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Neunzehntes Kapitel.

Am nächsten Morgen erhielt ich eine kurze Mitteilung von Mr. Rock.

»Mein lieber Herr! – Ich lege einen Brief von meiner Tochter bei. – Ganz der Ihre

Cyrus Napoleon Washington A. Rock.«

Der Brief von Miß Rock war ebenso charakteristisch:

»Lieber Mr. Severn! – Ich werde heute nachmittag nach fünf Uhr zu Hause sein, da Papa mit einigen Herren aus der City speisen wird, mit denen er ein kleines Geschäft plant, das, wie er sagt, ganz gehörig einschlagen soll. Kommen Sie nach fünf Uhr, sobald Sie wollen, ins Hotel Continental; es würde mich sehr freuen, wenn Sie mich irgend wohin führen wollten. – Mit herzlichem Gruß

Elizabeth M. J. Rock.«

Durch einen zuverlässigen Boten sandte ich meine Antwort auf diese Zeilen und stellte mich zur bestimmten Zeit im Hotel Continental ein. Miß Rock empfing mich mit einem herzlichen Händedruck, durchaus nicht unweiblich, sondern so einfach und natürlich wie der Klang ihrer Stimme – die leichte amerikanische Betonung, nur gerade bemerklich genug, um pikant zu sein.

»Mr. Severn,« begann sie, »mein Vater hat mir in dieser Angelegenheit völlig freies Spiel gelassen, und ich glaube auch, daß ich weiß, wie ich spielen werde. Aber Sie wissen, es geht um die Bank, und das erfordert Ueberlegung. Ich bin noch nicht ganz fest entschlossen, aber ich werde Sie nicht länger mit Warten hinhalten, als recht und billig ist. Ein Aufschub von vierzehn Tagen bedeutet nicht viel im Verhältnis zu zwei kostbaren Menschenleben, und ich bin nicht das Mädchen dazu, mich in einer solchen Angelegenheit schneller entschließen zu können.«

»Eine ganz vernünftige Frist,« antwortete ich mit meinem besten Lächeln und einer Verbeugung, die eines Lord Kanzlers auf dem Wollsack würdig gewesen wäre.

»Ich kann nicht sagen, es ist so, und kann nicht sagen, es ist nicht so, aber ich weiß, daß ich diese Zeit brauche, und nun meine ich, da Sie gerade hier sind, wäre es, falls Sie Zeit haben, hübsch, wenn wir uns ein bißchen herumtrieben und Sie mich irgendwo hinführten.«

»Was wird Mr. Rock dazu sagen?« mahnte ich artig, aber dringend. »Ich wäre natürlich glücklich –«

»Sagen? Was er sagen würde? Nun, er sei Ihnen sehr verbunden für Ihre Aufmerksamkeit und Güte gegen ein unwissendes Yankeemädchen wie ich.«

»Hätte Mr. Rock etwas dagegen, wenn Sie mit mir auswärts speisten?«

»Nicht im mindesten, ebenso wenig, als ich gegen das Mitgehen bin. Aber Sie könnten auch hier essen, dann gingen wir nachher in irgend ein Theater. Sie können sich ja Ihre Gesellschaftskleider holen lassen.«

Ich versicherte, daß ich natürlich nur allzu entzückt sei, und schickte nach meinen Gesellschaftskleidern. Da ich Miß Rocks Gast war, mußte ich natürlich ihr die Wahl des Ortes, an dem sie mich bewirten wollte, und die Zusammenstellung des Speisezettels überlassen. Beides war vorzüglich. Mit echt amerikanischem Takt wählte sie das Kaffeezimmer. Der Speisezettel verriet, daß sie in Saratoga bekannt war, denn er enthielt auch warmen gekochten Hummer – ein in England tatsächlich unbekanntes Gericht – und ebenso gebackene Austern. Ich schloß daraus, daß die Ueberwachung von Mr. Rocks Gastmahlen bei Delmonico oder sonstwo eine der liebenswürdigen töchterlichen Aufmerksamkeiten gewesen, durch welche sie ihm das Leben verschönt hatte. Völlig abgesehen von der Thatsache, daß ich ganz andre, als nur freundschaftliche Gefühle für sie hegte, machte ihre Gewandtheit und ihr allgemeines savoir faire einen ungemein angenehmen Eindruck auf mich.

Später begaben wir uns in das Kriterion, wo, wenn ich mich recht erinnere, »Die Frau mit zwei Schwiegermüttern« oder ein ähnliches Stück gegeben wurde, das uns beiden ganz gut gefiel.

Als wir in den Gasthof zurückkehrten, hörten wir, daß Mr. Rock, der, wie uns der Thürsteher in der Halle versicherte, nochmals fortgegangen war, um eine große Billardwette mit anzusehen, noch nicht nach Hause zurückgekehrt sei. Auf ihr Ersuchen ging ich mit Elizabeth hinauf, um seine Rückkehr abzuwarten.

»Papa bleibt nicht mehr lange aus,« sagte Miß Rock. »Warten Sie ihn noch ab, es wird den alten Mann freuen. Er ist auf die Minute pünktlich, wie ein Haushahn.«

Und »pünktlich wie ein Haushahn« kam Mr. Rock denn auch, ehe fünf Minuten um waren. Er nickte seiner Tochter zu und schüttelte mir die Hand.

»Nun, Squire, Sie sind vermutlich mit meinem Mädel aus gewesen. Mädels machen einem entsetzlich viel Last; ihre liebe Mutter hat's auch gethan, und sie schlägt ihrer Mutter nach. Es ist freundlich von Ihnen, daß Sie sich in dieser Weise ihrer annehmen, und ich sehe es als eine große Artigkeit nicht gegen meine Dollars, sondern gegen einen amerikanischen Bürger an.«

»Immer sprichst du von deinen Dollars, Papa,« unterbrach ihn Miß Rock.

»Nun,« gab ihr Vater, kräftig auf die Glocke drückend, zurück, »wovon soll ich denn sonst sprechen? Ich bin kein studierter Mann, aber ich habe dies alte Land gern, und ich hab' Sie gern, Mr. Severn, wenn es nicht anmaßend ist, dies nach so kurzer Bekanntschaft zum zweitenmal zu sagen. Wenn ein Britischer sich mal bessert, so ist er ehrlicher, als irgend ein andrer auf dem Plan, und hat nichts Frömmelndes oder Unsicheres mehr an sich. Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, Bunkers Hill sei nicht ein grober Schwindel gewesen, aber die Checks sind bezahlt worden, und die Geschichte ist vorbei.«

Hier hielt Mr. Rock, der, eine Hand in sein Vorhemd geschoben, die andre unter dem Rockschoß versorgt, wie ein zweiter Brutus auf dem Kaminteppich stand, inne und wartete auf eine Erwiderung. Die Antwort war ein helles Lachen seiner Tochter. Dann sagte ich, es sei Zeit, mich zu empfehlen.

»Wir müssen erst noch einen ›Sling‹ Amerikanisches Getränk aus Genever und Sodawasser mit Eis und Citrone. Anm. d. Uebers. nehmen, bevor wir auseinander gehen, bloß um zu zeigen, daß wir gut Freund sind, und Sie sollen in meiner Wohnung künftig aus und ein gehen, wie es Ihnen beliebt. Die Einzelheiten dieses Geschäftes müssen wohl noch festgestellt werden, aber wenn alles gut geht, so werden Sie und mein Mädel der Sache schon gewachsen sein. Und eine Bemerkung kann ich nicht unterlassen. New York ist eine schöne Stadt und auch New Orleans. Abgesehen von den Hunden von Chinesen, läßt sich dies auch von Frisco sagen; auch von Rockbury, wenn es erst einmal ausgebaut ist. Aber über alle Städte der Welt geht mir London, weil Niniveh und Babylon nun einmal zerstört sind!«

Bald darauf verabschiedete ich mich aufs freundschaftlichste, und so endete mein erster Abend in Mr. Rocks Familienkreis – wenn man mit zwei Punkten einen Kreis bilden kann, was die Wissenschaft bestreitet.

 

Glücklicherweise erfreute sich London in diesem Jahr eines schönen Weihnachtswetters. Wir hatten weder Nebel, noch Regen, noch Schmutz und einen kaum nennenswerten Frost, so daß es mir möglich war, mein Versprechen buchstäblich zu erfüllen und Miß Rock all und überall hinzuführen, wohin eine wissensdurstige Amerikanerin, die »ihr London gründlich abmachen« will, nur irgend zu gehen wünschen kann.

Auch Mr. Rock interessierte sich für manchen Ort, selbst wenn dessen Echtheit zweifelhaft war. Unter andern besuchten wir auch den Schauplatz mehrerer Mordthaten, denn die Amerikaner haben lebhaftes Interesse für Kriminalfälle. Kurz, wir besichtigten, was irgendwie zu besichtigen war, und suchten selbstverständlich in erster Linie auch alle jene Orte auf, für die sich Miß Rock so lebhaft interessiert hatte.

»Ich werde stolzer und um mehrere Zoll größer nach Rockbury zurückkehren,« sagte Mr. Rock. »Ich will mich zwar nicht mit dem gereisten Affen in der Fabel Ihres Landsmannes Goldsmith vergleichen, dessen Vikar von Wakefield mir so bekannt ist, wie Knickerbockers Geschichte von New York, aber Sie haben mich ein wenig reisen gelehrt und haben die Karte vor mir ausgebreitet, und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.«

Ende gut, alles gut!

Unterdessen war die verabredete Bedenkzeit beinahe abgelaufen, und ich wunderte mich nicht, als ich eines Morgens einen kurzen, charakteristischen Brief von Miß Rock erhielt.

 

»Lieber Mr. Severn!

Ich denke, wir haben nun genug voneinander gesehen, um zu einem Entschluß gelangt zu sein, wenn nicht einer von uns ein Geheimnis zurückhält. Ich weiß, daß dies bei mir nicht der Fall ist, und würde keinem glauben, der sagte, es sei bei Ihnen so. Ich glaube, Sie können ohne Bedenken, sobald Sie wollen, ins Hotel Continental kommen. Wir werden uns freuen, Sie zu sehen.

England gefällt mir so gut, daß ich es mehr als zufrieden bin, ganz da zu bleiben. Es ist zwischen England und Amerika der nämliche Unterschied, wie zwischen einer Prairie und einem Blumengarten, aber ich habe eine Vorliebe für den Blumengarten. – Immer die Ihre

Elizabeth M. J. Rock.«

 

Ich las den Brief, steckte ihn ein, sagte meinem Schreiber, ich werde erst am andern Morgen wieder kommen, und war in weniger als zehn Minuten im Hotel Continental. Wir speisten diesen Abend en famille. Ich war siegesfroh, Mr. Rock heiter und befriedigt, und Elizabeth strahlend und ruhig.

Wir sprachen von allem Möglichen, nur nicht von uns selbst, und ehe ich ging, ergötzten wir uns, um der Sache ganz den Anstrich einer feierlichen Familienzusammenkunft zu geben, noch an einem Euchre zu Dreien, sehr zur Verwunderung des Kellners, der dies Kartenspiel nicht zu verstehen schien. Dann nahm ich Abschied, bei welchem Anlaß Mr. Rock seinem verwandtschaftlichen Gefühl für mich dadurch Ausdruck verlieh, daß er mir beinahe die Hand zermalmte und den Arm ausrenkte, und dann stand ich auf dem Pflaster vor der Royal Academy, nicht nur ein reicher Mann, sondern thatsächlich ein Millionär.

Ja, mein ganzes Leben war nun zu einem Abschluß gelangt, abgesehen davon, was Ehrgeiz oder Laune vielleicht noch zu erreichen suchen wollten. Ich sollte mehr als genug Geld zur Verfügung haben, um jeden wohlüberlegten Plan oder jeden plötzlichen Einfall zur Ausführung bringen zu können. Ich wußte, daß dem so war, und doch machte ich mir diese Thatsache erst klar, als ich in meinem Schlafzimmer versuchte über die Ereignisse dieses Tages zu schlafen und mir dieser Versuch längere Zeit mißlang.

Dessenungeachtet schlief ich aber gesund und erhob mich am andren Morgen voll Lust zu meinem Morgenritt, von dem ich mit gestählten Muskeln, erfrischtem Blut und hoffnungsvoller Stimmung zurückkehrte.

War ich denn eigentlich fleißiger oder irgendwie verdienstvoller, als andre junge Männer, oder hatte ich alles nur der Gunst des Glückes zu danken?

Ich beschied mich mit philosophischer Ruhe dahin, daß ich alles nur dem Glück verdanke, und setzte meinen Groom dadurch in Verwunderung, daß ich ihm mit meinem gewöhnlichen verabschiedenden Nicken auch einen Sovereign zukommen ließ.

»Möge dem gnädigen Herrn all das Glück zu teil werden, das er verdient,« sagte der Mann, der zufällig Flanagan hieß, »und möge die heilige Jungfrau und alle Heiligen den gnädigen Herrn vor Steuern und Schaden bewahren!« Und ich glaube, daß Flanagans Aufrichtigkeit und Wohlwollen von dem Goldstück unabhängig waren, wenn sie auch vielleicht durch dessen Anblick erst zum Ausbruch kamen. Jedenfalls fühlte ich mich geneigt, seinen so merkwürdig zusammengesetzten Segenswunsch als eine glückliche Vorbedeutung aufzufassen.


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