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Sechzehntes Kapitel.

Am nächsten Morgen, einem strahlenden Septembermorgen, brachte mir ein Diener mit meinen Kleidern, dem Badewasser und einem Glase heißer Milch, das in diesem auf seine Milchwirtschaft stolzen Hause jedem Gast in der Frühe ins Zimmer gebracht wurde, auch einen Brief, der so interessant war, daß ich ihn drei- oder viermal las, ehe ich mich ans Ankleiden machte. Der Umschlag enthielt zwei Briefe. Der erstere und kürzere war von Izzie selbst.

 

»Mr. Severn!

Bei näherer Ueberlegung scheint es mir nicht mehr als billig zu sein, daß ich Ihnen beifolgenden, wie Sie sehen, nicht anonymen Brief mitteile. Wenn Sie ihn gelesen haben, können Sie ihn mir unter der Adresse meines Vaters zurückstellen, wenn Sie wollen; aber bitte, versuchen Sie nicht, mir zu schreiben, da ich jeden Brief von Ihnen ungelesen zurücksenden werde.

Isabella Vivian.«

 

Da mir die Handschrift des zweiten, umfangreichen Briefes unbekannt war, sah ich zuerst nach der Unterschrift, aus der ich erfuhr, daß das Schriftstück von der gefährlichsten und giftigsten aller alten Jungfern kam, von Miß M'Lachlan.

Es war endloses Geschwätz über Mrs. Brabazon und mich, in dem Wahrheit und Lüge mit so teuflischer Schlauheit durcheinander gemengt waren, daß sogar ich, der ich doch an die abgefeimtesten Zeugenaussagen und an die erlogensten Geschichten gewöhnt war, der Geriebenheit der alten Hexe alle Achtung zollen mußte.

Sie erzählte, daß, solange ich in dem vorzüglichen und ehrbaren Kosthause der Mrs. Jessett gewohnt habe, mein und Mrs. Brabazons Betragen ein so unerhörtes und schamloses gewesen sei, daß sich die würdige alte Dame genötigt gesehen habe, uns eines Abends alle beide ohne weiteres vor die Thür zu setzen. Das ganze Haus habe gewußt, daß ich Schulden gemacht und Mrs. Brabazon diese bezahlt und mir außerdem noch ein Bestimmtes gegeben habe, kurz, daß ich ihr Liebhaber gewesen sei.

Wie dieses verächtliche Verhältnis geendet, danach zu fragen, habe sich Miß M'Lachlan nicht die Mühe genommen. Vermutlich dauere es noch heute fort, da wir uns ja immer mit unsrer Schande gebrüstet und der öffentlichen Meinung Trotz geboten hätten. Sie, für ihr Teil, sei streng erzogen worden, und wenn sie eine Sünde sähe – eine himmelschreiende Sünde, dürfe sie wohl sagen – so empfinde sie es als heilige Pflicht, den Sünder nicht zu schonen. Ihr einziges Gebet sei nur noch, daß diese Worte der Warnung nicht zu spät kommen und meine Seele durch Prüfung und Buße noch gerettet werden möchte.

Wie das boshafte alte Weibsbild in Erfahrung gebracht hatte, daß Izzie und ich vielleicht unsre früheren Beziehungen wieder anknüpfen wollten, unterließ sie, mitzuteilen, aber wie gewöhnlich bei den von Damen geschriebenen Briefen folgte eine ganz besonders giftige Nachschrift mit der Mitteilung, daß ich mich gegen sie (Izzie) zur Entrüstung der übrigen Gesellschaft eines ganz unverzeihlichen Vergehens schuldig gemacht, indem ich sie öffentlich, so daß es jedermann hätte hören können, vor Mr. Brabazon verspottet habe.

Da Miß Vivian den Brief nicht ausdrücklich zurückverlangte, siegelte ich ihn sorgfältig zu und verwahrte ihn in meiner Brusttasche. »Susan soll ihn jedenfalls lesen, ehe ich ihn zurückgebe,« sagte ich zu mir selbst. Mit diesem Entschluß schlug ich mir die ganze Sache aus dem Kopf und begab mich fröhlich zum Frühstück hinunter. Vorher packte ich aber meine Sachen und traf alle Vorbereitungen zu meiner Abreise.

 

Ich kam früh ins Speisezimmer, fand aber doch meine Wirtin schon da, und es wurde mir nicht schwer, meine plötzliche Rückberufung in den Temple mit meiner ständigen Entschuldigung, dem großen schottischen Salmen-Fischereifall zu erklären. Dann nahm ich in der Nähe der Thür Platz und wartete auf Izzies Erscheinen. Sie setzte sich so weit als möglich von mir weg, aß möglichst rasch, erhob sich dann und bewegte sich, vermutlich in der Hoffnung, daß ich sie nicht ansprechen werde, der Thür zu.

Die Dienerschaft nicht mitgerechnet, mochten etwa ein halbes Dutzend Menschen im Zimmer sein – ich nahm mir nicht die Mühe, sie zu zählen. Als Izzie sah, daß ich ihr in den Weg trat, blieb sie stehen, richtete sich in ihrer vollen Höhe auf und blickte mich herausfordernd an. Ich meinerseits sprach die paar Worte, die ich ihr zu sagen hatte, mit unterdrückter, eintöniger, aber verständlicher Stimme.

»Miß Vivian,« sagte ich, »der Brief, den Sie für mich beigelegt haben, ist vom ersten bis zum letzten Wort ein Lügengewebe. Das Frauenzimmer, das ihn geschrieben hat, ist ebenso gemein und ungebildet, als boshaft. Sie müssen jedenfalls bemerkt haben, daß sie nicht einmal richtig schreiben kann. Ich werde den Brief noch eine Weile behalten, weil ich, falls ich meine Absicht nicht noch ändere, sie dafür verklagen werde. Dies halte ich für meine Pflicht einer Dame gegenüber, die von einer Miß M'Lachlan so niederträchtig behandelt worden ist – sonst würde ich der ganzen Sache gar keine Beachtung schenken.«

Damit trat ich zur Seite, und Izzie eilte mit dunkelrotem Gesicht an mir vorüber. Ich wartete noch ein paar Minuten, dann zog ich mich auch zurück.

Weniger als eine Stunde darauf befand ich mich auf dem Wege nach London, außer stande, meine Augen der komischen Seite des soeben Erlebten zu verschließen, aber fest entschlossen, wenn ich irgend konnte, Miß M'Lachlan zu bestrafen, und zwar gründlich. Denn wie Macchiavelli in seinem Principe sagt, ist es schlimmer als schlimm, eine Schlange nur leicht zu verwunden; zertritt dem giftigen Tier den Kopf und vernichte es. Dies sind zwar nicht ganz seine Worte, aber sie drücken wenigstens meine Meinung deutlich aus.

In London angekommen, sah ich die Briefe und sonstigen Schreiben nach, die sich während meiner Abwesenheit gesammelt hatten. Darunter fand sich ein Brief von Susan Brabazon, der so charakteristisch für sie und so kurz war, daß ich ihn wörtlich anführen will.

 

»Geben Sie mir so ausführlich Nachricht über Sie, als es Ihre Zeit irgend gestattet. Ich fühle mich jünger, wenn ich höre, daß Ihr Ansehen wächst und Sie von Erfolg begleitet sind. Ich habe nichts, um was ich mich kümmern oder sorgen könnte, und wünsche gar manchmal, ich könnte Sie auf eine Stunde bei mir haben. Immer mit Ihnen zusammen zu sein, wäre wohl für mich schön, es würde aber Ihr Verderben sein. Schreiben Sie postlagernd nach Venedig wohin ich eben abreisen will. Ich habe einmal einen Eselsritt in Scarborough gemacht und will nun auch einen auf dem Lido versuchen. Vielleicht treffe ich auch den ewigen Juden, der, wie Sie ja wissen, sein Hauptquartier in Venedig aufgeschlagen hat. Addio, lieber Junge. Während der Gerichtssitzungen verfolge ich die Berichte über die Verhandlungen in der Times, und erst vor kurzem saß ich an der Table d'hote neben einem reichen Schiffseigentümer aus Livorno, der Sie ganz gut kannte, obgleich er Sie nie gesehen hat. Er interessierte sich sehr für einen Fall, in dem es sich um einen Schiffszusammenstoß auf See handelte, und den Sie, wie er sagte, bewunderungswürdig geführt hätten, und er verglich Sie mit Grotius und einer Menge andrer Herren, von denen ich nie etwas gehört habe. Daraus schließe ich, daß Sie Ihren Weg machen werden, obgleich dies für einen jungen Mann in England schwerer ist, als in irgend einem andern Lande. – Wie immer Ihre

Susan Brabazon.«

 

Auf diesen lieben Brief, aus dem das Wesen der Schreiberin aus jeder Zeile heraussah, antwortete ich ziemlich ausführlich, zwanglos und aufrichtig. Gelegentlich erwähnte ich auch des M'Lachlanschen Zwischenfalles und legte Miß M'Lachlans eignen Brief bei.

Ich kann nicht sagen, worin der Reiz lag, aber Mrs. Brabazon war eine Frau, an die zu schreiben einem schon Freude machte, gerade wie man es angenehm empfindet, nachts aufzuwachen und dem Rauschen des Meeres zu lauschen, obgleich man es nicht sieht und es viele Meilen weit entfernt ist. Ich packte meinen Brief mit besondrer Sorgfalt in einen leinenen Umschlag, siegelte ihn mit auffallender Lackverschwendung, ließ ihn einschreiben und abgehen. Dann wandte ich meine Gedanken wieder geschäftlichen Angelegenheiten zu und zwar hauptsächlich dem hochinteressanten Fall von Wilkins, Stubbles und Genossen gegen die Londoner und Nordwestbahn-Gesellschaft, einem Fall, in dem es sehr schwierig war, der Sache auf den Grund zu kommen, weil beide Teile eigensinnig in ihrem Unrecht beharrten und an Prozeßkosten längst zwanzigmal so viel ausgegeben hatten, als den Wert des elenden Viertelmorgens Landes, der die causa teterrima belli war.

Es lagen noch reichlich vier Wochen Ferien vor mir und so packte ich die umfangreichen Akten in re Wilkins, Stubbles und Genossen in meine Reisetasche und fuhr nach Essex hinunter.

Ich fand meinen Vater, wie ich hätte erwarten können, älter und gebrechlicher, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, und es gewährte mir ein gewisses Vergnügen, seine Angelegenheiten mit ihm zu besprechen und zu ordnen, – denn natürlich hatte er sein Guthaben bei der Grafschaftsbank wieder bei weitem überschritten.

Meine Schwestern freuten sich aufrichtig, mich zu sehen, und waren für ein paar geheim und geschickt gespendete Banknoten gar nicht unzugänglich. Meiner Mutter hatte ich einige Geschenke mitgebracht: einen Kaschmirshawl, Thee, den mir ein Attaché bei der russischen Gesandtschaft gegeben hatte, und etliche andre Kleinigkeiten – Kleinigkeiten für mich, aber wahre Wunder für die liebe alte Frau.

Ich war also ein willkommener Gast, und da ich am liebsten mit Spazierstock oder Flinte umherstreifte und nichts that, so zweifle ich nicht, daß sie sich wirklich so sehr freuten, mich bei sich zu sehen, wie sie sagten.


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