Theodor Hermann Pantenius
Im Gottesländchen
Theodor Hermann Pantenius

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Elftes Kapitel.

Als der Graf nach dem Ritt in das Boudoir seiner Frau trat, saß sie am Schreibtisch und schrieb an einem Brief. Der Graf beugte sich zu ihr herab und küßte sie auf die Stirn. Als er das that, empfand er zu seinem höchsten Schrecken, daß seine Frau ihm nicht nur nicht mehr lieb war, nein, daß sie ihm Widerwillen einflößte. Auf das äußerste beunruhigt, suchte er sein Zimmer auf. Seine Frau hatte ihn in der ersten Zeit nur durch ihre Schönheit und ihre edle Haltung gefesselt, er hatte dann lange geglaubt, sie zu lieben. In der letzten Zeit hatte er sich davon überzeugt, daß diese Annahme eine irrige gewesen war; aber so wie heute hatte er es nie empfunden. Was sollte daraus werden?

Von verzehrender Unruhe erfüllt, ging Georg mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder. Er hielt sich immer und immer wieder vor, wieviel er seiner Frau Dank schuldig war, wie treu sie ihm ergeben war, wie schöne Stunden er mit ihr verlebt hatte. Er sagte sich, daß sie ihm nie auch nur den leisesten Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hatte; 368 daß er sie nicht nur achten, nein, daß er sie auch lieben mußte; daß das seine Pflicht war; daß er ein undankbarer Schurke war, wenn er sie nicht liebte. Diese Stimmung mußte vorübergehen. Die Ehe ist keine flüchtige Liebschaft, sondern ein sittliches Verhältnis. Es gilt eben nur, sie als solches aufzufassen, um auch die Kraft zu finden, die Versuchung niederzuwerfen. In der Ehe kommt es nicht auf die willkürlich kommende und gehende Geschlechtsliebe an, sondern auf die Achtung, aus der dann schon die Liebe erwächst.

Der Graf wandte sich jäh um, als ob er ein unbändiges Roß mit Zügel und Schenkel herumwarf, und begab sich wieder zu seiner Frau. Frau Ina hatte einen Brief von ihrer Mutter erhalten und las ihn ihrem Manne vor. Georg saß neben ihr, hielt ihre Rechte in beiden Händen und blickte ihr aufmerksam ins Gesicht.

»Vorgestern kam die Kaiserin Eugenie,« las Frau Ina. »Sie ist, seit ich sie nicht gesehen habe, viel voller geworden, was ihr außerordentlich gut steht. Der junge Prinz gleicht ihr wenig, er gleicht aber auch dem Vater nicht. Er erinnert ein wenig an Max Belchersheim, ist aber weniger hübsch.

»Wir leben hier sehr angenehm. Es sind viele Landsleute hier und einige sehr liebenswürdige österreichische Familien. Du kennst meine Schwäche für Alt-Österreich. In unserem Kreise verkehrt auch ein Jesuit, ein Graf Marlow, ein liebenswürdiger Mann aus guter alter Familie. Er schien es eine Zeitlang 369 auf mich abgesehen zu haben; ich ging ihm aber mit der Bibel so energisch zu Leibe, daß er auf den Sand geriet, wie ein Floß bei fallendem Wasserstande. Ich that nur – Was hast du, Georg?«

Georg hatte die Hand seiner Frau fallen lassen und war aufgesprungen. »Wie edel,« hatte er, während Ina las, gedacht, »wie edel ist dieses Antlitz! Wie schön ist dieses Weib und wie – und wie – unerträglich!«

»Was hast du, Georg?« wiederholte die Gräfin, indem sie sich erhob und beunruhigt an ihn herantrat.

»Nichts, Ina, nichts. Es ist so heiß hier. Amalie, bringen Sie mir einen Syphon, aber er muß ganz kalt sein.«

Ina war zärtlich um ihn besorgt; sie ahnte nicht, daß jede Berührung ihrem Manne weh that, daß er hätte aufschreien mögen.

Der Graf wurde seiner wieder Herr, hörte den Brief zu Ende und unterhielt sich dann, so gut er konnte.

Als er gegangen war, wandte sich Ina zu Amalie. »Was der Herr nur haben mochte?« fragte sie.

Über Amaliens Gesicht flog ein spöttisches Lächeln. »Der gnädige Herr war mit ihr ausgeritten. Da wird er sich zu sehr erhitzt haben.«

Die Gräfin erwiderte kein Wort, aber sie wurde sehr bleich. Es war zweifellos das Gewissen, das den Grafen aufgeschreckt hatte. Sie nahm sich vor, ihren Mann künftig noch sorgfältiger zu beobachten, und sie führte ihren Vorsatz mit der ganzen 370 Selbstquälerei der Eifersucht aus. Und doch konnte sie zu keiner Gewißheit gelangen.

Der Graf war zwar wie verwandelt. Er, der sonst stets so heiter und gleichmäßig Gestimmte, war jetzt vielfach zerstreut, oft niedergeschlagen, immer unruhig. Die Leute hatten ihn nie so reizbar und jähzornig gesehen, wie in diesen Tagen. Er behauptete zwar, die Hitze und Hallermünde trügen die Schuld daran; aber das war wenig glaubhaft. Auf der anderen Seite war das Wesen der Gouvernante so unbefangen, daß es Ina immer wieder stutzig machte.

Auch Alice litt unter der Veränderung, die mit dem Grafen vor sich gegangen war. »Unser Graf ist in den letzten beiden Wochen ganz verändert,« klagte sie ihrer Freundin. »Die Kinder und ich müssen bei Tag und Nacht daran denken, was er nur haben mag. Ich sage Dir, es sind vierzehn Tage her, seit wir zum letztenmal sein uns so herzig klingendes Lachen hörten. Er behauptet, das neue Gut mache ihm übermäßig viel zu schaffen, und ich will das wohl glauben, wenigstens reitet er jetzt auch am Nachmittag noch aus und nimmt mich nur mit, wenn ich ihn ausdrücklich darum bitte; es scheint mir aber, als ob die eigentliche Ursache seiner Verstimmung die Launen der Gräfin sind, er sieht wenigstens immer finster drein, wenn er von ihr kommt. Was für eine Gemütsbeschaffenheit gehört dazu, einem solchen Manne das Leben zu verbittern! Die Gräfin hat ihn wahrhaftig in keiner Weise verdient. Da 371 verstehen die Leute ihn besser. Er ist jetzt manchmal wirklich recht ungerecht; aber keine Klage wird laut. ›Wenn unser Graf nur nicht krank ist!‹ sagen sie mit besorgten Gesichtern – das ist alles.«

Ein sehr heißer Tag neigte sich seinem Ende zu. Der warme Abendwind fuhr zum Teil schon über die Stoppeln hin, und wo er noch auf aufrechte Halme stieß, da neigten sich die korngefüllten Ähren schwer dem Boden zu. Der Graf hatte nach Tisch noch einen weiten Gang um die Felder gemacht und wandte sich jetzt müde und matt dem Burgberge zu. Seit jenem Abend, an dem er mit Alice hier gesessen hatte, suchte er dieses Plätzchen oft auf, um hier – von ihr zu träumen. Er hatte sich eingeredet, daß er das ja dürfe, und daß er, wenn er ihre Gegenwart mied, alles that, was er und andere irgend von ihm verlangen konnten. So ließ er denn auch heute, als er oben auf der Bank Platz genommen hatte, seine Phantasie frei gewähren. Ach, unter ihrem Pinsel entstanden ja so köstliche Bilder, Bilder, deren Anblick berauschte und die Gegenwart vergessen ließ, wie das Opium der Orientalen.

Ein leises Geräusch ließ ihn sich umwenden. Da stand sie, von der er soeben geträumt hatte, und blickte ihn an, heute zum erstenmale nicht wie ein Kind, sondern verlegen, errötend, verwirrt. Der Graf erhob sich, schritt auf sie zu und umarmte sie. Er fand keinen Widerstand.

Man sagt, daß die Ertrinkenden, wenn der Schreck und der Erstickungskrampf überwunden sind, ein 372 wundervolles Gefühl von völliger wonniger Hingabe überkommen soll.

Die beiden waren wie zwei Ertrinkende.

Aber nur für einen Augenblick; dann wurden sie wieder ins Leben zurückgerufen. »Fräulein,« rief eine Kinderstimme aus dem Dickicht, »Fräulein, ich habe einen wunderschönen, ganz runden Stein.«

Der Graf fuhr zurück, und Alice flog den Hügel hinab, dem Dickicht zu, wie ein Reh, das der Morgen auf freiem Felde überrascht hat.

Der Graf blickte ihr einen Augenblick nach, schlug sich dann mit der Hand vor die Stirn und wendete sich dem nach dem Schlosse führenden Fußpfade zu. Er verfolgte ihn so eilig und mit so festen Schritten, als ob im Schlosse ein dringendes Geschäft Erledigung heischte. Die tollsten Vorsätze und Pläne durchkreuzten sein Hirn. Auf dem letzten Baume des Wäldchens saß ein riesiger Kolkrabe und krächzte laut nach dem Grafen hinüber. Dieser blieb stehen und that, als ob er eine Flinte anbackte; aber der Vogel ließ sich nicht verscheuchen. Die Kolkraben sollen ja uralt werden – vielleicht hatte dieser es schon mit angesehen, wie während des nordischen Krieges das Feuer – nicht jenes Feuer der Sonnenstrahlen, das jetzt aus allen Fenstern des Schlosses hervorschlug, nein, wirkliches Feuer – den Edelhof, der damals am Fuße des Burgberges stand, bis auf den Grund verzehrte, und freute sich nun des neuen Unglücks.

»Ich habe mein Weib unglücklich gemacht,« dachte der Graf, »meine Kinder unglücklich gemacht, ich 373 habe in die Adern eines unschuldigen Kindes verzehrendes Feuer gegossen. Was nun? Zunächst müssen sie alle fort von hier – es wird sich schon ein Vorwand finden – und müssen getrennt werden. Und dann will ich an Ina schreiben und ihr sagen, wie es gekommen ist, und ihr die Freiheit wiedergeben. Ich werde dann auch frei werden und an Alice, so viel ich kann, gut machen, was ich ihr angethan.«

Und doch – was hieß in diesem Falle »frei geben«, »frei werden«? Konnte sein Weib, so lange er lebte, je wirklich frei werden? Konnte er mit Alice je eine wirkliche Ehe führen?

Georg blieb stehen. Ein Feldrain führte rechts zwischen den Kornbreiten hin. Georg betrat ihn und ging langsam zwischen den fast mannshohen Halmen weiter. Dann warf er sich nieder in das Gras, verhüllte sein Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich. Wie glücklich war er bisher gewesen, wie rein – und nun!

Auch Alice hatte sich in tiefster Erregung auf ihr Zimmer geflüchtet. Wie hatte sie nur bisher so blind sein können, wie war sie nicht schon längst zum Bewußtsein gekommen, daß sie den Grafen liebte, daß er sie liebte? Aber was nun weiter? Er, der Edle, würde von ihr nimmermehr verlangen, daß sie seine Geliebte würde, und wenn er es verlangte, so gab es für eine Heinersdorf nur eine Antwort. Aber daran war ja gar nicht zu denken. »Der Graf liebt die Gräfin nicht, und sie hat seine Liebe nicht verdient. 374 Er wird sich von ihr scheiden lassen, und dann – dann –« Alice schloß die Augen.

So dachte sie anfangs, dann aber kamen ihr andere Gedanken. Der Graf liebte die Gräfin nicht, und diese kalte launenhafte Frau hatte seine Liebe in keiner Weise verdient. Aber war sie nicht trotzdem sein Weib? Die Mutter seiner Kinder? Und dann – das Schloß und alles Land umher, so weit das Auge blickte, gehörte ihr; würde der Graf um Alicens willen auf das alles verzichten? Durfte sie die Veranlassung sein, daß eine Ehe gelöst wurde, durfte sie ein solches Opfer von dem Grafen annehmen, ja ihm nur zumuten? Nein, nimmermehr. Sie wollte entsagen, wollte fort, fort ohne Abschied, noch heute fort. Aber wie sollte sie ihr plötzliches Scheiden der Gräfin gegenüber begründen? Wie ihrem Vater, den Freundinnen gegenüber? Und doch, was sollte daraus werden, wenn sie blieb?

Alice fiel nieder auf ihre Knie und erflehte in heißem Gebet von Gott Rat, Schutz, Hilfe.

Als Amalie durch den Diener erfuhr, daß weder der Graf noch die Gouvernante beim Abendessen erscheinen würden, weil beide Kopfweh hätten, zuckte es seltsam in ihrem Gesicht.

»Gnädige Frau,« sagte sie, »können die kleinen Komteßchen nicht heute bei Ihnen essen? Der gnädige Herr und sie kommen nicht zum Abendessen, weil beide Kopfschmerzen haben.«

Die Gräfin fuhr erschreckt auf, faßte sich aber rasch und erwiderte: »Natürlich.«

375 »Mama, das war ein schöner Abend,« hieß es.

»Wo seid ihr denn gewesen?«

»Auf dem Burgberge. Wir haben die schönsten Steine gefunden, zwei Kugeln.«

»War – war Fräulein Heinersdorf mit euch?«

»Jawohl, Mama. Die große Kugel hat Fräulein Heinersdorf gefunden. Sie hat uns auch eine wunderhübsche Geschichte erzählt vom treuen Johannes.«

Die Gräfin fuhr mit der Hand langsam über das weiche Haar der neben ihr knienden Erna. Auf ihren Wangen kam und ging das Rot in raschem Wechsel.

Amalie warf einen prüfenden Blick auf ihre Herrin und kam ihr zu Hilfe. »War der gnädige Herr Graf auch da?« fragte sie.

»Papa? Nein, Papa war nicht da.«

Die Gräfin atmete auf.

Aber Amalie war noch nicht befriedigt. »Kamen die Komteßchen mit ihr zurück?« fragte sie.

Eleonore, die am Fenster saß, wandte sich um und lachte. »Ja, Amalie, wir kamen mit ihr zurück. Warum fragst du danach?«

»Nun, fragen kostet kein Geld. Warum soll ich nicht danach fragen?« 376

 


 


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