Theodor Hermann Pantenius
Im Gottesländchen
Theodor Hermann Pantenius

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Sechstes Kapitel.

Am folgenden Morgen teilte Wezwagar seinen Entschluß seiner Frau mit. Sie schüttelte wehmütig den Kopf dazu, meinte aber, es könne jedenfalls nichts schaden, wenn er sich nach dieser Richtung hin Gewißheit verschaffe. So traf denn Wezwagar seine landwirtschaftlichen Anordnungen für den Tag und fuhr dann davon.

Sobald er fort war, rief die Bäuerin ihre treue Magd Dorothea herbei, teilte ihr mit, daß sie selbst auf ein paar Stunden ausfahren müsse, und befahl ihr, sorgfältig auf die Kinder acht zu geben. Dann ordnete sie an, daß Peter ihr ein Wägelchen herrichten solle, und begab sich in die Kleiderkammer. Hier kleidete sie sich sorgfältig an, küßte hierauf ihre sich ängstlich an sie klammernden Kinder der Reihe nach und fuhr dann in der Richtung auf den Gutshof davon.

Das Wetter war in der Nacht umgeschlagen, und ein warmer Südwest hatte schwere Regenwolken herbeigeführt, die nun tief herabhängend über dem Walde hinzogen.

93 Wie hätte die Bäuerin sich sonst über den in dieser Jahreszeit immer so hoch willkommenen Regen gefreut! Heute aber hatte sie keinen Sinn für Regen oder Sonnenschein. Sie war fest entschlossen, das, was ihrer Meinung nach ihre Nachlässigkeit verschuldet hatte, nach Kräften wieder gut zu machen, und sie hoffte auf einen günstigen Erfolg ihrer Bemühungen. Trotzdem schlug ihr Herz unruhig. Sie, die in einem einsamen Strandgesinde aufgewachsen war, hatte außer mit dem Pastor fast noch nie ein Wort mit einer den gebildeten Ständen angehörenden Person gesprochen; denn die freundlichen Worte, mit denen der Baron und seine Frau sie nach ihrer Rettung begrüßt hatten, waren zu flüchtiger Natur gewesen, um in dieser Beziehung in Betracht zu kommen. Nachher hatte die entlegene Lage ihres väterlichen Gesindes jede weitere Berührung verhindert und sie hatte die Herrschaften nur zuweilen in der Kirche gesehen. Später hatte ihr Mann sie absichtlich vom Hofe ferngehalten, weil es seinem Hochmut wehe that, seine Frau in Beziehung zu höher gestellten Personen treten zu sehen. Nun hatte ihr zwar die Baronin, die ihr wie die Verkörperung der höchsten Schönheit erschien, immer überaus gefallen, und sie hatte stets geglaubt, daß sie eine herzensgute Frau sei – eine Annahme, die auch durch den Ruf, dessen sich die Dame in den Gesinden erfreute, durchaus gerechtfertigt wurde – trotzdem machte aber die Aussicht, mit der vornehmen Frau reden zu müssen, ihr das Herz vor Blödigkeit 94 still stehen. Die junge Frau flehte in heißen Gebeten zu Gott, daß er ihr wenigstens die Sprache nicht nehmen und ihr die Kraft verleihen möge, ihr Anliegen vorzutragen.

Der Braune vor dem Wagen, der mit der Baronin nichts zu thun hatte und daher guter Dinge war, griff frisch aus; bald waren sie aus dem Walde und dann auf dem weitläufigen Hofe des Gutes. Als die Bäuerin das Pferd angebunden hatte, lösten sich ihr fast die Kniee vor Aufregung und sie mußte sich eine Weile auf den Rand des Wagens stützen. Dann raffte sie sich aber auf und ging mit festen Schritten dem Herrenhause zu.

Dort traf sie auf die Zofe der Baronin und fragte sie, ob die gnädige Frau zu Hause und zu sprechen wäre. Die Zofe, ein schmuckes, junges Ding mit einem naseweisen Stutznäschen, kniff die Augenlider halb zu, betrachtete die Bäuerin von Kopf bis zu Fuß und sagte dann kühl: »Wartet hier.« Nachdem sie die Baronin aufgesucht hatte, nickte sie der Fremden vornehm zu und führte sie um das Wohnhaus herum auf die an den Garten stoßende Veranda, auf der die Baronin und Fräulein Alexandra, mit ihren Handarbeiten beschäftigt, saßen. Die Zofe, die die Wirtin nicht kannte, hatte gemeldet, ein junges Mädchen wünsche die Baronin zu sprechen.

Als die Bäuerin die Veranda betrat, machte sie eine tiefe Verbeugung und blieb mit zu Boden geschlagenen Augen stehen.

95 Man konnte sich kaum größere Gegensätze denken, als diese drei Frauen.

Die Baronin galt noch immer mit Recht für eine Schönheit ersten Ranges. Sie war von hohem Wuchs und schlank wie ein Reh. Das reiche, blauschwarze Haar und die großen schwarzbraunen Augen, die einen träumerischen Ausdruck hatten, ließen ihre zarte Hautfarbe nur noch weißer erscheinen.

Fräulein Alexandra war eine mittelgroße, sehr kräftig gebaute Dame. Ihr rötlichblondes Haar lag dicht an der niedrigen Stirn, unter der ein paar hellblaue Augen sehr selbstbewußt in die Welt blickten. Das kleine Bärtchen auf der Oberlippe paßte vortrefflich zu der tiefen Stimme und der ganzen etwas männlichen Erscheinung.

Die Bäuerin war klein und von zartem Wuchs. Alle Umrisse ihres Körpers waren weich und von rundlicher Form. Aschblondes Haar, eine zarte Hautfarbe und treuherzige dunkelblaue Augen machten sie zu einer hübschen Erscheinung, und der unschuldige kindliche Ausdruck ihres regelmäßig geschnittenen Gesichts bewirkte, daß alle, die mit ihr zu thun hatten, die Neigung verspürten, ihre Zuneigung durch Zärtlichkeit an den Tag zu legen.

Die Baronin, die kurzsichtig war, zog die Augenlider ein wenig zusammen und betrachtete die junge Frau vor ihr mit freundlichem Lächeln. Auch Fräulein Alexandra blickte mit Wohlgefallen auf die Fremde.

96 »Was wünschest du, mein Kind?« fragte die Baronin.

»Ich komme wegen des Eies,« brachte die Bäuerin mühsam über die Lippen.

»Weshalb?« fragte die Baronin.

»Wegen des Eies.«

Die Baronin blickte fragend auf die Schwägerin, aber diese wußte ebenso wenig Bescheid als sie selbst.

»Von was für einem Ei redest du?« fragte Fräulein Alexandra freundlich.

»Sollten die Damen noch von nichts wissen?« dachte die Bäuerin. Dann konnte der Zorn des Barons doch gar nicht so groß sein. Sie faßte Mut.

»Gnädige Frau,« sagte sie, »ich bin die Wezwagarwirtin.«

»Ah, siehe da!« rief die Baronin erfreut, und reichte der Bäuerin die Hand. »Nun, das ist schön, daß du dich uns auch einmal vorstellst. Der Herr und ich sind deinem Mann zu ewigem Dank verpflichtet. Wie du dich verändert hast, seit dich dein Mann damals über das Eis trug. Ich bin deinem Mann recht böse. Ich habe ihn mehr als einmal gebeten, dich mir zuzuführen, und er hat es doch immer wieder unterlassen. Euch geht es gut, nicht wahr? Ihr habt Kinder?«

»Ja, gnädige Frau, drei.«

»Natürlich lauter Jungen?« rief Fräulein Alexandra.

Das Herz der Bäuerin wurde immer leichter. Das ließ sich ja alles so gar nicht nach einem Bruch an.

97 »Ja, gnädiges Fräulein,« erwiderte sie lächelnd, »lauter Jungen.«

»Siehst du wohl! Also es geht euch gut!«

Die Bäuerin gefiel Fräulein Alexandra immer mehr.

Es entstand eine kleine Pause, während der die beiden Damen die junge Frau freundlich anblickten und diese zu Boden sah und vergeblich nach einem Anknüpfungspunkt für ihr Anliegen suchte.

»Was sprachst du denn vorhin von einem Ei?« fragte die Baronin endlich.

»Gnädige Frau,« begann die Bäuerin, »ich komme in meiner Herzensangst zu Ihnen, weil ich es nicht wage, gleich mit dem Herrn zu sprechen. Mich, mich ganz allein trifft die Schuld.«

»Ja, aber woran denn, liebe Frau?« fragte die Baronin gespannt.

Die Bäuerin berichtete jetzt, was sich ereignet hatte. »Gnädige Frau,« sagte sie zum Schluß, und ihre Thränen flossen reichlich, »halten Sie meinen Mann nicht für undankbar. Er hat den gnädigen Herrn immer geliebt, und ihn, wenn die anderen Bauern ihn angriffen, verteidigt, aber er ist sehr heftig und weiß dann nicht, was er thut.«

Die Damen, die aufmerksam zuhörten, hatten anfangs gelächelt, bald aber waren ihre Gesichter ernst und immer ernster geworden.

»Ist denn aber Wezwagar ganz toll,« rief das Fräulein jetzt, »daß er es wagt, sich so gegen seinen Herrn zu benehmen?«

98 Die Baronin blickte still zu Boden. Das Benehmen ihres Mannes war ihr unverständlicher als das des Bauern.

Fräulein Alexandra nahm sich fest vor, den Frieden wieder herzustellen, sie hielt es aber für angemessen, dem Bauern, wenigstens in Stellvertretung, tüchtig den Kopf zu waschen und ihm den von Gott geordneten Unterschied zwischen den Ständen klar zu machen. Sie erging sich in wohlgesetzter Rede über dieses ihr Lieblingsthema und entwickelte vor ihrer still und gedrückt dastehenden Zuhörerin, daß der liebe Gott vier Stände geschaffen habe: den Edelmann, damit er der Herr sei und alles in Zucht und Ordnung erhalte; den Litteraten, damit er Gottes Wort verkünde oder die Kranken wieder gesund mache oder in der Stadt die Verwaltung führe oder die Kinder unterrichte; den Bürger, damit er Handel und Gewerbe treibe, und den Bauer, damit er die Felder bestelle. Der letztere dürfe übrigens keineswegs verachtet werden. Fräulein Alexandra warf die Frage auf, was wohl aus uns allen werden würde, wenn der Bauer das Feld nicht bestellen wollte, und beantwortete sie dahin, daß wir es in diesem Fall mit einer Hungersnot zu thun bekämen. Sie schloß daraus, daß wir alle den Bauernstand hoch in Ehren halten und ihm dankbar sein müßten. Der Bauer dürfe aber auch seinerseits nicht etwa deshalb die Welt auf den Kopf stellen und das Regiment in die Hand nehmen wollen. Dieses sei ein für allemal Sache des Edelmannes, wie denn auch nur 99 Edelleute in den Gerichten säßen, das Land als Hauptleute verwalteten und den Landtag besuchten. Sache des Bauern sei das Gehorchen. Sei er immer gehorsam, so würde es ihm auch gewiß nie an einem guten und gnädigen Herrn fehlen. Zum Schluß fragte das Fräulein: »Nicht wahr, so ist es?«

Die Bäuerin, die durch die ernste Aufnahme, die ihre Mitteilung sichtlich fand, wieder ängstlich geworden war, hatte von der ganzen Rede nichts verstanden, sie erwiderte aber mechanisch »Ja« und befriedigte dadurch ihre Gönnerin – denn zu einer solchen war ihr das Fräulein bereits geworden – vollständig.

Es trat wieder eine Pause ein. Endlich fragte die Bäuerin, und jene zarten Falten zwischen ihren Brauen, von denen schon die Rede war, traten wieder hervor: »Glauben Sie, gnädiges Fräulein, daß der Herr meinem Mann verzeihen wird?«

»Natürlich,« erwiderte das Fräulein entschieden, »sei nur ganz unbesorgt. Ich will deine Sache schon führen.«

Die Baronin blickte ihre Schwägerin bedenklich an. »Ich will ebenfalls mit meinem Mann darüber sprechen,« sagte sie dann gepreßt. »Er ist aufs Feld geritten, muß aber bald nach Hause kommen. Begib du dich jetzt in das Leutezimmer und warte dort, damit du zur Hand bist, falls der Baron nach dir verlangen sollte.«

Die Baronin fuhr dann der jungen Frau, die sich dankerfüllt auf ihre Linke herabbeugte, mit der 100 Rechten über das seidenweiche Haar. Das Fräulein klopfte ihr gutmütig auf die Wange.

»Sei nur ganz unbesorgt,« rief sie ihr noch nach, »ich verspreche dir, daß ihr in dem Gesinde bleibt.«

»Wir wollen schon alles wieder in Ordnung bringen,« sagte sie, als die Bäuerin sich entfernt hatte und nickte der Schwägerin, die mit dem Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit zu Boden sah, beruhigend zu.

»Ich sehe mit Schmerz,« sagte die Baronin nach einer Pause mit zitternder Stimme, »daß Leo jetzt oft hart und ungerecht handelt. Er ist, seit die unglückselige Agrarfrage in Gang gekommen ist, wie verwandelt.«

»Nein, Fanny, das darfst du nicht sagen,« rief das Fräulein lebhaft. »Hart und ungerecht ist Leo nie. Es gab nie einen gerechteren Herren als ihn. Ich finde, daß er auch in diesem Falle ganz in seinem Rechte ist. Forderte Leo einmal das Ei, so durfte er auch nicht dulden, daß es nicht gebracht wurde, und wenn Wezwagar sich dadurch zu einer so unerhörten Frechheit hinreißen ließ, so mußte er dafür bestraft werden. Bisher hat Leo streng gerecht gehandelt. Jetzt aber, wo Wezwagar sein Unrecht einsieht und bereut, muß er ihm erst tüchtig den Kopf waschen und ihm dann verzeihen.«

»Du vergißt, daß Wezwagar Leo das Leben gerettet hat.«

»Das ist in diesem Falle ganz gleichgültig. Gerechtigkeit über alles. Das gefällt mir gerade an 101 Leo, daß vor ihm kein Ansehen der Person gilt. Es kommt ihm immer in erster Reihe auf das Prinzip an. Jetzt aber, da das Prinzip durchgefochten ist, kommt die Lebensrettung allerdings in Betracht.«

»Von was für einem Prinzip ist die Rede?« fragte der Baron, der in diesem Augenblicke die Veranda betrat.

Der Baron fragte scheinbar ganz gleichmütig, ein Blick auf seine gerötete Stirn bewies aber seiner Frau, daß er aus dem Schlußsatz erraten hatte, wovon die Rede war.

»Wir sprachen eben von der Affäre Wezwagar,« erwiderte das Fräulein so unbefangen als möglich. »Ich vertrete die Ansicht, daß du ganz recht thatest, auf dem Ei zu bestehen und nachher den tollen Exceß wie gehörig zu bestrafen.«

Der Baron, der sich gesetzt hatte, beugte sich, während seine Schwester sprach, tief über die Lehne seines Stuhls, als ob er nach einem heruntergefallenen Gegenstand suchte. »Wer hat euch von dem Vorfall erzählt?« fragte er dann, sich wieder aufrichtend, mit einem Blick auf seine Frau. Da auch die Baronin in diesem Augenblick zu ihm hinübersah, begegneten sich ihre Blicke. Der Blick der Baronin drang ihrem Gemahl bis ins Herz.

»Die Wezwagarwirtin war hier,« erwiderte Fräulein Alexandra. »Sie hat uns alles erzählt.«

»So, so,« sagte der Baron und rieb mit dem Daumen an dem Vorstoß seiner Weste, als ob dort etwas weggewischt werden müßte.

102 »Die arme junge Frau ist über das Betragen ihres Mannes sehr unglücklich, und auch er soll es jetzt aufrichtig bereuen,« fuhr das Fräulein fort.

Der Baron zuckte die Achseln und blickte schweigend nieder auf seine Weste. Seine Frau sah ihn unverwandt an.

»Ich habe die Wirtin übrigens bereits beruhigt,« fuhr das Fräulein fort. »Ich versprach ihr, daß du, wenn Wezwagar dich um Verzeihung bittet, ihm verzeihen wirst.«

»Ich weiß wirklich nicht, liebe Schwester, was dir das Recht gibt, so in meinem Namen zu sprechen?« erwiderte der Baron scharf. Es war ihm, als ob unter seinem reibenden Daumen lauter kleine gelbe Flecken zu Tage träten. Jetzt röteten sich auch seine Wangen.

»Nun, ich denke, ich bin deine Schwester! Nachdem du der Gerechtigkeit genug gethan hast, wirst du natürlich Milde walten lassen.«

Der Baron erhob sich und richtete sich hoch auf. »Ich muß dich dringend ersuchen,« sagte er, »künftig nicht wieder in meinem Namen Versprechungen abzugeben. Ich schätze deine Ratschläge hoch, bitte dich aber, es bei solchen bewenden zu lassen. Darüber, was schließlich geschieht, habe ich und nur ich zu entscheiden.«

Damit verließ er die Veranda.

Das Fräulein aber rief ihm nach: »Das will ich doch einmal sehen, ob du wirklich einen Mann, der dir das Leben gerettet hat, von Haus und Hof jagen 103 wirst, weil er in augenblicklichem Jähzorn ein Ei etwas unsanft vor dir auf den Tisch stellte!«

Dann fuhr sie, zur Schwägerin gewendet, fort: »Leo ist zwar jetzt oft hart und ungerecht, aber eine so empörende Handlungsweise traue ich ihm denn doch nicht zu; das wäre ja himmelschreiend!«

»Ach, Leo ist sonst so gut,« seufzte die Baronin, und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

»Gewiß ist er ein trefflicher Mann, aber eben deshalb dürfen wir nicht dulden, daß er jetzt so ungerecht handelt. Dazu sind wir Frauen eben da, um überall Frieden zu stiften und zu erhalten!«

Der Regen, der jetzt endlich losbrach, trieb die Gouvernante und die Kinder unter das schützende Dach der Veranda. Ihre Ankunft unterbrach das Gespräch.

Die Baronin saß noch eine Weile still da; dann stand sie auf und begab sich in das Zimmer ihres Mannes.

Dieser saß an seinem Schreibtisch und schrieb. Sie legte ihre Hand leicht auf seine Schulter, küßte ihn, als er aufsah, auf die heiße Stirn und sagte dann sanft:

»Leo, Wezwagar hat sich gewiß schwer an dir vergangen, aber er hat mir einmal mein Liebstes erhalten, da ich glaubte, ich hätte es verloren. Vergib ihm um meinetwillen!«

Der Baron erhob sich und umschlang sein Weib. Seine Brust wogte heftig.

104 »Fanny,« sagte er mühsam, »er hat das Ei vor mir hingeworfen auf den Tisch!«

»Leo, als du damals durch das berstende Eis sankst, da rettete dich sein Arm!«

»Das Ei hat mich über und über bespritzt!«

»Das kalte Eiswasser hat ihn damals um unseretwillen durchnäßt!«

»Wohlan, Fanny, um deinetwillen sei ihm vergeben!«

Die Baronin umschlang den Hals ihres Mannes und küßte ihn lange innig und heiß. »Wußte ich doch, daß ich nicht vergeblich an dein edles Herz appellieren würde,« sagte sie, glückselig lächelnd. »Das kann wohl einmal irren, aber es findet sich immer wieder zurück auf den rechten Weg. Und nun will ich die Wirtin hereinrufen, damit du ihr selbst sagen kannst, daß alles vergeben und vergessen sei.«

Ehe der Baron darauf erwidern konnte, eilte sie aus dem Zimmer und erschien bald darauf mit der jungen Bäuerin.

Der Anblick der verweinten jungen Frau stimmte auch den Baron milde. Er ging auf sie zu, faßte ihre Hand und sprach sanft: »Sage deinem Manne, daß, wenn er mir morgen das Ei bringt und mich um Verzeihung bittet, alles vergeben und vergessen sein soll.«

Die Bäuerin brach in Freudenthränen aus und wollte ihm aus tiefster Seele danken, der Baron aber 105 wies jeden Dank zurück. »Bedanke dich bei der gnädigen Frau hier,« sagte er.

Er fragte nun in leutseliger Weise nach ihren Kindern, erkundigte sich, ob die Kuh, deren Erkranken das ganze Unglück angerichtet hatte, wieder genesen sei, und ging dann mit einem herzlichen: »Mit Gott!« zugleich mit seiner Frau davon.

Sie gingen aber nur bis in das Nebenzimmer. Dort stellten sie sich ans Fenster und sahen schweigend der jungen Frau nach, die eilig über den Hofplatz ging, ihr Pferd losband und davon fuhr.

»Die ist glücklich!« rief die Baronin.

»Gott sei Dank, daß die Geschichte endlich zu Ende ist,« sagte der Baron. »Sie hat mir viele böse Stunden bereitet.«

»Du Lieber, Guter!« flüsterte die Baronin. 106

 


 


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