Morgen meine Wirtin weckte mit der Frage, ob ich Thee oder Cognac und Sodawasser wolle, wählte ich tugendhaft das erstere und ging dann in den Windhamklub, um eine Antwort an Izzie aufzusetzen. »Ich bin kein Schuljunge mehr und brauche mir eine solche Maulschelle nicht gefallen zu lassen,« welche Betrachtung mich in einen solchen Zustand der Zufriedenheit mit mir selbst versetzte, daß ich die Verwunderung des Kellners erregte, der sich offenbar fragte, was noch aus der Welt werden solle, wenn junge Leute, kaum der Schulbank entwachsen, die Kellner des Klubs hin und her befehlen, als ob sie in einem Gasthof wären, und zu ihrem Frühstück Liqueur trinken.


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