Theodor Hermann Pantenius
Im Gottesländchen
Theodor Hermann Pantenius

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Neuntes Kapitel.

Der Sonntagmorgen war köstlich, und der Graf schlug vor, zur Kirche zu fahren. Es war kein religiöses Bedürfnis, das ihn dazu veranlaßte, denn diese Seite seines Gemütslebens war durch seine Erziehung und seine Lebensschicksale wenig entwickelt worden; er nahm aber an, in der Kirche einen benachbarten Gutsbesitzer zu finden, mit dem er wegen des Ankaufs von ein paar Pferden Rücksprache nehmen wollte. Die Gräfin erklärte wegen der Vorbereitungen für das Fest zurückbleiben zu müssen; die Kinder aber und Alice begrüßten den Vorschlag mit Jubel, erstere, weil sie sich auf die Fahrt freuten, letztere, weil sie das Bedürfnis hatte, wieder einmal einem Gottesdienst beizuwohnen. Aber sie hatte auch schon an der Fahrt ihre Freude. Der Graf kutschierte selbst und ließ die vier feurigen, zu zweien vor einander gespannten Rappen tüchtig ausgreifen, ein kühler Wind strich erfrischend über die Felder und Wiesen, und aus dem Walde drang der kräftige Harzgeruch der Kiefern herüber. Dazu lehnte es sich so behaglich in den blauseidenen Kissen der zurückgeschlagenen 321 Kutsche, und die freudestrahlenden Augen der kleinen Mädchen ließen den Morgen noch froher erscheinen.

Der Graf wandte sich nach dem Wagen um. »Wie bist du doch so schön, du weite, weite Welt!« rief er.

Alice nickte, der Graf ließ die lange Peitsche lustig knallen.

»Fräulein Heinersdorf, sind Sie ängstlich?«

»Nein, Herr Graf.«

»Darf ich etwas Zigeuner spielen?«

Alice war sehr ängstlich, aber sie hätte das um alles in der Welt nicht verraten. Sie nickte, die kleinen Mädchen klatschen erst in die Hände und hielten sich dann fest an die Wagenlehnen. Der Graf sah sich noch einmal um und pfiff dann. Die Pferde griffen aus und jagten in rasendem Galopp den Weg entlang, der über ein leise gewelltes Terrain führte. Der Graf blickte von Zeit zu Zeit lächelnd nach Alice zurück, aber sie sah ihn mutig an. Sie war zu ihrer eignen Verwunderung wirklich nicht ängstlich; es erschien ihr ganz unmöglich, daß, wenn der Graf die Zügel führte, ein Unglück geschah.

Als die Kirche in Sicht war, zügelte der Graf die Pferde und ließ sie zur Erholung in leichtem Trab gehen. Alice gefiel ihm mehr und mehr. »Ein allerliebstes Mädchen!« dachte er.

Es war ihm fast ein Bedürfnis, sich von Zeit zu Zeit wie ein Knabe auszutollen, und er hatte es oft genug peinlich empfunden, daß seine Frau für dergleichen Extravaganzen keinerlei Verständnis hatte. 322 Sie hätte eine solche »Zigeunerfahrt« nie geduldet; da war es ihm denn doppelt lieb, für solche Fälle eine Gefährtin zu haben.

Die Predigt war nicht weit her. Der Pastor, ein noch junger, sehr schöner Mann, sprach frei – worauf er sehr stolz war – bewegte sich aber lediglich im hergebrachten Geleise und wälzte mit großem Eifer – er schlug von Zeit zu Zeit sogar mit der Faust auf die Kanzel – die üblichen Phrasen immer wieder hin und her. Von Selbsterfahrenem, von eignen Gedanken trat nichts zu Tage, was insofern nicht Wunder nehmen konnte, als der Pastor sein Amt wesentlich von der wirtschaftlichen Seite auffaßte. Er war eine Reihe von Jahren Hauslehrer in adligen Häusern gewesen und hatte die Manieren und Passionen des Adels angenommen, war ein leidenschaftlicher Jäger, ein mutiger Reiter und ein tüchtiger Landwirt geworden. Er wurde übrigens der formalen Seite seines Amtes vollständig gerecht und erregte nach keiner Seite hin ein Ärgernis; die Bauern waren vielmehr mit ihm sehr zufrieden. Sie behaupteten, er habe »eine Stimme wie ein Stier« – was in ihrem Munde ein hohes Lob war – »und sei ein guter Wirt.«

Als der Graf sich nach Schluß des Gottesdienstes unter den aus der Kirche Tretenden nach dem gesuchten Nachbar umsah – Alice wurde unterdessen von einigen Damen aus der Nachbarschaft freundlich angeredet – schlug ihm jemand kräftig auf die Schulter. Er wandte sich um und erkannte seinen 323 Onkel, einen hageren alten Herrn mit einem langen schneeweißen Schnurrbart, der als verabschiedeter Gardemajor auf einem benachbarten kleinen, aber vortrefflich bewirtschafteten Gute saß.

»Guten Morgen, Oheim,« sagte er und schüttelte dem alten Herrn die Hand, »ich hoffe, du ißt mit uns einen Teller Suppe.«

»Soll mir recht sein, Georg; aber sag doch, wer ist denn die kleine Polin, die mit deinen Kindern hereinkam? Das ist ja ein reizendes Frauenzimmerchen! Wie kommt ihr zu ihr?«

»Es ist unsere Gouvernante, ein Fräulein Heinersdorf.«

Der Baron schüttelte nachdenklich den Kopf: »Ein allerliebstes Kindchen, Georg, ein allerliebstes Kindchen.«

»Nun, du kannst dich ja heute den ganzen Tag an seinem Anblick erfreuen. Pardon – einen Augenblick.«

Der Graf trat auf den aus der Kirche tretenden Pastor zu. »Kommen Sie mit, Pastor, speisen Sie bei uns,« sagte er. »Ihre Frau Gemahlin ist ja nun wohl schon über die gefährlichen Wochen hinweg.«

»Danke, Herr Graf, gern. Aber sagen Sie doch um des Himmels willen, wer ist die junge Dame, die mit Ihren kleinen Mädchen in die Kirche trat? Das ist ja ein reizendes junges Mädchen!«

»Unsere Gouvernante, ein Fräulein Heinersdorf. – Erlauben Sie, mein Fräulein, daß ich Ihnen 324 meinen Onkel, Herrn von Dittershagen, vorstelle. Unser lieber Freund, Herr Pastor Jong!«

Alice verbeugte sich und geriet, während sie vor dem Wagen stand, mit den beiden Herren in ein Gespräch. Als der Graf den Nachbarn gesprochen hatte und zum Wagen zurückkehrte, fand er, daß die Gruppe sich noch um einige Herren vermehrt hatte. »Wo Honig ist, fliegen die Bienen aus und ein,« dachte er.

»Sie sind eine Heinersdorf, mein Fräulein,« begann der Pastor auf der Rückfahrt, »da bin ich erfreut, mich Ihnen als einen Vetter im so und so vielten Grade vorstellen zu können.«

Alice blickte ihn verwundert an. »Inwiefern?« fragte sie.

»Meine Ururgroßmutter war eine Heinersdorf,« fuhr der Pastor fort, »Maria Agathe Anna Heinersdorf aus dem Hause Sixeln.«

Der Baron, der neben Alice saß – der Pastor saß ihr gegenüber zwischen den kleinen Mädchen – warf dem Grafen einen schalkhaften Blick zu. Dieser ließ nämlich, um sich am Gespräch beteiligen zu können, den Kutscher fahren und hatte sich halb umgewendet.

»Unser gemeinsamer Ururgroßvater besaß nämlich Sixeln und Irbitten. Er war mit einer Barbara Blücher aus dem Hause Tschiksten vermählt.«

»Weißt du, Georg, daß du auch mit Fräulein Heinersdorf verwandt bist?« fragte der Baron.

»Nein, aber ich freue mich, daß deine Worte mir 325 eine Aussicht auf ein solches Verhältnis zu eröffnen scheinen.«

»Gewiß, wenn der Verwandtschaftsgrad sich auch nicht ganz leicht in Worten ausdrücken läßt. Jürgen Polderkamp nämlich, der von 1315–46 mein Kowrischken besaß, war mit einer Meyken Heinersdorf vermählt.«

Der Graf zog den Hut. »Ich grüße Sie, Cousine!« sagte er lachend.

Die neu entdeckten Verwandtschaftsgrade – es erwies sich, daß auch der Baron unter seinen weiblichen Ahnen eine Heinersdorf zählte – gaben zu zahlreichen Scherzen Veranlassung. Diese setzten sich auch bei Tisch fort, die Kinder griffen sie auf und Alice wurde von allen »liebe Cousine« oder »Fräulein Cousine« genannt. Nur die Gräfin beteiligte sich mit keinem Wort an diesem Scherz und bewirkte dadurch, daß Alice, die ihr Schweigen weit früher bemerkte als die Herren, ihn äußerst peinlich empfand.

Der Pastor war aber nicht leicht von einem Thema abzubringen, bei dem Ahnen ins Spiel kamen. »Sie müssen nämlich wissen, mein Fräulein,« sagte er, »daß meine Familie ursprünglich auch von Adel ist und zwar von uraltem Adel, wenn auch der Nachweis darüber sich nicht mehr führen läßt. Mein Vater hatte aber noch einen Brief aus dem vierzehnten Jahrhundert, einen Brief von einem meiner Ahnen. Ich habe die Urkunde selbst gesehen, sie ist aber, als das Pastorat meines Vaters in Feuer aufging, verbrannt. Diese Urkunde war von einem de Jonge 326 op dem Hamme ausgestellt und zeigte dasselbe Siegel, wie es die Op dem Hamme, die ohne Zweifel nur ein anderer Zweig unserer Familie sind, noch heute führen. Mein Vater besaß ferner ein Dutzend Löffel, die mit demselben Wappen gezeichnet waren.«

Die beiden anderen Herren tauschten wieder einen verständnisvollen Blick aus und bemühten sich, den Pastor von seinem Lieblingsthema abzubringen. »Sie waren während der Woche in Riga, Herr Pastor, gibt es nichts Neues?«

»Das weiß ich wirklich nicht, Herr von Dittershagen; ich kann das Krämernest in den Tod nicht leiden und bin froh, wenn ich wieder fort kann.«

»Nun, nun, Herr Pastor, da leben doch auch ganz brave Leute.«

»Mag sein, Herr von Dittershagen, mag sein; aber ich liebe diese aufgeblasenen Pfeffersäcke nicht.«

»Aber, Pastor, es muß doch auch Kaufleute geben.«

»Gewiß. Herr Graf, was muß es nicht alles für Leute geben! Man muß nur nicht verlangen, daß unsereiner besondere Sympathien für sie hat. In meinen Augen bleibt Schacher – Schacher, ob es sich nun um Millionen handelt oder um zwanzig Kopeken. Ein edel gearteter Mann wird sich nie dabei wohl fühlen, sein ganzes Leben hindurch nichts zu thun, als zu erwerben.«

Darüber entspann sich eine lebhafte Debatte. Die beiden Herren und Herr Schwäberle verteidigten Handel und Industrie; der Pastor aber blieb dabei, 327 daß es von einer niedrigen Gesinnung zeuge, nichts anderes zu thun, als zu erwerben.

Als die Gräfin die Tafel aufhob, empfahl sich der Pastor und fuhr nach Hause. »Ich will meine Frau doch nicht so lange allein lassen,« sagte er. Herr Schwäberle unternahm einen Spaziergang, und Alice zog sich auf ihr Zimmer zurück, um den schönen Tag in der Stille in sich ausklingen zu lassen. Ihr war so unendlich wohl, sie fühlte sich in so freudig erregter Stimmung – sie wußte selbst nicht warum.

Unten saßen die drei auf der kleinen Veranda zusammen.

»Was ist denn eigentlich an der Urkunde und den Löffeln daran?« fragte die Gräfin.

»Das will ich Ihnen sagen, Cousine,« erwiderte der Baron. »Ich habe diese ganze Jongsche Adelslegende vor meinen Augen entstehen sehen. Der Vater des Pastors, mein Schulkamerad, war noch ein einfacher Jong. Er hatte von früh auf viel Interesse für Geschichte und interessierte sich daher auch für die Vergangenheit seiner Familie, was ja auch ganz in der Ordnung ist. In dieser, einer guten alten Pastorenfamilie, befand sich unter anderen Familienstücken auch ein Dutzend Löffel mit dem Wappen der Op dem Hamme. Wie die dahin gekommen waren, weiß ich nicht; wahrscheinlich hat sie ein Op dem Hamme einem Jong zum Geschenk gemacht. Nun spielte der Zufall meinem Jong eine Urkunde – einen Brief, glaube ich – in die Hand, der unterzeichnet war: Klaus de Jonge op dem 328 Hamme. Der Schreiber hatte wohl so gezeichnet, weil es damals noch einen älteren Klaus op dem Hamme gab. Diese Urkunde und die Löffel genügten, um die Familie de Jonge op dem Hamme ins Leben zu rufen. Alles Auslachen half nichts, und jetzt hat der junge Pastor schon eine Familientradition für sich. Die Urkunde und die Löffel sind verbrannt; aber ein Petschaft, das angeblich aus dem vierzehnten Jahrhundert stammt, in Wahrheit aber, wie ich bestimmt weiß, Anno 1837 nach einem der Löffel von Isaaksohn in Mitau geschnitten wurde, hat sich erhalten und wird forterben.«

»Wie hat denn aber eine Heinersdorf einen Jong geheiratet?«

»Beste Cousine, die Heinersdorf werden wohl damals schon eben so heruntergekommen gewesen sein wie jetzt; das junge Mädchen wird schon passiert und in Folge dessen froh gewesen sein, wenigstens einen angesehenen Pastor heiraten zu können.«

Das Gespräch wandte sich jetzt landwirtschaftlichen Fragen zu. Die Gräfin saß still dabei und sann über einen wichtigen Entschluß nach. Sie nahm sich vor, sobald das Fest vorüber war, mit ihrem Manne ein ernstes und entscheidendes Wort zu sprechen und ihm mitzuteilen, daß sie der Heinersdorf kündigen würde. Hätte es sich nur um sie gehandelt, um ihre eifersüchtigen Ahnungen, so wäre sie zu stolz gewesen, um äußerlich auch nur eine Miene zu verziehen; die Heinersdorf war ja aber auch als Gouvernante völlig untüchtig, und sie mußte daher auch um ihrer Kinder 329 willen handeln. Jeder Tag aber, der ohne Entscheidung vorüberging, machte – das erkannte die Gräfin nur zu klar – die Lösung des Verhältnisses schwieriger und peinlicher. Sie mußte handeln und zwar rasch – das war ihre Pflicht als Mutter, und neben dieser hatten alle anderen Rücksichten zu schweigen.

* * *

Die Einladung zu einem »gemütlichen Abend mit Tanz« hatte den Adel der Nachbarschaft in einem Umkreise von fünf Meilen alarmiert. Eine Gesellschaft in Rotenhof war jedermann willkommen, denn es gab einmal keine liebenswürdigeren Wirte als die Rotenhöfschen, und es gab zweitens in der ganzen Oberhauptmannschaft kein Haus, in dem auf so großem Fuße gelebt wurde. Eingefleischte Landeskinder, die an den sparsamen Gewohnheiten der Väter festhielten, schüttelten zwar zu letzterem Umstande den Kopf, waren aber doch geneigt, ihn mit dem großen Reichtum der Gräfin – der von einer Großtante mit Übergehung ihrer Eltern ein sehr bedeutendes Vermögen testamentarisch hinterlassen war – und mit ihrer Eigenschaft als Fremde – stammte sie doch von jenseits des Stromes – zu entschuldigen. »Was wollt ihr,« pflegte der Herr von Dittershagen zu sagen, »bei uns sehen die Edelhöfe einfach, die Bauernhöfe aber stattlich aus, während bei jenen drüben der Edelmann im Schloß und der Bauer 330 in der Hütte lebt. Jeder hat seine Art Stolz, und der unsrige scheint mir nicht der schlechtere zu sein.«

Am Nachmittag hielt ein Wagen nach dem anderen auf dem Hof, Gefährte jeder Art, von der direkt aus Paris oder Berlin importierten Kutsche bis zum sogenannten Jagdwagen herab. Auch die Insassen waren sehr verschieden. Neben den geschniegelten und gebügelten Gecken, die wenn auch nicht die Pariser Salons, so doch die Pariser Kaffees aus eigner Anschauung kannten, und dem gebildeten Großgrundbesitzer erschien der derbe Landjunker, das Gesicht voller Heidelberger oder Jenaer Narben, oder auch der Landwirt oder Kraftmensch, der grundsätzlich noch ungebildeter that, als er schon war, weil er so doch wenigstens eine gewisse Rolle spielen konnte. Neben der vollendeten Frau von Welt, die irgendwo in Deutschland »bei Hofe« vorgestellt worden war, und der ästhetisch gebildeten jungen Dame trat die derbe ländliche Hausfrau ein, »die sich den Kuckuck daraus machte, was man von ihr sagte,« und das liebliche Landmädchen voll natürlicher unbewußter Anmut. Da paradierten Frack und Ballrobe neben dem bescheidenen hellgrauen Sommerröckchen und dem lustigen Mousselinkleidchen. Im allgemeinen gehörten die ersteren auf das andere Ufer, die letzteren auf dieses. Im übrigen wogte alles frei und unbefangen durcheinander. Einen Unterschied des Besitzes erkannte diese Gesellschaft nicht an, nur einen Unterschied der Geburt, und in dieser Beziehung war man unter sich.

Alice war anfangs ihrer Toilette wegen in großer 331 Sorge gewesen; aber sie entdeckte bald, daß einige der jüngeren Mädchen in dieser Beziehung eben so bescheiden ausgestattet waren wie sie, und schwamm lustig im Strome.

Paul Campbell war in Gala-Uniform erschienen und erregte allgemeines Aufsehen. Die Männer verhielten sich zwar zurückhaltend; weibliche Gemüter sind aber trotz aller nationalen Antipathien dem Reiz, den eine schmucke Uniform ausübt, immerhin zugänglich, zumal wenn diese von einem so schönen Jüngling getragen wird, wie Paul Campbell einer war. Der Baron war mit seinen Erfolgen sehr zufrieden und wurde daher immer liebenswürdiger, was sich bei ihm in der Form eines erstaunlich kindlichen Wesens äußerte. Nur eine Dame hatte keinen Blick für ihn, aber auch nicht einen einzigen, und diese Dame war – die Gouvernante seiner Schwester, jene Kleine, die ihm neulich so impertinent begegnet war. Diese Wahrnehmung verdroß den Baron, denn wenn man Erfolge hat, will man sie gern vollständig haben, und die Schuldige war überdies so liebreizend, daß sie mehr als jede andere Dame umschwärmt wurde. Der Baron nahm sich daher vor, dem jungen Mädchen irgendwie sein Mißfallen zu erkennen zu geben.

Man war allgemein der Ansicht, daß – wenn man die Hausfrau, die nicht mittanzte, ausnahm – der Preis höchster Schönheit einer jungen Witwe, einer Gräfin Märzenroth zukam, einer majestätischen Erscheinung, die von Kraft und Gesundheit strotzte. 332 Die Dame hatte während ihrer Ehe in den vornehmen Kreisen Petersburgs gelebt, hatte die Manieren der großen Welt und den Anstand einer Fürstin. Sie galt für unermeßlich reich und für sehr liebenswürdig. In eingeweihten Kreisen glaubte man annehmen zu dürfen, daß man in ihr die künftige Baronin Campbell zu sehen habe.

Als die Musik eine Aufforderung zur Française spielte, ging der Baron auf die Gräfin zu, um sie zu engagieren, gewahrte aber zu seinem Verdruß, daß ein anderer Herr bereits an sie herangetreten war und blieb daher stehen. Er ließ seine Blicke prüfend über die jungen Mädchen schweifen und kam merkwürdigerweise und zu seinem eignen Erstaunen auf den Gedanken, glühende Kohlen auf Alicens Haupt zu sammeln und mit ihr zu tanzen. »Ich muß diese kleine kühle Nixe doch warm machen,« dachte er.

Alice war noch nicht engagiert. Da sich die jungen Leute so viel um sie bewegten, so hatte ein jeder geglaubt, sie habe ihren Tanz doch schon vergeben und so geschah es, daß, als der Baron sie jetzt mit einem malitiösen Lächeln auf den Lippen um einen Tanz bat, sie, so leid es ihr auch that, doch nicht nein zu sagen wagte. »Was will er nur?« dachte sie unwillig.

Der Baron trat zurück und mischte sich wieder unter die hin- und herwogenden Herren. »Herr Baron,« rief der Herr von der Mark, der die Rolle eines maître de plaisir übernommen hatte, indem 333 er rasch an dem Baron vorüberschritt, »sind Sie noch frei?«

»Warum fragen Sie danach?«

»Die Gräfin Märzenroth hat noch keinen Kavalier,« war die Antwort. »Wir glaubten alle, sie sei schon engagiert, und jetzt hat jedermann seine Dame. Was fange ich nur an?«

»Bitte, ich bin noch frei,« sagte der Baron, schritt auf die Gräfin zu und bat sie um den Tanz. Die Gräfin sagte zu.

Mittlerweile begannen die Paare ihre Plätze einzunehmen, und eine rasch gewonnene Freundin nach der anderen wurde von Alicens Seite weggeholt. »Wo bleibt nur der herrliche Jüngling?« dachte sie und blickte nach der anderen Seite des Saales, wo der Baron neben der Gräfin stand. Aber was war das? Da nahm er ja mit der Gräfin einen Platz ein, und zwar so, daß er Alice gerade gegenüber stand und sein Visavis dicht vor ihr Platz nahm. Das war offenbar eine absichtliche Demütigung.

Alice stieg das Blut heiß zum Kopf. »Der Freche!« dachte sie, »wenn ich ein Mann wäre!« Sie erhob sich und suchte unbemerkt aus dem Saal zu kommen. Als sie die Thüre erreicht hatte, stand die Gräfin in derselben und blickte sie lächelnd an. Die Gräfin lächelte, weil sie glaubte, irgend ein unbedeutender Zwist habe Alice in solche Aufregung versetzt – der Graf hatte sich den ganzen Abend über gar nicht um Alice gekümmert, und die Gräfin empfand daher ihr gegenüber augenblicklich verhältnismäßig ruhig – 334 Alice aber glaubte, daß es sich um ein Komplot von Bruder und Schwester handelte und eilte tödlich beleidigt auf ihr Zimmer. Hier schloß sie sich ein und weinte bitterlich, während die aus den offenen Fenstern des Saales hervordringenden Töne der Tanzmusik lustig zu ihr emporklangen.

Der Graf vermißte sie zuerst. Er hatte sich nicht um sie gekümmert, weil er bemerkt hatte, wie großen Beifall sie fand und hatte sich ganz seinen Pflichten als Wirt gewidmet. Er tanzte mit einem älteren Mädchen mit einem unendlich langen verwaschenen Gesicht und fahlgelben Locken, weil er glaubte, es würde möglicherweise keinen Tänzer finden. Als er sich nun vergeblich nach Alice umsah, ahnte er, daß sie von irgend welcher Seite her beleidigt worden war. Er benutzte deshalb eine Pause zwischen den Touren, entschuldigte sich bei seiner Tänzerin und eilte auf seine Frau zu, die neben der Ausgangsthüre Platz genommen hatte. »Wo ist Fräulein Heinersdorf?« fragte er.

»Ah!« dachte die Gräfin, »also doch. Und der Zwist hat wohl gar zwischen den beiden stattgefunden!« Ihr stand das Herz still vor innerer Aufregung, sie blieb aber scheinbar ganz ruhig, blickte gleichmütig vor sich hin, als ob ihr Gemahl aus Luft wäre und sie durch ihn hindurch sähe und erwiderte kalt: »Wie soll ich das wissen, Georg. Ich bin ja nicht die Gouvernante unserer Gouvernante.«

Der Graf blickte seine Frau zornig an – seit zehn Jahren zum erstenmale – und eilte dann rasch 335 an ihr vorüber. Er erreichte die Vorhalle, sprang die Treppe hinauf und klopfte an Alicens Thür.

Keine Antwort.

Der Graf klopfte noch einmal, klopfte zum drittenmal – keine Antwort. »Pardon, mein Fräulein,« sagte er laut, »darf ich Sie für einen Augenblick sprechen?« Es erfolgte wiederum keine Antwort. Alice hatte ihren Kopf in das Kissen des Sofas vergraben und schluchzte still in dasselbe hinein. Sie war dem Grafen unendlich dankbar für sein Kommen, sie hatte es auch mit Bestimmtheit erwartet, aber sie hätte ihm um keinen Preis öffnen mögen. Sollte sie sein eignes Weib bei ihm verklagen? Nein, sie wollte noch morgen der Gräfin das Verhältnis aufsagen, wollte fortgehen, fortgehen auch von ihm; aber er sollte durch sie keine unangenehme Stunde haben.

Der Graf wartete noch ein paar Augenblicke, versuchte die Thür zu öffnen, und stieg, als er sah, daß diese verschlossen war, die Treppe wieder hinab. Unten begegnete ihm Lottchen. »Wo ist das gnädige Fräulein?« fragte er.

»Das gnädige Fräulein muß auf seinem Zimmer sein,« war die Antwort; »ich sah es vor zehn Minuten hinein gehen.«

Als der Graf an seiner Frau vorüber ging, fragte diese spöttisch: »Nun, bist du über das Schicksal deines Lieblings beruhigt?«

Die Gräfin fühlte, wie unschön, wie unedel diese Worte waren, aber sie konnte nicht anders, sie erstickte sonst.

336 Der Graf blickte seine Frau finster an, ging aber ohne zu antworten weiter. »Wurde je ein unschuldiges liebenswürdiges Geschöpf mit unverdienterer Abneigung behandelt!« dachte er.

»Wo ist Fräulein Heinersdorf?« fragte man jetzt von verschiedenen Seiten. Der Graf entschuldigte Alice mit einem plötzlichen Unwohlsein.

Das Fest nahm seinen Fortgang und verlief nach Aussage aller Beteiligten glänzend. Der Wirt und die Wirtin waren liebenswürdig wie immer, aber man fand, daß sie heute ein wenig schweigsamer waren als sonst. Der Graf mußte stets daran denken, was wohl Alice begegnet sein könne und die Gräfin – die Gräfin war sehr unglücklich.

Alice hatte die ganze Nacht hindurch darüber nachgedacht, was sie zu thun habe. Sollte sie ihre Stellung sofort aufgeben? Das hieß sich trennen von den ihr schon lieb gewordenen Kindern, das hieß auf die Möglichkeit verzichten, ihren Vater unterstützen zu können. Auf der anderen Seite war ihr durch den Bruder der Hausfrau und, wie sie fest glaubte, indirekt durch diese selbst eine unerhörte Beleidigung zugefügt worden. Handelte sie nicht auch im Sinne ihres Vaters, ihres so stolzen Vaters, wenn sie – eine Heinersdorf – sich solche Dinge nicht gefallen ließ? Und wer waren denn diese Campbells, die so gegen eine Heinersdorf zu verfahren wagten? Hergelaufene Schotten, die seit kaum zweihundert Jahren im Lande waren.

Ach, hätte sie nur den Grafen um Rat fragen 337 können! Aber, es wäre unnütz gewesen, ihn zu fragen, er konnte ja nur sagen: »Wirf den Leuten den Mammon, um den sie dich gekauft zu haben wähnen, vor die Füße und geh davon!«

Alice nahm die Photographie ihres Vaters von der Wand und betrachtete sie traurig, während heiße Thränen über ihre Wangen herabliefen. Für sie war dieses magere geierartige Gesicht mit dem hungrigen Ausdruck das Antlitz des liebsten Menschen, den sie – wie sie glaubte – in der Welt hatte. »Mein armes Väterchen,« schluchzte sie, »so ist es nichts mit den zweihundert Rubeln, so muß ich wieder zurück zu dir und dein spärliches Mahl noch verkürzen. Und doch – ich handele in deinem Sinn, ich handele, wie eine Heinersdorf einzig und allein handeln darf.«

Als der Jubel unten allmählich verrauscht war und dann die Strahlen der aufgehenden Sonne die Gipfel der Bäume mit rotem Licht übergossen, wurde es still in ihrer Seele. Alice trat an das Fenster und blickte hinüber nach dem Strom, der klar und ungetrübt dahinfloß. So klar und ungetrübt war auch das Wappen der Heinersdorf. Alice machte sich daran, ihre bescheidene Habe zu packen.

Die Gräfin saß allein beim Kaffee, als Alice eintrat. Sie blickte verwundert auf die verweinten Augen und das verstörte Aussehen des jungen Mädchens, schwieg aber und sah sie erwartungsvoll an. Alice trat dicht an sie heran, ergriff mit der Rechten die hohe Lehne eines Stuhles, wie um sich daran zu halten, und sagte mit einer Stimme, die 338 ihr selbst wie die einer anderen klang, die aber laut und deutlich war:

»Ich komme zu Ihnen, gnädige Frau, um mich von Ihnen zu verabschieden. Ich bin gestern abend von Ihrem Herrn Bruder in einer Weise beleidigt worden, die es mir unmöglich macht, länger in Ihrem Hause zu verweilen. Ich darf Sie wohl bitten, mich nach Campbellshof zu schicken.«

Die Gräfin blickte sie in sprachlosem Erstaunen an. »Von meinem Bruder sind Sie beleidigt worden? Von meinem Bruder Paul?«

Alice neigte bejahend das Haupt.

»Aber wodurch denn um alles in der Welt?«

Alice erzählte kurz den Hergang.

Frau Ina erhob sich rasch und reichte Alice die Hand. »Fräulein Heinersdorf,« sagte sie in einem Tone, der keinen Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit zuließ, »ich weiß noch nicht, wodurch dieses Mißverständnis entstanden ist, aber ich kann Ihnen auf das bestimmteste versichern, daß ein solches vorliegt. Mein Bruder ist völlig unfähig, eine Dame zu beleidigen; aber selbst ein schlechterer Mann würde es niemals wagen, in unserem Hause einer solchen zu nahe zu treten.«

Alice war überwunden, sie hatte der Gräfin doch unrecht gethan. »Entschuldigen Sie,« stotterte sie.

»Ich habe nichts zu entschuldigen, mein Fräulein. Im Gegenteil, ich danke Ihnen dafür, daß Sie so offen zu mir kamen. Mein Bruder schläft noch, aber 339 ich werde ihn sogleich wecken lassen, und er wird das Mißverständnis sofort aufklären.«

Frau Ina sprach, wie sie dachte. Alle eifersüchtigen Regungen waren in diesem Augenblick vor dem Wunsche, ihren Bruder von einem so häßlichen Verdachte zu reinigen, zurückgetreten. Sie schellte und befahl dem Diener, den Baron zu wecken und ihn zu bitten, sich für einen Augenblick herunter zu bemühen.

Alice wußte nicht, was sie thun sollte. So peinlich ihr eine solche Aussprache auch sein mußte, so fühlte sie doch, daß sie ihr nicht aus dem Wege gehen konnte.

Frau Ina kreuzte die Arme über die Brust und ging aufgeregt im Zimmer auf und nieder. »Nein, mein Fräulein,« sagte sie, indem sie wieder auf Alice zutrat und ihre Hand ergriff, »bleiben Sie bei uns; vor solchen Erlebnissen sind Sie bei uns geschützt.«

Im Nebenzimmer wurde der rasche Tritt des Grafen laut, und gleich darauf trat er in das Zimmer, blieb aber an der Thüre stehen und blickte verwundert auf die Frauen. Bei seinem Anblick regten sich in der Gräfin wieder die alten Gefühle, aber sie hielt sie nieder. »Lieber Georg,« sagte sie, »hilf auch du mir ein Mißverständnis aufzuklären. Fräulein Heinersdorf glaubt, daß Paul sie erst zur Française engagiert und dann absichtlich doch mit der Gräfin Märzenroth getanzt habe. Fräulein Heinersdorf will infolge dessen unser Haus verlassen. Sage auch du dem Fräulein, daß hier ein Mißverständnis vorliegen müsse.«

340 »Ohne Zweifel, mein Fräulein,« erwiderte der Graf, »und ich bin überzeugt, daß mein Schwager, sobald er Kenntnis von demselben erhält, sich beeilen wird, es, so viel an ihm liegt, wieder gut zu machen.«

Der Graf wandte sich um und verließ das Zimmer. »Ich habe Paul schon bitten lassen, zu uns zu kommen,« rief ihm die Gräfin nach.

»Danke!« erwiderte er, ging aber weiter. Er traute seinem Schwager, den er weder liebte noch besonders hochstellte, ein solches Stücklein wohl zu, aber er wollte um Alicens und seiner Frau willen jede Scene vermeiden.

Als er in das Zimmer des Barons trat, war dieser eben damit beschäftigt, sich mit zwei Bürsten den Kopf zu kämmen. »Was will Ina nur,« fragte er, nachdem er dem Grafen die Hand gedrückt hatte, »daß sie mich schon um neun Uhr wecken läßt? Man ist doch müde – ich bitte dich.«

Der Graf nahm auf dem Sofa Platz und setzte eine Cigarette in Brand.

»Unten ist ein Mißverständnis zu Tage getreten,« begann er, »ein komisches, aber doch auch fatales Mißverständnis. Fräulein Heinersdorf bildete sich nämlich ein, daß du sie erst zum Tanz engagiert und dann absichtlich sitzen gelassen habest.«

Der Baron stand vor dem Spiegel und betrachtete vermittelst eines Handspiegels seinen Hinterkopf. Er machte bei den Worten seines Schwagers eine Bewegung, als ob er sich nach diesem umwenden wollte, blieb aber in seiner Stellung. Der Graf, der ihn 341 scharf beobachtete, bemerkte, daß er errötete. »Es liegt, wie gesagt, ein Mißverständnis vor,« fuhr er fort. »Du hattest ohne Zweifel vergessen, daß du schon engagiert hattest, und als es dir einfiel und du dein Versehen gut machen wolltest, war die junge Dame schon fort und du suchtest vergeblich nach ihr! Es wird dir lieb sein, deine Entschuldigung jetzt endlich anbringen zu können. Wir unsererseits haben der Dame schon versichert, daß du völlig unfähig wärest, in dieser Weise gegen ein junges Mädchen zu handeln.«

Der Baron dachte einen Augenblick daran, sich zu wehren, aber die Worte seines Schwagers waren in einem so energischen Tone ausgesprochen worden, daß er es vorzog, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

»Natürlich,« sagte er, indem er den Spiegel fortlegte und, ohne sich umzusehen, an seiner Binde rückte, »Ich bitte dich, man kann vergessen, daß man schon engagiert hat. Ich habe im vorigen Winter bei Rottenkampfs – weißt du, bei Leonti Feodorowitsch – mit der Komtesse Ida Mazurka getanzt und ich hatte vorher die kleine Ruschejew engagiert. Was soll man dazu sagen – man muß seine Entschuldigung machen.«

Der Graf streifte das Feuer seiner Cigarette in den Aschenbecher, zerstampfte es mit dem Rest derselben und erhob sich. »Also du kommst,« sagte er.

»Natürlich. Aber sage doch noch, ich bitte – wie erfuhrt ihr von der Sache?«

Der Baron fuhr, während er diese Frage that, 342 mit der Rechten in den Ärmel seiner Uniform, und wandte dem Grafen den Rücken zu.

»Fräulein Heinersdorf wollte infolge des Mißverständnisses sofort unser Haus verlassen.«

»Aber erbarme dich – ich bitte dich – ich komme sofort,« rief der Baron und zog die Uniform vollends an. – »Sind die Leute hier aber kitzelig,« dachte er.

Alice hatte gefürchtet, daß die Scene sehr peinlich werden würde, ihre Besorgnis war aber unbegründet gewesen. Der Baron trat mit vollständiger Unbefangenheit auf sie zu.

»Liebes Fräulein,« sagte er mit dem gewinnendsten Lächeln, an dem sogar seine Augen teilnahmen, »ich muß Sie herzlich um Verzeihung bitten. Aber ich bin mitunter so zerstreut, und da kam im letzten Augenblick der Herr von – ja, wie hieß er nur, der Herr von – nun, Sie werden ja schon wissen, wen ich meine, und sagte, die Gräfin sei noch nicht engagiert und ich – ich vergesse, daß ich schon engagiert habe, und engagiere die Gräfin. Wie ich mich neben sie stelle, fällt mir ein, daß ich schon engagiert habe. Ich suche Sie, aber Sie sind schon fort. Ich bitte nochmals um Pardon!«

Er reichte Alice die Hand, und diese mußte trotz aller inneren Entrüstung ihre für einen Augenblick in dieselbe legen. »Ist es möglich, daß man mit einem so wohlwollenden freundlichen Gesicht so unverschämt lügen kann!« dachte sie. Ihre Augen suchten unwillkürlich den Grafen, aber dieser war nicht im Zimmer.

343 »Liebes Fräulein,« sagte Frau Ina jetzt, indem auch sie Alice die Hand reichte, »Sie haben sich jetzt selbst überzeugt, daß ein Mißverständnis vorlag, und können daher, ohne Ihrer Ehre etwas zu vergeben, nach wie vor unsere Hausgenossin bleiben.«

Alice drückte der Gräfin die Hand und eilte dann rasch aus dem Zimmer.

Der Baron nahm mit der Zuckerzange einige Stücke Zucker, ließ sie in seinen Thee fallen, sah sich im Zimmer um, und sagte dann: »Ich muß aber sagen, Ina, daß die Gouvernante eine sehr wunderliche Stellung in eurem Hause einnimmt. Sie steht zu euch in einem sehr merkwürdigen Verhältnis.«

Die Gräfin blickte schweigend vor sich nieder. Sie sagte sich, daß sie eben selbst jede Möglichkeit vernichtet hatte, dieses »merkwürdige Verhältnis« demnächst zu lösen. 344

 


 


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