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Zehntes Kapitel.

Am andern Morgen früh suchte mich einer der Grooms auf und händigte mir einen Brief ein; er hatte ihn von einem Gärtner Mr. Vivians, dem er von einem Hausmädchen übergeben worden war, erhalten, und der Brief, der durch so viele Hände gegangen war, sah entsprechend schmutzig und zerknittert aus.

Ich zerriß den Umschlag und fand darin den Brief, den ich natürlich erwartet hatte; es wäre aber unschön, denselben mit all seinen mädchenhaften Wiederholungen und Zweifeln und Hoffnungen und Aengsten hier wörtlich zu veröffentlichen.

Izzies Herz war gebrochen. Ihr Vater hatte ihr mit allen möglichen schrecklichen Sachen gedroht. Da sie aber nicht glaubte, daß die Gesetze ihm gestatten würden, etwas davon auszuführen, so machte sie sich weiter nichts daraus. Im übrigen sei sie des Lebens müde. Mich aufzugeben – dazu könnte nichts in der Welt sie bestimmen, und was all die abscheulichen, schrecklichen Dinge betraf, die alle von mir erzählten, so glaubte sie kein Wort davon und wünschte, mir zu sagen, daß keine Macht der Erde im stande wäre, sie dazu zu vermögen. Sie würde alles darum geben, wenn sie mich auch nur einen Augenblick sehen könnte, und mit dem Gedanken an mich schlafe sie abends ein und wache morgens auf.

Natürlich würde sie nie etwas so Entsetzliches thun, und einen andern heiraten als mich. Gleichzeitig fühle sie aber auch, daß sie sich nicht ohne die Einwilligung ihres Vaters verheiraten könne, der sie sehr lieb habe. In einem oder zwei Jahren würde ich alle Mörder vor dem Schwurgericht verteidigen und dann zum Richter oder gar zum Lordkanzler ernannt werden, und inzwischen wolle sie alles thun, um ihn umzustimmen. Dann folgte ihre Unterschrift in kräftigen, festen Zügen.

Ich steckte den Brief in meine innere Brusttasche und knöpfte diese, um irgend welches Mißgeschick zu verhüten, sorgfältig wieder zu. Den größten Teil des Tages verwandte ich zu einem weiten Gang über die Felder benachbarter und befreundeter Pächter, auf welchen ich eine einläufige Flinte und einen alten Hühnerhund mitnahm.

Ich schoß einen Hasen, den ich im Hause des Pächters zurückließ, auf dessen Feld ich ihn getroffen hatte, und stieß auch noch auf ein paar Schnepfen, die ich unserm Pfarrer zudachte. Abends war ich so müde, daß ich nach Tisch am flackernden Kaminfeuer, wo ich hatte nachdenken wollen, sofort einschlief und erst durch das Fallen und Zerbrechen meiner Pfeife aufgeweckt wurde; dann raffte ich mich auf, entkleidete mich und träumte friedlich und beharrlich nicht von Izzie Vivian, sondern von Mrs. Brabazon, an die ich in den letzten Tagen gar nicht einmal mehr gedacht hatte. Zuerst fuhr ich mit ihr auf einer Jacht, dann jagten wir zusammen und schließlich liefen wir noch miteinander Schlittschuh. Was ich auch that, sie war immer dabei, und ich kann nicht leugnen, daß ich mich darum nur besser, heiterer und glücklicher fühlte.

Am nächsten Morgen hatte ich eine lange Unterredung mit meinem Vater, der mir einen tiefen Einblick in seine weltliche Weisheit gestattete. In Wahrheit schien es, als ob der alte Herr mich über die Maßen gern mit Miß Vivian verheiratet sehen würde. Nichts wäre ihm lieber gewesen, nur mochte er es nicht sagen, oder, um mich genauer auszudrücken, er hatte nicht den moralischen Mut, dies auszusprechen.

Er hatte eine furchtbare Angst davor, Mr. Vivian zu beleidigen, der bei weitem vermöglicher und einflußreicher war, als er, und auf dessen Seite sich selbstverständlich alle andern Gutsbesitzer stellen würden. Er gestand mir dies mit anerkennenswerter Offenheit ein und versicherte mich, nachdem er einige sehr starke Ausdrücke über Mr. Vivian und dessen Eigenschaften gebraucht hatte, daß er, soweit er in der Sache überhaupt etwas empfinde, herzlich mit mir fühle, daß ich nichts gethan, dessen ich mich zu schämen habe, und daß er in meinem Alter genau ebenso gehandelt hätte.

Seine Rede war zwar prosaisch und selbstbewußt, aber auch beruhigend, und als sie zu Ende war, schüttelten wir uns herzlich die Hände.

Auch meine Schwestern waren sehr teilnahmsvoll, wenn auch nach Schulmädchenart etwas unbestimmt, und äußerten die Hoffnung, es werde schon alles gut werden; wenn sie auch nicht recht wußten, auf welche Weise dies bewerkstelligt werden sollte, so bekräftigten sie dafür ihre Bemerkungen durch weises Schütteln des Kopfes. Sie meinten es aber gut, und ich fühlte, daß sich die öffentliche Meinung zu meinen Gunsten wendete, und es ist immer zweckmäßig, die öffentliche Meinung für sich zu haben, sei man nun Kabinettsminister oder Advokat ohne Praxis.

Zwei Tage nachher fand in der Nachbarschaft eine große Fuchsjagd statt, bei welcher Gelegenheit es mir gelang, mich Izzie, die mit ihrem Vater gekommen war, zu nähern und ein paar eilige Worte mit ihr auszutauschen.

»Ich hielt es für besser, deinen Brief nicht zu beantworten,« sagte ich. »Die Antwort hätte möglicherweise nicht in deine Hände gelangen können.«

»Du hast ganz recht gehabt,« erwiderte sie, »ich bezweifle sehr, daß ich sie erhalten hätte. Du kannst jetzt gar nichts thun, als nach der Stadt zurückkehren und soviel als irgend möglich arbeiten. Ich bin überzeugt, ich werde von dir hören, und glaube auch, daß du von mir hören wirst, aber schreibe nicht, ehe ich dir schreibe. Sei recht gut und fleißig – um meinetwillen.«

Natürlich gelobte ich, dies zu sein. In dem nämlichen Augenblicke wurden wir durch das Ausbrechen des Fuchses gestört, und es blieb mir nichts übrig, als mich von Izzie zu trennen.

Ich ritt scharf an jenem Tage und bedeckte mich mit Ruhm, denn ich war von Anfang bis zu Ende dicht hinter den Hunden her. Des Abends war mein Vater sehr gut aufgelegt und sagte mir viel Schmeichelhaftes über mein Reiten, das er von maßgebender Seite sehr habe loben hören; dann aßen wir zusammen und leerten nachher noch eine Flasche Portwein. Der Portwein belebte den alten Herrn und bis zehn Uhr saßen wir mit unsern Cigarren am Kamine, dann sagte ich meinem Vater gute Nacht.

Nach meiner Rückkehr in die Stadt, die einige Tage nachher erfolgte, hielt ich mich mit lobenswerter Beharrlichkeit auf dem Büreau auf und erhielt auch thatsächlich einige Aufträge. Ich überwältigte die Welt nicht durch mein Auftreten, aber ich gab mir Mühe, meine Aufgabe gründlich und energisch zu erfüllen. Wie jeder Advokat bestätigen wird, ist es in diesem Beruf kaum ein Schritt von fünfzig bis fünfhundert Pfund jährlich; und ehe viel Zeit verging, merkte ich, daß ich fünfhundert verdiente und thatsächlich als ein von Erfolg begünstigter junger Mann angesehen werden konnte.

Man hat die Behauptung aufgestellt, eine tonangebende Firma von Londoner Notaren könne einen jungen Mann frisch von der Universität weg durch seine ganze juristische Laufbahn lotsen und ihn schließlich auf dem Wollsack landen lassen. Dies mag etwas übertrieben sein, ist aber, meiner Erfahrung nach, in der Hauptsache wahr. Jedenfalls hängt der Erfolg in der Advokatur zum großen Teil von dem Wohlwollen der Notare ab, und ich hätte nur geringe Aussichten gehabt, wenn nicht Mr. Honeybone, der älteste Teilhaber der Firma Honeybone, Salter, Mould and Honeybone von Lincolns Inn Fields, der vor fünfundzwanzig Jahren meinen Großvater unterwies, sich meiner angenommen hätte.

»Ich habe erfahren, Mr. Severn,« sagte Mr. Honeybone, der sich eines Tages persönlich in meinem Arbeitszimmer einstellte, »daß Sie kürzlich zur Advokatur zugelassen worden sind, und um Ihres Großvaters willen, der ein wunderbar begabter Mann war und wenn es ihm nach Verdienst gegangen wäre, jetzt Großkanzler sein müßte, möchte ich gern für Sie thun, was ich kann. Ich hoffe, Ihnen einige Prozesse zuweisen zu können, und wenn Sie diesen gütigst Ihre Aufmerksamkeit zuwenden wollen, so bin ich überzeugt, daß unsre Beziehungen befriedigende sein werden, soweit es von Ihnen abhängt.«

Natürlich bedankte ich mich sehr herzlich bei Mr. Honeybone und versprach, mein Bestes zu thun; ich bin verpflichtet, dankbar anzuerkennen, daß er Wort hielt und daß die Aufträge bald »haufenweise« kamen. Durch Mr. Honeybones Vermittelung wurde ich bekannt und kam vorwärts. Nie werde ich seine selbstlose Güte vergessen.

Ich lebte so sparsam als möglich und gestattete mir keinerlei Vergnügen außer meinem Lieblingsspiel, und so fand ich denn eines schönen Tages, daß ich Susan Brabazon die hundertzwanzig Pfund, die ich ihr schuldete, zurückbezahlen und außerdem ein sehr hübsches Armband aus Smaragden und schwarzen Perlen für sie kaufen konnte.

Mit dem Check und dem zierlich verpackten Armband bewaffnet, machte ich mich auf den Weg zu Mrs. Brabazons Sachwalter, der sich aber wiederum weigerte, mir ihre Adresse zu geben, dagegen versprach, ihr sofort jeden Brief zukommen zu lassen. So übergab ich ihm denn den Brief mit seiner Einlage und das kleine Päckchen und ging meiner Wege.

Vier Tage später fand ich einen Brief von ihr auf meiner Kanzlei, der so charakteristisch ist, daß ich mich nicht enthalten kann, ihn hier wörtlich anzuführen:

 

»Nizza, den 19. November 18–. Grand Hotel.

»Mein lieber Jack!

»Ich habe öfter von Ihnen gehört, als Sie glauben. Ich habe es mir angelegen sein lassen, mit all Ihrem Thun und Lassen auf dem Laufenden zu bleiben, und ich ersehe aus den Berichten über die Gerichtsverhandlungen in den Zeitungen, daß Sie Ihre Sache wirklich sehr gut machen. Ich habe immer erwartet, daß es so kommen werde, und wenn gute Wünsche irgend etwas nützen, so waren Sie von den meinigen stets begleitet.

»Ich nehme keinen Anstand, Ihnen zu sagen, daß ich Sie gern wiedersehen und nichts Unpassendes darin finden würde, wenn es geschähe. Was meinen Sie? Vielleicht können Sie während der Gerichtsferien zu Weihnachten auf acht oder vierzehn Tage herüberkommen, oder soll ich, da ich nach Irland muß, meinen Weg über London nehmen?

»Ich würde das alte, trübselige London ganz gern wiedersehen, und Sie könnten mich, wenn Sie artig wären, ein wenig herumführen. Ich glaube beinahe, dies wäre das beste, doch überlasse ich es ganz Ihnen.

»Wenn Sie mir telegraphieren, reise ich sofort nach Paris, und wenn Sie mich jenseits des Kanales zu sehen wünschen, können wir uns in dem Westminsterhotel treffen, wo ich gewöhnlich absteige, und einen Abend im Edentheater verbringen, wenn es Ihnen recht ist.

»Viel herzliche Grüße. Wie immer Ihre

Susan.«

 

Ich telegraphierte, wie verlangt, und reiste den nächsten Abend nach Paris ab. Gibt es einen bessren Stolz als den, der einen jungen Mann erfüllt, wenn er sein durch eigne redliche Arbeit verdientes Geld ausgibt?


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